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Rom, Dezember 1606
Peter sah nichts mehr vor Wut. Nicht die antiken Gebäude Roms, die er verehrte, nicht die Pferdeäpfel, die in der Sonne dampften, nicht das Mädchen, das in einer Gasse im Dreck spielte. Das Kind war damit beschäftigt, am Boden hockend mit einem Ästchen im lehmigen Boden herumzustochern, und nur knapp verfehlten die Vorderhufe des Hengstes seinen Kopf. Abrupt brachte er das Tier zum Stehen, sprang hinab und beugte sich keuchend über das Mädchen, das ihn fragend ansah und sich über die verkrusteten Lippen leckte. Bis auf die laufende Nase und die verlausten Haare schien es ihm gut zu gehen.
Peter war im Begriff, sich erleichtert abzuwenden, als eine schmutzige Frau herangerannt kam, mit kräftigen Händen nach dem Kind griff, es ruppig auf den Arm riss und ihn musterte, vom schwarzen Hut über die goldene Kette bis zu den Schuhspitzen.
„Piekfeines Warzenschwein“, fauchte sie ihn an und fuchtelte mit einem Arm vor seinem Gesicht herum.
Peter starrte sie einen Moment lang an, ohne dass ihm eine passende Entgegnung in den Sinn kam, wandte sich wortlos ab, trat mit dem rechten Fuß in den Steigbügel und schwang sich auf seinen Hengst. Die Frau hatte jedes Recht, aufgebracht zu sein. Er war so zornig gewesen, dass er zu schnell geritten war, mit den Gedanken anderswo.
Im Schritttempo lenkte er das Tier nun in Richtung Via de la Croce.
„Holzköpfiger Rotzkäfer“, rief sie ihm hinterher.
Er wollte noch einmal zurücksehen und begann den Kopf zu drehen, als ihn ein feuchter Klumpen mit Wucht seitlich ins Gesicht traf. Er rutschte zur Seite, fluchte, brachte sein Pferd zum Stehen und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Dann sah er wie die fleischige Hand der Frau erneut zugriff, in der guten Gewissheit, dass der feine Rotzkäfer auf dem Pferd mehr Abscheu gegen die stinkende Ladung haben würde als sie selbst. Das Mädchen quiekte, erfreut über das neue Spiel, ging in die Hocke und steckte einen Zeigefinger in einen der dampfenden Haufen. Peter bohrte seinem Hengst die Fersen in die Seiten. Der zweite Pferdeapfel traf ihn im Nacken, und einige Brocken blieben zwischen Hals und Kragen kleben. Er versuchte vergeblich, mit der rechten Hand seinen Kragen zu säubern, während er weiterritt. Die dritte Ladung verfehlte ihr Ziel; er war weit genug davongekommen.
Wenig später bog Peter in gemäßigtem Galopp in die Via della Croce ein, stieg vor der Wohnung vom Pferd und rief nach dem Diener. Giovanni erschien in der Tür, das dümmliche Grinsen im Gesicht, das ihn stets begleitete. Hinter ihm eilte die gewaltige Haushälterin heran, die sich watschelnd an ihm vorbei drängte.
„Was um Himmelgotteswillen ist geschehen?“ rief sie aus und legte die fetten Hände über die Augen.
Sie bewegte sich für ihre Leibesfülle erstaunlich rasch vorwärts, nahm noch an Geschwindigkeit zu, je näher sie ihm kam, und Peter bekam es mit der Angst zu tun angesichts der Masse an Mensch, die auf ihn zusteuerte. Als sie vor ihm zum Stehen kam, war ihm, als bewegten sich Teile ihres Körpers noch eine Weile weiter, während sie mit weichen Fingern begann, an seinem Hemd herumzuhantieren.
Für gewöhnlich war es Giovanni, der ihren speckigen Fingern zum Opfer fiel. Mia hatte besonderen Gefallen an dem Italiener gefunden, in erster Linie, weil sie alles liebte, was klein und zierlich war, und mehr als einmal hatte Peter beobachtet, wie sie Giovanni mit ihren massigen Armen in die Höhe gehoben und ihn auf den Mund geküsst hatte.
Philipp hatte es wahrlich versäumt, diesen Menschen auch nur ein Mindestmaß an Respekt und Anstand beizubringen. Diese Vertraulichkeit und diese Einfalt!
Doch er ließ Mia gewähren, während Giovanni, dessen Grinsen noch ein wenig breiter und dümmlicher war als sonst, ihm die Zügel des Hengstes abnahm.
„Der arme Herr Täuberich ist vom Pferd gefallen, nicht wahr. Zu schnell geritten und gefallen … “, flötete Mia.
Peter brummte.
„… gefallen ist der arme Herr Täuberich, in einen Misthaufen wohl.“
„Eher der Misthaufen auf mich.“
Mia hörte mit der Säuberung seines Kragens für einen Moment auf und sah ihn mitleidig an. Er habe sich den Kopf gestoßen, stellte sie fest und schickte ihn ins Bett.
Peter war es recht, dass er die wahre Begebenheit nicht wiedergeben musste. Dieses Volk war geschwätzig und er wollte nicht, dass Philipp von seinen vormittäglichen Demütigungen erfuhr. Er würde sich andernfalls bestätigt fühlen in seinem Urteil über ihn und selbstverständlich annehmen, dass ihm, dem Juristen, das nicht widerfahren wäre. Ins Bett gehen würde er allerdings nicht, nur ein Bad nehmen, um den unfeinen Geruch abzuwaschen und wieder er selbst zu werden.
In seiner Kammer begann er, sich zu entkleiden, als es an der Tür klopfte. Giovannis bläulich schimmernde Locken erschienen im Türrahmen. Er war ein, bei all seiner Einfalt, erstaunlich gut aussehender Kerl, den Philipp auf der Straße aufgelesen hatte. Der kleine Italiener war in eine Schlägerei mit zwei riesigen Kerlen verwickelt gewesen, als Philipp ihn im Vorüberreiten zu sich aufs Pferd gezogen und ihm das Leben gerettet hatte. Dann hatte er ihm die Anstellung als Diener gegeben, obwohl Giovanni zu keiner Zeit ein Geheimnis daraus gemacht hatte, dass die Kerle gute Gründe gehabt hatten, ihm den Kopf abreißen zu wollen. Peter hatte daraufhin Erkundigungen eingeholt und herausgefunden, dass der Italiener ein stadtbekannter Kleinganove war, der durch dreiste Diebstähle aufgefallen war. Einer alten Dame hatte er auf dem Markt ein gebratenes Huhn gestohlen, in das sie gerade hatte hineinbeißen wollen. Einer Gruppe Kinder hatte er einen riesigen Kürbis geklaut. Und das waren nur die Begebenheiten, von denen Peter erfuhr. Er war überzeugt davon, dass Giovanni zu schlimmeren Taten imstande war. Es umgab ihn etwas Wunderliches und Fremdes. Vielleicht war das die dunkle Aura eines Menschen, der früh im Leben unaussprechliche Dinge gesehen hatte. In seiner ersten Zeit bei Philipp in Rom war Peter gar der Überzeugung gewesen, Giovanni wäre stumm, so wenig sprach er an manchen Tagen.
Aber Philipp ließ sich nicht davon abbringen, den Gauner in der gemeinsamen Wohnung einzuquartieren. Er glaubte, wenn er ihm alles gab, was er zum Leben brauchte, dann hatte er nichts von ihm zu befürchten, dann würde er sich damit, ganz im Gegenteil, seine uneingeschränkte Loyalität erwerben.
„Herr Philipp ist aufgebrochen, ohne ein Wort.“
„Und?“
„Weiß nicht, Herr, es hatte ihn etwas gegriffen.“
„Du redest Verrücktheiten.“
„Dämonen vielleicht.“
„Mein lieber kleiner Schwätzer, du wirst dich eines Tages um den Verstand reden. Die Zunge wird dir abfallen.“
Giovanni Augen weiteten sich, doch er schwieg.
„Ich bade jetzt.“
„Herr, der Streit mit dem Herrn Bruder …“
„Schwätzer, der du bist, nun geh schon. Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
„Herr Philipp hat geschrien.“
„Er hat geflucht?“
„Hölle!“
„Wie?“
„Herr Philipp hat fürchterliche Dinge gesagt. Unmöglich, kann ich sagen, was Herr Philipp gesagt hat. Hölle!“
„Philipp hat lästerlich gesprochen?“
„Hölle!“
Der Italiener duckte sich und bewegte sich in gekrümmter Haltung aus dem Zimmer.
Philipp hatte Peter beim gemeinsamen Abendessen am Vortag als Handwerker tituliert, ganz nebenbei, als wäre diese Bezeichnung selbstverständlich, als hätten die intellektuellen Kreise Roms ihn nicht als Ihresgleichen akzeptiert, sondern lediglich geduldet, als Gefallen an Philipp. Dabei wusste der Bruder nur zu gut um die edle Natur der Malerei. War es doch Philipp gewesen, der ihm die alten Geschichten erzählt hatte. Wie Karl IV. sich einmal heruntergebeugt und dem großen Tizian den Pinsel aufgehoben hatte. Und wie Kaiser Maximilian Albrecht Dürer die Leiter gehalten hatte.
In seinen Nachtkleidern kletterte er die Stiege hinunter. In der Küche fand er den Badetrog vor, randvoll mit dampfendem Wasser. Er entkleidete sich, stieg hinein, und wartete darauf, dass die Wut abklingen würde. Er war entschlossen, sich für eine Weile einer Vision Giulias hinzugeben, die mit entblößten Brüsten und verästelten Haaren hereinkam, sich im Schneidersitz neben der Wanne niederließ und ihm süßen Rauch ins Gesicht blies. Doch jedes Mal, wenn er die Augen schloss, erschien ihm anstatt dessen die schmutzige Frau mit den Pferdeäpfeln. Er war nicht imstande zu begreifen, warum seine Erscheinung sie nicht eingeschüchtert hatte, und begann zu überlegen, ob Philipp Recht hatte, ob etwas an ihm war, dass ihn in grundlegender Weise von einem Edelmann unterschied. Hatte seine Malerei ihn bereits derart geprägt, dass man ihm trotz der teuren Gewänder, trotz des edlen Rosses und des schweren Goldschmucks ansah, dass hier ein Mann unterwegs war, der von seiner Hände Arbeit lebte wie ein Landarbeiter?
Er hob die Hände aus dem Wasser, spreizte die Finger und erschrak. Azurblaue Pigmente saßen unter den Nägeln der rechten und etwas weniger auffällige ockerfarbene unter denen der linken Hand. Wie die Erde an den Händen eines Kartoffelbauern.
Er schrubbte zuerst seine Finger ausgiebig, dann den Rest seines Körpers etwas nachlässiger und stieg rasch aus dem Trog, nun zusätzlich erzürnt darüber, dass ihm die düsteren Gedanken das Bad verdorben hatten.
Als er wenig später in frischen Kleidern und mit gerötetem Gesicht hinaustrat, sah er den Bruder, der schnellen Schrittes auf das Haus zukam. Im selben Moment fiel der Zorn von ihm ab. Philips schönes Gesicht mit dem fuchsigen Backenbart war angespannt und er trug noch seine Nachtwäsche, hatte lediglich seinen langen Mantel darüber gezogen. Peter ging einige zögerliche Schritte auf ihn zu.
„Ein Brief von der Mutter“, rief Philipp.
Peter spürte seinen Magen.
„Was schreibt sie?“
„Es geht ihr schlecht. Das Asthma. Sie bittet darum, einer von uns möge nach Hause kommen.“
Philipp erreichte Peter und wich sofort einige Schritte zurück. Er hatte es offensichtlich nicht geschafft, den widerwärtigen Geruch ganz abzuwaschen.
„Was zum Herrgott ist geschehen?“
Peter dachte daran, dass es gut möglich war, dass die Mutter bald sterben würde. Sie war eine alte Frau, die bereits ihre eigene Tochter überlebt hatte. Und er dachte daran, dass es gut möglich war, dass er dann ebenfalls sterben würde. Er fühlte bereits diesen stechenden Schmerz in der Brust. Er würde wohl auch am Asthma danieder gehen.
„Ich bin vom Pferd gefallen.“
„Und gelandet bist du in der schlimmsten aller römischen Gossen?“
„Was tun wir wegen Mutter?“
„Ich werde zurückgehen. Ich habe meine Stelle in der Bibliothek bereits aufgegeben. Und du sollst hierbleiben und deine Arbeit am Gemälde für die Chiesa Nuova vollenden. Aber ich muss gehen, auch weil Mutter Hilfe mit Blandines Kindern braucht.“
Peter schüttelte den Kopf. Er mochte nicht an die tote Schwester denken.
„Wann reist du ab?“
„Noch heute.“
Am Abend stieg Peter die Treppe zum Atelier hinauf. Als er – voller Tatendrang und bereit, die gesamte italienische Kunst der Gegenwart in einem Atemzug aufzusaugen – zu Philipp nach Rom gekommen war, war dieser Raum schon aufs Beste für ihn ausgestattet gewesen, als hätte der Bruder seine Ankunft kaum erwarten können. Er streifte sich den farbverschmierten Kittel über, nahm die Palette in die Hand und begann, Farben anzurühren. Der beißende Geruch der Öle stieg ihm in die Nase, und er sog ihn tief in die Lungen.
Als der Pinsel zum ersten Mal an diesem Tag die Leinwand berührte, war ihm als lösten sich unsichtbare Gewichte von seinen Armen und Beinen, von Brust und Kopf, und flögen, mit einem Mal federleicht und unbedeutend, auf und davon. Wenige Minuten später hatte er sich in der Arbeit verloren. Erst viele Stunden später, es war bereits finster, erwachte er aus seiner Versunkenheit und bemerkte wie hungrig und müde er war. Er setzte sich in den Sessel, der in einer der hinteren Ecken des großzügigen Raumes beim Fenster stand, um sich einige Minuten zu sammeln.
Früh am nächsten Morgen erwachte er. Er trug seinen Kittel und saß noch immer in dem muffigen Ateliersessel. Sein Blick fiel auf das Gemälde, das auf der Staffelei mitten im Raum stand. Er richtete sich unwillkürlich auf und hielt inne. Es war vollendet. Er war für einen Augenblick unfähig zu begreifen, dass er es war, der es erschaffen hatte.
Dann rappelte er sich hoch, machte Feuer im Ofen, wärmte mehrere Kessel Wasser auf, goss sie zum Bade und wusch sich, dieses Mal gründlich und ausgiebig. Gekämmt und rasiert verließ er in eine Parfümwolke gehüllt wenig später das Haus, in dem die Bediensteten noch schliefen. Die Leinwand konnte er den Brüdern noch nicht präsentieren, sie musste noch mehrere Tage an ihrem Platz bleiben, bis die Ölfarbe getrocknet war. Vielleicht würde er sie bei gutem Wetter in den kleinen Garten hinter dem Haus stellen. Aber er musste sie wissen lassen, dass es vollbracht war.