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4. Was beeinflusst das Epigenom?


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Epigenetische Prozesse führen zu Reaktionen, ohne dass dabei unsere Gene verändert werden müssen. Es werden nämlich dabei nur Gene aktiviert oder deaktiviert. Das ist neu. Das ist noch nicht allgemein bekannt. Epigenetische Veränderungen entstehen durch Umweltfaktoren und Lebensstil, Bewegung und Ernährung. Oder auch durch ein Suchtverhalten. Umgekehrt haben günstige Umweltbedingungen oder ein gesunder Lebensstil einen vorteilhaften Einfluss auf die epigenetischen Modifikationen.

Epigenetische Prozesse scheinen bei vielen Krankheiten eine Rolle zu spielen. Epigenetische Veränderungen sind aber beeinflussbar und auch wieder reversibel. Die Pharmaindustrie versucht jetzt intensiv neue Medikamente zu entwickeln, die einen Einfluss auf die Epigenetik haben. Aber auch bereits heute existierende Substanzen sind ebenfalls einsetzbar. Darüber wird später noch ausführlich berichtet werden. Die natürlichen Substanzen sind allerdings für die Pharmaindustrie nicht interessant, weil sie nicht patentierbar sind. Es müssen also neue Stoffe entwickelt werden.

In diesem Kapitel sollen epigenetische Veränderungen verschiedener Erkrankungen aufgezeigt werden.

Adipositas (Übergewicht)

Die Anzahl der Menschen mit Übergewicht nimmt in den westlichen Ländern stetig zu. Dies führt dann auch zu einem Anstieg von Diabetes mellitus und anderen Stoffwechselerkrankungen. Auch der Blutdruck steigt weiter an und muss dann behandelt werden. Neben Ernährungsfehlern und Bewegungsmangel tragen auch epigenetische Mechanismen dazu bei, dass diese Erkrankungen zunehmen. Übergewicht entsteht dann, wenn die Kalorienzufuhr den Energieverbrauch übersteigt. Ein Lebensstil, der diesen Mechanismus begünstigt, wird in vielen westlichen Ländern gepflegt.

In diesem Bereich stellt die Epigenetik eine wichtige Verbindung zwischen der menschlichen Genetik und den vorhandenen Umweltfaktoren dar. Essverhalten und körperliche Aktivität haben einen Einfluss auf epigenetische Mechanismen und damit auch auf Übergewicht und Diabetes. Die Untersuchungsergebnisse sprechen auch hier für eine DNA-Methylierung in metabolisch relevanten Organen wie Leber, Bauchspeicheldrüse, Muskulatur und Fettgewebe. Aber auch Histon-Modifizierungen treten bei Adipositas auf.

Im Vergleich zu Krebserkrankungen ist aber das Ausmaß der epigenetischen Veränderungen bei Stoffwechselerkrankungen geringer und noch viel weniger erforscht. Es sieht derzeit so aus, dass es dabei nicht zu einem kompletten Abschalten der Gene kommt, sondern eher zu einer Feinregulierung von verschiedenen Genen, die alle am Stoffwechsel beteiligt sind.

Hunger und Mangelernährung erzeugen epigenetisch vermittelte Auswirkungen auf den menschlichen Organismus. Diese Veränderungen werden dann auch auf nachfolgende Generationen vererbt. Dies konnte durch Studien eindeutig belegt werden. Ungeborene, die während der Embryonalzeit Hunger litten und dadurch ein erniedrigtes Geburtsgewicht hatten, entwickelten in ihrem späteren Leben häufiger ein Übergewicht und Diabetes mellitus als die Durchschnittsbevölkerung. Die Ausprägung des Übergewichts war abhängig vom Entwicklungsstadium, in dem der Hungerzustand erstmals auftrat.

Bislang basieren die meisten Erkenntnisse auf Beobachtungs- und aus Querschnittsuntersuchungen und nicht aus Längsschnittstudien mit mehreren Untersuchungszeitpunkten und Probenentnahmen für molekulare Untersuchungen. Deshalb sind die genauen epigenetischen Mechanismen einschließlich der genetischen Loci, an denen die epigenetischen Veränderungen auftreten, noch wenig bekannt.

Im Tierversuch konnte nachgewiesen werden, dass eine Halbierung der Eiweißzufuhr während der Schwangerschaft zu einer Insulinresistenz der Nachkommen führt. Die Bauchspeicheldrüse wies Defekte auf und es bestand zusätzlich ein Arterieller Hypertonus. Die Nachkommen von Tieren mit diesen Krankheitserscheinungen, also die dritte Generation, die also nie mit einem Nährstoffmangel in Berührung gekommen war, zeigten dann aber die gleichen Krankheitserscheinungen, teilweise in noch stärkerer Ausprägung als bei der zweiten Generation.

Das Besondere ist, dass die epigenetischen Veränderungen, die durch Nährstoffmanipulation während der Schwangerschaft experimentell verursacht werden, nur bei den Nachkommen auftraten und nicht bei den ursprünglich betroffenen Muttertieren. Sie können nämlich nur beim Embryo, nicht aber in der Placenta der Mütter nachgewiesen werden.

Die epigenetischen Veränderungen haben auch Einfluss auf die Mitochondrienfunktion in den Zellen der Nachkommen und führt zu vermehrtem oxydativem Stress mit vermehrter Bildung von freien Radikalen. Dadurch wird die ATP-Produktion in der Zelle eingeschränkt. Die besonders stark betroffenen Organe sind Bauchspeicheldrüse, Leber und Muskeln. Nachweisbar waren DNA-Methylierungen und Histon-Acetylierungen bestimmter Gene. Die tierexperimentell nachgewiesenen Veränderungen sind auch auf den Menschen übertragbar.

Aber auch die Väter spielen eine Rolle!

Durch Mangelernährung erzeugte epigenetische Veränderungen können aber auch über das Sperma vererbt werden. Sie führen ebenfalls zu Adipositas und Diabetes mellitus.

Unser Lebensstil hat Einfluss auf die Eigenetik. Körperliche Aktivität und Ernährung spielen eine wichtige Rolle. Sie können Übergewicht, Insulinresistenz, hohen Blutdruck und Fettstoffwechselstörungen entstehen lassen. Allerdings weist das Epigenom auch eine gewisse Flexibilität auf. Es verändert sich dann im Laufe des Lebens wieder, wenn sich die Bedingungen wieder ändern. Etwa bei Verhaltensänderungen wie vermehrtem Sport oder kalorienreduziertem Essen.

Eine bestimmte Gruppe neuentwickelter Medikamente gegen Diabetes mellitus, die GLP-1-Rezeptor-Agonisten, machen die Histon-Modifizierung an einem bestimmten Gen in der Bauchspeicheldrüse wieder rückgängig, so dass dieses Gen wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt wird. Dies sind erste Ansätze für weitere Therapiemöglichkeiten.

Neurologie und Psychiatrie

Die epigenetische Kontrolle der Genexpression ist außerordentlich wichtig für den Aufbau unseres Nervensystems. Störungen im Epigenom können zu Erkrankungen des zentralen Nervensystems führen.

Ein gutes Beispiel ist der Morbus Parkinson. Es handelt sich um eine neurodegenerative Erkrankung. Bei dieser Krankheit ist ebenfalls die DNA-Methylierung eines Gens verringert. Dadurch kommt es zur Bildung eines Eiweißstoffes, der sich in bestimmten Nervenzellen ablagert.

Auch bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) ist die DNA-Methylierung verändert. In diesem Fall liegt eine Hypermethylierung vor. Diese Hypermethylierung korreliert mit dem Ausmaß der ALS-Erkrankung.

Auch bei der Multiplen Sklerose (MS) finden sich epigenetische Veränderungen. Es handelt sich um eine chronisch entzündliche Erkrankung, die ebenfalls zur Degeneration des zentralen Nervensystems führt. Hier liegt eine Hypomethylierung vor.

DNA-Methylierung und Histon-Modifikation sind für die Ausbildung der Gedächtnisfunktion wichtig. Deshalb sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch epigenetische Veränderungen an der Entstehung des Morbus Alzheimers beteiligt. Erste Untersuchungsergebnisse zeigen auch in diese Richtung. Dies wird in einem späteren Kapitel weiter erörtert werden.

Auch bei Suchterkrankungen wurden überraschende Erkenntnisse gewonnen. Auch hier gibt es Hinweise für epigenetische Mechanismen hinsichtlich der Suchtanfälligkeit und der Ausprägung der Symptome. Nikotin- und Alkoholmissbrauch führen zu Veränderungen der globalen DNA-Methylierung. Diese Veränderungen haben sich dann nach einer Entzugsbehandlung wieder vollständig normalisiert. Auch bei der Spielsucht wurde die DNA-Methylierung eines Dopamin-Rezeptor-Gens nachgewiesen. Nach einer Abstinenz waren die Verhältnisse wieder normal.

Krebserkrankungen

Viele Krebserkrankungen gehen mit genetischen Veränderungen einher. Diese Mutationen reichen aber für die Erklärung der Erkrankung noch nicht aus. Es hat sich aber inzwischen gezeigt, dass auch epigenetische Veränderungen, die auch vererbt werden können, häufig an der Entstehung von Tumorerkrankungen beteiligt sind. Insbesondere Gene, die für die Unterdrückung von Tumoren verantwortlich sind, werden durch epigenetische Mechanismen ausgeschaltet. Diese Veränderungen konnten insbesondere bei Leukämien beobachtet werden. Da epigenetische Veränderungen prinzipiell reversibel sind, könnte mit entsprechenden Medikamenten ein therapeutischer Ansatz existieren.

Herzerkrankungen

Kardiomyopathien sind Herzerkrankungen, die durch den Herzmuskel selbst entstehen und nicht durch andere Erkrankungen wie Gefäßerkrankungen oder hohen Blutdruck. Sie führen schließlich zu einer Herzschwäche, Herzinsuffizienz, genannt. Neben Genmutationen scheinen auch epigenetische Veränderungen an der Erkrankung beteiligt zu sein. Dabei konnten auch DNA-Methylierungen nachgewiesen werden. Diese Entdeckung könnte dazu führen, dass auch hier neue Medikamente zur Behandlung dieser Erkrankung entwickelt werden können.

Wichtiges für die hausärztliche Praxis:

Die Epigenetik ist inzwischen in der Lage, die Entstehung von verschiedenen Krankheiten zu erklären. Dadurch können neue Therapien entwickelt werden. Auf diese Weise wird auch der Patient später davon profitieren.

Epigenetik in der hausärztlichen Praxis

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