Читать книгу Maremma - Johann Widmer - Страница 26
ОглавлениеLA SAGRA DEL CINGHIALE
Die grosse Wildschweinhatz ist der alljährliche Höhepunkt der Jagdsaison und das ganze Dorf nimmt daran regen Anteil. Aktiv oder passiv. Aktiv als Jäger, Treiber oder Sponsor, passiv als Nörgeler, Stänkerer, Besserwisser oder gar als Tierschützer.
Jagen, das ist die grosse Passion der echten Männer hierzulande, das ist das Fest urmännlicher Triebe und für manche bedeutet es das halbe Leben; von der Jagd erzählen und flunkern ist die andere Hälfte.
Erfolgreicher Abschuss von kleinen Singvögeln und von speziell ausgesetzten, ziemlich zutraulichen Fasanen und Hasen, das gilt als Geschicklichkeitsprobe, erfolgreiche Wildschweinjagd aber ist Heldentum. Dank der vielen furchterregenden Gräuelgeschichten, seit dem klassischen Altertum im Umlauf, gilt die Wildschweinhatz als äusserst gefährlich und daher als besonders männlich.
Ängstliche Hubertusjünger, und solche gibt es hier recht viele, die aber mit dem Doppelläufer ihren Mut und ihre Männlichkeit zu beweisen haben, bewahren ihr Leben und ihre teure Jägerkleidung vor Schaden, indem sie auf alles schiessen, was sich bewegt. Hinterher sehen sie dann nach, was oder wen sie getroffen haben. Mit ihrer wilden Ballerei versuchen sie wohl ihren Beitrag zu leisten gegen die drohende Überbevölkerung unseres Planeten.
Die Jagd, oder genauer gesagt der Jagdunfall soll häufig dazu dienen, unausgeglichene Konten von Familien- oder Nachbarschaftsfehden in Ordnung zu bringen, aber das sind natürlich unbeweisbare Behauptungen hinterhältiger Jagdgegner, die den edlen Sport in Verruf bringen wollen.
Je näher der Eröffnungstag der Wildschweinjagd rückt, desto emsiger werden die notwendigen Vorbereitungen getroffen. Geschäftige Nervosität befällt alle Familien, denn es müssen neue Jagdanzüge massgeschneidert werden, weil niemand gerne brutta figura machen will. Neue Flinten werden angeschafft oder die alten zum Büchsenmacher zur Revision gebracht, denn Fehlschüsse machen einen Jäger bald einmal zum Dorfgespött.
Die Hunde müssen trainiert werden, das verlorene Jagdmesser will ersetzt sein, der alte Hut geht auch nicht mehr, die Stiefel sind nicht mehr modern genug und vielleicht reicht›'s dieses Jahr zu einem Fernglas oder gar zu einem Walkie-talkie. Für die Jagd ist nichts gut genug, denn schliesslich geht es da um alles.
Das allgemeine Jagdfieber würde dieses Ereignis in südländisches Chaos stürzen, brächte nicht der örtliche Jagdklub Ordnung in die Sache mit seiner straffen Organisation. Dieser Verein, eine Unterorganisation der örtlichen Mehrheitspartei, wählt alljährlich die Jagdkommission, das heisst, sie bestätigt die von der Parteispitze vorgeschlagenen Kandidaten. Einheitsliste wie gewohnt.
Opposition hatte es nie gegeben, denn das wäre ja ein schwerwiegender Verstoss gegen die Parteidisziplin gewesen und diese Unmoral konnte sich im Dorf kaum einer leisten.
Und doch geschah das Unfassbare eines Tages.
Eine Gruppe junger Parteimitglieder wehrte sich gegen die Einheitsliste, mit der einfachen Begründung, diese Art von Wahl sei undemokratisch. Sie wollten die Liste erweitern, vor allem mit Leuten ihrer Generation.
Der Krach war da.
Parteiführung und die bisher von ihr bevorzugten Genossen liessen nicht mit sich reden. Das hätte man immer so gemacht und bei der Jagd zähle vor allem die Erfahrung und man könne nun doch nicht altverdiente Kämpfer einfach so mir nichts dir nichts kaltstellen und, und, und.
Die Jungen blieben hart und drohten schliesslich mit der Gründung eines eigenen Vereins.
Da kam Bewegung in die alte Garde. Man vertagte die Sitzung auf den nächsten Abend, damit alle nochmals darüber schlafen konnten.
Mit Schlaf war nicht viel, dafür aber waren die nächsten Stunden mehr als ausgefüllt mit Kungelei, Versprechungen, Drohungen, Schmiergeldangeboten und erbittert zähen Geheimverhandlungen.
Am folgenden Abend machte der Parteisekretär persönlich den Vorschlag, dass man für die 17-köpfige Jagdkommission 34 Kandidaten zur Wahl stellen werde.
Nach stundenlanger hitziger Diskussion war die Parteispitze einverstanden, dass Partei und Opposition je 17 Vorschläge bringen durften.
Wegen der späten Stunde verschob man die Wahl auf den folgenden Abend.
Jede Gruppe brachte sämtliche Mitglieder und alle nur möglichen zugewandten Parteigänger mit.
Der Gemeindesaal war zum Bersten voll.
Offensichtlich hatte die Partei eine gewaltige Übermacht organisiert.
Sie stellte ihre Kandidaten vor. Alles alterprobte Jäger, hochverdiente Parteigenossen, Behördenvertreter und legendenumwitterte Partisanen. Da hatten die Gegenkandidaten, diese grünen Jünglinge, Jagddilettanten und blutigen Anfänger keine Chance.
Der Wahlausgang schien im Voraus entschieden zu sein zugunsten der alten Garde und so verzichtete die Partei in ihrer Siegesgewissheit auf die sonst üblichen Manipulationen. Man konnte dem Verdikt ruhig entgegensehen.
Als die Wahlzettel ausgezählt waren, herrschte grosse Bestürzung im Parteihimmel.
Von den 17 Sitzen hatten die Jungen deren 9 erobert.
Der grosse Jubel im Saal übertönte das fast ebenso laute Zähneknirschen auf der Regierungsbank.
Die restliche Nacht verbrachte die Nomenklatura mit Geheimberatungen.
Irgend etwas war da schief gelaufen, das war klar. Wer hatte wohl die Parteidisziplin nicht beachtet?
Wer alles hatte da für die Gegner gestimmt? Wer waren die Heckenschützen?
Man wollte und musste wieder einmal zeigen, wer hier das Sagen hatte. Eine Säuberung drängte sich auf. Man hatte ja einige probate Mittelchen um die abtrünnigen Schäfchen zur Räson zu bringen.
Als erstes musste man wohl eine kleine Wahlkorrektur vornehmen.
Aber da lehnte sich plötzlich der Parteisekretär persönlich dagegen auf und riet, die Wahl zu akzeptieren.
Vielsagende Blicke wurden ausgetauscht.
Daher wehte also der Wind, ein Wind, der sehr nach Verrat roch.
Man zog Parteigrössen der Provinz zu Rate.
Auch sie empfahlen, der Sache nun mal ihren Lauf zu lassen, denn beim gegenwärtigen Stand der Dinge könne nicht mehr viel manipuliert werden, ohne dass es bemerkt würde. Man könne auch siegen, indem man nachgebe und übrigens dürfe man die nächsten Parlamentswahlen nicht aus den Augen lassen und daher das Wahlvolk nicht allzusehr vergraulen, denn die allgemeine politische Situation im Lande sei sehr verworren und verlange äusserstes Fingerspitzengefühl.
Murrend fügten sich die Unterlegenen schliesslich.
Traditionsgemäss wurde der Präsident der Organisationskommission vom Parteisekretär bestimmt.
Und siehe da, siehe da, er bestimmte Ferro, einen Jungen, zum Anführer, mit der faulen Ausrede, dass seine Gruppe in der Kommission die Mehrheit und daher auch das Anrecht auf die Leitung habe.
Obschon Ferro ein schlauer Bursche war, als erfolgreicher Mittelstürmer der örtlichen Fussballmannschaft sogar eine Art Dorfheld, wollten die Alten diese Kröte nicht schlucken.
Sie stellten ein Ultimatum: Entweder wird Acciaio, der langjährig bewährte Anführer gewählt, oder sie würden einen eigenen Verein gründen.
Und so stand nun, über Nacht sozusagen, ein würdevoller Seniorenjagdverein altverdienter Patrioten diesem Juniorenclub unreifer Hubertusjünger gegenüber.
Die hitzigen Debatten und vereinzelten Handgreiflichkeiten der folgenden Tage wurden schliesslich vom Bürgermeister beendet, indem er auf Anraten des Parteisekretärs, per Dekret das Gemeindegebiet in zwei Jagdgebiete aufteilte und sie den zwei verschiedenen Jagdvereinen zur Verfügung stellte.
Die Grenze verlief mitten durch das grosse Waldgebiet im Südteil der Gemeinde, dort wo sich die vielen Wildschweine verstecken.
Kaum waren die Jagdgebiete abgegrenzt, so wurden Nacht für Nacht Spähtrupps ausgesandt, um die Wildwechsel und die Suhlstellen auszukundschaften.
Es wurden aber auch Freischärler ins gegnerische Waldgebiet geschickt, die dort nächtelang wild herumballerten, um die Wildschweine zu vertreiben und sie nach Möglichkeit ins eigene Revier zu lenken.
Acciaio drohte seinen Gegnern mit Prügeln, Parteiausschluss und Anzeige bei den Carabinieri, weil sie vor Jagdbeginn anscheinend wilderten.
Zwei Tage später wurde sein Vetter Ottorino im gegnerischen Waldstück erwischt. Mit zerbrochener Flinte und blutig geschlagenem Sitzteil kehrte er von seiner missglückten Expedition ins Dorf zurück.
Die Parteispitze tobte ob dieser Unverschämtheit, einen amtierenden Gemeinderat wider alle Menschenrechte derart zu misshandeln.
Das war Beamtenbeleidigung, das war ein Angriff auf die staatlichen Institutionen und Beleidigung aller patriotischen Partisanen, denn der Misshandelte war Träger verschiedener Tapferkeitsmedaillen. Man musste unbedingt etwas unternehmen gegen das überhandnehmende Rowdietum einer fehlgeleiteten, reaktionären und bourgeoisen Jugend. Man müsse die Schandbuben unbedingt erwischen um diesen kriminellen Hooligans ein für alle Mal ihr verbrecherisches Tun zu verleiden.
Das halbe Dorf war empört.
Die andere Hälfte zerplatzte fast vor Schadenfreude.
Vom nächsten Zwischenfall erfuhr man bedauerlicherweise nicht viel, da der Dorfarzt, der dem Pechvogel aus Ferros Gruppe die Schrotkügelchen aus dem Rücken entfernen musste, an die ärztliche Schweigepflicht gebunden war.
Einige unbedeutende Plänkeleien füllten die Zeit vor dem grossen Tag aus, an dem es endlich losgehen konnte.
Weil der Tag X ausgerechnet ein Werktag war, beschloss die Gewerkschaft einen Generalstreik, damit das Volk der Werktätigen an der grossen Hatz teilnehmen konnte.
Lange vor Sonnenaufgang entfernten sich zwei endlos lange Wagenkolonnen aus dem Dorf und als der Tag anbrach, hatten Treiber, Hundehalter und Jäger ihre Stellungen bezogen.
Die beiden Anführer waren sehr nervös, denn an diesem Tag ging es um weit mehr, als nur um Jägerehre allein, diesmal ging es förmlich um die Wurst.
Die Verliererpartei hatte sich um den Spott wahrlich nicht zu sorgen.
Falls alles schief laufen sollte, überlegte sich Ferro, würde er womöglich auswandern. Vielleicht dass er beim Fussballklub Milan unterkam, vielleicht würde er in Deutschland oder Belgien Arbeit suchen.
Acciaio seinerseits wusste, dass diese Schlacht gewonnen werden musste, denn sonst würde sein Ansehen im Dorf auf den Nullpunkt sinken und seine Hoffnung, den amtierenden Bürgermeister bei den nächsten Wahlen herauszufordern, müsste er wohl begraben. Man hatte ihm da schon allerhand Versprechungen oder Andeutungen gemacht, die natürlich alle wertlos würden.
Ferro hatte seine Truppe mit mobilen Funkgeräten ausgerüstet und er hatte sein Hauptquartier in seinem Geländewagen eingerichtet und mit einer Karte auf den Knien und dem Funkgerät in der Hand, leitete er die Schlacht seiner Getreuen.
Acciaio hatte auf einer alles überragenden Hügelkuppe Stellung bezogen, wo er mit einer Handvoll Getreuen, die er als Kuriere einsetzen konnte, den Schuss in die Luft abgab, mit dem die Jagd eröffnet wurde.
Die Treiberhunde durchstreiften das Dickicht, die Treiber begannen zu schreien, zu rufen, zu heulen und zu ballern um den Jägern die Wildsauen vor die Flinten zu treiben.
Für die Wildschweine war der jüngste Tag angebrochen. Die Hölle war los.
Für Nichteingeweihte schien mindestens die Schlacht von Montecassino oder um Verdun im Gange zu sein, denn vom Dorf aus liess sich das Geknalle der beiden Gruppen nicht voneinander unterscheiden.
Die Treiber schrien und schossen vor Begeisterung in die Luft, die Jäger knallten auf alles, was sich vor ihren Flinten bewegte und die Hunde bellten und heulten sich in eine wahre Hysterie hinein. Es war eine richtig herrliche Wildsauhatz.
Als nichts mehr abzuknallen war, ertönte das Trompetensignal der Anführer, das Zeichen, das den Abbruch und das Ende der Jagd ankündigte.
Der Augenblick des Zählens kam, es musste Bilanz gezogen werden.
Jede der beiden Gruppen hatte etwa zwei Dutzend Wildschweine verschiedener Grössen erlegt.
Dass auch einige Hunde dabei auf der Strecke geblieben waren, erstaunte niemand besonders, das gehörte halt dazu, aber als man kurz vor dem Wegfahren hinter einem Gebüsch die dreifach durchlöcherte Leiche des Parteisekretärs fand, wurde doch einigen Jägern sehr mulmig zumute.