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Der Autor an den Leser

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Einmal, es wird schon länger her sein, da saß ich bei August in seiner mickrigen Behausung und wir hatten uns nichts zu sagen. Diese Situation ist typisch für eine Unterhaltung mit August, die weit mehr aus einem peinlichen Schweigen als aus Worten besteht. Man würde es kaum ein Gespräch nennen können, wenn nicht hin und wieder doch einmal ein kurzer Dialog über Belanglosigkeiten aufkäme.

August hatte immer die unangenehme Eigenschaft, nichts zu sagen, wenn er nichts zu sagen hatte. Damit bin ich nie gut zurechtgekommen. Solche Unterhaltungen, bei denen keiner von uns über Stunden einen Laut von sich gab, abgesehen von dem unausstehlichen Geräusch des Herunterschluckens von Kaffee, Tee, Bier oder ähnlichem, würde ich aus meiner Erinnerung gern streichen.

Trotzdem: erinnere ich mich an August, dann zuerst stets an den stummen August, der mit locker aufeinandergelegten Lippen vor mir in seinem alten DDR-Sessel sitzt, betrübt vor sich hinblickt und tut, als sei ich nicht da.

Deprimierend ist das. Schließlich konnte August sehr wohl sprechen. Er tat es eben nur nicht ständig. So häufig mir das Geplapper und Getratsche, der small talk und die lächerlichen Wochenendanekdoten der meisten Menschen auch auf den Keks gehen – Augusts Stille quälte mich. Sie folterte und traktierte mich ganze zwölf Jahre lang, denn so lange war August für mich das, was viele einen besten Freund nennen würden. Ich nenne es nicht so, denn dafür war unser geistiger Austausch einfach zu gering. Schließlich war ich für ihn zu sehr ein durchsichtiger, alberner Luftgeist, den man in seiner Wohnung duldet, weil man ihn ohnehin nie loswird (es gibt noch immer kein wirkungsvolles Rezept gegen Luftgeister); und er für mich zu sehr ein Felsbrocken. Was ist das für eine Basis für eine ordentliche Freundschaft, frage ich mich, wenn sich einer mit dem anderen schon seinem Material nach nicht verträgt? Wie soll ein Ding aus Luft ein Ding aus Stein lieben können?

Dieser Wesensunterschied war wohl unser größtes Problem.

Es gab Momente, in denen August aber plötzlich redselig wurde, in denen er sich vor mich setzte, mich offen anblickte und von sich aus zu erzählen begann. Oftmals handelte sein Erzählen von sich selbst, von seiner eigenen Vergangenheit. August war in nichts sonst Experte. Er hatte keine Ausbildung, keine Arbeit, keinen Beruf. Geduldig habe ich mir alles angehört, was er mir vorzutragen hatte, habe an den richtigen Stellen genickt, gelächelt, gezweifelt, gegähnt, gelangweilt an meiner Zigarette gezogen und gewartet, bis er endete. Das anschließende Schweigen war mir das herrlichste Erlebnis.

Vor einigen Jahren bat August mich darum, seine Geschichte aufzuschreiben. Er selbst, meinte er, könne das nicht gut tun. Schließlich würde er sich seit langem ernsthaft bemühen, das meiste davon zu vergessen. (Unter uns gesagt: den Eindruck hatte ich nicht. August war für sich selbst das einzige und das schönste Thema...warum sollte er etwas davon vergessen wollen?)

Leider hatte er mir, wie oben beschrieben, in jahrelanger Arbeit alles haarklein erzählt. Ich war also bestens über ihn im Bilde, ich war der einzige, der die Sache für ihn zu Papier bringen konnte. Das durfte ich nicht abstreiten. Niemals hat August mir gesagt, weshalb er sein Leben in geschriebener Form hinterlassen möchte. Dem ungeachtet schien es ihm ernst damit zu sein, denn er flehte und bat mich lange genug, bis ich einwilligte und sagte: Gut, ich werde sie schon irgendwann einmal aufschreiben.

Bis heute habe ich es nicht getan.

Ich habe dazu nämlich keine Lust.

Augusts Geschichte ist nicht sonderlich mitreißend, hauptsächlich ist sie wohl traurig. Traurige Geschichten liegen mir nicht. Ich schreibe von Natur aus nur Lustiges. Mit traurigen Sachen kann man nicht gut Geld verdienen. Besonders nicht mit traurigen Geschichten, in denen nicht viel passiert. Lieber Leser, Dir wird also klar, warum ich mich bis jetzt nicht dazu herablassen konnte, den Kram zu verschriftlichen, den August mir in seiner kurzangebundenen und unkreativen Art dargelegt hat.

Ich schreibe bis jetzt, weil ich jetzt keine Wahl mehr habe. Der Geldmangel zwingt mich, nun doch zu August und seinen deprimierenden Erlebnissen zu greifen. Denn unglücklicherweise ist August in der letzten Woche gestorben. Außer mir kannte er keinen, deswegen hat er mir seinen bescheidenen Besitz hinterlassen. Es handelt sich immerhin um ein akzeptables Bankkonto und eine kleine Eigentumswohnung (ein Zimmer) in der Innenstadt. Der Leser erkennt sofort, dass mir nichts anderes übrig bleibt – ich muss, so sehr es mir auch widerstrebt, alle Bedingungen von Augusts Testament erfüllen, um das Erbe zu erhalten.

Und die Hauptbedingung ist eben diese:

ich soll binnen eines Jahres endlich seine Geschichte aufschreiben, wie ich es schon lange versprochen hatte. Und anschließend soll ich mich bemühen, sie zu veröffentlichen. Erst dann darf ich das Erbe erhalten.

Man sieht gleich, was für ein komplizierter und eigenwilliger Zeitgenosse August war. Elender Egozentriker. Ich werde also leider nun seine Geschichte niederschreiben müssen, denn ich brauche das Geld und die Wohnung, wenn ich nicht bald auf der Straße sitzen will. Und aus familiären Gründen. Menschen mit mehr als einem Kind verstehen das. Folglich werde ich alles aneinanderreihen, was er mir erzählt hat.

Da ich aber keine Lust zu dieser Sache habe, wird mir ja wohl niemand verübeln, wenn ich das Ganze etwas ausschmücke. Solange ich mich zumindest grob an die Wahrheit halte. August kann schließlich nicht von mir verlangen, diese ganze Langweiligkeit so langweilig zu lassen, wie er sie erlebt hat.

Das will keiner schreiben.

Und lesen auch nicht.

Für unser aller Wohl werde ich deshalb hinzuerfinden, was mir in den Kram passt, und keine Rücksicht auf August nehmen. Soll er sich beschweren, wenn er kann.

Verständlicherweise bin ich momentan nicht gut auf ihn zu sprechen. Er macht mir nur Arbeit! Als wenn ich nicht genug zu tun hätte. Ständig brüllen meine beiden Kinder im Hintergrund, der Leser kann froh sein, sie nicht zu hören! Sie hacken aufeinander herum, dass man sich wünschen könnte, man hätte einen Job mit einem Büro! Da hätte man wenigstens Ruhe.

Aber nein. Meine Frau arbeitet immerhin woanders. In einer Reinigung. Sie macht alles besser als ich. Dagegen muss ich nicht nur Zuhause die Kinder davon abhalten, sich gegenseitig zu verstümmeln (die Kinder: drei und fünf Jahre alt), sondern auch noch versuchen, aus Augusts staubtrockenen, leblosen und einfallslosen Berichten etwas zu machen! Man stelle sich meine Lage vor! Und wie sehr ich diese kleine Wohnung in der Stadt brauche! Um diesem Lärm auszuweichen! Und das Geld! Um diese Wohnung halten zu können!

Mein Leben ist eine einzige Misere.

Ständig muss ich abbrechen und Standpauken halten. Das erschöpft mich. An dieser Stelle verfluche ich offiziell dreimal meinen verstorbenen Freund August! – auch wenn man über Tote ja nicht schlecht reden soll. Dieser rücksichtslose Mensch hat es aber verdient. So. Nun will ich mich nicht weiter aufregen. Wenn ich nicht endlich anfange, werde ich nie fertig. Uff.

Der schlechtgelaunte Autor.

Die Dauerschuld

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