Читать книгу Vorletzte Worte - Joesi Prokopetz - Страница 12

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Es gibt Regionen in Österreich, wo die einheimische Bevölkerung jeden Gast aus Marketinggründen duzen muss.

»Griaß di, magscht was trinckchen?«

»Von wo bischt?«

»Gehscht Schiforrrn?«, wird man zum Beispiel in Tirol, kaum betritt man die »Zirbenstub’n«, gefragt. Hier muss das Du-Wort die Bärigkeit des alpinen Lebens unterstreichen und dem Nichtansässigen suggerieren, dass die aufgemascherlten Bauernhaus-Surrogate, die gulaschsuppigen Almhütten und die geschulte, hinterfotzige Bodenständigkeit des Hotelpersonals das typische Tirol sind, das es schon immer gewesen ist. Schon Maria Theresia sprach von »den goaschtig’n Tirolern«. Sie simulieren den stets fidelen, rauen, polternden, aber herzensguten Bergkameraden, der treu wie Gold ist. Die Tiroler sind vom Fremdenverkehrsmarketing bereits derartig indoktriniert, dass sie beinahe glauben, selbst so zu sein, wie man ihnen oktroyiert hat, sein zu müssen.

Sie leben den Mythos Tirol.

Der Tiroler ist voll kommunikativ, vor allem, wenn man ihn nicht anspricht.

Das ist in Kärnten genauso, nur dass Kärnten kein Mythos ist, aber so tut, als wäre es einer. Der Kärntner, vor allem in seiner Ausprägung als Inhaber eines Fremdenverkehrsbetriebes, duzt dich auf eine Weise, die bei aller Lebensbejahung im Ausdruck keine Nähe aufkommen lässt. Das »Du« des Kärntners signalisiert Geringschätzung, Ablehnung und Distanz. Das »Du« zwischen zwei echten – lei-los’n – Kärntnern ist ein ganz anderes als das aus dem Wörthersee gefischte Tourismus-»Du«.

Wenn ein Kärntner einen wie dich – einen Nicht-Kärntner – duzt, dann will er, dass du ein Tretboot von ihm mietest. So ganz verübeln kann man es den Kärntnern jedoch nicht, kommen doch seit vielen Jahren, seit Kärnten chic geworden ist, die Kosmoproleten vor allem an den Wörthersee. Irgendwelche Fatzken, die zu Hause subalterne Unterhilfswürmer sind und spätestens auf der Höhe von Krumpendorf zum »Executive Manager« mutieren, sich die Ray·Ban aufsetzen, um sich dann in den angesagten Lokalen wie die dummen Arschlöcher zu benehmen, die sie sind. Gipfelpunkt ist das alljährliche GTI-Treffen.

Dass sich da ein ambivalentes Verhältnis zum Urlaubsgast entwickelt, ist logisch. Und dass diese Ambivalenz im touristischen »Du« mitschwingt, ist auch klar.

Diese rein merkantile Beziehung des Kärntners zum Nicht-Kärntner bekommt der Kärntner mit der Muttermilch verabreicht.

Viele Jahre ist es her, dass ich die Sommerfrische in Kärnten verbrachte. Ich schlenderte am Seeufer entlang, es war überraschend beschaulich, da duzte mich ein Kärntner und ich mietete ein Ruderboot von ihm. Ich ruderte mit kräftigen, zügigen Schlägen in den See hinaus, wo ich stehen blieb, die Ruder in den Nachen legte, mich der inneren Betrachtung hingab, die Wolken beobachtete, im sanft schlingernden Boot saß und tagträumend Ort und Zeit vergaß.

Ein unsanfter Stoß gegen mein Boot ohrfeigte mich jäh in die Wirklichkeit zurück. Ein anderes Boot, in dem zwei Knaben tollten, hatte mich gerammt. Ich blickte verstört auf, und bevor ich ein Wort sagen konnte, bellte der eine Knabe mit heiserer Fistelstimme zu mir herüber: »Schlei.h di, du Brunzka.hel!«

All das – so scheint es mir heute – liegt im »Du« eines Kärntners, wenn er es zu einem Nicht-Kärntner sagt.

Und trotzdem: Kärnten ist für mich »Udo Jürgens-Land«.

Das mag für viele eine Verniedlichung sein, ich weiß, aber ich werde das prägende Erlebnis nie vergessen.

Ich war 16 Jahre alt und musste im Sommer am Wörthersee Urlaub mit meinen Eltern machen. War das alleine schon eine Zumutung, so kam hinzu, dass meine Eltern mich mit einer – im Rückblick – rührenden, damals für mich aber wirtschaftswunderlichen Nachkriegsspießigkeit als »Erwachsenen« behandelten und mir ständig sagten, mein kindisches Mürrischsein wäre nicht mehr angebracht, könne nicht mehr toleriert werden, sondern wäre, weil man ja kein kleines Kind mehr sei, einfach nur unsympathisch. Wir saßen in einem gepflegten Gastgarten direkt am Wasser, die Mittagssonne lachte mit der ganzen Kraft des carinthischen Sommers auf den Wörthersee.

Die meisten Tische waren von Familien mit Kindern besetzt, es wurde gescherzt, gelacht, man rief sich von Tisch zu Tisch die süßen Sorgen mit den lieben Kleinen zu, schloss Freundschaften, trank schon mal Bruderschaft, die Frauen sprachen über den »Buben« oder das »Mädel«, die Männer – jeder von ihnen mindestens Abteilungsleiter – unterhielten sich über »den Betrieb«, und es lag diese unerträgliche Seichtigkeit des Seins in der Luft des Sommers 1968.

1968, das Jahr des Aufbruches, der Revolte, der langen Haare, der sexuellen Befreiung. Das Jahr, in dem das Petting neu erfunden wurde. Ich breitete vor meinem Vater gerade meine Karriereplanung als Musiker aus. Schluss mit Schule. Gitarre lernen, einen Song schreiben, mit dem Kopf wackeln und berühmt werden.

Meine Eltern, vor allem mein Vater, erklärten mir, dass meine Pläne völlig blödsinnig wären, ich gefälligst die Schule fertigzumachen hätte, Musiker zu sein nichtswürdig und ich doch jetzt schon beinahe erwachsen wäre und einen anständigen Beruf lernen und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden hätte – und ich möge mich doch hier in diesem Garten, direkt am Wasser, umsehen. Das sei das Leben, die Wirklichkeit.

Und wo ich doch gar nicht singen könne, meinte meine Mutter.

Und dann kam Udo Jürgens.

Wie Lohengrin auf seinem Schwan legte er in einem Motorboot am Steg an, sprang leichtfüßig an Land und hatte ein Mädchen am Arm, das dem »Bravo« entsprungen zu sein schien. Sofort erstarb im Gastgarten, voll mit den nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft, jedes Gespräch, denn ein nichtswürdiger Musiker war erschienen. Man hörte auf zu kauen, vergaß zu atmen und starrte Udo Jürgens an. Auch meine Eltern starrten, und meine Mutter sagte vor sich hin, so, als hätte sie eine Marienerscheinung: »Jössas! Der Jürgens.«

Als Udo Jürgens und seine Freundin verschwunden waren, wachten alle aus der Erstarrung auf und gingen zur Tagesordnung über, die aus Genossenschaftswohnungen, Weihnachtsremunerationen, Urlaubsgeld und Pensionsvorsorge gemacht war.

Und dabei war das nur Udo Jürgens. 1968, wo wirklich was anderes angesagt war als »Immer wieder geht die Sonne auf«. Oder gar »Merci Chérie«. Ein Schlagersänger.

Wenn da schon alle Erwachsenen in die Hose machten, na was täten sie denn dann bei wirklichen Musikern? Bei den Bee Gees zum Beispiel oder den Small Faces.

Natürlich werde ich Musiker, jetzt erst recht.

Und wenn nicht Musiker, dann beginne ich halt zu schreiben und werde Dichter.

Und darum wird Kärnten für mich immer Udo-Jürgens-Land bleiben, weil ich damals, induziert durch das Erscheinen des Udo Jürgens, beschlossen habe, auch berühmt zu werden. Schon meinem Vater zufleiß.

Auch Salzburg ist ein wenig so, obwohl Salzburg auf seine Art ganz anders ist als alles in Österreich, ach was, in Europa … auf der Welt!

Die Salzburger machen zwar – vor allem in Salzburg-Land – Tirol insofern nach, als sie das vertrauensbildende »Du« ins PR-Konzept einbauen, jedoch ohne das raue Berggeistertum, das Luis-Trenkerhafte, zu übernehmen. Selbst wenn sie wollten, sie entkämen ihrem »Kulturauftrag« nicht. Die einen haben den Andreas Hofer, die anderen den Jedermann. Aber duzen tun sie dich alle. Und wenn sie dich siezen, dann um zu signalisieren, dass du ganz unwichtig bist. Nur die Kärntner schaffen das auch mit einem »Du«.

Wenn du zum Beispiel in irgendein ORF-Landesstudio kommst, um ein Interview zu geben und einen Auftritt zu promoten, so begrüßt dich die Dame am Empfang mit einem erkennenden Lächeln.

In Salzburg lächelt niemand und kennt dich keiner. Misstrauische Blicke tasten dich nach einem Geigenkasten, einem Fagott, einem Konzertflügel oder zumindest nach einem Taktstock ab und man verweigert dir zunächst den Zutritt.

»Wer sind Sie?«

Und du sehnst dich nach dem gönnerhaften »Griasch di« und dem kumpelhaften »Du« in Tirol.

Vorletzte Worte

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