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Anfänge

Lange Zeit habe ich mich gar nicht damit beschäftigt, ob ich einmal Kinder bekommen würde, Kinder bekommen wollte. Lange Zeit war ich nicht einmal Teil eines Paars. In meinen Zwanzigern war ich damit beschäftigt, die Stadt, in der ich immer noch lebe – Köln –, kennenzulernen, vor allem ihr Nachtleben. Ich habe studiert und war fleißig, ich habe studiert und war faul, ich habe mehr Bücher gelesen als je zuvor in meinem Leben, ich habe mehr Musik gehört und mehr Konzerte besucht, als ich es mir als Teenager im Emsland auch nur ansatzweise hätte vorstellen können, ich habe meine Eltern enttäuscht und wieder stolz gemacht. Ich habe Filme geschaut und Serien ohne Ende. Ich habe mit Freundinnen Nächte durchgemacht und Tage durchgegammelt, geredet, angefangen, bitteren Kaffee zu trinken und in meiner Küche Zigaretten zu rauchen – in dieser Küche, die ein Auffangbecken war für all die verlorenen Seelen meiner Freundinnen und Freunde, die die kalte Großstadt kennen- und hassen und lieben lernten, denn ich habe auch viele Freundinnen und Freunde gefunden und einige davon wieder verloren. In meiner Küche stand ein alter CD-Player mit ziemlich schwachen Boxen, über den wir trotzdem viele CDs gehört haben, und mit einem Kabel konnten wir unser Handy anschließen. Tagsüber hörten wir Alt-J und schauten aus dem diesigen Fenster, an dem wahrscheinlich heute noch das Wachs der Kerzen klebt, die in den alten grünen Flaschen steckten, in einen Kölner Innenhof und in andere Kölner Wohnungen, in denen einsame oder zweisame Menschen saßen und rauchten und redeten. Nachts tranken wir den Schnaps meines Mitbewohners und hörten die Pet Shop Boys und Moderat oder Arcade Fire, so lange, bis wir betrunken aus der Haustür fielen und hinein in die Nacht, die uns aufsaugte wie in einen Strudel aus Licht, Nacht, Nähe und Einsamkeit. Ich habe mich verliebt und schmerzhaft wieder entliebt, ich habe Herzen gebrochen und selbst mein Herz so oft strapaziert, an allen Enden und Ecken gezerrt und gezurrt, nur um am Ende pathetisch zu seufzen: At least I’m alive! Den Schmerz, ich fühle ihn wenigstens. Ich bin in der Lage, ihn zu fühlen.

Ich habe an der Uni Kurse besucht und mich immer fehl am Platz gefühlt zwischen den klug schwafelnden Germanistinnen und Germanisten in Bonn. In den Pausen habe ich mit meinen Freundinnen und Freunden Kaffee getrunken und auf Bäume geschaut, wir haben uns mit Laub beworfen und es kurz darauf albern gefunden, wir haben geredet und geredet und geredet – über die Welt, wie wir sie aus unserem kleinen, begrenzten Sichtfenster heraus sahen, über die Welt, wie sie sein würde, und über die Welt, wie sie war. Wir fühlten uns lost und zugleich so lebendig, es war eine Zeit, in der wir nachdenklich waren, ohne echte Probleme zu kennen. Irgendwann verging sie.

Vorgezeichnet für uns alle waren Lebenswege. Die einen sollten erfolgreich sein, sollten einen super Master machen, sollten ihren Berufsweg schnell finden. Die anderen sollten schwimmen, zweifeln, verzweifeln und irgendwie weitermachen. Wir hatten Jahre damit verbracht, darüber zu reden, wie es immer gewesen war und wie wir es auf keinen Fall haben wollten: Heiraten? Ein Haus bauen? Bloß nicht!

Dabei hielt ich, solange ich denken konnte, Ausschau nach einem Gegenüber, das mir genau die überromantisierten Vorstellungen einer monogamen Beziehung erfüllen würde. Dass ich eines Tages Kinder bekommen würde – ich habe es keine Sekunde lang angezweifelt. Für uns alle war das eigentlich klar: Es war ein »Eines Tages …«. Eines Tages würden wir Kinder bekommen, vermutlich in einer monogamen Zweierbeziehung. So viel wussten wir dann doch.

Ich verliebte mich. Nicht Hals über Kopf, aber dann doch so, dass es heftig war, kein heftiger Schmerz, sondern heftiges Gefühl, wir wussten beide schnell, dass wir jetzt dieses Gegenüber gefunden hatten. Ich weiß es noch heute.

Und das »Eines Tages …«, es ist heute eben gar nicht mehr fern. Ich bin einunddreißig Jahre alt, seit fast sieben Jahren in einer stabilen Beziehung, ich habe einen Job, der mir Spaß macht, ein Hobby, das ich liebe, und eine nette Wohnung in meiner liebsten Stadt. Ich habe ein Zuhause. Doch jetzt, wo es so weit wäre, beginne ich, den für mich nie infrage gestellten Lebensweg, diese vorgezeichnete Biografie (von wem eigentlich – und wieso?) kritisch zu beäugen. Heiraten, ich weiß ja nicht. Und Kinder kriegen? Noch ist Zeit, aber eigentlich auch nicht mehr allzu viel. Will ich mit achtunddreißig beim Kinderwunsch-Doktor sitzen, weil ich mich zu lange nicht entscheiden konnte? Dass mit Kindern alles ganz anders ist, als man es sich vorher auch nur irgendwie hat vorstellen können – das sagen einem alle. Man kann es schrecklich finden oder darin aufgehen. Man, aber vor allem Frauen können den Anschluss im Job oder die Chance auf eine Karriere verlieren. Die Freiheit ist dahin und das Schlafen sowieso, für immer! Oder zumindest für eine so lange Zeit, dass sich Augenringe tief ins Gesicht eingravieren und einen so unattraktiv machen, dass man nach der in die Brüche gegangenen Beziehung (»Das Kind hat der Beziehung einfach die Erotik genommen …«) nie wieder Liebe finden wird. Am Ende sitze ich da, allein, ohne Job und ohne Altersvorsorge, mit einem Kind, das alle Liebe und alles Leben einfordert, ohne Partner und ohne Hoffnung.

Was aber, wenn ich keine Kinder bekäme? Vielleicht nicht einmal aufgrund einer bewussten Entscheidung, sondern weil es einfach gerade immer irgendwelche wichtigeren Dinge gibt, irgendwelche drängenderen Angelegenheiten. Und weil mir die Entscheidung so schwerfällt, rede ich einfach nicht mehr darüber, und eines Tages wäre es zu spät! Würde ich mit Mitte vierzig plötzlich hochschrecken, wie aus einem langen Traum, in dem es immer hieß: Aus dir wird noch was, Kind, du wirst einmal etwas schaffen – und feststellen: Ich habe nichts geschafft, aus mir ist nichts geworden, und ich habe das Gefühl, etwas ganz Wichtiges, Lebensentscheidendes, meinen Charakter auf positive Art und Weise Veränderndes verpasst zu haben? Würde ich plötzlich einsehen, dass mein Leben klein und einsam und ohne tieferen Sinn vor sich hin gelebt wurde, ohne dass ich jemals auch nur etwas von Bedeutung geschaffen hätte, denn das Einzige von Bedeutung ist das Leben, das ich aus furchtbar egoistischen Gründen nicht in der Lage war weiterzugeben?

Das sind Sorgen, die ich mir mache, die sich vermutlich viele Menschen in meinem Alter machen. Allein: Dass ich vorher nicht weiß, nicht wissen kann, wie die Geschichte ausgeht – das macht die Entscheidung für oder gegen Kinder umso schwerer.

Die K-Frage

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