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Hinterlistiger Friede

Eine von vierzehn Forderungen des US-Präsidenten betraf die Abdankung Kaiser Wilhelms II., vermutlich mit dem Hintergedanken, die Adelsherrschaft in Deutschland zu beenden und der Demokratie den Weg zu bahnen. Der Monarch leistete einige Wochen Widerstand und zog sich dann ins Exil nach Holland zurück. Aus seinem Groll über den Wilden Westen machte er kein Hehl. Friedrich Ebert wurde als Reichspräsident gewählt und eine Mehrparteienregierung ins Leben gerufen. Während sich die neuen Minister über den Vierzehn-Punkte-Plan Washingtons die Köpfe heißredeten, schlug das Schicksal grausam zu. Die französische Regierung unter der Führung des hasserfüllten Clémenceau schob die Amerikaner geschickt zur Seite und stellte immer höhere Forderungen, die ohne französische Gegenleistung zu erfüllen seien.

Man muss der Regierung in Berlin vorwerfen, keine Gegenvorschläge gemacht zu haben, die im Sinne des US-Plans waren. So hätte man Zeit gewinnen können, etwa mit dem Vorschlag, das demokratische Deutschland werde sich in Zukunft neutral verhalten. Doch die deutsche Regierung hatte andere Sorgen. Die Anführer der Kommunistischen Partei versuchten, nach russischem Vorbild die Macht an sich zu reißen. Es kam in mehreren Städten zum Aufstand. Soldaten, welche von der Front zurückkehrten, bildeten Freiwilligen-Korps, welche die Aufstände schonungslos niederschlugen. Die beiden Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden kurzerhand liquidiert. In München rief Kurt Eisner eine Räterepublik aus. Er fiel einem Attentat zu Opfer. Die meisten Bürger in Deutschland verstanden die Welt nicht mehr. Weshalb hatte die Armee kapituliert, ohne dass eine Niederlage drohte? Die Deutschen mussten sofort abrüsten ohne irgend welche Zusagen der Gegenseite bezüglich des Friedensvertrages. Die Verwirrung über das jähe Ende der lange Zeit eher erfolgreichen Kriegführung hält bis heute an. Ohne die USA wäre die Entente schon 1915 am Ende gewesen.

Die siegreichen Mächte trafen sich wenig später in Versailles, um einen Friedensvertrag auszuhandeln, anfangs ohne Beteiligung deutscher Vertreter. Englands Forderungen hielten sich anfangs in Grenzen. Der französische Regierungschef Clémenceau war das genaue Gegenteil. Er tat sich durch maßlose Forderungen hervor. Am liebsten hätte er die linksrheinischen Gebiete annektiert, was am Widerstand Londons scheiterte. Er riss das Saarland an sich und natürlich Elsass-Lothringen. Alle linksrheinischen Gebiete und ein fünfzig Kilometer breiter Streifen rechts des Rheins mussten entmilitarisiert werden. Außerdem forderte Clémenceau umfangreiche Reparationen auf materieller Basis. Deutschland sollte die alleinige Kriegsschuld anerkennen. Als Berlin die Unterschrift verweigern wollte, drohte Marschall Foch mit der Besetzung Deutschlands durch seine Armee. Notgedrungen wurde dieses Diktat unterschrieben.

Mit derselben Ellenbogenmentalität machte sich Clémenceau daran, den östlichen Teil Mitteleuropas neu zu ordnen. Gewiss war das keine leichte Aufgabe. Was am meisten störte, war die Selbstherrlichkeit, mit der das geschah. Als Erstes sollte der polnische Staat wieder belebt werden, den 170 Jahre vorher die aristokratischen Regimes Russlands, Preußens und Österreichs unter sich aufgeteilt hatten. Das konnte nur mit erheblichen Geburtswehen vonstattengehen, da sich Deutsche und Polen längst vermischt hatten. Der polnische Staat brauchte Kohlegruben in Oberschlesien für seine Energieversorgung, was zu einer eher seltsamen Grenzziehung vor Ort führte. Für noch mehr Verdruss sorgte der notwendige Zugang zur Ostsee, um am Handel teilnehmen zu können. Polen bekam den sog. Korridor an der Weichselmündung, der vorwiegend von Deutschen besiedelt war. Da es dort aber keinen Hafen gab, wurde Danzig dem Völkerbund unterstellt. Es sollte das deutsche und polnische Hinterland gleichermaßen bedienen, was sich als tödlicher Irrtum herausstellen sollte. Ostpreußen war nun vom Deutschen Reich getrennt. Über seine Verkehrsanbindung machte man sich kaum Gedanken.

Die baltischen Staaten kamen von Russland frei, das an dieser Konferenz gar nicht beteiligt war. Litauen nutzte später eine Schwächephase der deutschen Politik und riss das Gebiet um Memel an sich. Weit weniger geistreich verlief die Gründung des neuen Staates Tschechoslowakei.

Der umtriebige Benesch verstand es mit fragwürdigen Informationen, die Konferenz über die massiven Unterschiede zwischen den geografisch günstigen Grenzen und der ethnischen Zusammensetzung des neuen Staates zu täuschen. Dieser enthielt 40 Prozent Deutsche und Slowaken, 45 Prozent Tschechen und 15 Prozent Polen, Ungarn und Ukrainer. Er sollte innerhalb von 75 Jahren gleich zweimal zerfallen. Daran konnte auch ein sofort abgeschlossener Beistandspakt mit Frankreich nichts ändern.

Noch größer erwiesen sich die ethnischen Spannungen im neu geschaffenen Staat Jugoslawien, die bis heute anhalten. Serben, Kroaten, Slowenen, Mazedonier, Kosovaren und Muslime sollten einträchtig zusammenleben. Ungarn wurde selbstständig, aber in fast schamloser Weise territorial um sechzig Prozent geschrumpft. Von Österreich blieb wenig übrig. Auch dieser schäbige Rest sollte die europäische Politik noch beschäftigen. Unzufrieden war sogar Italien. Es hatte sich auf die Seite der Siegermächte geschlagen, nachdem ihm Südtirol als Beute versprochen worden war. Die Hoffnung auf einen Teil der deutschen Kolonien erwies sich als trügerisch, da diese an England fielen. London wollte seinen Traum verwirklichen, von Kapstadt über Kairo bis nach Kalkutta eine ununterbrochene Kette von Kolonialgebieten zu haben. Dazu gehörte auch Palästina. Dort durften fortan Juden ansiedeln, was zu unversöhnlichen Streitigkeiten mit der ortsansässigen Bevölkerung führte, die auch heute noch gewaltsam ausgetragen werden.

Das Osmanische Reich wurde natürlich auch liquidiert. Übrig blieb nur die Türkei, welche man gar noch vierteilen wollte. Kemal Atatürk verhinderte dieses Unterfangen in einen jahrelangen „Befreiungskrieg“ gegen Franzosen und Griechen. Die Briten zogen sich schon nach kurzer Zeit geschickt aus der Affäre. Denen war der Irak wegen seiner Ölvorkommen wichtiger. Sie mussten allerdings die Hoffnung begraben, ihre ohnehin starke Flotte durch die deutschen Schlachtschiffe zu verstärken, da sich diese im Hafen von Scapa Flow kurzerhand selbst versenkten.

Für mehr Aufregung in Deutschland sorgten die auferlegten Reparationen. Die Franzosen forderten jede Menge „Naturalien“, die fast einer Plünderung gleichkamen. Einig waren sich Briten und Franzosen, ihre riesigen Kriegskredite bei amerikanischen Geschäftsbanken den Deutschen aufzuhalsen. Daraus wurde ein Dauerthema der neuen deutschen Demokratie, das vor allem von den Nationalsozialisten eifrig diskutiert wurde.

Das komplexe Thema der Reparationen sollte vielleicht doch etwas näher betrachtet werden, da es die Weimarer Republik stark beeinflusst hat. Im Sommer 1920 verlangten die Siegermächte knapp 270 Milliarden Goldmark an Geld und Sachleistungen. Hundert Goldmark entsprachen etwa einer Unze (31 Gramm) Gold. Ein Jahr später „begnügte“ man sich mit der Hälfte, 132 Milliarden Goldmark, davon gut 80 Mrd. an Geld, das mit sechs Prozent verzinst werden sollte. Die britische Delegation war in dieser und anderen Fragen uneins, strebte im Wesentlichen ein gesundes Kräfteverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland an und sah letzteres als Bollwerk gegen die Bolschewiken in Russland an. Paris wollte und bekam ein möglichst schwaches Nachbarland. Die eigenen und fremden Folgelasten führten anno 1923 zur Hyperinflation in Deutschland, als belgische und französische Truppen das Ruhrgebiet besetzten. Ihr fielen alle Geldwerte in Deutschland zum Opfer. Auf Drängen der Amerikaner wurde die Reichsmark als neue Währung eingeführt. Ihre Stabilität sollte Vorrang vor allen anderen Interessen haben, auch sozialen. Deshalb wurde die Reichsbank mit den Kompetenzen einer Notenbank privatisiert. Ihr Aufsichtsrat bestand zur Hälfte aus internationalen Vertretern. Ein neuer Plan sah die Zahlung von ca. 2,5 Mrd. Reichsmark jährlich vor. Dank großzügiger Kredite von US-Banken bereitete das keine übermäßigen Probleme. Außerdem konnten sich die deutschen Banken auf dieselbe Weise mit reichlich Geld für die eigene Wirtschaft eindecken, was aber hohe Kreditzinsen zur Folge hatte. 1929 wurden die Reparationszahlungen auf zwei Milliarden Reichsmark für die Dauer von 59 Jahren festgesetzt. Wegen der Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch den Börsenkrach an der Wall Street im Oktober 1929, konnten sich die deutschen Banken kein Geld mehr im Ausland besorgen. Deshalb kam in Sommer 1931 zeitweise der Zahlungsverkehr fast zum Erliegen. Der chronische Geldmangel lähmte die Wirtschaft und trieb die Arbeitslosigkeit arg in die Höhe. Die vom Ausland dominierte Reichsbank verweigerte nämlich eine angemessene Geldversorgung. Erst unter Hitler änderte sich dieser unhaltbare Zustand. Ein Jahr später (1932) wurden die Reparationen für den 1. Weltkrieg als obsolet erklärt. Übrig blieben aber die neuen Schulden aus der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre.

Eine andere „Erfindung“ der Siegermächte sollte ebenfalls erwähnt werden. Die angloamerikanischen Delegationen forderten einen Völkerbund zur Verhinderung neuer Kriege. Das erwies sich jedoch als frommer Wunsch, weil Deutschland aus dieser Organisation ausgeschlossen wurde. Frankreich verwässerte das Konzept so sehr, dass der US-Kongress die Zustimmung zum Versailler Vertrag verweigerte und ein Separatfrieden mit Deutschland zustande kam mit milderen Forderungen. Der Völkerbund verkümmerte zu einem Instrument zur Disziplinierung Deutschlands, für die sich neben Frankreich und England auch Italien verbürgte. Es kam zwischen den Kriegen zu einer Entfremdung zwischen Frankreich und England, weil London eine Normalisierung des Verhältnisses zu Deutschland anstrebte, die später stark verteufelt wurde. Erst im Sommer 1939 wurde die Entente cordiale wieder mehr gepflegt. Italien schloss sogar ein Bündnis mit Deutschland.

Der Weg zum Gigantismus

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