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Delacroix’ Lithographien zum „Faust“

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Eugène Delacroix’ Liebe zur Literatur wurde während der Schul- und Studienzeit geweckt. Sie erstreckte sich zunächst vor allem auf klassische Autoren und Texte – Vergil, Ovid, Dante, Petrarca –, doch dank seiner Schriftsteller-Freunde Victor Hugo (1802–1885), Alexandre Dumas (1802–1870) und Théophile Gautier (1811–1872) lernte er die romantische Literatur der eigenen Zeit kennen. Er teilte ihre Begeisterung für das Mittelalter und englische Autoren der Romantik wie Sir Walter Scott (1771–1832) und Lord Byron (1788–1824).

Wahrscheinlich waren es tatsächlich die Illustrationszyklen der deutschen Künstler Peter Cornelius (1783–1867) und Moritz Retzsch (1779–1857), die Delacroix erstmals auf den Faust-Stoff aufmerksam machten. Wohl noch vor der legendären Londoner Theateraufführung hatte er damit begonnen, Teile der „Faust“-Übersetzung des Comte de Sainte-Aulaire in sein Notizbuch abzuschreiben und mit Randzeichnungen zu versehen. Doch scheint erst die Londoner Inszenierung den Maler dazu angeregt haben, sich intensiver mit Goethes Drama auseinanderzusetzen.

Im Gegensatz zur sonst sehr raschen Arbeitsweise des Künstlers zog sich das „Faust“-Projekt ungewöhnlich lange hin. Ein Grund war sicher auch die Umsetzung seiner Ideen in die Technik der Lithographie, mit der Delacroix noch wenig vertraut war. Die in wenigen Exemplaren erhaltenen Probedrucke zeigen, wie genau er an der Wirkung jedes einzelnen Blattes gefeilt und dabei die Möglichkeiten des noch neuen Druckverfahrens ausgelotet hat.

Ende 1826 waren die Arbeiten so weit fortgeschritten, dass Goethe einige Probedrucke zur Begutachtung vorgelegt werden konnten. Begeistert äußerte sich der Dichter gegenüber Eckermann:

„Herr Delacroix ist ein großes Talent, das gerade am Faust die rechte Nahrung gefunden hat. Die Franzosen tadeln an ihm seine Wildheit, allein hier kommt sie ihm recht zustatten. Er wird, wie man hofft, den ganzen Faust durchführen, und ich freue mich besonders auf die Hexenküche und die Brockenszenen. Man sieht ihm an, daß er das Leben recht durchgedacht hat, wozu ihm denn eine Stadt wie Paris die beste Gelegenheit geboten.“

Entgegen den Erwartungen des Autors hat Delacroix die „Hexenküchen“-Szene jedoch nicht illustriert. Es war offensichtlich weniger das phantastische Element, sondern die diabolische Komponente des Dramas, die Delacroix besonders angesprochen hat. Nicht Faust, sondern Mephisto ist seine eigentliche Hauptfigur. Damit steht er in Einklang mit der Lesart der Madame de Staël:

„Der Teufel selbst ist der Held des Stücks; der Verfasser denkt sich ihn aber nicht als ein scheußliches Schreckbild, wie man es den Kindern gewöhnlich vormalt; er hat ihn, wenn ich so sagen darf, zur Quintessenz des Bösen gemacht […]. Es ist die Kraft der Zauberei, eine Poesie des bösen Prinzips, ein Rausch der Verführung, eine Verirrung der Gedanken, worüber man zugleich schauern, lachen und weinen muß. Einen Augenblick scheint es, als sei die Regierung der Welt den Händen des Teufels anvertraut.“

Auch Delacroix’ Bildfolge steht ganz im Zeichen des Teufels, den er als eigentlichen Herrn der Welt präsentiert. So zeigt das Auftaktbild zum „Prolog im Himmel“ nicht Gott, sondern Mephisto. Er schwebt in Gestalt eines gefallenen Engels über einer dunklen Stadtsilhouette, die den Schauplatz des Dramas andeutet, zugleich aber eine Chiffre für die Welt insgesamt ist. Delacroix hat Mephisto vor dem dunklen Nachthimmel als flackernde Höllengestalt wiedergegeben, die als Inkarnation des Bösen ihren dunklen Schatten über die Welt legt. Ungewöhnlich ist die unregelmäßige ovale Form des Bildes, die an eine Dioramen-Projektion erinnert. Durch die aufgelösten Ränder wird das Unheimliche der Erscheinung verstärkt, da der universalen Macht des Bösen keine Grenzen gesetzt scheinen.

Bereits hier zeigt sich Delacroix’ virtuoser Umgang mit der lithographischen Technik. Durch unterschiedliche Strichdicken und -lagen verstand er es, zusätzlich zur Illusion von Räumlichkeit und Körperlichkeit auch dramatische Effekte zu erzielen. Helle Partien sparte er entweder aus oder bediente sich, wie bei den Schwingen, der sogenannten Kratztechnik. Dabei werden nachträglich einzelne Linien in die aufgetragene Farbe eingeritzt, so dass der weiße Grund hervorscheint, wodurch der Eindruck einer flimmernden Oberfläche entsteht. Durch den variablen Einsatz verschiedener Techniken erreichte Delacroix ein Maximum an malerischer Wirkung.

Die folgende Lithographie zur „Nacht“-Szene zeigt Faust in seinem Studierzimmer vor einem mit Büchern beladenen Tisch. Sinnend betrachtet er den Totenschädel vor sich, der von der einzigen Kerze des Raumes hell erleuchtet wird. Mit seiner Mischung aus gotischem und Renaissance-Mobiliar entspricht der Raum nicht ganz Goethes Regieanweisung: „In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer“. Mehr als von den Angaben des Dichters hat sich Delacroix von bildlichen Vorlagen, vor allem Rembrandts „Faust“-Radierung (1652/53) und Albrecht Dürers berühmtem Meisterstich „Hieronymus im Gehäus“ (1514), anregen lassen, wie nicht zuletzt die Lichtspiegelung der Butzenfensterscheiben auf der Rückwand verrät.


Albrecht Dürer, Hieronymus im Gehäus, Kupferstich von 1514 (Germanisches Nationalmuseum, Foto: GNM)

Delacroix stellt seinen Faust damit in die Bildtradition des Kirchenvaters Hieronymus, der bereits im Mittelalter als Inbegriff des Gelehrten und frommen Büßers galt. Während Hieronymus jedoch sein Leben der Erkenntnis Gottes und der Verbreitung des Gotteswortes gewidmet hat, verschreibt Faust seine Seele dem Teufel. Nicht nur thematisch, auch stilistisch nimmt Delacroix den Wettstreit mit den großen Meistern der Druckgraphik auf. Seine Lithographien stehen hinsichtlich ihrer malerischen Hell-Dunkel-Effekte den Stichen Dürers und Rembrandts in keiner Weise nach.

Aus der Enge des Studierzimmers führt die dritte Illustration mit dem Spaziergang „Vor dem Tor“ in den Außenraum. Verzweifelt klagt Faust seinem Famulus Wagner während einer Rast sein Leid: „O glücklich, wer noch hoffen kann,/Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!“ Seine niedergesunkene Haltung, vor allem aber die aufgestützte Hand sind traditionelle Zeichen für die Melancholie. Die eigentliche Haupthandlung der Szene, das sich vergnügende Volk, hat Delacroix locker im Hintergrund dargestellt. Vor den schemenhaften Figuren stechen Faust und Wagner umso deutlicher hervor. Zugleich dient das fröhliche Treiben als Kontrastfolie, die Fausts Niedergeschlagenheit noch deutlicher akzentuiert.

In der zweiten Illustration zur Szene sind die heiteren Spaziergänger verschwunden und die untergehende Sonne kündigt den Beginn der Nacht an, in der Mephisto in Gestalt des Pudels seinen Auftritt hat. Im Gleichmarsch schreitend wenden sich Faust und Wagner zu dem schwarzen Hund um, dessen Augen bedrohlich funkeln. Delacroix stellte gemäß der französischen Übersetzung keinen reinrassigen Pudel, sondern einen sogenannten Barbet (Wasserhund) dar, wie an dem leicht zotteligen Fell und den langen Ohren zu erkennen ist.

Auch bei der nächsten Szene in Fausts „Studierzimmer“ folgte Delacroix nicht Goethes Regieanweisung, sondern stellte Mephisto statt in Gestalt eines „fahrenden Scholastikus“ als Landsknecht dar, der dem überrascht aufspringenden Faust entgegentritt. Die Perspektive ist so konstruiert, dass der Betrachter den Auftritt des Teufels aus der Position Fausts erlebt und auf diese Weise emotional direkt in das Geschehen einbezogen wird. Vor dem pittoresken Durcheinander der Schreibstube tritt Mephisto als klare Lichtgestalt hervor, wodurch seine Verführerrolle hier wie in der anschließenden Illustration zur Schüler-Szene überzeugend vermittelt wird.

Mit „Auerbachs Keller in Leipzig“ folgt dann eine der bekanntesten Episoden des Dramas. Delacroix hat mit dem Ausbruch des Feuers den dramatischsten Moment der Szene gewählt. Während die entsetzten Gäste „Zauberei!“ und „Die Hölle brennt!“ rufen, beobachten Mephisto und Faust den Tumult mit großem Gleichmut. Der grelle Kontrast von hellen und dunklen Partien trägt zur gespenstischen Wirkung der Szene bei. Der Eindruck der züngelnden Flammen setzt sich in den vor dem dunklen Hintergrund buchstäblich lodernden Figuren fort.

Aus dem Dunkel von Auerbachs Keller führt der Illustrationszyklus mit der „Straßen“-Szene wieder ins Freie. Dargestellt ist das erste Treffen von Faust und Margarete, die sich eher kokett-abschätzend ihrem neuen Galan zuwendet; ihr S-förmiger Körper drückt Abwehr und Zuneigung zugleich aus. Auffällig ist vor allem die große physiognomische Ähnlichkeit von Faust und Mephisto. Im Profi l lassen sich die beiden Figuren kaum unterscheiden. Während Gretchens helle Gestalt und porzellanartige Haut ihre Unschuld unterstreichen, wird Faust als dunkler, diabolischer Verführer geschildert, der zu einem Alter Ego des Teufels geworden ist.

In den beiden nächsten Illustrationen steht Margarete im Vordergrund. In „Der Nachbarin Haus“ zeigt sie verstört die gerade gefundene Schmuckschatulle ihrer Nachbarin Marthe, deren grobe Züge sie als alte Jungfer und Kupplerin ausweisen. Während die Frauen über den Inhalt der Schatulle beraten, dringt Mephisto in die Kammer ein. Noch scheint Margarete die Überlegene, ihre aufrechtere Haltung lässt sich als Zeichen ihrer inneren Aufrichtigkeit verstehen. Indem sie sich dem scheinbar unterwürfigen Mephisto zuneigt, wird jedoch angedeutet, dass sie ihren Widerstand bald aufgeben wird.

Das Resultat zeigt die nächste Szene in „Gretchens Stube“. Sinnend zurückgelehnt sitzt Margarete neben ihrem Spinnrad. Ihre Haltung ist Ausdruck ihres Klageliedes, der hier eher einem inneren Monolog gleicht: „Meine Ruh ist hin,/Mein Herz ist schwer;/Ich finde sie nimmer/Und nimmermehr.“ Das halb verschattete Gesicht lässt sich als Spiegel des Schattens auf ihrer Seele verstehen. Wie ein Riss legt sich der Faden als Zeichen ihrer zerbrochenen Unschuld über ihren Schoß.

Dominierte in der Gretchen-Szene die innere Spannung, so sind die beiden Illustrationen zum Duell zwischen Valentin und Faust in der „Nacht“ voll Aktivität und Dynamik. Zunächst wird gezeigt, wie Faust mit Unterstützung Mephistos Margaretes Bruder bei dem ungleichen Zweikampf ersticht. Delacroix wählte wieder den dramatischen Moment der Szene, als Valentin mit dem Ausruf „Ich glaub, der Teufel ficht!“ getroffen niedersinkt. Die langen Schatten auf dem Boden unterstreichen den Todeskampf. Bemerkenswert ist auch die detaillierte Schilderung der Kostüme – hier konnte Delacroix aus dem Vollen seiner Lektüre- und Theatererfahrungen schöpfen. In der unmittelbar anschließenden Flucht-Szene stürmen die beiden Täter nach vorne aus dem Bild in Richtung Betrachter. Schemenhaft ist im Hintergrund Gretchen mit dem sterbenden Valentin zu erkennen. Die Darstellung vereint somit in Form einer Parallelmontage zwei im Dramentext eigentlich zeitlich aufeinander folgende Momente der Handlung.

Auch in der anschließenden Szene im „Dom“ sind mehrere Momente der Handlung parallel gesetzt. Im Vordergrund ist die verzweifelt an ihrem Gebetspult niedergesunkene Margarete zu sehen, während links das Messgeschehen seinen Verlauf nimmt. Der Chor intoniert gerade die Verse der gregorianischen Totenmesse „Dies irae“ – „Tag der Rache, Tag der Sünden/Wird das Weltall sich entzünden“ –, als der Böse Geist wie ein Vorbote der Hölle hinter Gretchen erscheint. Indem Delacroix den Bösen Geist mit den Zügen Mephisto-Fausts versehen hat, verdeutlicht er die im Text nicht explizit gemachte Identität der Figuren. Gretchen erscheint hingegen als helle Lichtgestalt, was sich als Ausdruck ihres Wunsches nach Reue, Reinheit und Abkehr vom Bösen verstehen lässt.

Die folgenden Szenen entführen den Betrachter ganz in die Welt der Hexen und bösen Geister. Die erste Illustration zur „Walpurgisnacht“ zeigt Mephisto und Faust auf ihrem Marsch durch das Harzgebirge. Der immer diabolischer aussehende Mephisto treibt den ein wenig steif ausschreitenden Faust zur Eile an. Wirkungsvoll hat Delacroix hier die Ritztechnik zur Hervorhebung von Kleidungs- und Naturdetails im fahlen Nachtlicht eingesetzt. Die Grasbüschel im Vordergrund bilden fast ein abstraktes graphisches Muster, während sich die Blätter des Astes links unter dem Zugriff Mephistos in ein flammendes Feuerwerk zu verwandeln scheinen.

Die nächste Illustration führt ins Geschehen auf dem Blocksberg, wo Faust inmitten der sich schlängelnden Gespenster die Erinnerung an Gretchen nicht loslässt. Sie erscheint ihm als schwebende Lichtgestalt, gehalten von gespenstischen Teufelsfiguren. Verzweifelt versucht Faust sie zu erreichen, doch Mephisto hält ihn spottend vor dem „Zauberbild“ zurück: „Laß das nur stehn! dabei wird’s niemand wohl.“

Ein künstlerischer Höhepunkt des Zyklus ist die vorletzte Illustration mit dem wilden Ritt in der „Nacht“. Mephisto und Faust auf zwei gespenstisch aussehenden, ausschlagenden Pferden preschen in rasendem Galopp vor den Augen des Betrachters vorbei. Im Hintergrund sieht man die Silhouette einer Galgenstätte. Die Hufe von Mephistos Pferd scheinen den Boden gar nicht zu berühren, seine in Ritztechnik angelegte Mähne gleicht einer lodernden Flamme, der gemaserte Hals dem eines Raubtieres. Es handelt sich um das größte Bild des Zyklus, das die Seite fast zu sprengen scheint.

Die Schlussszene im „Kerker“ führt wieder in einen Innenraum zurück. Eindringlich versucht Faust, die widerstrebende Margarete zum Mitkommen zu überreden, links drängt Mephisto in der Tür zur Eile. Hin- und hergerissen steht Faust zwischen den beiden, seine Arme ziehen eine Linie zwischen Gretchens Brust und der Brust Mephistos. Einfühlsam hat Delacroix die innere Bewegung der jungen Frau in den zerfurchten Faltenwürfen ihres schimmernden Kleides veranschaulicht. Sie ahnt, dass die physische Freiheit sie innerlich nicht von ihrer Schuld und dem Gefangensein im Bösen erlösen wird.

Die Auswahl der Szenen und die Dramaturgie des Zyklus sind das Ergebnis einer sorgfältigen Planung. Delacroix erweist sich als Meister der Spannungsführung. Unter Auslassung aller allzu anekdotischen Szenen führt er das Drama auf seinen unausweichlichen Schlusspunkt hin. Auf die Verführung Fausts durch Mephisto folgt die Verführung Gretchens durch Faust. Trägt Faust die Hauptschuld am Tod Valentins, so verursacht Gretchen den Tod ihres Kindes. Bewusst ist die „Straßen“-Szene mit dem ersten Zusammentreffen der drei Protagonisten als Wendepunkt des Dramas exakt in die Mitte der Bildfolge gesetzt. Visueller Ausdruck dieser Wende ist die physiognomische Angleichung von Faust an Mephistopheles – Faust trägt als Alter Ego des Teufels fortan dessen diabolische Züge.

Delacroix hat jede Szene in mehreren Vorstudien und Probedrucken entwickelt. Ausgangspunkt war eine Bleistiftskizze, in der mit raschen Strichen und vielen Korrekturen die Konstellation der Figuren festgehalten ist. Anschließend wurde die Grundidee in einer Pinselzeichnung weiter ausgearbeitet, die auch bereits Angaben zum Hintergrund enthält. Delacroix entwickelte seine Illustrationen nicht als Graphiker, sondern als Maler. Die Technik der Pinselzeichnung diente dem Künstler zur Erprobung unterschiedlicher Tonabstufungen und damit malerischen Effekten von Licht und Schatten. Seine Pinselstudien übertrug Delacroix schließlich mit einer feineren Feder und einer speziellen Lithographietusche auf die zum Druck vorgesehene Steinplatte.

Um die gewünschte Tonabstufung zu kontrollieren, mussten Probedrucke erstellt werden, die für die gesamte „Faust“-Folge überliefert sind. Sie besitzen die Besonderheit, dass die fertig ausgearbeitete Hauptszene von einer Fülle von Kritzeleien umgeben ist, die Federproben in verschiedenen Strichstärken, aber auch einzelne Figuren oder Gegenstände zeigen. Die Probedrucke sind ein Beleg dafür, dass Delacroix auch nach dem Abschluss der Arbeiten seine Phantasie weiter spielen ließ, der „Faust“ ihn also weiter beschäftigte.

Die Lithographien stellen keine direkten Übersetzungen des Textes in Bilder im traditionellen Sinne von Illustrationen dar, es handelt sich jedoch auch nicht um eine freie, assoziative Beigabe im Sinne einer eigenständigen Interpretation des Stoffs. Nicht auf der „wörtlichen“, aber auf der übertragenen Ebene ist der Bezug von Text und Bildern dennoch sehr eng, was beweist, wie intensiv sich Delacroix mit Goethes Drama auseinandergesetzt hat. Indem er es auf die Konstellation Mephisto – Faust – Gretchen konzentriert, kann er den teuflischen Einfluss Mephistos und damit die Essenz der Tragödie umso intensiver schildern. Insofern lässt sich doch von Illustrationen sprechen, denn sie tragen zur Erhellung des Textes und seiner Sinnschichten bei.

Delacroix folgte in seiner Auswahl grundsätzlich dem Verlauf der Tragödien-Handlung, setzte durch Auslassung bzw. Betonung bestimmter Szenen jedoch eigene Akzente. Auf diese Weise entwarf der Maler seine eigene Version des Dramas. Dass diese konzentrierte Lesart durchaus im Einklang mit dem Autor stand, zeigt die positive Reaktion Goethes, der an Delacroix’ Bildern genau die Möglichkeit der Erweiterung und Vertiefung der Bedeutungsebenen und des imaginativen Potenzials schätzte und über den Maler staunte, der die Bildwelt des „Faust“ tatsächlich zu Bildern formte:

„Dabei ist eins besonders merkwürdig, daß ein bildender Künstler sich mit dieser Produktion in ihrem ersten Sinne dergestalt befreundet, daß er alles ursprünglich Düstere in ihr eben so aufgefasst und einen unruhig strebenden Helden mit gleicher Unruhe des Griffels begleitet hat. […] Herr Delacroix scheint hier in einem wunderlichen Erzeugnis zwischen Himmel und Erde, Möglichem und Unmöglichem, Rohstem und Zartestem, und zwischen welchen Gegensätzen noch weiter Phantasie ihr verwegnes Spiel treiben mag, sich heimatlich gefühlt und wie in dem Seinigen ergangen zu haben. Dadurch wird denn jener Prachtglanz [= der Ausgabe] wieder gedämpft, der Geist vom klaren Buchstaben in eine düstere Welt geführt und die uralte Empfindung einer märchenhaften Erzählung wieder aufgeregt. Ein weiteres getrauen wir uns nicht zu sagen, einem jeden Beschauer dieses bedeutenden Werkes mehr oder weniger den unsrigen analogen Empfindungen zutrauend und gleiche Befriedigung wünschend.“

Faust

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