Читать книгу Das Grüne Band – 1400 km in 4 Jahrezeiten. Zu Fuß von der Ostsee bis nach Tschechien. Joey Kelly auf Extrem-Wanderung entlang der innerdeutschen Grenze. - Joey Kelly - Страница 25

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3. HITZACKER RIEBAU

Ich habe ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, mit mir das Grüne Band zu machen.


Er hat mich schon letztes Jahr auf meiner „Bulli-Challenge“ von Berlin nach Peking begleitet, das hat bestens mit uns beiden funktioniert. Und deshalb war es für Luke keine Frage, wieder mit am Start zu sein. Wenn man über fünf Wochen rund um die Uhr in einem laut tuckernden T1 hockt, nur zu zweit auf engstem Raum, dann sieht man sich danach entweder nie wieder oder ist richtig dicke miteinander. Wir haben die Tour nach Asien echt genossen und das hat uns noch mehr zusammengeschweißt. Denn wir beide sind top eingespielt, jeder weiß genau, wie der andere gerade drauf ist und was er in diesem Moment gerade braucht oder auch nicht. Es ist ein tolles Gefühl für mich, wenn man eine Leidenschaft teilt. Und dazu noch gemeinsam mit seinem eigenen Sohn.

Dieses Mal haben wir den etwas neueren Bulli dabei, einen T2, Baujahr 1974. Der hat eine 68-PS-Maschine mit Doppelvergaser und einem gekühlten Viertakter. Ich habe das Auto meinem Freund Flake für einen schmalen Taler abgekauft, dann einmal komplett restaurieren lassen, die Karosserie, den Motor und alle Kleinigkeiten, von den Ventilen bis zur Klinke. Obendrauf gab es eine neue Bereifung und schon war das Ding startklar für unseren Trip. Dieser Bulli ist ein hervorragendes Mini-Camping-auto, hat eine kleine Küchenzeile mit Kühlschrank. Oben kann man mit zwei Handgriffen ein Zeltdach ausklappen und sich ins Traumland reinschlummern.

Auf meiner Strecke machen wir jeden Tag alle zehn bis fünfzehn Kilometer immer Treffpunkte aus. Das ist nicht immer einfach, weil man kaum auf irgendeiner Zufahrt bis an den Weg des Grünen Bandes rankommt. Luke fährt vor und wartet dann dort auf mich. Die Zeit nutzt er für seine Schulsachen und seine täglichen Trainingseinheiten als Marathonläufer. Wenn ich dann am vereinbarten Punkt ankomme, fülle ich schnell mein Wasser nach und nehme einen kleinen Snack. Und wenn es mal richtig geschüttet hat, dann kann ich die nassen Klamotten und Schuhe wechseln. Das hilft ungemein, denn Tag für Tag einen Marathon zu absolvieren, da muss selbst ich ganz schön beißen.

Unten macht die Elbe einen Knick, ich laufe durch einen hochgewachsenen Nadelwald und stehe auf einmal vor einem drei Meter hohen Zaun, oben künstlerisch wertvoll mit Stacheldraht verziert. Es ist ein riesiges Areal, das berühmte Zwischenlager von Gorleben am „Dreiländereck“ von Niedersachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Hier wird der ganze Atommüll aus den Kernkraftwerken angekarrt, um ihn dann als Sammeltransport in alten Bergwerkstollen zu entsorgen. Gorleben selbst sollte auch mal ein sogenanntes Endlager dafür werden, aber die landesweiten Proteste haben letztendlich dafür gesorgt, dass das Thema seit 2020 vom Tisch ist.


Kurz vor unserem Abendbrot spaziere ich mit Luke zu dem Haupteingang. Der ist gesichert wie Fort Knox. Die Sicherheitsleute sind bestens ausgerüstet mit Sprechfunk und geben der Zentrale gleich Bescheid, dass da zwei am Tor rumstehen und schlau gucken. Was wir denn hier wollen, werden wir gefragt. Wir hätten nur kurz eine Frage, ob wir morgen mal reinkommen könnten, für eine Besichtigung vielleicht? Selbstverständlich nicht. Wir sehen die zahlreichen Castor-Behälter durch den Drahtzaun, irgendwie schon ein schauriges Gefühl. Die beiden Atomkraftgegner, Eva und Michael, denen wir auf dem Rückweg zu unserem Bulli begegnen, sind schon seit Jahrzehnten hier in Gorleben aktiv. Wir sind deutschlandweit vernetzt, erzählen sie uns, und wir dürfen nicht aufhören zu mahnen, damit das Thema nie aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet.

Optisch haben sie dafür hier in Gorleben ein Zeichen gesetzt: Im grünen Wald liegen überall knallgelbe Tonnen herum, darauf das bekannte Symbol für Radioaktivität. Luke und ich setzen uns drauf und sinnieren bis zum Sonnenuntergang über unsere weiteren Etappen auf dem Grünen Band. Und telefonieren mit meinem Kumpel Flake Lorenz, den wir irgendwo bei Salzwedel treffen wollen. Ihm hatte ich von meiner Idee vom Grünen Band erzählt und er wollte auf jeden Fall mal ein Stück mitlaufen. Flake hat eine verrückte Lebensgeschichte: Als Ostberliner in der DDR aufgewachsen, spielte er in der Punkband „Feeling B“ und ist heute Keyboarder von „Rammstein“. Kein Zweifel, Flake ist ein Weltstar, lässt das aber trotzdem keine Sekunde lang raushängen. Er ist ein bodenständiger Kerl, der genau wie ich gern lacht und läuft. Und das machen wir für einen Tag gemeinsam, auf dem schier unendlichen Kolonnenweg.

Wandern im Stundentakt

FLAKE LORENZ (54), Musiker


Ich ziehe mich nicht gern um. Schon als Kind waren mir Schlafanzüge unangenehm. Das mag daran gelegen haben, dass ich die ausgeleierten Schlafanzüge von meinem Bruder aufgetragen habe, an denen manchmal schon ein Knopf fehlte. Und der Schlafanzug war auch ein unumstößliches Zeichen dafür, dass es jetzt wirklich ins Bett ging. Welches Kind will das schon? Ich nicht. Bald kamen dann auch die Albträume, in denen ich an mir heruntersah und feststellte, dass ich nichts als einen Schlafanzug anhatte. Im Traum war ich dann mitten auf der Straße oder in der Schule. Den ganzen nächsten Tag trug ich noch ein Gefühl der Scham in mir. Warum ich nicht gern mein Sportzeug in der Schule anzog, muss ich wohl nicht erklären. Mache ich aber trotzdem: Ich bin körperlich schwach und Sport bedeutete daher für mich nichts als Quälerei und Demütigung. Außerdem gehörte besonders das Sportzeug zu den Sachen, die ich aus geheimnisvollen Gründen immer wieder zu Hause vergaß, und damit einen noch schlimmeren Albtraum wahr werden ließ, ich musste dann nämlich barfuß und in Unterhosen am Sportunterricht teilnehmen. Dadurch wurden meine ohnehin erbärmlichen Leistungen noch schwächer.

Dafür gab es umso mehr Spott. Und so eine Unterrichtsstunde kann ganz schön lang sein. Ein FDJ-Hemd wollte ich natürlich auch nicht tragen. Am Tag der feierlichen FDJ-Aufnahme mit Gelöbnis klagte ich morgens über Bauchschmerzen und ließ mir von meiner Mutter einen Entschuldigungszettel schreiben. So wurde ich kein FDJler, aber das nützte mir nichts. Ein FDJ-Hemd sollte ich trotzdem anziehen, damit wir in unserer Klasse ein geschlossenes Bild abgeben, also sozusagen aus optischen Gründen. Da ich ansonsten nicht behelligt oder gedrängt wurde, noch in die FDJ einzutreten, wenn ich das blaue Hemd anzog, biss ich in den sauren Apfel und versuchte, mir das Hemd von meinem Bruder zu borgen. Dummerweise brauchte er es an denselben Tagen wie ich, das hätte mir gleich klar sein müssen. Beim Republikgeburtstag und der Zeugnisausgabe traten wir beide gemeinsam auf dem Schulhof zum Appell an. Da verriet mir ein Freund einen Trick. Ich habe mir dann von einem alten, weggeworfenen Blauhemd den Kragen und die Ärmel abgeschnitten und die unter meinem Pullover getragen. Pullover heißt ja nicht umsonst: Zieh drüber. Hauptsache der blaue Kragen war zu sehen. Meine Lehrer fanden das in Ordnung. Nur war es im Sommer ganz schön warm im Pullover. Wenn es kühl war, war es eher ein Vorteil. Den Kragen konnte ich mir in die Jackentasche stecken, wenn ich ihn gerade nicht brauchte. Wenn ich daran dachte. Selbst das vergaß ich zu oft. Als Lehrling fuhr ich dann in das Wehrlager. Das war so ein kleiner Vorgeschmack auf die Armee.

Die Uniform war hässlich und passte mir nicht. Ich sah es zuerst als einen Vorteil an, dass ich die Sachen beim Kriechen völlig einsauen konnte, da die Uniform mir nicht gehörte und ja dafür da war, aber das abendliche Gebrüll des zum Ausbilder mutierten Lehrmeisters belehrte mich eines Besseren. Ich saß dann auf meinem Hocker und bürstete die Hosen aus, bis kein Fleck mehr zu sehen war. Bei den Schuhen musste sogar die Sohle geputzt werden. Das fand ich so sinnlos, ich beschloss daraufhin spontan, mir nie wieder im Leben die Schuhe zu putzen, was mir auch fast gelungen ist. Zur Hochzeit zum Beispiel habe ich einfach neue Schuhe angezogen, die mussten noch nicht geputzt werden. Eine Uniform wollte ich eigentlich auch nie wieder anziehen. Dieser Umstand, aber noch viel mehr die erschreckenden Berichte meines Bruders über seine Erlebnisse bei der Armee bewogen mich, alles dafür zu tun, um nicht eingezogen zu werden. Immer wieder wurden ganze Trupps vom Wehrkreiskommando an die Schulen geschickt, um die Jungs zu überzeugen, sich als Offizier für drei, fünf oder zehn Jahre Armeedienst zu verpflichten. Ich druckste immer herum, weil ich mich auf nichts festlegen wollte, was ich später nicht wieder rückgängig machen konnte, bis mich ein wütender Offizier anschrie, man könne mir überhaupt nichts recht machen und was ich denn nun eigentlich wolle. Da konnte ich meine Fassade nicht mehr aufrecht erhalten und erklärte, nicht nur zehn, fünf oder drei Jahre seien viel zu lang, selbst achtzehn Monate Grundwehrdienst könne ich nicht ertragen.

Das Grüne Band – 1400 km in 4 Jahrezeiten. Zu Fuß von der Ostsee bis nach Tschechien. Joey Kelly auf Extrem-Wanderung entlang der innerdeutschen Grenze.

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