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LA VEGLIA

Mit «la veglia» bezeichnete man hier in der ländlichen Toscana ein abendliches, geselliges Beisammensein, vor allem an den langen Winterabenden. Ziemlich spontan lud einer der Bauern seine Nachbarn zu einer Veglia ein. Meist scharte man sich dann ums Kaminfeuer, vielleicht wurde dabei noch Mais abgekernt, die Frauen im Hintergrund häkelten an ihren kunstvollen Decken, sicher aber hatte man sein Glas Rotwein neben sich, Kastanien brieten über dem Feuer und verbreiteten ihren typischen Heisse – Marroni – Duft. Man diskutierte aktuelle Probleme der Landwirtschaft, man besprach Tagesereignisse oder man sass einfach da und blickte schweigend in die Flammen. Es herrschte eine ruhige, gemütliche und zufriedene Stimmung.

Und irgendwann mal wurde einer aufgefordert, eine Geschichte zu erzählen. Was er erzählen wollte, blieb ihm überlassen. Es konnte sich um Erlebtes handeln, um Gehörtes, um längst Vergangenes oder auch um frei Erfundenes.

Was da alles zum Vorschein kam, war unglaublich. Manch einer, dem man normalerweise jedes Wort einzeln aus dem Mund ziehen musste, entpuppte sich hier als begnadeter Erzähler, der sehr wortreich und in epischer Breite die banalste Begebenheit zum literarischen Epos machen konnte, während ein anderer, den man für einen humorlosen Typen gehalten hatte, den restlichen Abend lang die ganze Gesellschaft zum Lachen brachte. Während man dem einen lange zureden musste, bis er endlich seinen Mund auftat, mussten andere in ihrer Redelust irgendwann gebremst werden, da morgen wieder ein arbeitsreicher Tag auf uns alle wartete.

Die erzählte Geschichte bildete jedesmal den Höhepunkt des Abends, auch wenn man sie vielleicht schon zum zweiten Mal gehört hatte.

Mündliche Überlieferung aber geht irgendwann mal verloren, wenn sie nicht aufgezeichnet wird und mit dem Schreiben taten sich damals die allermeisten Bauern hier sehr schwer, falls sie es überhaupt beherrschten.

Dieses alte Brauchtum hatte in den Jahren um 1882 den Schriftsteller Renato Fucini zu einem, leider etwas in Vergessenheit geratenen Geschichtenband angeregt, den «Veglie di Neri».

Die nachfolgenden Kaminfeuergeschichten sollen als «hommage» an meinen Vorgänger verstanden sein, der 1843 in «unserm“ Dorf geboren wurde.

Mit der Ankunft des Fernsehens in den siebziger Jahren wurde diese Idylle aber jäh zerstört, denn die neue Unterhaltung war spannender, unterhaltsamer und brachte die weite Welt in die engen Stuben. Da kamen neue Geschichten, sogar noch von bewegten Bildern begleitet, schöne Musik, viel nackte Frauenhaut und viel seichte Unterhaltung, dass man gut und gern auf die «Vegliageschichten» verzichten konnte.

Natürlich war der Fernseher nicht der einzige «Schuldige» am Untergang dieser alten Tradition, er war nur ein Glied in der langen Kette verschiedenster Ursachen, wie: die Landflucht, also die rasche Abwanderung der überalterten, kleinbäuerlichen Bevölkerung, das Auto, das mobil und unstet macht, die junge Generation, die anderen Vergnügungen den Vorzug gab und vieles mehr.

Es soll an dieser Stelle auch kein Klagelied auf die gute alte Zeit angestimmt werden, im Gegenteil sollen diese Kaminfeuergeschichten einen Hauch jener Atmosphäre vermitteln und ein frohes Andenken an all die schönen Veglia-Abende sein, die wir hier noch erleben durften, mehr als 150 Jahre nach Renato Fucini.

Aber nun zu den Geschichten:

Maremma

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