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Zwischen den Fronten KARLHEINZ FIEDLER (81), Landwirt

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Ich bin allein, aber gern allein. Ich brauche keine Leute um mich. Das Einzige, was mir wirklich fehlt, ist meine Frau. Sie vermisse ich unheimlich, jeden Tag.

Seitdem sie gestorben ist, muss ich mich als Witwer hier allein um alles kümmern. Wir haben fünfzig Jahre lang alles gemeinsam gemacht, sieben Tage die Woche. Und so wie der Hof heute aussieht, war er immer. Wir haben nichts verändert, nichts neu gebaut. Ich heize immer noch mit Holz das Wohnhaus, Wäsche gewaschen wird auf dem Speckstein in der Küchenspüle, das Plumpsklo steht noch immer so da, wie ich es als kleiner Junge in Erinnerung habe. Die Gülle aus der Grube wird auf die Felder gekippt, die Huftiere machen ja am Ende auch nichts anderes.

Auf den achtzehn Hektar Felder und Wiesen meines Hofes habe ich nur ein paar Dutzend Obstbäume, Äpfel, Pflaumen und Birnen. Da draußen stehen noch ein paar Kühe und Schafe als biologische Rasenmäher. Das, was mir noch ansatzweise einen Tagesrhythmus gibt, sind die zwanzig Schweine und die paar Gänse hier auf meinem Hof. Die muss ich halt jeden Tag füttern und die Stallung sauber machen.

Den Bauernhof haben meine Urgroßeltern 1850 gebaut, über drei Generationen konnten meine Vorfahren von der Landwirtschaft gut leben, die knochenharte Arbeit tagein, tagaus zahlte sich auch aus. Man war noch wer im Dorf und die besten Freunde waren der Pfarrer und der Wirt. Bei beiden konnte man ohne schlechtes Gewissen anschreiben.

Alles änderte sich, als nach dem Krieg die Russen im Anmarsch waren. Tausende Vertriebene aus den Ostgebieten schleppten sich über eine Ponton-Brücke über die Elbe, gleich hier hinter unserem Hof, über den Deich. Ab diesem Tag war meinen Eltern klar, dass sich unser Leben komplett verändern wird.

„Eine beängstigende Sicherheit, gefangen im Niemandsland.“

Als die innerdeutsche Grenze gebaut wurde, kamen die NVA-Soldaten und richteten eine Sperrzone ein, direkt vor unseren Augen. Sie umzäunten einfach unseren kompletten Hof. Wir waren auf einmal mitten im neutralen Gebiet, im sogenannten Niemandsland, gefangen zwischen zwei Zäunen und zwei neuen deutschen Staaten.

Das einzig Positive daran war, dass wir dann eine eigene Straßenzufahrt aus Wendischthun bekamen, damit die Grenzsoldaten mit ihren Kübelwagen ihre Patrouillen vorn am Elbufer machen konnten. Dadurch kontrollierten sie auch ganz einfach, wer wann zu unserem Hof kam. So eingeschränkt das Leben dann auch war, es war eine beängstigende Sicherheit.

Ich konnte als kleiner Junge nur auf unserer Hofwiese spielen, bis ran an den Grenzzaun am Wohnhaus. Wenn man so aufwächst und nichts anderes kennt, empfindet man das alles irgendwann als völlig normal. Nur für meine Eltern war es furchtbar. Bleckede auf der anderen Seite der Elbe war nach der Teilung Westdeutschland, und obwohl unser Gehöft auch zu dem westdeutschen Ort gehörte, waren wir durch die Sperrzone auf einmal DDR-Gebiet. Die Familie meiner Mutter war von drüben, aus Bleckede. Sie durfte nicht mehr rüber in die Stadt und ihre Verwandten konnten sie auch nicht hier bei uns besuchen. Obwohl die Luftlinie keine zweihundert Meter betrug, nur getrennt durch die Elbe.


„Eine Rotte Wildschweine. Oder vielleicht doch ein Mensch.“

Spontane Besuche von Leuten aus dem Dorf oder aus der Nachbargemeinde fanden sowieso nicht statt. Für jeden, der zu uns auf den Hof kommen wollte, mussten wir Passierscheine beim Amt beantragen. Das brauchte dann auch so seine Zeit, bis die Staatssicherheit die ganzen Personalien überprüft hatte. Darauf hatte selbstverständlich keiner Lust, der nicht dringend persönlich zu uns musste.

Ein paar Jahre später fingen die Grenztruppen an, auf unserem Feld in Sichtweite landeinwärts die Minenfelder anzulegen. Es dauerte nur ein paar Wochen. Mit schwerem Gerät wurde alles planiert, die Minen versenkt und Warnschilder zur Ostseite hingestellt. Über all die Jahre hörten wir ab und zu eine Mine hochgehen, am Tag und in der Nacht. Man wusste nicht, was passierte. Und immer wieder fragten wir uns am Küchentisch, ob es wieder mal eine Rotte Wildschweine war. Oder vielleicht doch ein Mensch.

Die größte Katastrophe in meinem Leben war die Landwirtschaftliche Produktionsgesellschaft, die LPG, als die Ländereien von allen Bauern der Umgebung zu einer Genossenschaft zusammengelegt wurden, staatlich verordnet. Ich war damit nicht einverstanden, wollte das auf gar keinen Fall. Aber man wurde nicht einmal gefragt, das kam einfach als Maßnahme von ganz oben, mit der Konsequenz, dass wir auf einmal auf unserem eigenen Ackerland als LPG-Angestellte mit Festgehalt arbeiten mussten.

Als logische Konsequenz ging es mit der Landwirtschaft über die Jahre bergab, unsere eigenen Höfe verfielen, weil wir keine Mark mehr über hatten, um das alles noch halbwegs instand zu halten. Erst nach der Wende habe ich anfangen können, alles zu reparieren. Da hatte es sich zum Glück dann endlich mit der LPG und ich bekam meine eigenen Felder wieder zurück.

Jetzt mache ich nichts mehr, genieße meine kleine feine Rente. Da meine Frau und ich keine Kinder bekommen konnten, wird mein Neffe alles erben. Ich hoffe, er kann meinen Hof weiterführen, auch ohne die Landwirtschaft.

Ich bin zufrieden, wie es jetzt ist. Und so einsam wie ich bin, werde ich auch gehen.

Das Grüne Band – 1400 km in 4 Jahrezeiten. Zu Fuß von der Ostsee bis nach Tschechien. Joey Kelly auf Extrem-Wanderung entlang der innerdeutschen Grenze.

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