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Der Maler Eugène Delacroix
ОглавлениеBetrachtet man das Leben und die Persönlichkeit von Eugène Delacroix, so verwundert es nicht, dass ihn der Faust-Stoff faszinierte. Ähnlich wie die Hauptfigur des Dramas war auch der junge Delacroix hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach künstlerischem Erfolg sowie gesellschaftlicher Anerkennung einerseits und dem Streben nach Verwirklichung der eigenen Ideen und Ideale andererseits.
Ferdinand-Victor-Eugène Delacroix, so der vollständige Name, wurde am 26. April 1798 in dem kleinen Ort Charenton-Saint-Maurice nahe Paris geboren. Sein Vater, Charles-François Delacroix (1741–1805), war ein hoher Verwaltungsbeamter unter Napoleon, seine Mutter, Victoire Oeben (1758–1814), stammte aus einer berühmten, aus Deutschland eingewanderten Kunsttischler-Familie. Ihr wird eine Affäre mit dem Staatsmann Talleyrand (1754–1838) nachgesagt, den einige sogar für den leiblichen Vater des Malers halten. Eugène, der mit 16 Vollwaise wurde, besuchte in Paris das Lycée Impérial, eine Eliteschule (heute Lycée Louis-Le-Grand), wo seine Liebe zur klassischen Literatur geweckt wurde.
Delacroix’ Onkel, der Porträtmaler Henri-François Riesener (1767–1828), erkannte schon früh sein künstlerisches Talent und vermittelte ihm eine Ausbildung im Atelier des neo-klassizistischen Malers Pierre-Narcisse Guérin (1774–1833). Bereits ein Jahr später, 1816, konnte er in die Klasse Guérins an der École des Beaux-Arts eintreten. Dort entwickelte er schon bald seine eigene, ganz unklassizistische Malweise. Wichtige Vorbilder waren der romantische Maler Théodore Géricault (1791–1824), die englische Landschaftsmalerei sowie Raffael und Rubens, deren Werke er im Louvre kopierte.
1822 gab Eugène Delacroix mit der „Dantebarke“ (Louvre) sein fulminantes Debüt in der wichtigsten Kunstausstellung Frankreichs, dem Salon. Das Gemälde, dessen Thema von Dantes „Göttlicher Komödie“ (1307–20) inspiriert ist, zeigt Dante und Vergil bei der Überquerung des Höllenflusses Styx. Ihre schwankende Barke wird umringt von den verzerrten Leibern der Verdammten, die verzweifelt versuchen, in das Boot zu klettern. Die dramatische Komposition erinnert in ihrer Farbgebung, der monumentalen Figurengestaltung und gleißenden Beleuchtung an Werke von Rubens und Michelangelo. Die „Dantebarke“ machte Delacroix über Nacht berühmt, entfachte aber auch eine Welle der Kritik. Während die Vertreter der jungen romantischen Schule das Bild als Geniestreich feierten, sahen die Vertreter der Akademiemalerei darin einen Verrat am guten Geschmack und den Regeln der Kunst. Der Ruf eines Revolutionärs blieb an Delacroix bis an sein Lebensende haften.
Neben literarischen Sujets machte der Künstler auch die zeitgenössische Geschichte zum Thema seiner großformatigen Historienbilder. So ist sein wohl berühmtestes Werk, „Die Freiheit führt das Volk an (28. Juli 1830)“ (Louvre), eine Verherrlichung des siegreichen Freiheitskampfes der Pariser Bevölkerung, die in der sogenannten Julirevolution 1830 die herrschende Bourbonendynastie stürzen konnte. Delacroix hat das Ereignis zu einer Allegorie der Revolution erweitert. Überlebensgroß entsteigt die Personifikation der Freiheit in Gestalt einer barbusigen Göttin dem Waffenrauch und weist mit der hoch empor gehaltenen Tricolore dem Volk den Weg. Auch wenn Delacroix sich selbst unter den Kämpfern auf dem Bild dargestellt hat, war der Bonapartist persönlich eher unpolitisch – seine Teilnahme an der Julirevolution soll sich auf Wachschichten im Louvre beschränkt haben.
Delacroix’ wahre Leidenschaft galt allein der Kunst, der er alle anderen Interessen unterordnete. Während seiner Reisen – u.a. 1825 nach England, 1832 als Mitglied einer offiziellen Gesandtschaft nach Nordafrika, 1839 in die Niederlande, 1850 nach Deutschland – zeichnete er ununterbrochen. Von Delacroix sind mehr als 1000 Gemälde und Wandmalereien, über 1000 Zeichnungen und über 300 Druckgraphiken aus fast 60 Schaffensjahren erhalten. Zu seinen größten Triumphen zählte die Pariser Weltausstellung 1855, auf der er im Palais des Arts mit 35 Hauptwerken als wichtigster französischer Maler vertreten war und von rund 1 Million Besuchern gesehen wurde. Einer von ihnen war der französische Dichter Charles Baudelaire (1821–1867), der in der Folge zu einem der sensibelsten Kenner seiner komplexen Persönlichkeit und dem wichtigsten Verteidiger des Malers gegenüber seinen Kritikern werden sollte:
„Delacroix war leidenschaftlich in die Leidenschaft verliebt und kalt entschlossen, die Mittel ausfindig zu machen, die es ihm erlaubten, der Leidenschaft den höchsten Grad des sichtbaren Ausdrucks zu verleihen. Wo diese beiden Bestrebungen zusammentreffen, finden wir in ihnen, im Vorbeigehn gesagt, die Kennzeichen der kräftigsten, der aufs höchste entwickelten Genialität, die kaum danach angetan ist, ängstlichen Gemütern zu gefallen, welche leicht zufriedenzustellen sind und die in den schlaffen, matten, unvollkommenen Werken eine hinlängliche Nahrung finden. Eine ungeheure Leidenschaft im Bunde mit einer gewaltigen Willenskraft, so war dieser Mann.“
Ebenso wie Delacroix’ künstlerische Existenz war auch sein Privatleben von innerer Zerrissenheit geprägt. Auf der einen Seite gab er sich als Dandy, stets modisch gekleidet und in der mondänen Gesellschaft verkehrend, doch eigentlich lebte er zurückgezogen, besaß nur wenige nahe Freunde und blieb trotz mehrerer enger Beziehungen zu Frauen zeitlebens unverheiratet. Wichtigster Vertrauter war sein schon in jungen Jahren begonnenes Tagebuch, in dem er nicht nur tägliche Begebenheiten, sondern auch Reflexionen über die Kunst und das Leben festhielt. Das „Journal“ wird von vielen Interpreten als Schlüssel zu seinem Werk und seiner Persönlichkeit verstanden. In diesem notierte er 1824 auch seine erste Begegnung mit Goethes „Faust“ in Form von Illustrationen, wahrscheinlich den Kupferstichen von Peter Cornelius, die ihn vor allem in Hinblick auf die Technik inspirierten:
„Allemal, wenn ich die Gravüren zu Faust wiedersehe, bekomme ich Lust, eine ganz neue Malerei zu versuchen, eine Malerei, die sich bestrebt, die Natur sozusagen durchzupausen. Durch die äußerste Mannigfaltigkeit in den Verkürzungen könnte man die allereinfachsten Stellungen interessant machen. Bei kleinen Bildern würde man den Gegenstand aufzeichnen, ihn auf der Leinwand leicht anlegen und dann das Modell in der richtigen Stellung genau kopieren. Ich will bei meinem Bilde, soweit es noch nicht fertig ist, darauf achten.“