Читать книгу Die Trainingsbibel für Radsportler - Joe Friel - Страница 6
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Die Trainingsbibel für Radsportler war vor mehr als 20 Jahren das erste Buch, das ich schrieb. Mir ging es damals nicht darum, möglichst viele Bücher zu verkaufen. Ich ging eher davon aus, dass sich mein Werk nur ein paar Mal verkaufen und binnen weniger Jahre wieder aus den Regalen verschwunden sein würde. Meine Motivation war vielmehr, zu schauen, ob es mir gelingen würde, die Trainingsphilosophie und -methodik zu erläutern, die ich in den vorangegangenen 20 Jahren als Athlet, Student und Coach entwickelt hatte. Ich hätte im Traum nicht daran gedacht, dass dieses Buch sich zum meistverkauften Trainingshandbuch für Radsportler mausern würde oder dass ich so vielen Fahrern den Anstoß geben würde, die Art ihrer Wettkampfvorbereitung zu verändern.
Die komplett überarbeitete Ausgabe der Trainingsbibel für Radsportler, die Sie gerade in Händen halten, ist in der Tat vollkommen neu. Als ich entschied, dass es an der Zeit wäre, das Buch auf den neuesten Stand zu bringen, warf ich alle alten Manuskripte über Bord und fing buchstäblich mit einer leeren Seite an. Das Einzige, was sich kaum verändert hat, ist der grundlegende Aufbau.
Das Projekt nahm ein ganzes Jahr in Anspruch. Teilweise lag dies daran, dass sich der Inhalt in den letzten 20 Jahren beinahe verdoppelt hatte, von 70.000 auf knapp 130.000 Wörter. Eine ganz schöne Menge! Aber ich brauchte auch deswegen ein Jahr, weil ich mich vor der Niederschrift jedes Kapitels noch einmal in die Forschung vertiefte, um zu ermitteln, was genau sich in den letzten zwei Jahrzehnten alles verändert hatte. Das bedeutete zwar großen zeitlichen Aufwand, war mir aber eine unerlässliche Hilfe dabei, die vielen erweiterten und überarbeiteten Konzepte zu beschreiben, die in diesem Buch vorgestellt werden.
Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Noch wichtiger aber ist, dass ich glaube, dass Sie als Leser dieses Buch als nützlich für Ihr Training empfinden werden. Dies war bei jeder neuen Ausgabe meine wesentliche Motivation.
Ein Buch für ein breites Spektrum von Radsportlern zu verfassen, ist eine Herausforderung. Ich weiß, dass manche, die dieses Buch lesen werden, echte Anfänger sind, die mit dem Sport gerade erst begonnen haben. Für diese Fahrer wird alles, was sie hier lesen, Neuland sein. Andere Leser sind fortgeschrittene Anfänger in ihrem zweiten oder dritten Radsportjahr, die noch dabei sind, ihre Grundlagenfitness zu entwickeln und sich das nötige Wissen über das Training anzueignen. Dann wären da die erfahrenen Radsportler, die diesen Sport seit mehr als drei Jahren betreiben, eventuell eine frühere Ausgabe gelesen haben und fundierte Kenntnisse über das Training und viele seiner Nuancen mitbringen. Und schließlich sind da noch die Elite-Athleten, die nicht nur seit vielen Jahren dabei sind, sondern auch in der Lage, auf hohem Niveau Rennen zu gewinnen. Sie verfügen im Allgemeinen über fundierte und detaillierte Kenntnisse der Trainings- und Sportwissenschaft.
Ungeachtet dessen, welcher Gruppe Sie angehören, habe ich versucht, Ihre Bedürfnisse anzusprechen. Indem Sie den hier dargelegten Anleitungen folgen, werden Sie ein höheres Leistungsniveau erreichen.
Tatsächlich ist es die Wettkampfleistung, um die es in diesem Buch geht. Meine Hoffnung ist, dass Sie neue Ansätze für das Training kennenlernen, die Ihnen helfen, sich als Athlet weiterzuentwickeln und bessere Resultate zu erzielen. Natürlich kann ich Ihnen nicht versprechen, dass die Lektüre dieses Buches Sie wie von Zauberhand zu einem kommenden Tour-Sieger macht, aber es ist gewiss möglich, dass Sie Ihre sportlichen Leistungen auf ein höheres Niveau heben und Ziele erreichen, von denen Sie vorher nicht zu träumen gewagt hätten. Ich habe das bei vielen Athleten erlebt, die ich im Laufe der Jahre betreut habe. Ich bin sicher, dass auch Sie dazu in der Lage sind, indem Sie die Prinzipien beherzigen, über die Sie in den folgenden Kapiteln lesen werden.
Der Zweck dieses Buches ist, Ihnen dabei zu helfen, fitter zu werden, schneller Rad zu fahren und hohe Ziele zu erreichen. Zusammengenommen bilden diese Zielsetzungen das, was man »Höchstleistung« nennen könnte. Ich werde diesen Begriff in den folgenden Kapiteln noch häufig benutzen. Damit meine ich jeweils, dass diese drei genannten Zielsetzungen – Fitness, Geschwindigkeit und hohe Ziele – erfolgreich in die Tat umgesetzt werden, tatsächlich aber geht Höchstleistung weit über bloße Resultate hinaus. Es ist ebenso sehr eine Einstellung wie ein Indikator dafür, wie stark Sie im Rennen sein werden. Tatsächlich kommt die Einstellung vor etwaigen Wettkampfresultaten – und zwar weit davor. Es geht darum, auf eine Weise zu leben, die das Erreichen hoher Ziele überhaupt erst ermöglicht. Es geht darum, wie konsequent Sie trainieren, wie diszipliniert Sie das Training angehen, was, wann und wie viel Sie essen, mit wem Sie Ihre Zeit verbringen, wie Sie sich selbst wahrnehmen und vieles mehr. Die richtige Einstellung bedeutet, Ihr ganzes Leben unmittelbar auf Ihr Ziel auszurichten, ein Ziel, das Sie unermüdlich verfolgen. Einige dieser Themen werden in den Kapiteln 1 und 2 angeschnitten.
Einstellung und Lebensstil spielen in diesem Buch aber nur eine untergeordnete Rolle. Es gibt andere Werke von Sportpsychologen, die Ihnen helfen, die mentale Seite der Höchstleistung zu meistern. Unser Augenmerk gilt in erster Linie der Entwicklung Ihres körperlichen Leistungsvermögens. Nachdem wir uns in Teil I mit der mentalen Komponente beschäftigt haben, kümmern wir uns daher anschließend um die für den Erfolg notwendige Fitness, Form und Planung.
Radfahren ist in mancherlei Hinsicht ein anderer Sport als noch vor 20 Jahren. Die vielleicht größte Veränderung brachte der Siegeszug der Leistungsmessgeräte mit sich. Obwohl die Technologie der Powermeter bereits Ende der 1980er Jahre entwickelt wurde, wurde sie in den Neunzigern erst von sehr wenigen Fahrern genutzt. Die Geräte waren schlichtweg zu teuer – ein Normalsterblicher musste knapp einen Monatslohn dafür hinblättern. Und vielen war die neue Technologie auch noch nicht ganz geheuer. Damals bestimmten wir die Intensität mit Herzfrequenzmonitoren, die es seit 20 Jahren gab und relativ preiswert zu haben waren. Davor wiederum diente den Fahrern die empfundene Anstrengung als Maß der Intensität: Radsportler trainierten buchstäblich nach Gefühl. Seitdem Powermeter in den letzten paar Jahren immer günstiger wurden, ist wattgesteuertes Training das Maß aller Dinge, während Herzfrequenz und gefühlte Anstrengung allmählich an Bedeutung zu verlieren scheinen. Wie Sie in den folgenden Kapiteln jedoch sehen werden, spielen auch Pulsmessung und Anstrengungsempfinden weiter eine wichtige Rolle für Höchstleistung.
Auch jenseits des Equipments hat es seit Veröffentlichung der ursprünglichen Trainingsbibel noch viele weitere Veränderungen gegeben. Zum Zeitpunkt der ersten Ausgabe war die Periodisierung des Trainings für die meisten Fahrer noch ein weitgehend unbekanntes Konzept. In den 1950er und 1960er Jahren war es ein in den Ostblockstaaten gut gehütetes Trainingsgeheimnis und blieb im Westen bis in die frühen 1980er Jahre ein Mysterium. Bevor die Periodisierung aufkam, trainierten die meisten Fahrer einfach, wie es ihnen einfiel, und sie entschieden erst, wenn sie daheim aus der Ausfahrt rollten, was sie in der Einheit des Tages unternehmen wollten. Die Nettozeit im Sattel galt als bester Prädiktor der Leistungen. Als ich in der ersten Ausgabe einen auf dem Konzept der Periodisierung fußenden Jahrestrainingsplan vorstellte, beschränkte ich mich der Einfachheit halber auf nur eine Methode der Saisonplanung: die klassische Periodisierung. In dieser Ausgabe aber gehe ich weitaus ausführlicher auf das Thema ein, indem ich zusätzlich zum klassischen Modell noch einige andere Methoden vorstelle. Die komplette Saisonplanung wird in den Kapiteln 7, 8 und 9 dargelegt und mit Hilfe der Vorlage für den Jahrestrainingsplan aus Anhang A erstellt. Außerdem werde ich Sie bei der Entscheidung unterstützen, welche Methode am besten für Sie geeignet ist. Dieser Teil bildet für mich das Herzstück dieses Buches. Die Kapitel, die davor und danach kommen, dienen dazu, Ihren individuellen Trainingsplan zu verfeinern.
In früheren Ausgaben der Trainingsbibel beließ ich es bei einer einfachen Methode, die für alle Fahrer ungeachtet ihrer individuellen körperlichen Voraussetzungen galt. Im Vergleich zu damals sind Radsportler heute erheblich bewanderter, was das Know-how rund ums Training betrifft. Diese Ausgabe erlaubt daher eine stärkere Individualisierung, indem sie den jeweiligen Radsport-Phänotyp des Lesers berücksichtigt, sprich die individuellen sportspezifischen Stärken. Diese hängen letztlich von den persönlichen Wettkampfqualitäten als Kletterer, Sprinter, Zeitfahrer oder Allrounder ab. Jeder Fahrer fällt in eine dieser Kategorien, und so sind auch die Trainingsmethoden, die Sie hier finden, um dieses Konzept herum aufgebaut, wie in Kapitel 2 dargelegt.
Auch die Trainingswissenschaft ist in den vergangenen 20 Jahren erheblich vorangekommen, insbesondere durch die Entwicklung des Training Stress Score (TSS). Wie Sie sehen werden, ist die Nutzung des TSS eine weitaus effektivere Weise, das Trainingspensum zu bestimmen, als einfach nur die Stunden und Kilometer im Sattel pro Woche zusammenzuzählen. Den Umgang mit dem TSS zu erlernen, ist eine im Grunde nur geringfügige und doch die wirksamste Veränderung, die Sie vornehmen können, um Ihre Fitness und Ihre Wettkampfleistungen zu verbessern. Das mag weit hergeholt klingen, aber ich weiß, dass es funktioniert. Es wird den Fokus Ihres Trainings auf das legen, was für das Erreichen der Höchstleistung wirklich wichtig ist. In Kapitel 4 erfahren Sie, was der TSS ist und wie Sie ihn effektiv nutzen können.
Ein Themenkomplex, der sich seit der ersten Ausgabe kaum verändert hat, ist das individualisierte Training nach Leistungsfaktoren und Begrenzern. Dies ist Thema von Kapitel 6. Dieses einfache Konzept bildet in mancherlei Hinsicht das Herzstück erfolgreichen Trainings im Ausdauersport und hängt eng zusammen mit Ihren jeweiligen Zielen, aber auch mit den Empfehlungen für konkrete Trainingseinheiten, die Sie in Anhang B finden.
Ein Bereich, dem seit der ersten Ausgabe zahlreiche Forschungen gewidmet wurden, ist die Trainingsbelastung und wie man von ihr regeneriert. Klar ist, dass Sie häufig mit Übertraining flirten müssen, um Ihr Potenzial als Athlet auszuschöpfen. Dies ist für die meisten Radsportler eine nicht ganz einfache Herausforderung, denn die wiederholte Erschöpfung, die solches Training mit sich bringt, wirkt sich nicht nur auf die folgenden Trainingseinheiten, sondern auch auf das tägliche Leben aus. Die Erschöpfung zu managen, ist ein Balanceakt, und das Timing des Kreislaufs aus Belastung, Anpassung und Leistung hängt davon ab, wie effektiv Sie nach harten Einheiten regenerieren. Die Schwierigkeit besteht darin, die Zeit, die Sie für diese Progression benötigen, so kurz wie möglich zu halten, ohne die Anpassung zu beeinträchtigen. Dies ist das Dilemma der kurzfristigen Regeneration und wird eingehend in den Kapiteln 10 und 11 behandelt.
Langfristige Regeneration von angesammelter Erschöpfung ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt für das Erreichen der Höchstleistung. Dies wird besonders deutlich durch das Tapering für die wichtigsten Rennen. Wie man passend zum Saisonhöhepunkt ein Höchstmaß an Fitness erreicht, ist für viele Fahrer ein Buch mit sieben Siegeln. Das Tapering ist ein komplexes Unterfangen, bei dem Erschöpfung abgebaut wird, während Fitness erhalten bleibt. Das Resultat daraus nennt sich »Form«. Dies ist ein weiterer Balanceakt im Zusammenhang mit der Regeneration. Bereits in Kapitel 3 wird das dreiteilige Konzept vorgestellt, eine vollständige Erläuterung folgt dann in Kapitel 13, nachdem Sie sich in den Kapiteln dazwischen hoffentlich umfassende Kenntnisse der verschiedenen Trainingsmethoden angeeignet haben, bevor wir uns ausführlich mit diesem facettenreichen Thema beschäftigen.
Die Ausführungen zum Krafttraining, die Sie in Kapitel 12 finden, sind ebenfalls in starkem Maße überarbeitet worden, um Ihnen mehr Optionen anzubieten, die für hohe Wattzahlen erforderliche Muskelkraft aufzubauen. Falls Sie nur eingeschränkt Zeit haben, wie es vielen Radsportlern ergeht, werden Sie in diesem Kapitel lernen, dass Krafttraining nicht zwingend im Fitnessstudio absolviert werden muss. Sie können es auch auf dem Rad unternehmen, ohne Gewichte stemmen zu müssen. Sollten Sie sich jedoch für ein traditionelles Kraftraumtraining mit Gewichten entscheiden, sind die Übungen dahingehend überarbeitet worden, den für die investierte Zeit maximalen Nutzen zu erzielen. Zusätzlich werden alternative Übungen vorgestellt für den Fall, dass Ihre Zeit und Energie es erlauben, mehr zu machen.
Die Trainingsanalyse spielte in der ersten Ausgabe dieses Buches nur eine geringe Rolle. Inzwischen stehen uns jedoch deutlich präzisere Methoden zur Messung der Trainings- und Wettkampfleistungen zur Verfügung. In Kapitel 14 erläutere ich, wie Sie effektiv Ihren Fortschritt im Hinblick auf Ihre leistungsbezogenen Ziele ermessen, mit denen wir uns zunächst in den Kapiteln 1 und 5 eingehend beschäftigt haben. Die systematische Trainingsanalyse ist wichtig, um kontinuierliche Verbesserung zu gewährleisten. Wir schauen uns neue Möglichkeiten an, Rückschlüsse aus den im Training gewonnenen Informationen zu ziehen, wobei besonderes Augenmerk darauf liegt, nur diejenigen Daten zu untersuchen, die für Ihre Ziele relevant sind. Dies spart Ihnen Zeit, während es gleichzeitig Ihrer Wettbewerbsfähigkeit zugutekommt.
Falls Sie die »alte« Trainingsbibel gelesen und aufmerksam studiert haben, werden Sie ein paar Widersprüche zu dieser Ausgabe entdecken. Manches, was ich hier darlege, stimmt nicht mit dem überein, was ich früher einmal geschrieben habe. Das bringt uns zurück zu unserem Ausgangspunkt: Die Dinge ändern sich. Der Radsport hat sich verändert. Die Sportwissenschaft hat sich verändert. Ich habe mich verändert. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Und das ist auch gut so. Meine Hoffnung ist, dass auch Sie sich als Athlet weiterentwickeln, nachdem Sie dieses Buch gelesen haben.
Als Radsportler für individuelle Höchstleistungen zu trainieren, ist alles andere als leicht. Ich schätze, genau das ist ein Grund dafür, warum wir es überhaupt machen. Sich persönlich zu steigern und weiterzuentwickeln, ist in jedem anspruchsvollen Interessengebiet eine in vielerlei Hinsicht bereichernde Erfahrung. Erfolg ist viel mehr, als nur auf einem Podium zu stehen. Die gewaltige Herausforderung, die der Radrennsport darstellt, wird Ihnen Gewohnheiten und eine Einstellung zum Leben bescheren, die sich zwar nicht von jetzt auf gleich einfach so ergeben, aber Sie schließlich auf mannigfache Weise weiterbringen werden. Indem Sie sich der Herausforderung stellen, werden Sie nicht nur zu einem besseren Radfahrer, sondern auch zu einem besseren Menschen. Es ist kein leichtes Unterfangen, denn es erfordert Zeit, Energie, Zielstrebigkeit, Hingabe und Disziplin. Die Erträge stellen sich erst später ein und sind weitgehend nur für einen selbst ersichtlich. Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch dabei hilft, dies alles zu verwirklichen.