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Delacroix’ „Faust“ als Künstlerbuch

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Das 19. Jahrhundert war nicht nur in Frankreich durch einen wahren „Bilderhunger“ geprägt, der alle Schichten der Bevölkerung umfasste. Er wurde hauptsächlich von professionellen Illustratoren und Karikaturisten befriedigt, die ihre Werke als druckgraphische Auftragsarbeiten für die wachsende Zahl illustrierter Zeitungen und Magazine, aber auch Bücher und Werbeanzeigen schufen. Entwurf und Ausführung waren in der Regel arbeitsteilig organisiert – oft sorgte ein ganzes Team an Stechern und Druckern für die technische Umsetzung der Zeichnungen.

Im Gegensatz zu den herkömmlichen Hoch- und Flachdruckverfahren wie Holz- und Kupferstich bot die 1798 von Alois Senefelder (1771–1834) in München erfundene Lithographie die Möglichkeit, einen Entwurf ohne komplizierte Zwischenschritte direkt auf der Steinplatte zu realisieren. Damit konnte auch ein drucktechnisch nicht geschulter Künstler Originalgraphiken herstellen, die in ihrem spontanen Ausdruck der Zeichnung nahestanden. Wegen der einfachen Handhabung und der Möglichkeit, hohe Auflagen herzustellen, galt die Lithographie lange als billiges Bildmedium, das zunächst hauptsächlich für die Illustration von Reiseliteratur und Bildbeilagen in Zeitschriften verwendet wurde. Seltener ist sie als von einem Text unabhängige Künstlergraphik zu finden, die in Form von Einzelblättern oder Mappen angeboten wurde.

Rund zehn Jahre nach der Gründung des ersten lithographischen Betriebs in Frankreich stellt Delacroix’ „Faust“ in mehrfacher Hinsicht ein Pionierwerk dar. Es handelt sich um eine der ersten Folgen literarischer Buchillustrationen, die als Lithographien erschienen und wie traditionelle Illustrationen tatsächlich in den Text eingefügt waren. Damit geht er auch über seine beiden deutschen Vorläufer Cornelius und Retzsch hinaus, deren Bildfolgen als Graphikzyklen ohne den Dramentext gedruckt wurden. Es handelt sich bei diesen trotz der großen inhaltlichen Nähe zu Goethes Vorlage formal also nicht um Buchillustrationen.

Offenbar hatte auch Delacroix ursprünglich eine Bildfolge ohne Text geplant. Rückblickend behauptete er sogar 1862 in einem Brief an den Kunstkritiker Philippe Burty, dass das finale Gestaltungskonzept gegen seinen Willen realisiert wurde:

„Sie wissen, daß Motte der Herausgeber war: er hatte die unglückselige Idee, diese Lithographien mit einem Text zusammen herauszugeben, der ihrem Absatz sehr schadete; ganz abgesehen davon, daß die Eigenartigkeit der Tafeln so zum Gegenstand mancher Karikatur wurde und mich mehr und mehr als einen der Führer der Schule des Häßlichen hinstellte.“

In Wahrheit waren es vor allem Delacroix’ im Salon präsentierte Gemälde, die ihm den Ruf des Hässlichen eintrugen, nicht die in Frankreich zunächst nur wenig besprochenen Lithographien. Ganz so erfolglos und gegen den Willen von Delacroix kann das Unternehmen überdies nicht gewesen sein, denn der Künstler gab zehn Jahre später in ähnlicher Aufmachung die Lithographien zu Shakespeares „Hamlet“ auf eigene Initiative und Rechnung heraus. Viel eher scheinen es die damals ungewohnte Form des Buches und die Wahl der für Luxuseditionen unüblichen lithographischen Technik gewesen zu sein, welche für die reservierte Aufnahme verantwortlich gemacht werden können. Auch Goethe erkannte einen Widerspruch zwischen dem beklemmenden Inhalt des Dramas und dem großzügig aufgemachten Band:

„Ist nun jenes Gedicht seiner Natur nach in einem düstern Element empfangen, spielt es auf einem zwar mannigfaltigen, jedoch bänglichen Schauplatz, so nimmt es sich in der französischen, alles erheiternden, der Betrachtung, dem Verstande entgegenkommenden Sprache schon um vieles klarer und absichtlicher aus. Seh ich nun gar ein Folioformat, Papier, Lettern, Druck, Einband, alles ohne Ausnahme bis zum Vollkommnen gesteigert, so verschwindet mir beinahe der Eindruck, den das Werk auch alsdann noch auf mich ausübte […].“

Die französische Originalausgabe umfasst 148 Seiten im Folioformat. Ebenso wie der Text sind die 17 Lithographien auf leicht getönten Chinapapieren gedruckt und in unregelmäßigen Abständen über das ganze Buch verteilt. Eine 18. Lithographie zeigt das Porträt des Autors, das Delacroix nach einer von Goethe zugeschickten Porträtzeichnung angefertigt hatte. Es steht als Frontispiz gegenüber der Titelseite des Bandes, der darüber hinaus ein mehrseitiges Vorwort und Anmerkungen des Übersetzers enthält.

Für die Buchgestaltung war wohl nicht Delacroix, sondern der Pariser Lithograph und Verleger Charles Motte (1785–1836) verantwortlich. Als entscheidender Akteur neben dem Künstler kann er als eigentlicher „Erfinder“ der neuen Gattung des Künstlerbuchs gelten. Motte gehörte zu den Pionieren der Lithographie in Frankreich und galt als unbestrittener Meister in dieser Technik. Er war vor allem als Reproduktions-Lithograph bekannt geworden; der „Faust“ war auch für ihn ein Schritt in eine neue Richtung. Wohl zur Absicherung des Unternehmens liierte er sich mit dem Buchhändler-Verleger Auguste Sautelet (1800–1830), der 1825 die französische „Faust“-Übersetzung herausgegeben hatte und die verlegerischen Rechte an der Übersetzung innehatte. Sautelet war als Buchhändler bei diesem Projekt vor allem für den Vertrieb zuständig, während Motte als Lithograph, Drucker und Gesamtherausgeber agierte.

Während der „Faust“ offenbar zunächst ein finanzielles Desaster war – Delacroix musste lange um sein vereinbartes Honorar kämpfen –, änderten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Erwartungen und Sehgewohnheiten des Publikums, und das Buch entwickelte sich vom (angeblichen) Ladenhüter zum mehrfach wieder aufgelegten Longseller. In Zeiten industriell gefertigter Massendrucke fanden handwerklich sorgfältig hergestellte Luxuseditionen zunehmend Liebhaber und wurden auch von anderen Künstlern und Verlegern nachgeahmt. Typische Merkmale des sogenannten Künstlerbuchs nach dem Vorbild des „Faust“ sind ein großzügiges Format und Layout, ausgesuchtes Papier, eine edle Typographie und ein technisch perfekter Druck von Text und Bildern. Hinsichtlich der Illustrationen handelt es sich in der Regel nicht um professionelle Illustratoren, sondern um Maler oder Bildhauer, die sich durch einen individuellen Umgang mit dem Text auszeichnen. Wie beim „Faust“ nehmen die Bilder keine dienende Rolle in Bezug auf den Text ein, sondern stellen eine eigenständige Stimme dar, die auch unabhängig vom Text Gültigkeit besitzen würde.

Rückblickend hat sich also die Voraussage von Frédéric-Albert-Alexandre Stapfer bewahrheitet, der 1828 im Vorwort zu Delacroix’ „Faust“ schrieb:

„[…] wenn es uns erlaubt ist, das Urteil des Publikums vorauszuahnen, so zweifeln wir nicht an seiner Bewunderung für die Kühnheit, mit welcher der Zeichner Goethe auf seinem Weg jenseits der ausgetretenen Pfade gefolgt ist; die ganze schöpferische Energie des Dichters, eben das, was einige geistreiche Zeitgenossen als Orgie der Imagination zu bezeichnen pflegen, kann wohl jeder auf den ersten Blick in den Bildern nacherleben.“

Faust

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