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3. Kapitel: Der Königshof an der Pader

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Gleich nachdem sie in Anreppen wieder festes Land unter den Füssen hatten, begannen neuerlich die Schwierigkeiten. Die Schiffer empfingen ihren Lohn und verschwanden flussab. Erst als sie auch aufbrechen wollten erkannten sie, dass sie zwar trocken auf einen flachen Hügel standen. Der aber lag in einer ausgedehnten Sumpf- und Moorlandschaft. Die Flüsse Pader, Lippe und Alme waren, wie die sie umgebende flache Ebene, Erben des Eiszeitgeschehens. Verstreut ragten flache Hügel darin auf. Meist nur von einem fälischen Bauernhof in Anspruch genommen, ausgedehntere von kleinen Dörfern. Allesamt jeweils in einem Eichenhain geborgen. Wege schien es nicht zu geben. Nur der Ortskundige wusste, wo sie sich in den sumpfigen Talgründen unter Wasser durch den Morast schlängelten. Eine Region, die selbst den nahen Franken unheimlich schien und von ihnen verschont blieb.

Nach einigen vergeblichen Versuchen, irgendwo eine Landbrücke im Moor zu finden, gaben sie auf. Einer der wagemutigen Veteranen versank bis zum Hals im Modder. Ein ihm zugeworfenes Seil rettete sein Leben. Nackt sprang er nachfolgend in die Lippe, spülte den Morast vom Körper und wusch seine Kleidung.

Es sah so aus, als ob sie bis zum Jüngsten Tage hier fest säßen. Mit den Karren, so schien es, gab es jedenfalls kein Weiterkommen.

Dem war nicht so. Die auffällige Ankunft der Reisegruppe war sehr wohl bemerkt worden. Ihre Exotik weckte Neugier. Hinter dem nördlichen Morast lag nur 100 m entfernt eine Hofanlage, heute Friedhof von Anreppen. Aus dem Bauernland, durch den Sumpf von der Landestelle aus unerreichbar, löste sich eine einsame Gestalt. Auf Umwegen und in Schlangenlinie watete ein junger Mann herbei. Manchmal knietief im Schlamm, aber er wusste offensichtlich, was er da tat.

Blonde lange Haare, barfuß, und eine bis zur Hüfte aufgerollte lange Hose. Oben eine Wolljacke, darin der Sohn des Hofes. Vorsichtshalber näherte er sich mit Hilfe eines Watstockes nur bis auf 10 Meter. Wieder bewährte sich die Mitnahme der Veteranen. Ein Germanisch sprechender Murabitun konnte sich mit ihm verständigen. Der Westfale erklärte ihnen, dass sie mit ihren Karren so nicht auf direktem Weg die 15 km zum Hofe des Frankenkönigs zurücklegen könnten. Einen ihm zugeworfenen Silber-Denar fing er so geschickt auf, wie der Affe im Zoo die Banane. Er besah sie erst mal misstrauisch. Anscheinend hatte er noch nie eine maurische Münze gesehen. Ein Biss seiner kräftigen Zähne bewies es ihm: Silber wars, und nicht irgendein Blech.

Das überzeugte ihn. Er stieg zu ihnen. Der Bursche führte die Kolonne auf verschlungenen, ihnen im Sumpfland oft unsichtbaren Wegen zurück nach Westen, dann nach Süden zum Hof Boke. Weit kamen sie nicht, dann stak die erste Karre bis zur Ladefläche im Morast fest. Weder Peitsche noch Schieben halfen. Der Germane kannte das Problem und wusste Abhilfe. Er riet ihnen, die beiden Zugtiere des nachfolgenden Karrens abzusträngen. Das zweite Paar vor dem ersten angekoppelt, zerrten die vier Maultiere mit schiebender Unterstützung die Karre zum nächsten trockenen Buckel. Das Manöver wurde zweifach wiederholt, dann rollten sie auf trockenem Grund.

Hinter dem Hof Boke, eine Mühle und eine sächsische Kneipe zugleich, wies er sie auf den Höhenrücken einer Endmoräne in Richtung Süden und wandte sich heim. Den Mauren dämmerte, dass sie besser hier ihre Lippefahrt beendet hätten. Nur die Damen, in den Karren geborgen, waren noch salonfähig. Die anderen, alle Chassas einbezogen, nahmen das reinigende Bad in der Lippe in Anspruch. Alles was in Boke weiblich strömte herbei. Nackte kaffeebraune Mauren im Bade zu bestaunen, das gab es damals an der Lippe noch nicht so oft wie heute.

Der Mühlenwirt sah ein Geschäft, wenn eins in Reichweite kam. Er ließ derweil vor seinem Hof die Tische unter den Eichen eindecken. Grobes Bauernbrot, Butter und westfälische luftgetrocknete Wurst, dazu Bier oder Met kam selbst diesen nun Weitgereisten gewöhnungsbedürftig vor. Sie waren schlimmeres gewöhnt und griffen kräftig zu.

Vom Wirt, der vielfach dienernd die zwei Silberlinge in seiner Hand bestaunte, wurden sie auf dem Rücken jener Endmoräne nach Süden weitergesandt. Dorthin, wo bei einer Salzquelle einige Kotten am Hellweg lagen. Der damalige Haupthandelsweg von West nach Ost und umgekehrt, heute auch B 1 genannt, verlief schon damals trocken auf einem Höhenrücken im Vorland der Suder-Berge. Dort erst erreichten sie die Fernstraße des Salzes nach Osten und Paderborn. Da inzwischen der Abend kam, zogen sie der Bauernschaft am Salzbach zu und schlugen auf dem Dorfanger ihr Lager auf. Ein reiches Dorf, wie das knappe Dutzend aufwändige Häuser und Höfe bewies.

Im Nu waren sie von der neugierig glotzenden Dorfjugend umringt. Einige ältere Kötter kamen hinzu. Sie zeigten bräunliche Salzklumpen, die Erzeugnisse ihrer Arbeit und ihre Handelsware. An Geld hatten sie kein Interesse. Salz war wertvoller als Silber. Tauschhandel war angesagt. Sie konnten auch reichlich Landprodukte als Proviant anbieten. Nachdem sich der dolmetschende Murabitun vergewissert hatte, dass es in Reichweite einen Pader Born samt einem fränkischen König daran gab, erlaubte Abdallah das Feilschen. Zwei der Maultiere gab er dafür frei. Für den restlichen kurzen Weg reichte eins vor jedem Karren.

Am folgenden Vormittag entsandte Abdallah seinen Reisemarschall mit den zwei Chassas und den beiden Germanen-Murabitun voraus zum Königshof. Die nahmen mit des Königs Haushofmeier Verbindung auf. Nach eingehender Information führte der sie ohne Umschweife direkt zum König. Der saß neben Markgraf Roland und einigen bereits eingetroffenen Grafen sowie seiner Regierung hemdsärmelig an langer Tafel im kleinen Hofsaal beim Mittagsimbiss. Der König legte seine angeknabberte Hirschkeule aus der Hand. Die anderen folgten artig oder eher aus Neugier seinem Beispiel. Dann erklärte ihnen der Haushofmeier, was die neben ihm stehenden Exoten hierher geführt. Eine Delegation der Maurenherrscher wolle dem mächtigen Frankenkönig ihre Aufwartung machen, ihm deren Respekt und Anerkennung bezeugen. Genaueres wisse man noch nicht.

Karl machte keine großen Umstände. Sein Hunger ging vor. Er befahl Platz, Wein, Brot, Salz und eine Schüssel Braten für die neuen Gäste. Dann widmete er sich wieder seiner Hirschkeule. In Wirklichkeit ratterte es in seinem Kopf. Die Pause nutzte er, um unauffällig seine Gedanken zu sortieren. Dann, als alle genug hatten, befahl er seinem Lieblingsvasallen Roland, mit einer entsprechend ehrenden Eskorte die Gesandtschaft einzuholen. Sein Hausmeier solle inzwischen einen attraktiven Lagerplatz nahe dem Hofgebäude herrichten. Gut, dass die Grafen und Herzöge des Frankenreiches erst ab kommender Woche eintreffen sollten. Da blieb Raum für einiges Arrangement. Denn der Ort für Karls diesmaliger Reichstag war ein bisher unerlebt abenteuerliches Unternehmen. Improvisation führte die Herrschaft über ihn.

Karl hatte seine Frankenkrieger vor fünf Jahren auf das Land der Falen und Niedersachsen losgelassen. In einem blutigen und langwierigen Kriegszuge wurden diese niedergerungen, ihre heidnischen Heiligtümer, die Extern Steine und die Irminsul im Namen Christi demoliert, und das Land bis zur Elbe dem Frankenreich einverleibt. Dabei stieß er zufällig persönlich auf das Quellgebiet der Pader. Das seltsame Naturkind hatte ihn für sich eingefangen.

Was niemand damals verstand: Mitten im heutigen Paderborn endet ein mächtiger Kalksteinrücken. Auf dem liegt etwas weiter nördlich die hügelig flache und ausgedehnte Paderborner Hochebene, das Sintfeld. Vor ihr breitet sich unten jene sumpfige Niederung, in der Abdallah gestrandet war. Jeder Regentropfen, der dort auf die Hochebene fällt, sickert durch den porösen Kalk in die Tiefe. Eine darunter liegende undurchlässige Schicht sammelt die Wasser, und zwingt sie am Fuße der Höhe in zwei getrennten Strömen und einigen Bächen ins Freie. Die Pader, und wenige Kilometer weiter die Lippe, treten schlagartig als fertiger Fluss ins Leben. Allerdings damals in einem Sumpfkessel, einem Urwald von Sträuchern und Bäumen, aus dem hundert Quellen hervorspringen und sich sofort zum Strom vereinten. Die Pader, Deutschlands kürzester Fluss, bringt es nur auf 10 km. Dann stützt sie sich in die Lippe und ist nicht mehr.

Der mysteriöse Ort war schon anderen aufgefallen. Die fälischen Sachsen verehrten ihn mit der geheimnisvoll darin ins Leben springenden Pader als Wohnsitz der Naturgeister und einen ihrer heiligen Orte. Ein sächsischer Edelmann hatte einen Herrenhof oberhalb der Quellen errichtet, ungefähr da, wo heute der Dom und das Rathaus stehen. Von dort aus regierte er den Stamm der regionalen ostfälischen Sippen am Oberlauf von Pader, Lippe, und der Hochebene darüber. Karl christianisierte die Anlage auf seine Art. Er ließ den widerspenstigen Sachsengrafen erdrosseln. Dessen Familie jagte er fort. Er übernahm die Gebäude als seine persönliche Urlaubs-Datscha.

Für einen politischen Reichstag nach bisheriger Frankensitte war der Ort höchst ungeeignet. Es gab keine Unterkünfte neben seinem „Reichshof“. Er zwang also die vornehmen fränkischen Würdenträger, die Herzöge, Erzbischöfe, Äbte, Mark- und Gaugrafen, wie in einem Kriegslager in Zelten und Wagenburgen zu biwakieren. Die Tagung musste als Thing im Freien durchgeführt werden. Karl war das als Machtdemonstration gerade recht. Er wollte mit dem ersten Reichstag im niedergeworfenen Sachsenland triumphieren und beeindrucken. Noch war es nicht so weit. Ein großer Teil des Frankenheeres war mit Karl eingetroffen und lagerte sich weit im Umkreis. Die Hälfte der Grafen und Großen des Reiches reiste jedoch mit ihrem Gefolge noch an.

Erst einmal hatte Abdallah seinen Auftritt. An der Spitze seiner Truppe ritt er neben dem Markgrafen Roland auf den Königshof. Dort empfing sie nur der Hausmeier und wies ihnen ihren Platz zur Seite, und neben dem Haupthaus an. Sie fuhren Ihre Karren zwischen einigen schattigen alten Eichen im Halbkreis zu einer Wagenburg auf. In ihrem Halbrund, angelehnt an die schützende Hauswand, entstand ihr Lager mit ihren Zelten. Der Staatsempfang war für den nächsten Vormittag angesetzt. Das ließ Zeit, sich umzusehen und sich einzugewöhnen.

Die Mauren staunten nicht schlecht. So schlicht hatten sie sich den Sitz des mächtigsten Herrschers in Europa nicht vorgestellt. Sie waren aus Saragossa mit seinen Palästen und Prunkbauten, sowie der eindrucksvollen alten Römerfestung anderes gewöhnt. Und das war vergleichsweise nur der Sitz eines Gaugrafen! Ein weiterer Schock. Abdallah traute seinen Augen nicht, als sich ihm Roland vorgestellt hatte. Dieser Zwerg sollte der berühmte und gefürchtete große Held der Franken sein? Beinahe wäre ihm ein Kichern entwichen. Mühsam bewahrte er Haltung. Er sah auf den Kleinen hinunter. Scheitelhöhe ca. 160 cm, und die erreichte der Knirps nur in Stiefeln mit einer hohen Plateausohle!

Erst in den folgenden Tagen kam er dahinter, was diesen Mann auszeichnete. Der trat mit derartig penetranter Überheblichkeit, und ebenso eitel wie wichtigtuerisch auf, dass man ihn leicht unterschätzen konnte. König Karl und Roland, Sohn eines Haushofmeiers König Pippins, wurden gemeinsam erzogen und geschult. Karl schätzte seinen Freund ungemein. Gegensätze ziehen sich an, sagt der Volksmund. Hier war das der Fall. König Karl überragte mit seinen knapp 180 cm seine Würdenträger, die zumeist zu ihm aufblicken mussten. Er zog es immer vor, sitzend zu empfangen. Selbst Roland befand sich dann auf Augenhöhe. Der war zwar klein von Gestalt, aber was ihm an Höhe fehlte besaß er in Breite. Ein unschlagbarer Athlet. Seine Körperkraft, gepaart mit einer unglaublichen Wendigkeit, ließen ihn in jeden Schwertkampf siegen. Ein wacher Geist und hohe Intelligenz machten ihn Karl zum unersetzlichen Ratgeber. Ebenso schätzte er es aber auch, dass seines Freundes Schwächen ihm eine endlose Quelle von vergnüglichem Spott, und auch so manchen freundschaftlichen Scherz erlaubten.

Am folgenden Vormittag holte der Graf sie ab und führte sie in den Saal des Königshofes. Der war dichtgefüllt mit Hofstaat und Würdenträgern, die, aufgereiht nach Bedeutung und Gewicht, an den drei Wänden standen. Dem Eingang gegenüber saß Karl auf einer Empore, etwa 50 cm höher, auf einem edlen Thronsessel, kostbar in mit Edelsteinen übersäten Brokat gekleidet. Jetzt bot er den Gesandten das königliche Bild des Herrschers des westlichen Europas. Auf seinem Kopf funkelte die Königskrone, in je einer Hand Zepter und Reichsapfel. Das war ein kleiner Kulturschock für die beiden Chassas, die ihn zuvor in Hemdärmeln erlebt hatten.

Neben Karl saß Königin Hildegard in einem etwas kleineren Sessel. In der Lücke hinter beiden standen ihre Söhne. Pippin der Bucklige, zwar erst sieben Sommer, und ihr Stiefsohn von Karls erster Ehefrau Himiltrud, die längst verstorben. Ihr eigener ältester Sohn, Pippins Stiefbruder Karl, war nur fünf Jahre alt. Aber bei solchen Anlässen wollten und mussten sie dabei sein. Früh übt sich, was einmal ein König werden soll. Das schafften sie beide nicht. Hintereinander starben sie noch vor ihrem Vater, im selben Jahr 811. Ludwig der Fromme, letzter von Königin Himiltruds verbliebenen ehelichen Söhnen, erbte 814 dann das Reich von Karl dem Großen, dem seit 800 vom Papst gekrönter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.

Ein lautes Raunen erscholl im Rund der Würdenträger. Sogar erstaunte Ausrufe ließen sich nicht mehr unterdrücken! Das Bild war auch zu eindrucksvoll, und bot zu viele Überraschungen auf einmal. Vier schlanke junge Araber im kostbaren, knielangen weißen Seidenkaftan mit goldenen Bordüren. Darunter lugten ebensolche seidenen Pumphosen hervor, unter denen goldverzierte Lederpantoffel glitzerten. Die Köpfe krönte jeweils ein weißer Seiden-Turban, mit bunten Edelsteinen geschmückt. Nur Abdallah trug den schlichten schmucklosen grünen Turban, der die Nachfahren des Propheten Mohammed auszeichnet. Das wies ihn hier zugleich als den Chef der Gesandtschaft aus.

Gemessenen Schrittes, seine drei Chassas mit einem Schritt Zwischenraum in Reihe dahinter, trat er vor den König, verneigte sich in fünf Meter Abstand vor ihm tief und formvollendet höflich. Dann trug er in fließendem Latein die auswendig gelernte Ansprache vor. Er berichtet vom Ruhm des Königs und seines Volkes, der bis zu den Mauren gedrungen. Das habe die Gesandtschaft ausgelöst. Die Mauren wollten dem mächtigsten König Europas ihren Respekt bezeugen und ihre Freundschaft anbieten. Kurzum, er tischte gewandt den üblichen wertlosen Diplomatenschmu auf, den zwar auch hier keiner glaubte, der aber bei solchen Anlässen allgemein als unentbehrlich galt und gilt.

Am Ende seines Sermons gab er zwei seiner Chassas den von ihnen erwarteten Wink. Sie traten vor, legten je eine Rolle Seidenstoff auf den Boden, und - Abrakadabra - zauberten aus ihnen die beiden Schwerter hervor. Die wurden natürlich über den geöffneten Tüchern am Boden ausgelegt, auf den dazu gehörigen kleinen Perserteppichen. Abdallah bat den König, ihm die Schwerter überreichen zu dürfen Er fügte an, seine Fürsten hätten ihm befohlen, beide Schwerter dem König zu überreichen, damit der eines seiner Wahl an den berühmten Markgrafen Roland weiterreiche. Der Ruhm dieses unübertrefflichen Heldenkriegers sei auch im Maurenland bereits eine Sage, und daher wolle sein mächtiger Emir dem Grafen durch dessen eigenen Königs Hand eine Auszeichnung zukommen lassen.

Karl reichte Zepter und Reichsapfel seiner Königin, die nun für einen Augenblick zur Regentin wurde. Sie nutzte den, und gab je ein Machtsymbol an die Söhne weiter. Der bucklige Pippin schwenkte fröhlich sein Zepter. Der unglückliche kleine Karl hätte beinahe den Reichsapfel fallen lassen. Für seine kleinen Hände war der noch zu dick. Rechtzeitig konnte er sich fangen und den unheilverkündenden Ablauf verhindern.

Der König bemerkte nichts davon. Er war von den prachtvollen Waffen geblendet. Er hob sie in die Höhe und gab sie dem Gefolge zur Bewunderung frei. Rauschender Beifall erklang. Da sprang ihm der Schalk in seinen Nacken. Im Voraus schon schmunzelnd winkte er den Markgrafen heran.

„Vetter sag, welches Schwert wünschest du?“

Der stand verzückt, konnte sich nicht entscheiden, wies dann entschlossen auf das mit dem Rubin.

„Schön, dass du mir Auswahl und Entscheidung abnahmst!“ sprach der König, und drückte ihm das andere, das mit dem, grünen Smaragd in die Hand, lachte brüllend los, und alle stimmten ein. Säuerlich, weil wieder mal auf einen Ulk Karls hereingefallen, grinste auch Graf Roland.

Ein weiterer Wink von Abdallah zum Flur hin, und im Gänsemarsch traten die schmuckbehängten nackten Vierlinge vor den König. Abdallah musste eine Weile warten, ehe er sie dem König übereignen konnte. Der Saal tobte. Nur langsam trat wieder Ruhe ein. Gnädig überrascht verschlang des Königs Blick die nackten weiblichen Formen von seltener Perfektion. Dann kam Lust auf. Gleich darauf fühlte er einen eisigen Hauch, eine Drohung von links zu ihm wallen. Zwar waren seine bisher drei Ehefrauen daran gewöhnt, dass er ihre Schwangerschaften mit jeder einigermaßen gerade gewachsenen Jungfrau zu überbrücken wusste. Das spielte sich jedoch immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Hier und vor dem Hofstaat, das konnte brenzlig werden. In diesem einen einzigen Jahr ihrer Ehe war die junge Königin, 19 Winter und vier Schwangerschaften lagen hinter ihr, ausnahmsweise mal nicht in anderen Umständen. Da wurden ihm lautlos 14 Tage Ehekrieg angedroht. Kleinlaut verzichtete er. Schnelles Handeln war gefragt.

Erneut winkte er seinen Busenfreund heran. „Such dir eine aus!“ drängte er den, einerseits um seinen Scherz von vorhin abzumildern, andererseits um der Königin seinen guten Willen zu bezeugen. Der Markgraf zögerte diesmal nicht. Er hatte sich bereits bei dem Blick von hinten her von vier gleichermaßen vorhandenen preiswürdigen Hinterbäckchen überzeugt. Er griff die Nächststehende bei der Hand und führte sie zu seinem Platz in der vordersten Reihe rechts vom Thron. Blieben noch drei. Hilfesuchend sah der König in den Saal.

„Denk an deine Söhne!“ zischte es neben ihm, und die vierte will ich!“

Brav folgte der König der ehefraulichen Intervention. Wie alle Ehemänner wusste er, dass es Situationen und Augenblicke im Eheleben gibt, in denen Gehorsam statt Widerspruch angebracht ist. Obwohl er nicht verstehen konnte, was die noch nicht einmal Halbwüchsigen mit dieser Gabe wohl anfangen könnten. Darum ging es der Königin auch nicht. Seine Gemahlin hatte eiligst zugeschlagen, ehe der wertvolle Schmuck am Leibe der Exotinnen in andere Hände geriet!

Graf Roland beendete spontan die Audienz. Er begann kräftig zu klatschen. Noch einmal rauschte donnernder Beifall durch den Saal. Dann strebten alle ins Freie. Das Erlebte musste erst mal geistig verdaut werden. Abdallah konnte mit dem Ablauf zufrieden sein. Der mögliche Erfolg seiner Mission hatte ein festes Fundament erhalten.

Karl zögerte nicht lange. Noch am selben frühen Vorabend lud er Abdallah zu einer Aussprache unter sechs Augen. Nur Roland war dabei, als der König direkt zur Sache kam.

„So, Amir Abdallah“! eröffnete er in fließendem Latein, das alle drei beherrschten, „nun trag uns vor, was dich wirklich zur mir geführt!“

Ebenso kurz und bündig kam Abdallahs schon länger erwogene Antwort:

„Mein Emir steht mit einigen Verbündeten im Aufstand gegen unseren Ober-Emir in Cordoba. In der kommenden Auseinandersetzung können wir jede helfende Hand brauchen. Wir bitten um eine unterstützende Hilfstruppe der Franken und bieten dafür vertraglich Frieden und Ruhe an eurer Südgrenze!“

„Und was geht wirklich bei euch vor? Was sind eure Absichten, eure Aussichten, wie stark seid ihr und wer steht zu euch?“

Karls Sturzbach an Fragen erschütterte den gut vorbereiteten Emissär des Emirs nicht. Es folgte ein längerer Vortrag zur allgemeinen Lage südlich der Pyrenäen, und zur besonderen in der nördlichen Hochebene, welche die Aufrührer beherrschten. So präzise und zielgerichtet vorgetragen, dass seine beiden aufmerksam lauschenden Zuhörer nicht nur ein gutes Bild der Lage bekamen, sondern auch ein gleichwertiges von der Befähigung ihres Gesprächspartners.

„Ich kann dir noch keine feste Antwort geben“, wies Karl darauf hin, dass der Reichstag das letzte Wort habe. Aber diese Formulierung ließ Abdallah erkennen, dass er siegreich im Zieleinlauf war. Sie brachen ab und gingen gemeinsam zur abendlichen Schau in den Königssaal.

Am folgenden Morgen saßen König Karl und sein Freund Roland allein und unter sich beim gemeinsamen Frühstück. Dies war einer der Augenblicke privater Zweisamkeit, der ihnen den intimen, vertraulichen und fruchtbaren Gedankenaustausch möglich machte. Nachdenklich sah der Graf in sein Bier.

Schon zum Frühstück gab es Bier, Wein, Met oder sonstiges Alkoholhaltiges. Zu jener Zeit war das nicht Alkoholismus sondern Vorsicht. Hygiene war noch kein Lehrfach, aber Erfahrung genügte. Die Umweltverschmutzung des Menschen hatte die Flüsse zu Kloaken gemacht. Im Wortsinn! Wenn überhaupt, dann entsorgte der Mensch die städtischen und sonstigen Abwasser, Tierleichen und alle Abfälle ins nächste Fließgewässer.

Als trinkbar galt nur Quellwasser. Zur Herstellung von Getränken benutzte man aufgefangenes Regenwasser. Das galt als einziges als absolut gesund. Aber dazu musste es auch erst mal regnen. Kuh- Schafs- oder Ziegenmilch wurde ebenso genutzt. Die gab es nur in beschränktem Umfang, denn die Tiere gaben nicht viel her, und das auch nur zu Hause. Wer unterwegs war, konnte nur alkoholhaltigen Getränken vertrauen. Von Geburt an tranken Mann wie Frau überwiegend Alkoholhaltiges - und war daher ständig guter Laune.

„Wir haben zum ersten Male ein volles Jahr der Ruhe vor uns. Hast du schon ein neues Ziel für unsere Rabauken? Wir müssen denen in 778 wieder was bieten, damit sie beschäftigt sind und nicht auf dumme Gedanken kommen!“

„Hmh, na ja, da wird sich schon was finden,“ mauerte Karl.

„Du solltest aber dem Reichstag etwas dazu anbieten“, bohrte Roland nach.

„Na ja, wir könnten mal die Awaren im Land hinter der Donau besuchen gehen. Die sollen einen enormen Goldschatz durch Raubzüge und Plündern der Byzantiner in ihrer Festung Buda angehäuft haben.“

„Du weichst mir aus“, grinste Roland zurück. „Du weist ganz genau, was ich jetzt denke!“

„So, so, jetzt hältst du mich auch noch für deinen Gedankenleser?“

„Mit absoluter Sicherheit nicht! Die wirst du nie erraten! Aber ich kann deine lesen! Du solltest mal schnell eine von diesen Zitronen kommen lassen, die uns diese Mauren mitgebracht.“

„Aha, und was soll ich damit?“

„Die sollst du umgehend komplett auffressen!“

„Ich habe aber keine Verdauungsprobleme!“

„Darum geht es mir auch nicht!“

„Was soll die Zitrone denn dann bewirken?“

„Die soll dir altem Heuchler den gierigen Blick aus deinen Augen vertreiben, der die seit gestern trübt!“ Brüllte es laut heraus und wälzte sich vor Lachen.

„Ha, Ha, ich wusste es ja! Du würdest mir den Streich mit den Schwertern heimzahlen. Na gut, jetzt sind wir mal wieder quitt, und jetzt sprichst du gefälligst Klartext mit deinem armen König. Der ist es nämlich leid, wenn du um den Brei herumredest, um ihm hinterrücks die Würmer aus den Nase zu ziehen!“

Der Graf fasste sich wieder.

„Na ja, wir haben beide gesehen, erlebt - und beide dasselbe gedacht. Fast fünf Jahre haben wir uns mit den Sachsen herumgeschlagen. Jetzt haben wir deren Land, und sonst nichts! Da kommen diese Mauren daher. So wie die hier auftreten, zeigen sie uns ein Land wo Gold und Silber, Seide und kostbares Gewürz in Bergen herumliegen müssen. Da braucht nur ein Franke zu kommen, zuzugreifen, und das alles gehört ihm. Ich glaube ich kenne diesen Franken!“

„Glaub ich kenn den auch!“

„Na also, na endlich! Jetzt sind wir uns einig. Die „Hilfstruppe“ wird die da unten mächtig überraschen – die wird so ungefähr das halbe Frankenheer umfassen.“

„Genau, aber bitte jetzt kein Wort mehr darüber. Horch deinen neuen Kumpel, diesen Abdallah so gründlich aus, wie du kannst, aber unauffällig!“

„Na hör mal – willst du mich beleidigen?“

„Ka-watsch, ich kenn dich doch. Nein, du musst auch dein braunes Mädchen aushorchen lassen. Ich lass dasselbe mit den meinigen tun. Setz noch ein paar clevere Horcher auf das Gefolge an. Vielleicht gelingt es dir glücklichem, weil gerade frauenlosen Weiberhelden ja, diese blonde Germanin dem Abdallah abzuschwatzen. Die und meine drei Negermädchen lassen wir vorsichtshalber mal bei Seite. Die können wir in Aachen ergänzend den ganzen Winter hindurch ausquetschen. Auf und ans Werk – aber alles unter der Grasnarbe!“

Grinsend rieb sich Karl die Hände. Dann langten beide gleichzeitig über den Tisch und schlugen ein.

Zwei schlitzohrige Spießgesellen, die einander Wert waren.


Rolands Lied

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