Читать книгу Vorletzte Worte - Joesi Prokopetz - Страница 11

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Weil ja die Rede gewesen ist von jungen Business-Schnepfen, die schon auch gern mal ein Dirndl anziehen: Es gibt einen Trachtenboom! Ja, die »Prommmis«, die VIPs, die Jeunesse dorée, die In-Crowd, die Bussiness Class, die First Class sowieso und jetzt auch die Economy tragen gerne mal Tracht, hüllen sich in trächtigen Look, wie man sagt.

»Landlust« nennen das die Manager des Volkstümlichen, und freuen sich, dass auch junge Menschen, die vermehrt und freudig zu Konzerten von rot-weiß-gewürfelten Hemden tragenden Musikgruppen gehen, ab und an »Juhuii, auf geht’s« kreischen.

Das gesamte Genre wäre »ideologiefrei« geworden, sagen die Großverdiener in den Lodenhosen und freuen sich.

Konträr.

Das Tragen von Tracht ist noch immer – wenn da und dort vielleicht auch eine unbewusste – Einladung zu Blut und Boden, stringentem Katholizismus, tumbem Nationalismus, ja Nationalsozialismus. Tracht ist, auch wenn sie von auffälligen Modedesignern jetzt neu erfunden und in der PR mit dem tone of voice der Haute Couture angepriesen wird, eine Uniform, und alles Uniforme ist engstirnig, konservativ, herrenmenschlich und in hohem Maße suspekt. Die Tracht und alles, wozu man sie trägt, sei es »künstlerisch«, weidmännisch oder gar politisch, ist nonverbale textile Ideologie. Ist ein Signal heimatkundlichen Wegschauens, ein Wink zur Verharmlosung, zu Kleinbürgertum und Vernaderung. Sogenannte schöne, reiche oder zumindest wohlbestallte (Groß-)Bürger machen den Trachtentrend gerne mit, ja tragen ihn ins Volk hinaus, wobei zu sagen ist, dass sie es auch mitmachten, wenn Eisenrüstungen der letzte Schrei wären.

»Eine Eisenrüstung kann man ruhig einmal anziehen. Ich finde, das ist eine lustige Mode, und schließlich haben die österreichischen Ritter sie auch getragen. Warum soll man eine heimatliche Tradition nicht wieder aufgreifen?«

Im Dirndl und in zünftiger Lederhose kann man nur Oberflächlichkeiten austauschen und sich gegenseitige bereits vorvereinfachte Standpunkte bestätigen. Dazu wird volkstümliche Musik mit lebensbejahenden Texten gehört, weil es gut dazupasst, es wird Bier getrunken oder Wein vom Weingut mit hohem Bekanntheitsgrad, Brezen und fettes Schweinefleisch gegessen, und alle haben eine »Gaudi«. Oder gar eine »zinftige Hitt’ngaudi«. Unbewusst, aber freudig, wird mit den niedrigsten Gedanken Heimat hergestellt. Darum tragen – aus gegebenen Anlässen – auch Politiker immer wieder gerne Tracht, zum Zwecke der Mehrheitserschleichung.

Tracht. Der Stoff der Heimat.

Heimatliche Stoffe, von Loden, Leder, Wolle über Drillich bis zum Filz. Die Tracht ist vor allem bei Vorkommnissen volkstümlicher Natur identitätsstiftend. Da wirbelt der rot-weiß-rot gewürfelte Rock, da fliegt die grüne Schürze, luftig umspielt von rosaroten Bändern und Maschen, da wogt das spitzenumzingelte Dekolleté, da dirndelt es reihum beim Volkstanz, wenn Alabasterarme aus Puffärmeln herausragen und schon auch einmal trotzig in die Hüften gestemmt werden. Der Fuß im samtenen oder wildledrigen flachen Schuh mit der von Hand gehämmerten Silberschnalle gleitet bodenständig ballettös über die knorrigen Dielen des Tanzbodens, und dann und wann entschlüpft ein Jodler der mit einem aufwendig bestickten Kropfband betonten Kehle.

Da kracht die Lederne, deren Schnalle zuverlässig die wollbestrumpfte Burschenwade nach oben zum Knie hin stramm begrenzt.

Wadl verpflichtet, wie es heißt.

Der mit folkloristischen Applikationen durchwirkte Gürtel umschließt die testosteronschmalen Lenden, die vom körpernah geschnittenen Rohleinenblouson noch betont werden. Ein schmuckes, mit Edelweißsymbolik bedrucktes rotes oder grünes Halstüchl ziert keck den feisten Nacken des Landmannes, und die Hirschknöpfe röhren begehrlich. Der Fuß im grob genähten Schuh mit der griffigen Vibram-Sohle steht fest und zuverlässig da, während muskulöse, strapazfähige Männerunterarme die Landsmännin während des Tanzes festhalten.

Insgesamt signalisiert das Trachtenpaar Sesshaftigkeit, Erdverbundenheit und, bei aller latenten Paarungsbereitschaft, unerschütterliches Gottvertrauen. Auch die Damen und Herren aus Wirtschaft und Aristokratie hüllten sich schon immer – und jetzt deutlich vermehrt – in elegant modisch betonte Tracht und tummeln sich in Salonsteirer und Raiffeisensmoking auf Festspielen, Gourmetempfängen, Weinverkostungen und immer wieder auf Wohltätigkeitsgalas.

Mit Tracht ist man immer richtig angezogen, heißt es.

Wozu zu sagen ist: Die Arbeitskleidung linker Vordenker ist die Tracht nie gewesen.

Die Ablehnung von Tracht, Volks- und Blasmusik und rücksichtslosem Jodeln kommt wahrscheinlich aus der Zeit meines Lebens, in der ich in der Klosterschule, bei den Piaristen, war, die der heilige Josef von Calasanz gegründet hat.

Die Zöglinge, wie gesagt wurde, fuhren jedes Jahr im Sommer ins Ötztal in den Weiler »Schlatt«, ein Barackenlager, das früher auf irgendeine Art von den Nazis genutzt worden war. Und Rudimente dieses Geistes waren, wenn auch erzkatholisch verbrämt, noch spürbar. Der Tag begann mit Morgensport, dann »Fahneaufzug«, begleitet von dem täglich gleichen pathetischen Gedicht, in dem das Bild »der Sonne funkelnder Ball« vorgekommen ist, wobei in Zweierreihen und Gleichschritt zum Fahnenmast ins Zentrum der Anlage marschiert wurde und vom Heimleiter und Organisator ein vor Frömmigkeit triefendes, ausgedehntes Morgengebet gesprochen wurde. Kommandos wie »Links um, rechts um« und »Hände an die Hosennaht« waren gang und gäbe.

Am Abend, nach einem frugalen Nachtmahl, fand der »Fahneabzug« statt, wo wieder vorgebetet und dann gemeinsam das Lied »Kein schöner Land in uns’rer Zeit …« gesungen wurde.

Jeden Sonntag gingen wir nach Ötzerau (im Ötztal in Tirol) hinunter in die Sonntagsmesse, das Andreas-Hofer-Lied singend und »Wir ziehen über Straßen mit ruhig festem Schritt und über uns die Fahne, sie flattert lustig mit …« und: »Lasst die Banner wehen über uns’ren Reihen, alle Welt soll sehen, dass wir neu uns weihen. Kämpfer zu sein für Gott und sein Reich, mutig und freudig den Heiligen gleich …«

Selbstverständlich alle Buben in Lederhosen, weißen Hemden, weißen Stutzen und »Haferlschuhen«, angeführt von Oberlehrer Stejskal mit Ziehharmonika, ebenfalls in Lederhosen, weißem Hemd, darüber einen grünen Spenzer, die stark behaarten Waden in dunkelgrünen Stutzen und auch mit »Haferlschuhen« an den Füßen. Also Tracht!

In der kleinen Dorfkirche roch es nach Kuhdung, gegen den der Weihrauch im großzügig geschwungenen Kessel nicht ankam. Die Bauern und Bäuerinnen, die – alle in abgewetzter Tracht – ihre rauen und naturgemäß unmanikürten klobigen Arbeitshände gichtig gefaltet hatten, blickten stumpfsinnig entrückt und völlig weltfremd vor sich hin, beteten und sangen verhalten, stellten angestrengt Andacht her, die jedoch eher an Ausgeliefertsein erinnerte, indem sie in duckmäuserisch arglistiger Frömmigkeit versteinerten.

Oberlehrer Stejskal – ein begnadeter Organist, wie es hieß – ließ stets ein mildes christliches Lächeln um seinen Mund spielen, wobei er seinen Kopf seitlich neigte und bei jedem Lidschlag die Augen befremdend lange geschlossen hielt, was ihm letztlich etwas Satanisches verlieh.

An manchen Abenden saßen wir Buben am Lagerfeuer und Herr Stejskal erzählte uns etwas über das Herz Jesu und über unsere »Liebe Frau«.

Ich erinnere mich, dass Herr Stejskal uns Buben oft und gerne übers Haar strich und auch sonst Distanzgefühl manchmal vermissen ließ.

Die Strafe für kleinere Vergehen – lässliche Sünden – wie man sagte, waren Liegestütze über einer bereits angetrockneten Kuhflade. War die Sünde nicht mehr lässlich, sondern eine Todsünde gewissermaßen, wurden Liegestütze über frisch geschissenen Fladen angeordnet.

Man sehnt sich nach Siegfried, dem Trachtentöter.

Vorletzte Worte

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