Читать книгу Das Grüne Band – 1400 km in 4 Jahrezeiten. Zu Fuß von der Ostsee bis nach Tschechien. Joey Kelly auf Extrem-Wanderung entlang der innerdeutschen Grenze. - Joey Kelly - Страница 16
1.PRIWALL BLECKEDE Der Timmendorfer Strand ist in Wirklichkeit viel breiter und länger, als ich ihn mir vorgestellt habe.
ОглавлениеLinks steht ein Hochhausklotz, wo sich betuchte Touristen zum Frühstück erstmal einen Champagner reinschütten, auf der anderen Seite geht direkt der FKK-Strand los. Und ich stehe genau dazwischen. Es ist der nördlichste Punkt der innerdeutschen Grenze. Man sieht es nicht mehr, kann es nicht wahrnehmen, weil kein Gedenkstein oder irgendetwas daran erinnert. Das Einzige, was man an diesem historischen Ort findet, ist eine schmucklose Plastiktafel am Priwall-Strand mit ein paar Informationen zu der deutschen Teilung, die kurz vor den Dünen reingerammt ist. Ich schieße an der Wasserkante noch ein paar Fotos mit meinem Sohn Luke, der mich bei meiner Challenge mit einem Bulli als Crew-Wagen begleiten wird und dann mache ich mich auf die Socken.
Das Wetter zeigt sich in diesem August von seiner erbarmungsvollen Seite, um die zwanzig Grad, schön bewölkt und immer eine leichte Brise. Nichts für sonnenanbetende Großfamilien im Sommerferienmodus, aber für mich geradezu perfekt: Ich starte meine Challenge nach vier Monaten harter Vorbereitung in einem für mich perfekten Ambiente.
Der eigentliche Start war wieder eine hektische Aktion, wie bei jedem Wettkampf, den ich angegangen bin. Wie immer reiste ich erst in der Nacht vor dem Start an, denn ich hatte an diesem Tag noch zwei Vorträge in Süddeutschland und war dementsprechend von der Fahrerei ziemlich platt. Dazu war ich mächtig nervös, wie schon die letzten Wochen vorher. Es gehen einem hunderte Gedanken durch den Kopf. Man fragt sich, kriegst du es hin, kriegst du es nicht hin, macht dein Körper das noch mit? Das sind fast anderthalbtausend Kilometer, und das zu Fuß?
Es ist für mich immer eine Mixtur von Spannung und Ungewissheit, eine Unruhe und Herausforderung zugleich, ob alles funktioniert. Ist mein Schuh zu klein oder zu groß, habe ich die richtige Auswahl an Klamotten dabei, ist meine Verpflegung unterwegs optimal? Und gibt es durchgängig Handynetz zum Telefonieren oder nicht? Glücklicherweise mache ich die Strecke auf dem Grünen Band mit einem GPS-Empfänger, da komme ich zumindest auf jedem Weg immer raus. Egal, wo ich bin.
Schon nach zwei Stunden bin ich total kaputt und müde. Durch den zu kurz gekommenen Schlaf und die ganze Hektik fällt es mir schwer runterzukommen, eine gewisse Entspannung reinzubringen. Deshalb muss ich mich schon am ersten Tag quälen, immer im Hinterkopf, dass ich jeden Tag mindestens die klassische Marathondistanz von zweiundvierzig Kilometern absolvieren will. Das ist mein persönlicher Anspruch, um dem historischen Projekt am Grünen Band auch einen sportlichen Aspekt zu geben. Aber wie bei jedem Lauf-Event gilt auch hier: Man muss einfach anfangen und nicht lange überlegen. Meine Idee war, dass ich einfach laufe, ohne nachzudenken, mir mindestens drei Tage auf dem Weg Zeit lasse, um dann zu analysieren, ob ich in einen Rhythmus reinkomme, ob ich im Flow bin oder nicht.
Aber mein Rucksack ist zu schwer, ich habe die falschen Laufschuhe an und das gibt am ersten Abend richtig böse Konsequenzen: Eine tiefe Blase vorn am großen Zeh, die ist leider erst nach ein paar Tagen stumpf. Das ist die pure Leichtsinnigkeit und Arroganz, begründet durch meine Wettkampferfahrung, weil man denkt, man hat schon so viel gemacht, hat alles im Griff und dann machst du trotzdem den einen Kardinalfehler gleich am Anfang. Und das, obwohl du weißt, das wird die ganze Zeit danach brutal weh tun. Das spürst du bei jedem Schritt, das ist einfach so ein fieser Schmerz, den man nicht braucht, als ob dir jemand mit einer Nadel reinpiekst, immer und immer wieder. Dieses Ziehen ist halt quasi im Kleinhirn stets präsent, da kann man nur versuchen, sich irgendwie abzulenken. Ein probates Mittel ist, den Schmerz einfach zu akzeptieren als einen Teil des Laufes, ihn mit voller Inbrunst annehmen und sich sagen, das reicht mir nicht, ich brauche noch mehr Schmerz. Dann relativiert sich das ganz schnell, weil es eigentlich noch schlimmer sein könnte. Denn man hat sowieso keine andere Wahl.