Читать книгу Das Grüne Band – 1400 km in 4 Jahrezeiten. Zu Fuß von der Ostsee bis nach Tschechien. Joey Kelly auf Extrem-Wanderung entlang der innerdeutschen Grenze. - Joey Kelly - Страница 18
ОглавлениеSo wie ich den ersten Tag beende, zieht sich das dann durch den ganzen Lauf. Immer das gleiche Prozedere: Erstmal schnell die Schuhe ausziehen und den geschwollenen und herzhaft duftenden Füßen frische Luft anbieten, dann den Hintern säubern, den ganzen Schweiß vom Körper runterwaschen. Eine warme Minuten-Terrine bringt wieder Kohlenhydrate in den Kreislauf, dann packe ich bereits für den nächsten Tag. Kurz vor Sonnenuntergang liege ich im Schlafsack und bin gedanklich schon wieder auf der Strecke, wäge tausend Kleinigkeiten ab, die Kilometer und das Landschaftsprofil, mache mir einen Kopf über die Höhenmeter, die man kaum merkt, welche aber trotzdem unheimlich schlauchen. Was kann ich noch optimieren, was muss ich wirklich im Rucksack mitschleppen, wie viele Körnerriegel muss ich mir morgen reinpressen, damit ich immer voller Energie bin?
Weil ich alles schon am Abend vorher gepackt habe, geht das Aufstehen fix. Ich trinke nur eine Tasse Instant-Kaffee und marschiere meist im Dunkeln schon los. Die ganze Aktion dauert keine fünf Minuten, so richtig wach werde ich dann erst nach einer halben Stunde auf der Strecke. Es ist ein großartiges Gefühl, der tägliche Sonnenaufgang mitten in der wilden Natur.
Ich bin ganz allein, kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Auf dem platten Land wohnt kaum noch eine Menschenseele. Vereinzelt stehen auf der Wegstrecke des Grünen Bandes ein paar Häuser, die Hälfte davon leer und zum Teil komplett verfallen. Alte Gutshäuser, Bauernhöfe und überdimensionale Lagerhallen für die Landwirtschaft. Am dritten Tag klingele ich in dem Dorf Neu Bleckede an einem alten Backsteinhaus, das zwischen Elbufer und dem Kolonnenweg steht, dieser kilometerlangen Betonpiste, wo die NVA-Soldaten mit ihren Kübelwagen nach Grenzverletzern Ausschau hielten. Ich wollte nur fragen, ob ich vielleicht meine Wasserflasche auffüllen dürfe, aber der betagte Mann bittet mich freundlich herein. Karlheinz lebt seitdem er denken kann auf diesem Hof. Er war nie draußen in der Welt, kennt nur den Ort, wo er einst geboren wurde.