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„Großpreußen“ wird eingekreist

Der Höhenflug des preußisch dominierten deutschen Staates dauerte nicht lange. Kaum war der unerfahrene Grünschnabel namens Kaiser Wilhelm II. an der Macht, begann auch schon eine Serie von Denkfehlern in der Außenpolitik. Der erste Schnitzer war dem frisch gekrönten Kaiser vorbehalten. Dem war Bismarck zu geistreich. Deshalb wurde er kurzerhand entlassen. Dessen wichtigster Verbündeter, Zar Nikolaus von Russland, wurde hellhörig. Er wollte wissen, was aus dem Bündnis wird, das Bismarck mit ihm geschlossen hatte. Der Zar wollte es erneuern zum Vorteil beider Staaten. Russland hatte Ruhe an seiner Westgrenze und Deutschland brauchte Frankreich nicht zu fürchten, das noch immer grollte. Doch so viel Einsicht überforderte die vorgeschädigte Gehirnsubstanz des neuen Staatsoberhauptes in Berlin. Der Zar bekam einen Korb. In Paris witterte man Morgenluft. Die französische Diplomatie umwarb mit Erfolg den Zaren und konnte einen Beistandspakt mit ihm schließen. Nun sah sich Kaiser Wilhelm in Berlin in der Zwickmühle. Er gewann Österreich-Ungarn und Italien als Verbündete. Primitiv betrachtet stand es nun drei zu zwei zu seinen Gunsten. England wollte sich keinem dieser Bündnisse anschließen. Es hatte ja genug damit zu tun, die vielen Kolonien in Schach und bei Laune zu halten, die es im Laufe der letzten Jahrhunderte angesammelt hatte, und von denen es sich gut leben ließ. Der umsichtige Regierungschef Salisbury hatte eine schier unüberwindliche Abneigung gegen die Fußangeln der europäischen Kontinentalpolitik, die nie wirklich zur Ruhe kam. In seiner dritten Amtszeit kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts musste er allerdings umdenken. Die Herren des Empires sahen sich neuen Herausforderungen gegenüber, die dem einflussreichen König des Landes auf das Gemüt schlugen. Die Japaner begannen mit dem Aufbau einer Flotte. Da sie sich auf ein Bündnis mit England einließen und sich strikt an die Abmachungen hielten, konnte das Mutterland mit der imposanten Flotte aufatmen, da seine Interessen im Pazifik nicht berührt wurden.

Anders war es mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Die USA waren mittlerweile die stärkste Wirtschaftsmacht der Erde, besaßen aber keine Flotte von internationalem Rang. Das tat deren Selbstbewusstsein jedoch keinen Abbruch. Als es zwischen Venezuela und British Guyana, der einzigen britischen Kolonie in Südamerika, zur diplomatischen Auseinandersetzung um einen reichlich nutzlosen Streifen im Dschungel kam, wollte Washington den Streit schlichten. Als sich London widersetzte, drohte die US-Regierung gar mit militärischen Konsequenzen. Der Klügere gibt nach, sagte sich Salisbury, und fügte sich in das Schicksal, da es eigentlich um nichts ging. Das irritierte jedoch den König, da Britannien fast zwanzig Mal mehr Schlachtschiffe besaß als die selbstherrlichen Yankees.

Mehr Ärger und Sorgen bereiteten die Buren. Dieser Bevölkerungsteil holländischer Abstammung in Südafrika widersetzte sich der britischen Besatzung. Kaiser Wilhelm II. bejubelte die Anfangserfolge der Aufständischen, was die Briten als Einmischung deuteten. Der König im Buckingham Palast forderte ein Ende der „herrlichen Isolation“. Britannien brauche Freunde, damit das Empire nicht ins Wanken geriet. Für den nächsten Kummer sorgte der deutsche Kaiser, der sich ohne jede Notwendigkeit in die kolonialen Händel zwischen England und Frankreich in Nordafrika einmischte. Die beiden bisher unversöhnlichen Rivalen einigten sich auf eine einträchtige Lösung. England sollte in Zukunft die Kontrolle über Ägypten ausüben und damit auch über den Suezkanal, den der Franzose Gustave Eiffel erbaut hatte. Marokko überließ man den Franzosen. In Berlin war man über den Plan der Royal Navy verwundert, über Dänemark die deutsche Nordgrenze anzugreifen oder die Küstenschifffahrt lahmzulegen.

Kaiser Wilhelm II. war von den großen Kriegsschiffen der Briten angetan. Sie suchten ihresgleichen. Er forderte vom Parlament ähnliche Schiffe und bekam auch das nötige Geld dafür. Den deutschen Werften fehlte aber das notwendige Wissen und so blieben die Schlachtschiffe der Helgolandklasse hinter dem Standard der Dreadnoughts zurück. Sie hätten für den Schutz der deutschen Nordseeküste gereicht, nicht aber für erfolgreiche Operationen auf den Weltmeeren. Die Kolbendampfmaschinen hatten zu wenig Leistung und den Kanonen fehlte es an Reichweite und Durchschlagskraft. Der frustrierte Kaiser forderte eine Nachrüstung mit gleichwertigen Schlachtschiffen. Der neue Schiffstyp machte die Briten nervös. Sie wollten deshalb noch leistungsfähigere Schlachtschiffe bauen, was zu enormen Ausgaben führte. Die Super-Dreadnoughts waren ultimative Kampfmaschinen, denen so gut wie nichts mehr widerstehen konnte. Trotzdem sahen die Briten in der preußisch-deutschen Hochseeflotte, wie sie das Reich hochtrabend nannte, die größte Herausforderung für die Royal Navy. Der „böse Feind“ war nämlich einfallsreich. Er erfand den Torpedo, der unter Wasser die Kriegsschiffe angreifen konnte. Gegen sie waren die Dreadnoughts sehr empfindlich. Doch die Torpedoboote mussten ihre tödlichen Waffen aus relativ kurzer Entfernung zum Einsatz bringen. Deshalb wurde eine mittlere Artillerie auf den Schiffen installiert mit doppelt so hoher Schussfolge. Nur war diese Maßnahme bald wirkungslos, da nun Unterwasserboote dem Stolz der Royal Navy auflauerten.

Gleich zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerieten Japaner und Russen aneinander. Das fernöstliche Inselvolk provozierte den Zaren, Inhaber der zahlenmäßig größten, aber veralteten Flotte durch einen zynischen Überfall auf die russische Pazifikflotte im Hafen. Die Ostseeflotte wurde zu ihrer Verstärkung in den Fernen Osten geschickt. Es kam zur Entscheidungsschlacht zwischen den beiden Seemächten, welche die Japaner eindeutig zu ihren Gunsten entschieden. London war beeindruckt und wertete das Bündnis mit den Japanern auf. Die Sorgen um die Seeherrschaft auf dem Atlantik blieben trotzdem, denn auch Frankreich strebte nach mehr Einfluss in Afrika und Asien. Deshalb entschloss sich der britische Regierungschef, um die Gunst Deutschlands und der Donaumonarchie zu werben, da von diesen beiden Staaten keine Gefahr für das Empire ausging. England, Deutschland und die USA sollten sich zusammen schließen, dann wäre man unantastbar. England hatte ja schließlich die stärkste Flotte, Deutschland die besten Landstreitkräfte und die USA das größte industrielle Potenzial. Der ebenso prahlerische wie dümmliche Kaiser in Berlin lehnte ab, auch dann noch, als England drohte, sich andere Verbündete zu suchen. Die französische Regierung nutzte diese Dummheit und warb in London mit dem Schlagwort der Entente cordiale. Über die Interessen beider Länder in Nordafrika wurde man sich einig. Die Stimmung in England gegenüber Deutschland verschlechterte sich, je mehr Kriegsschiffe Kaiser Wilhelm II. in Dienst stellte. Der Grundsatz der Royal Navy kam ins Wanken, mehr Kriegsschiffe zu besitzen als die Konkurrenten, da auch Franzosen und Italiener zur See aufrüsteten. London wollte sich nicht mit dem Schwinden seiner Herrschaft auf den Weltmeeren abfinden. Die Franzosen reagierten mit einem klugen Schachzug. Sie verlegten ihre Kriegsschiffe ins Mittelmeer.

Auch der preußische Generalstab gab sich Sorgen hin. Das Bündnis zwischen Frankreich und Russland musste zwangsläufig zu einem Zweifrontenkrieg im Ernstfall führen. Moltke wollte deshalb die Grenze zu Frankreich nur verteidigen, da die Vogesen ein natürliches Hindernis bei einem Angriff aus dem Westen darstellten, und weiter nördlich das neutrale Belgien Schutz bot. Die Hauptstreitmacht sollte die Russen nieder zwingen. Als Schliefen zum Generalstabschef ernannt wurde, drehte dieser die Prioritäten um. Er wollte erst Frankreich niederwerfen und sich dann den Russen widmen. Dieser Plan war nur zu realisieren, wenn der Vorstoß durch das neutrale Belgien gegen die Hauptstadt Paris vorgetragen wurde. Er konnte diesen flagranten Bruch des Völkerrechts dem Kaiser schmackhaft machen. Das sollte sich schließlich rächen.

Die deutsche Hochseeflotte war ein Ärgernis, aber nicht der Hauptgrund für das Zerwürfnis mit den Briten. London bangte um die industrielle Vormachtstellung in Europa. Deutsche Firmen hielten die Mehrzahl der Basispatente des industriellen Zeitalters inne. Die Briten investierten zu viel Geld in den Kolonien und vernachlässigten die Betriebe in der Heimat, wo gern gestreikt wurde. Deshalb bildete sich hinter dem Rücken von Parlament und Kabinett eine Kriegspartei, welche dieses Problem militärisch lösen wollte. Da eine schlagkräftige Armee fehlte, sollten Russland und Frankreich den Rivalen in die Knie zwingen. Der Kriegspartei in Paris gefiel dieser Plan. Aber das Zarenreich musste nach der Niederlage gegen Japan erst mittels großzügiger Kredite aufgerüstet werden. Dies geschah nur unzureichend.

Der Weg zum Gigantismus

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