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Delacroix’ Lithographien und die frühe „Faust“-Illustration
ОглавлениеGoethes beifälliges Urteil über Delacroix’ „Faust“-Lithographien wird umso verständlicher, wenn man sie mit den etwas früheren Bildfolgen der deutschen Künstler Moritz Retzsch und Peter Cornelius vergleicht. Der Dresdner Maler und Zeichner Moritz Retzsch kann mit seinen ab 1810 geschaffenen Umriss-Radierungen als Pionier der „Faust“-Illustration gelten. Wenig später begann der Düsseldorfer Peter Cornelius mit dem Entwurf einer 12-teiligen Kupferstichfolge, die 1816 in Frankfurt erschien.
Retzsch konzentrierte sich bei der Mehrheit seiner 29 Radierungen auf Faust und Gretchen. Goethes Drama wird bei ihm zu einer tragischen Liebesgeschichte, in der die führende und verführende Rolle Mephistos bildlich in den Hintergrund gerückt ist. Faust erscheint in der Rolle des jugendlichen, immer etwas naiven Liebhabers, der die ihm ergebene Margarete umgarnt, vom schädlichen Wirken des Teufels inner- und äußerlich jedoch kaum ergriffen wird. Beispielhaft für Retzschs Sichtweise ist die „Straßen“-Szene, in der Mephisto eine kleine, im wahrsten Sinne blasse Beobachterfigur bleibt. Faust wird hingegen als aktiver Part dargestellt, der die überraschte Margarete anspricht und recht dreist am Arm packt.
Die teuflische Komponente des Stücks wird von Retzsch vor allem durch die detailreiche Ausschmückung der Hexenszenen deutlich gemacht, von denen einige an Kompositionen Hieronymus Boschs erinnern, andere durch die strichmännchenhaften Figuren jedoch eher belustigend wirken. So hat der wilde Ritt von Faust und Mephisto in der „Nacht“ wenig Bedrohliches an sich, zumal durch den hellen Grund der Eindruck einer Tagszene entsteht. Das Dämonische verharrt bei Retzsch auf der oberflächlichen inhaltlichen Ebene und wird nicht zum zentralen Thema des Zyklus. Durch die Technik der Umrisszeichnung erscheint die Tragödie in gewisser Weise idealisiert und abstrahiert – die Hell-Dunkel-Effekte, die in Delacroix’ Lithographien oder der „Faust“-Radierung Rembrandts maßgeblich zur Spannungssteigerung beigetragen haben, fehlen hier fast gänzlich.
Die Begegnung von Faust und Gretchen in der „Straße“, Umriss-Radierung von Moritz Retzsch, 1834 (Germanisches Nationalmuseum, 8° StN 31, Foto: G. Ulrich Großmann)
Der wilde Ritt in der „Nacht“, Umriss-Radierung von Moritz Retzsch, 1834 (Germanisches Nationalmuseum, 8° StN 31, Foto: G. Ulrich Großmann)
Gretchen im „Dom“, Kupferstich von Peter Cornelius, Bilder zu Goethe’s Faust, 1816, Ausgabe Berlin 1920 (Germanisches Nationalmuseum, 4° Oo 192/2 [S], Foto: G. Ulrich Großmann)
Anders die mehrheitlich von Ferdinand Ruscheweyh (1785–1846) gestochenen Federzeichnungen des Nazareners Peter Cornelius. Cornelius entwickelte seine ersten Umriss-Zeichnungen zu bildmäßigen Kompositionen weiter, bei denen die Figuren vor detailliert ausgearbeiteten Hintergründen agieren. Für mehrere Bilder seines Zyklus hat sich Delacroix von Cornelius’ Stichen anregen lassen. Vergleicht man etwa die beiden „Dom“-Szenen, so scheint die Lithographie des Franzosen auf den ersten Blick wie eine stark zusammengedrängte Variante des älteren Kupferstichs. Die Figur des Priesters, die zusammengesunkene Gestalt Gretchens am Betpult, aber auch den Kirchenraum mit seiner markanten Säule hat Delacroix direkt von Cornelius zitiert. Hinsichtlich des Ausdrucks verkörpern die beiden Graphiken jedoch verschiedene Welten.
Die ruhige Aufreihung der Figuren bei Cornelius ist einer dramatischen Zuspitzung des Geschehens bei Delacroix gewichen, die Ausdruck von Gretchens seelischem Tumult ist. Ist sie bei Cornelius als eine von vielen Kirchgängern in den Mittelgrund gerückt, so erscheint sie bei Delacroix in vorderster Bildebene, während die anderen Figuren zur schemenhaften Masse des Chors verschmolzen sind. Am stärksten ist jedoch der Gegensatz in der Gestaltung des Bösen Geistes. Wirkt er bei Cornelius in seiner langen Kutte eher wie ein falscher Mönch, der unter den anderen Kirchgängern kaum auffällt, so hat Delacroix ihn als schwarze Unheilsgestalt mit den Zügen des Teufels ausgestattet. Nicht flüsternd wie im Stich des Nazareners, sondern laut gellend beugt er sich mit emporgereckter Hand über die verzweifelt zusammengesunkene Margarete.
Auch der Darstellungsmoment scheint ein anderer: Cornelius zeigt in seiner klar ausgeleuchteten Szene, wie Gretchen, ihre nahe Ohnmacht spürend, sich Hilfe suchend an ihre vordere Banknachbarin wendet. Hingegen wohnt der Betrachter bei Delacroix dem Albtraum von Gretchens Gewissensnöten bei, die ohne Hilfe dem sie bedrängenden Unheil ausgesetzt ist. Statt das von Goethe geschilderte Geschehen abzumildern wie Cornelius, hat Delacroix die Dramatik eher noch verstärkt. Er illustriert nicht nur einen Handlungsmoment, sondern fasst in einem Bild die Essenz einer ganzen Szene zusammen.