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Ionisches Meer, September anno 1227

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Ein Brecher krachte auf das Oberdeck, die Galeere erbebte und neigte sich bedenklich nach Backbord. Wasser flutete über die Planken und hölzernes Treibgut schoss gefährlich dicht an den nackten Beinen des Schiffsjungen vorbei. Er taumelte zum nächsten Mast und klammerte sich an das Manntau.

„He, Nichtsnutz!“ Die Stimme des Kapitäns kämpfte gegen das Brüllen des Windes. Der Junge wandte den Kopf und sah ihn auf zwei Ledereimer deuten, die oberhalb der Luke hingen. „Kleiner Laderaum!“, verstand er und reckte den Daumen hoch.

Das Schiff erreichte mit dem Bug voran nach rasanter Talfahrt den Tiefpunkt zwischen zwei Wasserbergen. Der schmale Streifen Himmel über den Wellenkämmen trug die gleiche namenlose Farbe wie das Wasser, nur die weiße Gischt trennte das eine von dem anderen. Der Junge nutzte das kurze Innehalten, um sich die Eimer zu schnappen, er riss die Luke zum kleinen Laderaum auf und stolperte hinein. Warmer Gestank schlug ihm entgegen, doch zum Naserümpfen blieb keine Zeit. Die Galeere nahm den Anstieg in die nächste Woge. Der Niedergang, die steile hölzerne Stiege in den Schiffsbauch hinab, hob sich ihm entgegen. Während die Luke sich krachend über ihm schloss, stürzte ein Schwall Wasser die Stufen hinab und riss ihn mit. Unten kam er auf die Füße und schlitterte nach Backbord, wo sich die salzige Flut gurgelnd sammelte. Kaum hatte er seine Eimer gefüllt, kippte das Schiff und er wurde gegen eine notdürftig gezimmerte Koje geschleudert. Der Mann darin stöhnte, seine rechte Hand packte den sägerauen Rand. Niemand, den der Junge kannte, besaß solch saubere Fingernägel. Am Ringfinger blitzte ein großer grüner Stein auf.

Der Mann keuchte etwas, das wie „Luna“ klang.

Der Junge starrte auf den Edelstein. Mit einem Juwel von dieser Größe könnte er mit Sicherheit das Schiff kaufen. Der Ring saß locker auf dem mageren weißen Finger.

Das Schiff ergab sich mit Knarzen und Ächzen der nächsten Welle. Einen Augenblick zu spät griff er nach festem Halt und rollte mitsamt seinen Eimern nach Steuerbord.

„Drei Schwestern!“, schrie er und umklammerte einen Fender, der am Schott lehnte und der wankelmütigen Schwerkraft trotzte. Er wusste, dass der Mann mit dem Ring der Kaiser war. Wenn die Galeere sich nach Steuerbord neigte, konnte er das Gesicht sehen. Rotblondes Haar klebte auf dem mit Stroh gefüllten Kissen, die hellen Augen glänzten vom Fieber. Er sah nicht aus wie ein Italiener, obwohl er hin und wieder „Stupido!“ murmelte.

Vor dem Ablegen hatte der Kapitän ihm eingeschärft, wie er dem Kaiser begegnen müsse. Am besten gar nicht, hatte er besorgt gedacht. Siebzig Galeeren im Hafen von Brindisi, aber nur auf einem Schiff reiste der Kaiser. Die Ritter hasteten an Bord, mit Gebrüll und Peitschenknallen verluden sie die Pferde, denn in der Stadt wütete ein Fieber. In der Kombüse hörte er, die Edelmänner hätten das Kreuz genommen und wollten nach Jerusalem.

Die Befürchtung der Seeleute, dass die Landratten die Seuche einschleppen würden, traf umgehend ein, trotz aller Gebete zum heiligen Andreas. Schon am zweiten Tag begannen die ersten Ritter zu kotzen und die Latrinen waren ständig besetzt. Einen Tag später kamen die Männer nicht mehr auf die Beine und blieben im Logis liegen. Unerträglicher Gestank breitete sich unter Deck aus. Inzwischen glichen die Galeeren Hospitälern. Allein ihre hohe Geburt gewährte dem Kaiser und den wenigen Männern im kleinen Laderaum die Gunst, sich nicht vor den Augen der anderen die Beinkleider zu bekleckern. Der Junge betrachtete missmutig den Boden, wo das hereinschwappende Wasser den Unrat von den Brettern hochspülte. Er musste schöpfen, worauf wartete er?

Die Hängematten der edlen Männer – nur für den Kaiser hatte man in aller Eile eine Koje gezimmert – schwankten im Takt des Sturmes zwischen den Balken, die Kranken verschnürt wie Schmeißfliegen im Netz der Spinne. Direkt neben der Koje baumelte einer, den sie Marschall genannt hatten. Eine spitze weiße Nase ragte aus der Bundhaube heraus, kein Lebenszeichen kam von ihm.

„Luna“, murmelte der Kaiser erneut. Der Junge tastete sich am Schott entlang zur Koje. Das Fieber ließ die Stirn des Kranken glänzen, seine Lider flatterten. Er rief etwas in einer derben Sprache, womöglich deutsch. Plötzlich packte die Hand das Brett, mit dem die Koje eingefasst war, der schwere Ring schlug aufs Holz. Erschrocken trat der Junge einen Schritt zurück, gerade rechtzeitig, bevor der Kranke sich aufbäumte und grüne Galle spuckte.

Danach fiel er auf das Lager und keuchte: „Gütiger Gott, ...was verlangst du ... von mir?“ Es klang, als klebten die Worte auf seiner Zunge. „Willst du ein Gebet? Dann halt diesen Trog aufrecht, … damit ich … die Hände falten kann!“

Ein wütendes Fauchen des Sturmes war die Antwort und Gallonen von Meerwasser stürzten den Niedergang herab.

„Drei Schwestern, Majestät!“, rief der Junge. „Es sind immer drei, danach flaut der Sturm ab.“

Der Mann öffnete die Augen, sie hatten die Farbe von Brindisis Himmel im Frühjahr.

„Vielleicht kommt noch der kleine Bruder, aber der ist harmlos“, fügte der Junge hinzu. Der Kranke reagierte nicht. Er würde doch nicht sterben? Was würde der Kapitän mit ihm anstellen, wenn der Kaiser unter seiner Obhut starb? Behutsam stupste er die Schulter unter hellem Linnen an. „Majestät, hört Ihr? Das Wetter klingt ab.“

Polternd öffnete sich die Luke. Jemand stieg den Niedergang herab. Kühle, salzige Luft strömte herein und schob den Gestank beiseite. Ein Edelmann trat an die Koje. „Wie geht es Euch?“

„Beschissen, das könnt Ihr wörtlich nehmen.“ Der Kranke wollte sich aufrichten, sank aber kraftlos zurück.

„Der Sturm hat uns nach Westen abgetrieben, Otranto ist näher als Kreta. Wir sollten umkehren.“

„Seine Scheinheiligkeit wird mich exkommunizieren.“

„Besser vogelfrei als Fischfutter“, sagte der Mann. „Mehr als die Hälfte der Männer ist siech, etliche sind gestorben.“

Der Kaiser drehte den Kopf. „Ludwig?“

Der Edelmann beugte sich über die spitze weiße Nase. Seine Lippen wurden schmal.

„Gebt Befehl zur Umkehr!“, sagte der Kaiser. Und dann leise: „Ich hätte auf Luna hören sollen.“

Während im Unterdeck die Ruderer polternd die Riemen einlegten, winkte der Kranke dem Jungen. „Bring mir Wasser.“

Gehorsam füllte er aus einem Fass in der Ecke Trinkwasser in einen Becher. Nachdem er getrunken hatte, faltete der Kaiser die Hände. Der Stein saß wie ein kleiner grüner Frosch auf seiner Rechten. „Herr, ich nahm das Kreuz in deinem Namen und du wirfst mir Steine in den Weg?“

In der stinkenden Brühe stand der Schiffsjunge neben ihm, längst hätte er sie ausschöpfen sollen. „Majestät, weshalb wollt Ihr unbedingt in das Heilige Land?“

„Das ist eine lange Geschichte.“ Der Kaiser drehte den Ring an seinem Finger. „Als sie begann, war ich ungefähr so alt wie du.“

Falke und Adler

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