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Germanische Unmittelbarkeit

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„Die germanische Rassenseele ist der Ursprung des Wertlebens“,104 heißt es bei dem Philosophen Georg Mehlis. Als Professor an der Universität Freiburg und Spezialist für den Neukantianismus und Herausgeber der angesehenen Zeitschrift Logos, ist es sein Anliegen, die Grundlagen des Nationalsozialismus darzulegen. So veröffentlicht er 1941 die Schrift Führer und Volksgemeinschaft. In seiner Eigenschaft als Ethikspezialist schreibt er in dieser Veröffentlichung: „Rasse ist seiner Herkunft nach ein naturwissenschaftlicher Begriff und als solcher wertfrei“,105 betont aber zugleich, dass die nordische Rasse eine Seele besitzt, und diese „kennt Ehre, Freiheit und Pflicht“106 von Natur aus, also durch Geburt. Die nordische Rassenseele, die mit diesen Werten zur Welt gekommen ist, ist also von Natur aus moralisch. Die germanische Rasse ist ontologisch moralisch, biologisch moralisch. Daraus leitet Mehlis zweierlei ab. Zum einen: „Der naturwissenschaftliche Begriff der Rasse entfaltet sich zum Wertbegriff völkischer Gemeinschaft“,107 und zum anderen: „Dienst am Volk ist unsere höchste und heiligste Aufgabe.“108

Die höchste Moralität und die germanische Rasse sind – im Wortsinn – konsubstantiell, und zwar aus Gründen, die von ihrer besonderen biologischen Qualität herrühren, sprich von ihrem Einklang mit den Gesetzen der Natur, aber auch, wie wir sehen werden, von den schwierigen klimatischen Bedingungen, die ihr ethos geformt haben. Dementsprechend ist die nordische Rasse von Natur aus, von sich aus moralisch. In diesem allgemeinen diskursiven Umfeld versteht man die ansonsten überraschenden Behauptungen besser, die man überall finden kann, in juristischen Publikationen, in Abhandlungen über Moral und in den weltanschaulichen Schulungen, in denen etwa verkündet wird: „Die Deutschen sind in der Welt bekannt und geachtet wegen ihres ausgeprägten Sinnes für das Recht.“109 Der Germane verfügt über einen sicheren moralischen Instinkt, wie Walther Merk, Professor der Rechte in Marburg und einflussreiches Mitglied der rechtsradikalen Kreise vor 1933, mit Sicherheit weiß: „Nicht der kalte rechnende Verstand, sondern das Rechtsgefühl ist geschichtlich die Wurzel des Rechts“,110 und dieses Gefühl trügt nie bei rassenreinen, biologisch homogenen Germanen unvermischten Geblüts: „Selbstsicheres Rechtsempfinden und angeborener Sinn für das Angemessene ist das Entscheidende“111.

Das authentische überkommene deutsche Recht ist mehr als eine trockene und kalte Abfolge von Paragraphen, die man auswendig zu lernen hat, sie ist ein Stück Literatur112, deren „sprudelnde Poesie“113 und Humor Juristen wie Literaturliebhaber seit Jahrhunderten begeistern. Merk gibt den Sprachhistoriker und behauptet: „Nach der Sprachweise unserer mittelalterlichen Quellen wird das Recht gefunden, geschöpft, gewiesen. Seine Quelle liegt nicht im Willen der jeweiligen Machthaber, sondern im Rechtsgefühl und Rechtsgewissen der Rechtsgemeinschaft.“114

Der Ur-Germane ist noch nahe am Ursprung der Rasse, also der Natur. Als authentischer Ausdruck des nordischen Wesens handelt er im Einklang mit ihr. So sieht es jedenfalls der Jurist Helmut Nicolai im ersten Text zur nationalsozialistischen Rechtstheorie. Nicolai, ein Veteran der Freikorps und Doktor der Rechte, der wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP Berufsverbot im Öffentlichen Dienst hatte, ist ein „alter Kämpfer“, dem es 1932 obliegt, in der angesehenen Reihe „Nationalsozialistische Bibliothek“ des Parteiverlags Franz Eher die Grundlagen einer nationalsozialistischen Rechtsphilosophie darzustellen. Unter dem Titel Die rassengesetzliche Rechtslehre wird dort ausgeführt, dass die „rassengesetzliche Rechtslehre […] das Rechtsleben unserer germanischen Vorfahren vor Einführung des Christentums“ durchdrang.115 Das „biologische“ Denken ist so sehr eins mit der germanischen Kultur, dass der Autor das Fremdwort „biologisch“ unter Anknüpfung an die famose Wortschöpfung des Biologen Holle von 1925 durch das Wort „lebensgesetzlich“ ersetzt.116

Die Germanen verfügten zwar über keinerlei schriftliche und formal ausgestaltete Gesetze, aber: „Keine Gesetze – das bedeutet nicht, dass es kein Recht gegeben hätte. Das Recht aber war ein Gewohnheitsrecht.“117 Dieser Sachverhalt dauerte übrigens lange an. So war der Sachsenspiegel „kein Gesetzbuch im heutigen Sinne, sondern nur eine Wiedergabe des bestehenden, seit alters geltenden Volksrechts, das nicht durch einen Gesetzgeber erfunden oder zusammenphantasiert worden war“118. Andere Autoren sehen dagegen im Sachsenspiegel keineswegs einen Spiegel nordischen Geistes, sondern einen, horribile dictu, in Paragraphen gefassten, also römisch kontaminierten Text. Die meisten zwischen 1933 und 1945 entstandenen Arbeiten zum Sachsenspiegel – immerhin 18 Aufsätze, Dissertationen und Ausgaben – huldigen aber dem Rassengeist und seiner sächsischen Ausdrucksform.

Die Tatsache, dass das Recht Volksrecht war, hatte eine ganz andere Art von Beziehungen zwischen Staat und Bürger, Recht und Gesetz, juristischer und moralischer Norm zur Folge. Die Germanen waren frei, denn sie waren die eigentlichen Gesetzgeber:

Dort ist Recht das, was die willkürlich schaltende Staatsgewalt anordnet, hier ist das Recht eine ewige, sittliche Größe, die über der Staatsgewalt steht und von dieser nicht geändert werden kann. Dort hat die Macht das Recht, hier herrscht das Recht über die Macht […]. Dort wird als Recht angesehen, was in Gesetzen niedergelegt ist – positum, daher Positivismus –, hier ist nur das Recht, was der ewigen Rechtsidee gemäß ist, die hoch erhaben über allem irdischen in den Sternen steht – hier herrscht der Rechtsidealismus. Dort ist das Sittliche vom Rechtlichen völlig losgelöst, hier ist das Recht der Ausdruck der sittlichen Weltordnung.119

Das bedeutet aber: „Recht und gut war nicht das, was nicht verboten war – das ist die römische und unsere heutige Auffassung – sondern das, was das sittliche Gebot zu tun befahl.“120 Die ursprüngliche germanische Rechtsauffassung war aktiv und bejahend im Unterschied zu einer passiven und repressiven Norm, die als äußerer Hemmschuh konzipiert wurde, als Entfremdung durch eine Institution, die das Gewaltmonopol innehatte.

Zwar ist es nicht leicht, den Zugang zu diesem ursprünglichen Gewohnheitsrecht der Rasse zu finden, da es an Quellen mangelt. Recht ist mündliches Recht. Ohnehin war das „Lebensrecht“ ebenso flüchtig (und ewig!) wie das Leben selbst, ein Fall-Recht, das genauso schnell in Vergessenheit geriet wie die Lage, die es zu klären hatte. Doch glücklicherweise lebt es „gefühlsmäßig noch heute im gesunden Teile unseres Volkes“121. Dieser unvermischte, nicht vermengte Teil ist dem Geist der nordischen Rasse treu geblieben. Im Übrigen gibt es die Möglichkeit, Rechts- und Kulturarchäologie zu treiben:

Seitdem aber wir wissen, daß die Germanen nur ein Teil des nordischen Urvolkes waren, dem auch die alten Inder und Perser, die Vorfahren der Griechen und Römer, Kelten und Slawen122 angehörten, können wir […] das alte deutsche Recht viel tiefer verstehen.123

Auf die verhältnismäßig zahlreichen Quellen, die sie hinterlassen haben, ist Verlass, weil

jene Völker ursprünglich, bevor sie […] ihren angeborenen Charakter verloren, Fleisch von unserem Fleische, Bein von unserem Bein waren, unsere Sprache redeten, gleicher Seele und gleichen Geistes waren mit unseren germanischen Vorfahren, folglich auch gleiche Grundanschauungen über das Recht hatten.124

Wer immer sich in die Vergangenheit der Rasse vertieft, kommt rasch zu dem Schluss: „Das Recht […] galt nach deutscher Auffassung als angeboren, wurde mit dem Blute erworben und mit diesem vererbt.“125 Das Recht und das Leben der Rasse waren eins, was einen Helmut Nicolai in Begeisterung versetzt:

Dort starres Paragraphenrecht, hier Lebensrecht. Dort Staat, hier Volk. Dort Buchstabe, hier Gewissen. Dort statisches, hier dynamisches Recht. 126 Mit dem Tage der Machtübernahme durch die NSDAP wird nicht nur eine neue Regierung in Deutschland gebildet sein. Dieser Tag wird vielmehr die Entthronung des jüdisch-römischen Rechtsgedankens bringen. Die deutschrechtlich-lebensgesetzliche Rechtsidee wird wieder in ihr ewiges Recht eingesetzt werden.127

Die Natur würde demnach als normative Instanz fungieren? Diese Vorstellung ist nicht abwegig, wenn man davon ausgeht, dass die germanische Rasse, darin einem Neugeborenen ähnelnd, kein anderes Gesetz kannte. Der Artikel „Natur“ aus dem Neuen Brockhaus von 1939 betont seinerseits:

Für die alten Griechen war N. die lebendige, aber beseelte und vergeistigte Grundlage aller Dinge. In der germanischen Religion war N. die göttlich durchwaltete Wirklichkeit, die Gegenstand der Verehrung war. Im Christentum galt N. z.T. als das Reich des Widergöttlichen, des Teufels […]. Die neuere Zeit hat den Naturbegriff des griech. Altertums wieder aufgenommen […]. Mehr und mehr ist N. indes der Inbegriff aller durch die Tatsachen des Lebens verbundenen Erscheinungen geworden, so daß der Gegensatz von Natur und Geist als überwunden betrachtet werden kann.128

Dies ist einer politischen Bewegung zu verdanken, die der nordischen Weltanschauung wieder zu ihrem Recht – und zu ihrer Rechtsordnung verholfen hat. Alfred Rosenberg hält diesbezüglich fest: „Der nordische Mensch glaubt tief an eine ewige Gesetzlichkeit der Natur.“129 Hans Frank verkündet seinerseits feierlich: „Aus dem germanischen Lebensbereich geht diese herrliche Gläubigkeit an die uns allen vorschwebende Rechtsordnung als einer göttlichen Einrichtung hervor.“130

Damit die Rasse wieder zu sich selbst finden kann, muss vorab ein von tiefem Ernst getragenes Denken und Forschen in Bezug auf den Ursprung der nordischen Rasse zu Ende gebracht werden. Bloße Schlagwörter, die an der Oberfläche der Menschen und ihrer Verhaltensweise blieben, vermögen es nicht, die Rasse in ihrer Ursprünglichkeit wiederherzustellen. Reichsärzteführer Gerhard Wagner verkündet:

Nur die völlige Umkehr im Fühlen und Denken […] die Wiederbelebung der im Unbewußten oder Unterbewußten verschüttet liegenden Kräfte können das erreichen, was das Ziel der Arbeit unseres unermüdlichen Parteigenossen Groß ist: den Willen zum völkischen Weiterleben und den Instinkt zu rassischer Selbstbehauptung in unserem Volke wieder zu erwecken, der […] von rassefremden oder rassenfeindlichen Kräften vorsätzlich erstickt worden war.131

In einer anderen Rede stellt er fest: „Wir werden erst am Ziel sein, wenn wir überhaupt keine Rassengesetze mehr brauchen, sondern es jedem deutschen Jungen und jedem deutschen Mädel instinktmäßig eingehämmert worden ist “,132 dass Natur und Rasse zu achten sind.

Zum Glück ist die Zeit einer Rechtsrevolution gekommen. Aufgrund der Deutschland auferlegten Prüfungen, der erlittenen Traumata und der daraus resultierenden Einsichten ist „überall wieder ein Erwachen des deutschen Rechtsgefühls, des deutschen Rechtsempfindens, der deutschen Rechtsliebe und der deutschen Rechtsvorstellung“133 zu beobachten. Dies ist nicht mehr und nicht weniger als eine Wiederherstellung deutschen Wesens, denn:

Die Ethik des Nationalsozialismus ist aus einer Revolution hervorgegangen. Es handelt sich um Normen, die […] im allgemeinen nicht als Umwertung der bisher bestehenden Werte angesehen werden dürfen. Hitler wollte keine neuen Werttafeln prägen. Er hat nur die alten ewigen Werte, welche der germanische Mensch feierte und liebte, besonders unterstrichen und betont. Die Ethik des Nationalsozialismus ist eine kriegerische, soldatische Ethik und atmet den Geist Friedrichs des Großen. Gegenüber der christlichen Ethik des Abendlandes, die geneigt ist, Begriffe wie Liebe, Demut und Mitleid allen anderen ethischen Normen voranzustellen, werden Stolz, Ehre und Heroismus schärfer hervorgehoben.134

Das Gesetz des Blutes

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