Читать книгу Vorletzte Worte - Joesi Prokopetz - Страница 9

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Ich muss sagen, es hat etwas Beklemmendes, etwas zu schreiben, das »Vorletzte Worte« heißt, nämlich deshalb, weil sich stetig der Gedanke in diesen gewissermaßen inneren Monolog drängt, wann man denn mit so einem Text aufhört. Wann kommen wirklich die vorletzten Worte, um die letzten einzubegleiten? Hört man auf, wenn sich dramaturgisch ein passender Schluss ergibt, oder hört es sich von selbst auf, weil einfach Schluss ist? Der Tod ist oft ein Ende mitten im Satz. Das macht nervös.

Mich hat das Schreiben immer schon nervös gemacht. Die letzten Jahre allerdings behelfe ich mir mit Beruhigungstabletten, um bei der Arbeit gelassener zu sein und nicht bei jedem Satz bis zu seinem Ende die Luft anzuhalten und dadurch völlig verquer zu atmen. Das geht mittlerweile so weit, dass meine Frau jedes Mal, wenn ich neurotisch die Luft anhalte, mich mit unangenehm erhobener Stimme und in forschem Tone ermahnt: »Atmen!«

Worauf ich zusammenzucke und vor Schreck kurz eine hysterische Schnappatmung einsetzt.

Ich atme ja auch schon, wenn ich nicht schreibe, verquer, was mir gar nicht auffällt, doch meiner Frau »Sorgen macht«, wie sie sagt. Ich denke aber, es geht ihr in erster Linie auf die Nerven. Mit zunehmendem Alter bemerke ich selbst, dass ich langsam immer mehr Eigenschaften entwickle, die angetan sind, meinen Mitmenschen auf die Nerven zu gehen. So wie mir ja alles Mögliche an anderen Menschen auf die Nerven geht und immer schon auf die Nerven gegangen ist. Zum Beispiel, wenn jemand nicht in der Lage ist, im Gespräch ganze Sätze zu bilden, ständig »ääh« oder alle Augenblicke »nicht wahr?« sagt und nach jedem zweiten Wort ein »sozusagen« einfügt.

Rhetorisches Standgas, wie man sagt.

Wenn man einem Österreicher zum Beispiel ein paar mehrsilbige Wörter entlocken kann, einer einen geraden Satz herausbringt und womöglich noch den Konjunktiv richtig gebraucht, warat er schon suspekt. Kaum ist in Österreich einer gescheit, heißt es: »Das ist ein Trottel.«

Der Österreicher hat von nichts eine Ahnung, kann aber alles erklären. Zu nichts zu gebrauchen, aber zu allem fähig.

Und es gibt noch viele andere Dinge, die mir selbst bei nächststehenden Menschen maßlos auf die Nerven gehen.

Zum Beispiel ein – Gottlob weitschichtiger – Verwandter, der sich einen Apfel in vier Spalten schneidet und jede einzelne dann geräuschvoll knatschend kaut, wie ein Pferd, das eine Karotte frisst oder so etwas. Da möchte ich ihm jedes Mal mit einem armdicken Birkenast auf den Rücken schlagen.

Das Eitle, das ich zeit meines Lebens in und an mir hatte, ist im Laufe der Jahre doch etwas in den Hintergrund getreten, aber nach wie vor spürbar für mich und nach wie vor merkbar für meine Nebenmenschen vorhanden. Dennoch spüre ich mit Genugtuung, dass sich meine Eitelkeit durchaus wohltuend in Richtung Selbstironie entwickelt. Diese wachsende Tendenz zur Selbstironie geht Hand in Hand mit zunehmendem Lebensekel und vor allem mit Misanthropie.

Die Anzahl der Menschen, denen ich ohne Befangenheit mit positiven Gefühlen, Wertschätzung und, wenn man so will, mit Liebe entgegentreten kann, verringert sich rapide. Besonders Menschenansammlungen, wo immer sie auftreten, fliehe ich geflissentlich, denn ich habe immer die Vision von Milliarden Kakerlaken, die in unnachvollziehbarer Geschäftigkeit hin und her rennen, hintereinander, nebeneinander, übereinander. Und es widert mich an. Vor allem widert es mich an, wenn sich der Eindruck einstellt, dass auch ich nur eine Kakerlake unter Kakerlaken bin.

Darum renne ich weg – oder besser: gehe gar nicht hin, wo es Sonderangebote gibt oder irgendwelche Stars oder Sensationen zu begaffen sind.

Die Entanimalisierung unserer Spezies war ein langer, schwieriger Weg und ist noch nicht abgeschlossen.

Ein Psychiater hat mir einmal gesagt, dass hysterisches Fan-Sein, egal wovon, ein Anzeichen von latentem Schwachsinn sein kann. Übertriebene Religiosität auch. Und übereifrige Tier-, ja sogar Kinderliebe.

Das kennt man doch, dieses Dalken mit Kleinstkindern und oft völlig entrücktes Vortäuschen, dass man den Verbleib des betreffenden Kindes nicht weiß, indem man es in blödsinnigem Tone fragt:

»Ja, wo bist denn du?«

»Ja, wo bist denn du?«

»Ja, wo bist denn du?«

Und dann im Tonfall, als machte man die Entdeckung des Jahrtausends: »Ja, da bist du ja!«

Oder auch das debile Behaupten, man wisse über die Identität des betreffenden Kindes nicht Bescheid:

»Ja, wer bist denn du?«

»Ja, wer bist denn du?«

»Ja, wer bist denn du?«

Hier bleibt die Auflösung meist aus, und das arme Kind ist sich deswegen selbst ein Leben lang fremd.

Untermauert und vor allem verstärkt wird dieses Sichselbst-Fremdsein, wenn das Kind die ersten Schritte macht und dann häufig mit der Frage eines völlig losgelösten Erwachsenen – man muss sagen: meist einer Frauensperson – konfrontiert wird:

»Ja, wer kommt denn da?«

»Ja, wer kommt denn da?«

»Ja, wer kommt denn da?«

Oder auch: »Ja, wer kommerlt denn da?«

Oder in schweren Fällen, die im Grunde stationär behandelt gehörten: »Ja, wer dommerlt denn da?«

Oder auch nur, wobei zwischen Kleinstkindern und etwa Hunden dann kein Unterschied mehr gemacht wird, ein schlichtes: »No, freilich.«

Die Schlauheit des Fuchses besteht zu 50 Prozent aus der Dummheit der Gänse.

Ich bemerke jetzt, wie die sechs Milligramm Bromazepam, der Wirkstoff in meinen Beruhigungstabletten, ihre segensreiche Wirkung zu entfalten beginnen und werde gelassener, atme entspannter, und das Gefühl, in Watte gepackt zu sein, beginnt. Früher habe ich meist ausreichend Haschisch geraucht, aber ich muss heute sagen, dass die Segnungen der offiziellen Psychopharmazie eine weit umfassendere Wirkung haben.

Aber damals war ich ja aus den sattsam bekannten Gründen (»Alles Schweine!« »Was kränkt, macht krank!« »Schergen des Kapitals!«) auf Ärzte und Apotheker böse.

Heute?

Heute ist eine Ordination mein Tempel, und mein Hausarzt ist der Papst.

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