Читать книгу Rolands Lied - Jochen Schmitt - Страница 4

1. Kapitel: Vorbereitung

Оглавление

Caesar Augusta nannten die Römer ihre wichtigste Festung im Nordwesten Iberiens. Der Name macht es klar. Sie war ein spätes Kind Roms. Ihre Geburtsstunde liegt ziemlich gleich mit der jenes im fernen Judäa geborenen Knäbleins namens Jesus. Die Römerfestung beherrschte den freien Zugang von Norden zum Rest der Halbinsel. Dementsprechend gewaltig und massiv war sie nach und nach ausgebaut worden. Und war dann doch nur ein in Stein gekleidetes, ausgedehntes Lager einer Legion mit einer umfassenden Fülle benötigter Anbauten. Günstig auf einem Hügel am Rio Ebro, und im Zentrum einer weiten, stark welligen Hochebene angesiedelt.

800 Jahre später rauschte noch immer der Rio Ebro am Fuße der Nordmauer vorbei. Nicht direkt. Zwischen Mauer und Fluss lag auf dem Höhenrücken die Umgehungsstraße. Unter ihr folgten die Kais der beiden Flusshäfen.

Der Ebro ist ein beeindruckender Gebirgsfluss. Auch sein Name ein Römererbe. Flavus Ibericus hieß er einst zu recht, denn er entspringt am Atlantik und wühlt sich quer durch Iberiens Sierras zum Mittelmeer. Das machte ihn einst zur Grenze der Punier im Süden und der anderen Völker im Norden. Ohne Ende schlängelt er sich von Kurve zu Kehre. Mehr noch ein Mäander als der Pate dieses Namens, fließt er mal nach Norden oder Süden, nach Osten oder Westen, bis er zuletzt doch das Mittelmeer findet. Er war einerseits der schützende nördliche Wallgraben der Festung; andererseits, im Unterlauf und im Verbund mit dem Schiffsverkehr des Mittelmeeres, eine ihrer Lebensadern; der Nordwestlauf hingegen beförderte die Versorgung der Stadt aus dem Inland herbei.

Denn nun ergänzte eine große Stadt, mit einer weiteren unüberwindlichen Mauer umgeben, das ehemalige Kastell. Nur dessen Nordmauer war noch Teil der Außenwehr. Ihr pompöser Name war zu Zaragoza geschrumpft, die Festung noch immer der Kern. Aber jetzt, im Jahre des Herrn 777 n.Chr., war das Militär hinter der Südmauer in ein neues Kasernenareal verbannt. Dafür beherbergte das voll intakte Gemäuer der vormaligen Römerburg einen schmucken maurischen Park, den fähige christliche Gartenarchitekten gestaltet hatten.

An die Westmauer der Anlage lehnten sich die Paläste der neuen muslimischen Herren. Hier wohnten, lebten und regierten der Emir Husayn, sein Hadjib und seine Wesire. Um sie herum ersteckte sich bis zu den Toren und Fallbrücken die 30 Fuß hohe, ebenso breite und mit 180! Türmen verstärkte Stadtmauer. Hinter ihr bargen sich die Wohnviertel. Das der Mauren im Westen, im Osten die der Juden und der Christen, mit ihren Basaren und Gotteshäusern.

Sie lebten in durchaus friedlicher Nachbarschaft. Die Mauren waren in der Unterzahl, nur eine dünne Oberschicht. Die dachte gar nicht daran, es sich mit ihrem „ungläubigen“ Melkvieh zu verderben. Die zahlten schließlich die hohen Steuern, die nur den „Ungläubigen“ auferlegt waren.

Husayn al-Koraish stand am Fenster seines Gemaches und sah nachdenklich hinunter ins Grün des Parks, dessen buntes Bild er im Augenblick nicht wahrnahm, obwohl die Mandel- und Kirschbäume in voller Blütenpracht sich gegenseitig in einem wilden Wettstreit überboten.

Seine luxuriösen Wohnräume lagen im hinteren oberen Teil seines Palastes. Der gesamte Rest des Obergeschosses gehörte zum abgeschlossenen Gebiet seiner Frauen und Sklavinnen, dem Harim.

Husayn war nicht nur seit knapp 20 Sommern der unumschränkte Emir, der Herrscher der Region Zaragoza. Ihm gehörten auch die Regionen Pamplona, Huesca und Barcelona, deren Walis von seiner Gnade abhingen. Über ihm gab es nur noch den Ober-Emir Abderrahman I., weit ab im südlichen Cordoba. Und der war es, der ihm Nachdenken abnötigte. Der Aufstand gegen den Ober-Emir war nun ein Faktum. Jetzt mussten rasch die weiteren Schritte erfolgen, ehe dessen Heer die schönen Pläne zum Einsturz bringen konnte.

Am vergangenen Abend hatte er sich ausgiebig mit seinen beiden Hauptfrauen, seiner Umm Olida und deren Busenfreundin, der alten Gotengräfin Donna Emeralda ausgetauscht, wie er das immer vor wichtigen Entscheidungen tat. Er wusste den wachen Intellekt der beiden Damen zu schätzen.

Mit einem kräftigen Faustschlag auf den steinernen Sims kam er zum Ende seines Sinnierens. Autsch, das tat weh! Entschlossen gab er dem Hocker im Weg einen kräftigen Fußtritt und griff zum Klingelzug. Es dauerte nur Sekunden. Wie der Geist aus der Flasche materialisierte sich der Haus- und Hof-Wesir Ali ibn Chaldun in der Mitte des Raumes. Stumm legte er den Handrücken seiner Rechten an die Stirn und verneigte sich leicht.

Mit wohlwollendem Schmunzeln sah der Fürst auf den zuverlässigsten und tüchtigsten seiner Diener:

„Ali, hast du schon einen der Walis empfangen?“

„Nein, oh Sihdi, bisher noch nicht. Und bei dem Verkehr auf den Fernstraßen können die Türmer auch nichts erkennen!“

„Aber deine Boten sind alle zurück?“

„Ja, und alle haben positiv gemeldet, dass die Walis zwischen dem Mittags- und dem Abendgebet hier sein werden!“

„Gut, dann sende Läufer zum Wesir al-Rasa´il, zum Wesir al-Dschund, zum Hadjib und meinem Schwiegersohn Abdallah. Zum Abend: Festmahl im kleinen Thronsaal. Beginn nach dem Abendgebet. Der enge Rat, 9 Personen. Das sind die Walis, der Hadjib, Abdallah, sowie die Wesire Habib und Malik. Was macht Jazid?“

„Rhmp – hält seinen Mittagsschlaf!“

„Du meinst, er ist derzeit nicht vernehmungsfähig?“

Schweigend nickte Ali ein wenig.

„Dann gib ihm ebenso Bescheid, wenn er wieder ansprechbar ist. Alarmiere deine Küche. Lass ein am Spieß gebratenes ganzes Lamm auftischen. Dazu Couscous und alles, was an Delikatessen verfügbar.“

Der Wesir neigte nur sein Haupt und entschwand so geräuschlos aus dem Raum, wie er aufgetaucht war.

Husayn al-Koraish zu Zaragoza hatte schon über 50 Sommer gesehen. Davon unbeeindruckt träumte er noch immer den Traum von Höherem. Zu gern hätte er den Ober-Emir in Cordoba entmachtet und sich selbst auf dessen Thron gesetzt. Wenn er nur die Mittel dazu gefunden hätte. Die hatten sich dann plötzlich von selbst bei ihm eingefunden, als Jazid al-Fihri zu ihm geflüchtet kam. Gemeinsam wollten sie den Aufstand wagen.

Zur weiteren Vorbereitung ihres verwegenen Unterfangens hatte er zu diesem Abendbankett geladen. Nur seine vier Mitverschworenen und seine vier engsten Vertrauten waren zugelassen. Das aufwendige Abendessen im kleinen Thronsaal war nur der tarnende Vorwand, um den nachfolgendem geheimen Rat abzuschirmen.

Ganz so geheim war diese Zusammenkunft nicht mehr. Die Entschlüsse standen fest. Abderrahman I., ihr Ober-Emir fern in Cordoba, musste inzwischen erste Informationen erhalten haben. Dennoch sollten keine unberufenen Ohren die jetzt zur Ausführung nötigen Details hören.

Drei weitere Augen- und Ohrenpaare waren unsichtbar zugegen. Die kunstvoll geschnitzte Holzverkleidung schmückte nur drei der Wände. Die vierte war eher ein geschlossener Paravent, ebenfalls hölzernes Rautenwerk, aber hier mit vielen kleinen offenen Zwischenräumen. Hinter dieser Maqsura, Teil des Harims, folgten die wichtigsten Damen des Wilayates der beginnenden Beratung.

Die Hauptfrau des Emirs, seine Umm Olida, bereits weit über in ihrem 40. Sommer, teilte zwar nicht mehr sein Bett, besaß aber sein unbeschränktes Vertrauen. Er schätzte ihren wachen Verstand, und sie als seine wichtigste Beraterin. Zudem war sie Mutter der gemeinsamen Tochter Rosana und dadurch Schwiegermutter von Abdallah, dem Sohn des Hadjibs.

In ihrer Gesellschaft saß Donna Emeralda, Mutter des Grafen Theuderich von Pamplona, und seit dem Tod ihres Mannes im Harim des Emirs in Zaragoza. Einerseits Unterpfand für ihres Sohnes Treue, zusätzlich nun die beste Freundin der Umm. Die Gräfin zählte bereits über 60 Lenze, war aber immer noch lebensprühend.

Die dritte im Bunde war des Hadjibs Umm Siriana, Abdallahs Mutter. Sie war mit 38 Wintern die jüngste, und dennoch die energischste, wenn auch nicht die Klügste unter ihnen. Sie war als Gast und auf eigens Drängen zugegen. Seit sie zu ihres Sohnes Zukunft erglänzen sah, wollte sie die nicht dem Zufall überlassen sondern mitgestalten.

Jeder der Männer jenseits der Maqsura wusste um der Damen Teilnahme. Niemand außer den Ehemännern kannte ihre Gesichter. Die Frauen des maurischen Adels lebten abgeschlossen für sich im Harim, nur von Sklavinnen und Eunuchen umgeben. Und Abdallah kannte zwar das seiner Mutter, aber nicht das der beiden anderen. Er war seiner Schwiegermutter noch nie begegnet!

Die Frauen der Muslime haben gemäß dem Koran nur eine Funktion: Dem Manne unterwürfig und ergeben in jeder denkbaren Hinsicht zu dienen. In Herrscherhäusern galt jedoch die normative Kraft des Faktischen. Die Umm regierte als absolute Herrscherin im Harim jene 100 oder mehr Nebenfrauen und ihre dienenden Geister. Das erforderte Umsicht und Führung. Das formte, erbrachte hohe Kenntnis der menschlichen Natur, Entschlusskraft und Weisheit. Alle drei hatten diesen Formungsprozess hinter sich.

Graf Theuderich, absoluter Herrscher der Grafschaft Pamplona, fehlte diesmal allerdings, als sich die Tischgesellschaft formierte. Er wurde durch eine zwingende Affäre in Pamplona festgehaltern. Er hatte im Frühjahr die wunderschöne rothaarige Sara, 12 Sommer jung, auf dem Balkon ihres Vaters, des Rabbis von Pamplona erblickt. Des Grafen auf sie angesetzten Häscher hatten das Mädchen endlich zu fassen bekommen. Sie war in Begleitung ihrer Tante auf dem Weg zur Synagoge. Einige Reiter ritten die Tante zur Seite. Ein weiterer riss Sara vor sich in den Sattel. Daher war Graf Theuderich voll damit ausgelastet, die widerspenstige junge Dame in seinem Bett zu zähmen. Dergleichen war für Graf Theuderich das wichtigste im Leben, wie schon ungezählte andere junge Damen von Stand erfahren hatten. Zeigten sich dann erste Zeichen der unvermeidlichen Schwangerschaft, erlosch schlagartig das Interesse des Despoten. Die Betroffene wurde ihren Eltern zurückgegeben, damit sie einen brauchbaren Ehemann für ihre Tochter und den künftigen Vater für ihr Enkelkind suchen konnten. Der Graf ging auf eine neue Pirsch. Die Zahl seiner Bastarde, so raunte die Fama in Pamplona, sei nur noch in Dutzenden zu messen.

An seiner Stelle nahm Graf Roderich teil, sein jüngerer und sittsamerer Halbbruder, und sein bester Diplomat. Die beiden Brüder, eigentlich Stiefbrüder, denn Graf Roderich hatte eine andere Mutter, zählten zur verbliebenen westgotischen Adelsherrschaft. Wer sich den Mauren unterworfen und den Treueid abgelegt hatte, dem beließen sie sein Zaunkönigreich.

Vom Erscheinungsbild her konnten sie unterschiedlicher nicht sein. Graf Theuderich, Mitte 30, ein dunkelblonder Feuerkopf, schlank und hochgewachsen, ruchlos und ohne Gewissen, beherrschte nach eigener Willkür als Wali die Grafschaft Pamplona. Er stand aber unter nomineller Oberherrschaft des Emirs von Zaragoza, dem er in der Nachfolge seines verstorbenen Vater den Treueid geleistet hatte, und war dem tributpflichtig.

Sein Stiefbruder, Ende 20, ebenso eine schlanke elegante Erscheinung, aber einen Kopf kleiner, dunkelhaarig, war treu und fest verheiratet mit der Tochter eines baskischen Patriziers der Stadt. Sie hatte ihm fünf prächtige Söhne geboren. Er war der ausgleichende Charakter, in der Grafschaft hoch beliebt, diente aber absolut loyal seinem älteren Bruder.

Der Entschluss zum Aufruhr gegen den Ober-Emir Abderrahman I., der weit im Süden in Cordoba Iberien beherrschte, stand bereits fest. Die Tributzahlungen waren eingestellt. Jazid ibn Jussuf al-Fihri, Sohn des vorherigen Ober-Emirs in Cordoba, wollte sich zum König des iberischen Maurenlandes aufschwingen. Seine Freunde stützten ihn darin. Allerdings ein jeder mit dem stillen Vorbehalt, nach dem Gelingen des Aufstandes selbst die Königswürde an sich zu reißen.

20 Jahre lang hatte ihn Abderrahman I. in Ehrenhaft verwahrt, bis ihm die Flucht gelang. In dieser langen Wartezeit hatte sich Jazid zu einem der treuesten Anhänger, und zum unbestritten engsten Kumpel der Weingötter entwickelt. Nunmehr im 40. Winter angelangt, wirkte er weit älter und verbraucht. Sehr majestätisch war der Eindruck nicht, den der gebeugt gehende, schon etwas tattrige Vollbärtige auf seine Umgebung machte. Bis der Staatsstreich umgesetzt war, sollte der mit Bacchus oder Dionysos wesentlich enger Verbündete sich entweder selbst beseitigt haben – oder es musste nach Araberbrauchtum ein wenig nachgeholfen werden. Pacta sunt servanda? Nicht unter Arabern! Da waren sie auf Sand gebaut, wie es sich unter Wüstensöhnen von selbst versteht.

Zunächst aber war nun rasches Weiterhandeln gefragt. Es galt, sich ein Heer zu schaffen und sich Verbündete zu suchen. Ein erster Entschluss war schon gefasst. Der machtvoll und allein im Norden regierende Frankenkönig Karl sollte um eine Hilfstruppe gebeten werden. Die Verschwörer hatten Abdallah ibn Hisham, Sohn des Hadjibs, als ihren Gesandten erkoren.

Beim Reichstag in Paderborn, also noch im Sommer dieses Jahres 777 n.Chr., sollte er die Franken für die Unterstützung ihres Aufstandes gewinnen. Die Mauren zählten das Jahr aber nicht nach Caesars nun über 800 Jahre altem Kalender, den die westliche Welt noch immer nutzt. Sie hatten ihren eigenen und zählten die Jahre nach der Hedschra, an diesem Tag im 155. Jahr seit dem Aufbruch ihres Propheten von Mekka nach Medina.

Nach dem gemeinsamen Essen wurden die dienenden Sklaven und alle Unbefugten des Saales im Palast verwiesen. Der Haus-Wesir Ali ibn Chaldun erhielt den Befehl, höchst persönlich sicherzustellen, dass niemand der Beratung zu nahe kam. Zurück blieb nur der Wein, den sich jeder selbst nachschenken musste. Da der Thronprätendent bereits heftig seine beide Lieblingsgötter angebetet hatte, ging der Emir eilig zum Thema über, solange der künftige König Jazid noch zu verständlichen Äußerungen fähig war.

Er wandte sich mit wohlwollendem Schmunzeln seinem Schwiegersohn zu. Der Anblick des jungen Chassa rief stets alte Erinnerungen wach. So wie der war einst er selbst mit seinem Freund, seinem jetzigen Hadjib, als junger Bursche aus dem Zwischenstrom Land, von Euphrat und Tigris auf Abenteuer ausgezogen. Der dritte aus ihrem Bund, Habib al-Saqlawi, der Wesir al-Dschund nahm unpässlich teil an diesem Abend. Der Kriegsminister kurierte an einer Grippe. Er war bei ihrem neuen Unternehmen unersetzbar. Für die Gesandtschaft zu König Karl wurde er jedoch nicht benötigt.

Damals waren sie zu dritt ausgezogen um die Welt zu erobern. Bisher hatte es nur zu einem Wilayat gereicht, aber das sollte sich ja gerade mit Abdallahs maßgeblichem Beitrag ändern.

„Ich wünsche, dass du, Abdallah, unverzüglich zum Born des Rio Pader reitest. Die Zeit wird knapp. Die Franken halten ihr seltsames jährliches Treffen gewöhnlich im Mai ab. Zu unserem Pech jedoch zum ersten Male weitab, fern im Land der Sachsen. Der weite Weg der Anreisenden aus ganz Franken zwingt sie zu einem späteren Termin, Ende Juni. Du musst die Franken, und vor allem ihren König, noch vor Eröffnung ihres Reichstages für unser Anliegen gewonnen haben. Danach ist uns der Reichstagsbeschluss sicher. Du musst getarnt im Geheimen reisen. Niemand darf wissen oder auch nur ahnen, was wir vorhaben. Erfährt Abderrahman I. in Cordoba davon, haben wir seinen Dschund am Hals, ehe die Franken uns helfen können! Und nun, Abdallah, lass uns mal hören, wie willst du deinen Auftrag in Angriff nehmen?“

Abdallah, für damalige Verhältnisse mit seinen 22 Sommern mitten im Leben angekommen, war das beispielhafte Abbild eines jungen Maurenkriegers, eines Chassa-Offiziers von Adel. Schlank, mittelgroß und von einnehmender Gestalt, da fielen ihm die Mädchenherzen zu. Arrogant, sich jedem überlegen dünkend, kaum belehrbar oder zu zügeln. Nur dem herrschenden Emir und seinem Vater, dem Hadjib und somit zweiten Mann im Wilayat, bezeugte er Respekt. Alle anderen sah er bereits als seine Domestiken. Das störte seinen Schwiegervater nicht. Abdallah besaß nicht nur das Wohlwollen des Fürsten. Der sah, einvernehmlich mit seiner Umm, in dem tatkräftigen jungen Chassa seinen Nachfolger.

Davon wusste der noch nichts.

Trotz seines jugendlichen Alters hatte er aber schon so manche Bewährungsprobe, bestanden. Waren auch nicht alle von Erfolg gekrönt, so hatten sie ihm doch Erfahrung eingebracht. Er bekleidete keinen Rang, außer den ihm angeborenen als adeliger Chassa. Sein Vater beschäftigte ihn als seinen Adjutanten. Er gehörte zum Offiziers-Corps, und war Schwiegersohn des Emirs, der ihn gern als seinen Gesandten einsetzte. Er lungerte mehr oder weniger am Hof, und fummelte als in der Verwaltungsordnung nicht vorgesehener Sohn im Bürokraten-Alltag herum.

„Der Wesir al-Rasa´il hat mich nun eine ganze Woche lang informiert. Wir haben den Reiseweg ausgearbeitet und die Einzelheiten festgelegt. Unsere Reiseplanung ist abgeschlossen. Mehr aber auch nicht. Die Einzelheiten der Durchführung müssen wir heute abklären. Das Unternehmen kann nur klappen, wenn ich mit meiner Eskorte verkleidet reise. Zum Beispiel als eine Fernhändler-Karawane. In dieser Form könnten wir auch die notwendigen Gastgeschenke tarnen und unauffällig transportieren.“

Schweigend überlegte die Runde.

„Die sollten wir zuerst mal festlegen, dann können wir weiter überlegen. Ich gehe mal davon aus, dass diesmal keine Monstranzen und Altargeräte in Frage kommen. Solches unser Raubgut könnte bei den christlichen Franken sauer aufstoßen“, warf Malik ibn Anas, der Wesir al-Rasa´íl ein, der sowohl Postminister wie auch Chef der Spionage war.

„Da du, Malik, als Oberspion die Franken ja am besten kennst, was wäre sonst geeignet, die Franken für uns einzunehmen?“ Jazid hakte nach, schon etwas lispelnd.

„Da die Gastgeschenke aus den Schatzkammern des Emirs, der Walis oder des Grafen gespendet werden müssen, bitte ich um Vorschläge, was da vorhanden ist und in Frage kommt!“

Erneut folgte Schweigen. Diesmal mit mancher eher bedenklich statt nachdenklich gerunzelten Stirn. Dann räusperte sich der Hadjib, des Emirs „Ministerpräsident“ und Abdallahs Vater:

„Was das anbelangt, muss wohl unser Emir in Vorlage gehen. Wenn wir erst noch die Schätze der Fürsten prüfen, ist der Reichstag der Franken vorüber. Andererseits sollte Abdallah die schnellste Straße nehmen, und die führt über Huesca und Barcelona. Wenn die beiden Walis morgen mit Abdallah aufbrechen, kann er unterwegs ihren Beitrag aufnehmen. Abu Taur, was kann Huesca bieten?“

„Hmm, naja, ich weiß nicht – Huesca ist arm, ich kann nicht viel bieten. Gold und Silber hab ich nicht. Vielleicht ein paar Schmuckstücke, wenn ich meine Harims-Damen darum beraube!“

Stille folgte, die nun ein wenig unruhig ausfiel. Jeder Anwesende wusste um die Ertragskraft dieser Grafschaft mindestens so gut Bescheid wie der Wali. Es wollte nur keiner vorpreschen und den Guten auch noch provozieren. Denn Wali Abu Taur von Huesca konnte sehr rasch auf stur schalten, wenn er sich in die Enge getrieben sah. Daneben war er allgemein als Geizkragen bekannt.

Malik ibn Anas, der Wesir al-Rasa´íl rettete die Geschenkproblematik. Listig, nebenbei und mit Blick in sein Weinglas:

„Die Franken sind für unserer Kampfesweise nicht zu begeistern. Sie haben für den Krummsäbel nichts übrig. Vielleicht könntest du aus deinem Beutebestand zwei Schwerter beisteuern?“

„Das könnte ich tatsächlich, aber ob die eine Königsgabe darstellen?“

„Ich denke da an zwei ganz bestimmte! Du hast dir doch gerade zwei königliche Prachtstücke aus Damaskus zugelegt!“

„Woher weißt du…?“ Im selben Augenblich ging ihm auf, dass er sich selbst verraten hatte. Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen – zu spät. Die Neugier der Runde war geweckt. Leugnen oder herabspielen nutzlos. Blitzschnell begriff er: Jetzt ging es nur noch um Schadensbegrenzung, sonst war er die Schwerter los. Er konnte vielleicht noch das Mehr verhindern, indem er die nun so hoch bewertete, dass die anderen sich mit einem davon begnügten.

„Ich habe erst letzte Woche zwei erstklassige Schwerter, neue Klingen, aus bestem Damaszener-Stahl erworben. Der Handschutz jeweils vergoldet, der Griff gewickelter Golddraht, am einen Knauf leuchtet ein grüner Smaragd, am anderen funkelt ein roter Rubin. Zwei Prachtstücke, jedes eine würdige Königsgabe. Ich bin in beide rettungslos verliebt – aber eines davon stelle ich zur Verfügung. Das gebe ich mit! Entscheidet ihr, welches es sein soll.“

„Ich fürchte, du musst beide hergeben! Eines für König Karl, das andere für seinen Busenfreund Hruotland, den Markgrafen der Bretagne, den die Germanen Roland nennen. Das erst bringt uns den Erfolg! Der ebenso kleine wie unheilbar eitle Gernegroß Hruotland, durch diese „Gleichstellung“ mit seinem Kumpel Karl geehrt – unser Anliegend und Abdallahs Mission haben jetzt schon den Erfolg sicher!“ Emir Husayn hatte sofort begriffen und reagiert.

Betroffen verzog Abu Taur, mächtiger Wali von Huesca, sein Gesicht in mürrische Falten. Die umfassenden Kenntnisse des Spionagechefs Malik über der Franken innere Führung hatte er nicht einkalkuliert.

„Nein! Nein! Nein! Kommt überhaupt nicht in Frage! Eines meiner Schätzchen behalte ich!“ Sein Stöhnen kam zu spät.

Maliks Idee hatte sich sofort in den Köpfen der Anwesenden als beschlossen festgesetzt. Jazid sprach es aus:

„Lieber Vetter Abu Taur, du musst dich von beiden deinen Geliebten trennen. Ich!!! Dein künftiger König befiehlt es dir“, brabbelte er etwas zusammenhanglos. „Tröste dich! Sitze ich erst mal mit dieser deiner generösen Hilfe auf dem Thron, schenke ich dir zwei neue solche Schätzchen!“ Vergnügt über seinen Geniestreich grinste er in die Runde. Abu Taur sah sich hilfesuchend ebenso um – und resignierte. Er las es mühelos in allen Gesichtern. Dieser verfluchte al-Rasa´il, dieser Malik hatte ihm einen üblen Streich gespielt. Grollend gab er nach. Mit König Jazids Lieferung brauchte er nicht zu rechnen, und dem elenden Schurken Malik würd er es bei Gelegenheit zurückzahlen, nahm er sich vor.

„Und du, Suleiman, was bietet Barcelona?“

Der war nun gewarnt, und zu schlau, um jetzt noch seine Schätze preiszugeben.

„Erst mal überlegen. Ich horte keine Besonderheiten. Ein Säckchen mit Gold-Denaren hätte ich zu bieten – aber das ist wohl keine Gabe für Könige. Andererseits bin ich bereit, damit die Reisekosten Abdallahs zu bestreiten. Ja, wenn ich einen jungen Elefanten, oder wenigstens eine junge Löwin oder ein Affenpaar hätte – das wäre was! Hab ich aber nicht! Ach ja, da fällt mir ein – aber ich weiß nicht…“

„Los, raus mit der Sprache, oberster Häuptling aller erfolgreichen Mittelmeer-Piraten, lass uns das Urteil fällen!“ löste ihm der Emir launig die Zunge.

„Nun, letzte Woche brachte einer meiner braven Schiffskapitäne einen verdächtig reichen Handelsfahrer aus Griechenland auf. Der hatte eine Sammlung von vier Nubier-Mädchen an Bord, aus dem Lande Punt, das andere wohl auch Äthiopien nennen. Alle rank und schlank, gleich groß, jede gleichermaßen wohlproportioniert, an den richtigen Stellen gerundet; jede 12 Winter alt, und jede noch Jungfrau. Die sitzen unberührt bei meiner Umm im Harim. Das wäre in meinen Augen ein königliches Geschenk, das die Franken überwältigen müsste. Wenn der König sie nicht selbst benutzen will, könnte er mit diesem hellbraunen Elfenbein den einen oder anderen seiner Grafen auszeichnen!“

Das musste erst mal verdaut werden. Grübelnd blickten sie sich an. Dann rief der Wesir al-Rasa´il begeistert aus:

„Großartig! Genau das ist es! Abdallah reist getarnt als Sklavenkarawane zum Pader Born. Die beste Tarnung die wir uns ausdenken können! Und genau das richtige Argument, das überzeugen wird: Die Mädchen sind keine Christinnen und keine ist eine Muslima. Also zum Geschenk als Sklavin bestens geeignet! Und außerdem: Der Frankenkönig ist der allerletzte seines Stammes! Er arbeitet mit allen verfügbaren Damen hingebungsvoll daran, diesem in seinen Augen besorgniserregenden Zustand abzuhelfen. Deine vier Grazien, lieber Wali, sind genau die perfekte Abrundung zu Abu Taurs beiden Schwertern. Wenn das nicht Abdallahs Auftrag gelingen lässt, will ich nicht länger Malik heißen!“.

„Wir werden dich demnächst „Ali“ rufen, denn dein Vorschlag hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn Abdallah ausschließlich Eunuchen mit auf die Reise nimmt, und selbst seinen bekannt emsigen Vermehrer von den Mädchen fern halten kann!“ juxte der angeheiterte Möchtegernkönig Jazid.

„Das bringt uns zur Frage, wer in Abdallahs Gesandtschaft mitreist. Es müsste eigentlich ein respektable Gruppe Würdenträger sein. Das aber verbietet die Geheimhaltung. Offenkundiger könnten wir unsere Absicht gar nicht öffentlich anzeigen. Ich meine, Abdallah sollte eine Gruppe erfahrener Chassas, einige unserer höheren Offiziere, nach seiner Wahl mitnehmen. Das ließe sich auch als eine Militärmission zur Erkundung der fränkischen Militärmacht umdeuten, wenn das nötig würde“, meinte sein Vater, der Hadjib.

„Exakt so machen wir das!“ befand der Emir, und sah sich nach Widerspruch um. Es kam nur beifälliges Nicken.

„Ich fasse zusammen, und nichts wird schriftlich festgehalten! Jeder gräbt das in seinen Kopf: Wir entsenden Abdallah mit einer Gruppe Chassas, dazu einige Murabitun, getarnt als Sklavenkarawane. Der Mädchen halber füge ich einige zuverlässige Sklavinnen zur Abrundung des Angebotes bei. Aus meiner Schatzkammer entnimmt er für Mann wie Frau geeignete Goldschmuckstücke, je ein Dutzend Ringe, Ketten, Armreifen. Der Graf Theuderich schuldet mir als seinen Anteil daran ein Säckchen Gold-Denare – einverstanden, Graf Roderich?“

„Selbstverständlich, das machen wir so!“

„Sodann nimmt Abdallah auf der Durchreise unauffällig die Gaben der Walis in Huesca und Barcelona entgegen. Die Mädchen, Suleiman, müssen mit Maultieren übergeben werden. Die gesamte Karawane ist beritten. Zelte und Vorräte auf zwei oder drei guten und stabilen Karren mitgeführt, unsere besten Zugtiere vorgespannt, zeugen von vermeintlichen Handelsgütern. Einige sprachkundige und erfahrene Söldner spielen die Knechte und schützen gleichzeitig die Kolonne. Die Karawane eilt direkt ohne unnötige Aufenthalte zum Reichstag und dem König Karl. Dort erst verwandelt sich die Delegation der Gesandten in Chassas. Die entsprechend vornehme Seidenkleidung wird verdeckt auf den Wagen mitgeführt. Die Mädchen werden am Hof der Franken mit meinem Schmuck ausgestattet – aber nackt dem König in der Audienz zugeführt! Es müsste mit dem Sheitan zugehen, wenn die Franken und ihr König nicht geblendet sein werden. Nutze den Augenblick und lass dir eine rauflustige und beutesüchtige Barbarenhorde zusichern!“

Für einen Augenblick saß die Runde stumm. Dann kam begeisterter Beifall auf, Klatschen und Zurufe. Die neun Verschwörer waren alle gleichermaßen überwältigt von dem Geisteskind, das sie soeben gemeinsam zur Welt gebracht. Selbst die Damen hinter der Trennwand stimmten in die allgemeine Begeisterung ein.

Abdallah stellte noch am selben Abend seine Truppe zusammen und erteilte seine Befehle. Die halbe Nacht hindurch mussten die Männer schuften. Er saß derweil in der Schatzkammer des Emirs, sortierte goldene Schmuckstücke und schwere silberne Armreifen.


Rolands Lied

Подняться наверх