Читать книгу Vorletzte Worte - Joesi Prokopetz - Страница 10

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Ich weiß nicht mehr, wann genau es mir aufgefallen ist, vor knapp zehn Jahren vielleicht, dass ich nur von älteren Menschen – wie man euphemistisch sagt – umgeben bin. Wenn man älter ist, ist man alt schon gewesen.

Ich sehe alte Menschen. Sie sind überall.

Vielleicht ist das deswegen so, weil ich – unbewusst – nur Orte aufsuche, die von jungen Menschen gemieden werden, und ich den Örtlichkeiten fernbleibe, wo junge Menschen sein könnten.

Denn ich kann junge Menschen kaum ausstehen. Die pubertierenden Laffen schon sowieso nicht, und auch ihre häufig bereits in jungen Jahren bedenklich verfetteten Begleiterinnen nicht, die alle so einen Blick haben, als wäre ihnen das ganze Universum fad, weil sie es schon in- und auswendig kennen. Wenn sie in so hergestellten Posen einer völlig künstlichen Gelassenheit herumlehnen, im Uniformierungschic: goldene Glitterschuhen, eng anliegende Jeans mit Gesäßapplikationen und opulent überschminkt. Wenn die Burschen herumstehen mit ihren Fahrrädern oder mit wie Hornissen ratternden Kleinmotorrädern in ebenfalls uniformer Markenware, den Hosenbund bei den Kniekehlen, und Blödsinn reden, voll Unsicherheit, weil sie sich selbst peinlich sind, auf patzige Art Virilität vortäuschen und maskulin vor sich hin glotzen, dann könnte ich mich auf der Stelle geräuschvoll übergeben.

Die Menschen reiferen Alters, die sich vordergründig devot, ja beinahe katzbuckelnd der »Jugend« anbiedern, alles verstehen, alles entschuldigen und in lächerlicher Unterwerfung gewissermaßen sogar den Jargon der Halbwüchsigen annehmen, sind ganz besonders entsetzlich. Weil sie von den Jugendlichen verachtet werden, ihnen peinlich sind, diese die Augen verdrehen, wenn ein Endvierziger »cool« sagt, um sich einzuschleimen. Die wissen das auch, aber dennoch – um Lebendigkeit zu empfinden, sich wichtig zu machen und um die Angst und den Selbstekel vor dem Älterwerden zu kompensieren – drängen sie sich weiterhin aufs Dümmste auf.

»Mit jungen Leuten reden, führt zu nichts, wer das Gegenteil behauptet, ist ein Heuchler, denn die jungen Leute sagen den Älteren und Alten nichts, das ist die Wahrheit; es ist absolut uninteressant, was junge Leute alten Leuten sagen.« (Thomas Bernhard, »Holzfällen«)

Genauso schlanke oder gar dünne alte Menschen, die ihre von Verzicht und Entbehrungen aller Art gezeichneten Schrumpfköpfe mit groteskem Stolz über ihren Schildkrötenhälsen tragen. Der ältere Mensch hat sich für die Korpulenz zu entscheiden, um nicht lächerlich zu sein oder sterbenskrank zu wirken.

Aber auch die kantigen, akkurat frisierten 30- bis 40-Jährigen mit den zu engen Sakkos, die alle Event- oder Projektmanager sind oder gewöhnliche Bankangestellte, sich aber Banker nennen, oder zumindest »was mit Computer und / oder Internet machen«, und deren Begleiterinnen im »Business-Outfit«, die dezent, aber vorteilhaft geschminkt, mit festem Schritt in ihren High Heels sich selbstbewusst pampig machen, jedes zweite Wort als imbezilen Anglizismus im Mund führen, aber Andreas Gabalier sexy finden, sagen, er hätte »einen süßen Po« (dabei hat er einen Orsch wie ein Brauereipferd in seinen Faschisten-Lederhosen), und schon mal ein Dirndl tragen, »zum Spaß und wenn’s passt«, auch die sind unerträglich und widerwärtig.

Und erst die 20- bis 30-Jährigen mit schütterem Bartwuchs, ausgezerrten Leibchen mit irgendeinem Aufdruck, zerschlissenen Samthosen und abgehatschten Schuhen, die alle politisch überkorrekt sind und in ihrem Toleranztaumel alles verstehen und alle und alles entschulden, und wenn sie rauchen, dann Selbstgedrehte, mit ihren Begleiterinnen, die ungeschminkt, stets zumindest leicht entrüstet über irgendetwas, in flachen, oft derben Schuhen, mit einem Rucksack, immer ein bisschen verschwitzt, daherkommen, die sind mir auch unerträglich und widerwärtig.

Und alle reden sie so ein affiges, nasales Hochdeutsch, das, doch durchmischt da mit einem Dialekt-, dort mit einem Kraftausdruck, dennoch so naseweis wie arrogant daherkommt, dass man ihnen eine hineinhauen möchte, weil es so unerträglich und widerwärtig ist.

Es ist mir heute, mit über 60, kaum möglich, mich mit Menschen unter 50 ersprießlich zu unterhalten, weil ich die durchschaubaren Attitüden jüngerer Leute kaum ertrage.

Klar, das liegt an meinem Alter.

Das Verhältnis zu jungen Menschen ist und bleibt, trotz dieser Erkenntnis, dennoch ein ambivalentes.

Zum Beispiel in Bus oder U-Bahn: Ein junger Mensch sitzt und man sagt: »Willst du nicht aufstehen?« Und bekommt zur Antwort: »Lieber nicht, nachher setzen Sie sich vielleicht auf meinen Platz.« Oder der junge Mensch sitzt und man selbst steht so nah bei dem Sitzenden, dass man Augenkontakt hat.

Bleibt er / sie sitzen, denkt man: »Rücksichtslos. Frechheit. Unerzogen. Arschloch.« Steht er / sie aber auf und bietet höflich den Sitzplatz an, denkt man: »Was glaubst denn du? Hältst du mich für senil, Rotzpippn, blöde?« Und sagt vielleicht sogar noch, besonders, wenn der junge Mensch weiblich ist: »Um Gottes willen, Fräulein, ich steh gern, ich bin eh erst drei Monate gesessen.« Und wenn das junge Ding dann maliziös lächelt und einen ob dieses alten Kalauers angeödet anschaut, schickt man schnell ein sachliches »Ich steig die nächste eh schon aus« nach.

Und steigt tatsächlich aus, obwohl man noch vier, fünf Stationen zu fahren gehabt hätte. Steht dann blöd herum und denkt, während man auf die nächste U-Bahn wartet: »Gurk’n blöde, keinen Humor.«

Ich war ja auch nicht besser. Ich mochte die Alten nicht, ich verstand gar nicht, wozu man sie überhaupt braucht, und die Alten mochten mich auch nicht. Alles, was ich damals mit Tausenden Jugendlichen zusammen tat, um anders zu sein, neue Ausdrucksmittel zu finden, individuell zu sein, unverwechselbar und obstinat, war rückblickend nichts Neues. Alle großen Bewegungen und jeder Konsens einer neuen Generation sind letztendlich doch nichts anderes als das, was sie schon immer gewesen sind: unterschiedliche Masken des gleichen Konformismus.

Vorletzte Worte

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