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Goethes „Faust“ und Frankreich

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Die Erstausgabe von Johann Wolfgang von Goethes „Faust. Eine Tragödie“ erschien im Mai 1808 in der Cotta’schen Buchhandlung in Tübingen. Der Stoff hatte den Dichter seit 1770 immer wieder beschäftigt. 1790 war eine erste Fassung des Dramas in Form des „Urfaust“ gedruckt worden, der jedoch zunächst ohne großes Echo blieb.

Stoffgrundlage aller „Faust“-Dichtungen Goethes war die Sage des Johann Faust (um 1480? – um 1541), einem vermutlich aus der Gegend um Heidelberg stammenden Astrologen und Wunderheiler, der sich selbst als Philosoph bezeichnete, doch bereits in seiner Zeit einen eher zweifelhaften Ruf als Scharlatan, Nekromant und Teufelsbündler genoss. Auch sein Tod ist geheimnisumwoben: 1540/41 soll er in Staufen im Breisgau bei alchemistischen Experimenten durch eine Explosion ums Leben gekommen sein.

Die Geschichten um das Leben und Wirken des Johann Faust wurden unter dem Titel „Historia von D. Johann Faustus“ erstmals 1587 in Frankfurt publiziert. Als Volksbuch erlebte die „Historia“ zahlreiche Auflagen, Bearbeitungen und Übersetzungen, u.a. ins Englische, Französische, Niederländische und Tschechische. Dabei stand im 16. und 17. Jahrhundert eindeutig die negative, dämonische Komponente im Vordergrund des Interesses. Faust galt als Inbegriff des hoffärtigen, gottesfernen, sich selbst überschätzenden Menschen, des gewissenlosen Verführers und Teufelsbündlers, der zu Recht in der Hölle endet. Auf Jahrmarktsbühnen wurde Faust als gelehrter Schwätzer zu einer Spottfigur degradiert.

Im 18. Jahrhundert wandelte sich das Bild unter dem Einfluss der Aufklärung. Schon 1589 hatte der englische Dramatiker Christopher Marlowe in seiner Bearbeitung die tragische Komponente im Leben Johann Fausts herausgestellt. Sein Theaterstück „The Tragicall History of the Life and Death of Doctor Faustus” hat auch Goethes frühe Beschäftigung mit dem Fauststoff geprägt. Positiv hervorgehoben wurden nun Fausts Streben nach Erkenntnis, sein Misstrauen gegenüber allen Doktrinen, sein Wunsch nach Veränderung und die Sehnsucht nach Liebe und Abenteuern. Diese Merkmale machten Faust für die Generation Goethes nicht zuletzt zu einer Symbolfigur des Künstlers, der mit seinem Drang nach Selbstverwirklichung jedoch zum Scheitern verurteilt ist.


Das Porträt Goethes von Delacroix, Frontispiz zur französischen Originalausgabe von 1828 (Staatsbibliothek Bamberg, L.g.f.m.9, Foto: Gerald Raab)

Goethe dienen Faust und sein Schicksal als Spiegel der gesamten Menschheit. Das individuelle Drama wird zum Ausgangspunkt eines komplexen Weltentwurfs, der dem Einfluss des teuflischen, destruktiven Elements mit der Figur des Mephistopheles eine tragende Rolle zuerkennt. Zentrales Thema ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, auf die im Laufe des Dramas ganz unterschiedliche Antworten gegeben werden. Sie stehen jeweils für verschiedene Lebenskonzepte. Das Streben nach Erkenntnis führt, wie Faust exemplarisch veranschaulicht, zum elementaren Konflikt in der Existenz eines jeden Menschen, dem Dualismus von Vernunft und Sinnen. So bedingt das Leben auf Erden mit seinen sinnlich erfahrenen Freuden – etwa Liebe, Freundschaft, Naturerleben – und Leiden die menschliche Begrenztheit in der Erkenntnis. Hingegen streben Geist und Vernunft über das Verhaftetsein im Irdischen hinaus und versuchen sich mit dem Göttlichen zu vereinen. Nur der Kunst ist es vergönnt, eine Ahnung des Göttlichen zu vermitteln:

„Wer ruft das einzelne zur allgemeinen Weihe,/Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?/Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüten?/Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?/Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten/Auf der Geliebten Pfade hin?/Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter/Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?/Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?/Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart“ (aus dem „Vorspiel auf dem Theater“).

Im Gegensatz zum „Urfaust“ wurde dem „Faust. Der Tragödie erster Teil“ von Anfang an eine enorme Resonanz zuteil. Die meisten Leser waren begeistert; der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775–1854), Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, empfahl das Drama sogar als Schullektüre. Kritik gab es vor allem von Seiten der Obrigkeit und Kirche, die Goethe Unmoral und Blasphemie vorwarf.

Diese kritische Haltung mag ein Grund dafür gewesen sein, warum der „Faust“ zunächst ein reines Text-Stück blieb. Trotz der Bemühungen Goethes um eine Inszenierung am Weimarer Theater kam es nach einer Teilaufführung 1820 in Breslau erst am 19. Januar 1829 zur deutschen Gesamt-Uraufführung im Braunschweiger Hoftheater. Aus Anlass von Goethes 80. Geburtstag entschloss sich auch das Weimarer Theater zu einer Aufführung, der der Dichter allerdings fern blieb. Eine Inszenierung seines „Faust“ auf der Bühne hat Goethe selbst nie gesehen.

Noch vor der deutschen Uraufführung brachte das Pariser Théâtre de la Porte Saint-Martin, eine Hochburg der romantischen Bewegung, eine bearbeitete Version des „Faust“ in französischer Übersetzung heraus. Von Anfang an war die Aufnahme in Frankreich ausgesprochen positiv gewesen. Goethes Ruf als größter deutscher Dichter gründete sich jenseits des Rheins vor allem auf den Ruhm des „Werther“ (1774), der bereits 1776/77 in einer vielfach wieder aufgelegten französischen Übersetzung erschienen war. Seine Berühmtheit in Frankreich trug dem Dichter anlässlich des Erfurter Fürstenkongresses im Oktober 1808 eine Audienz bei Kaiser Napoleon I. (1769–1821) ein, der ihm das Großkreuz der Ehrenlegion verlieh. Napoleons Kommissar in Erfurt, ein M. Lemarquand, versuchte sich noch 1808 an einer französischen Übersetzung des „Faust“, welche er jedoch nie vollendete.

Erst die Schriftstellerin Anne Louise Germaine de Staël, genannt Madame de Staël (1766–1817), übersetzte Teile des „Faust“-Textes 1813 in ihrer Abhandlung „De l’Allemagne“ („Über Deutschland“). 1823 erschienen gleich zwei vollständige Übertragungen ins Französische. Die eine stammte von Louis de Beaupoil, Graf von Sainte-Aulaire (1778–1854), und wurde als Band 25 der „Chefs-d’œuvres des Théâtres étrangers“ veröffentlicht, die andere, verfasst vom jungen Literaten Frédéric-Albert-Alexandre Stapfer (1802–1892), erschien als Band 4 der Gesamtausgabe der „Œuvres dramatiques de J.- W. Goethe“. Es war Stapfers von Goethe gebilligte Prosa-Übersetzung, die Eugène Delacroix als Grundlage für seine „Faust“-Illustrationen diente und die 1828 als Text mit seinen Lithographien ediert wurde.

Ebenso wie auf Übersetzungen, reagierte Goethe auch auf Vertonungen und bildliche Umsetzungen seines Stücks in der Regel sehr positiv. Seine grundsätzliche Auffassung zu diesem Thema kommt in seiner Äußerung gegenüber dem Leipziger Christian Ludwig Stieglitz (1756–1836) zum Ausdruck, der ihm Anfang 1810 einige Zeichnungen zum „Faust“ übersandt hatte: „Dem Dichter kann nichts Angenehmeres begegnen, als wenn er auf eine so bedeutende Weise erfährt, daß ihm die Einbildungskraft des Lesers entgegenarbeitete.“ Auch dem Illustrationsprojekt von Eugène Delacroix stand Goethe von Anfang an sehr wohlwollend und angesichts der Bekanntheit des Malers sicher auch ein wenig geschmeichelt gegenüber.

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