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Palermo, Herbst anno 1202

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Wer zieret nû der êren sal?

der jungen ritter zuht ist smal,

sô pflegent die knehte gar unhövescher dinge

mit worten, und mit werken ouch.

swer zühte hât, der ist ir gouch.

nemt war, wie gar unfuoge für sich dringe.

Walther von der Vogelweide

Nach dem Frühstück trat Florent Markward in den Weg. Seit Tagen über dessen Schreiber um ein Gespräch ersucht, vergeblich. „Von Annweiler, ich muss Euch sprechen.“

„Was gibt es?“ Markward schlug den Weg zur Amtsstube ein.

Florent folgte ihm. „Ihr könnt den jungen König nicht im Palazzo einsperren. Wie soll er später regieren, wenn ...“

„Wollt Ihr mir vorschreiben, was ich zu tun habe?“ Markwards Stimme klang amüsiert, als er die Treppe hinauf eilte.

Florent bewunderte im Stillen den kraftvollen Schritt des Mannes, der wahrscheinlich schon auf die siebzig zustrebte, und auch auf der Treppe nicht außer Atem kam. „Ich soll ihn erziehen, da dürfte es mir gestattet sein, kritische Worte anzubringen.“

Am oberen Ende der Treppe stockte Markwards Schritt plötzlich und er fasste sich an die Seite. Obwohl er das Gesicht abwandte, konnte Florent sehen, wie er die Augen schloss und die Lippen zusammenpresste. Doch dann eilte der Markgraf weiter und stieß die hohe Tür zum Schreibzimmer auf. Ein Schreiber sprang auf, nahm ihm den Mantel ab, rückte den Stuhl zurecht, öffnete das Tintenfass und legte Federn vor. Mit einer harschen Handbewegung scheuchte er ihn beiseite und ließ sich auf den Stuhl fallen. Florent hatte den Eindruck, als sei das Gesicht unter dem weißen Haar deutlich blasser geworden.

„Der Bengel muss Grenzen haben, an denen er sich reiben kann. Wie wollt Ihr sicher wissen, was ihm schadet?“

„Im Umgang mit den Händlern und Handwerkern in der Stadt lernt er Verständnis und Toleranz.“

Markward beugte sich weit vor, sein Kinn schob sich auf das Tintenfass zu. „Toleranz?“, schnaubte er. „Friedrich soll Kaiser werden, er wird ein Reich regieren, für das er dreißig Tage braucht, um es im Sattel zu durchqueren. Toleranz ist das Letzte, was Ihr ihn lehren solltet. Toleranz wird ihm das Genick brechen.“

„Aber ...“

Markward schlug mit der Faust auf den Tisch, das Tintenfass machte einen Satz nach vorn. „Kein Aber! Der Bengel bleibt hier, basta. Und jetzt raus, ich habe zu tun.“

Als Florent die Tür schloss, sah er, wie Markward sich über dem Tisch zusammenkrümmte. Zwei Türen weiter befand sich die Bibliothek. Florent trat ein, wobei die Tür laut quietschte und ihn anmeldete. Am Tisch inmitten des Regallabyrinths beugte sich der Magister über mehrere aufgeschlagene Bücher. Nur langsam löste der alte Mann seinen Blick von den Buchstaben.

„Wo ist Federico?“, fragte Florent.

„Ist er denn nicht bei Euch?“

„Die Stunden nach dem Morgenmahl gehören Euch, so die Vereinbarung.“

Der Alte nickte. „Wohl. Aber der Junge sagte, Ihr hättet darum gebeten, die Reitstunde vorzuziehen.“

Florent schüttelte den Kopf. „Magister, verzeiht meine offenen Worte. Ihr lasst Euch an der Nase herumführen. Ein solches Anliegen würde ich mit Euch absprechen.“

Franciscus seufzte. Seine Blicke glitten sehnsüchtig über die Schriften vor ihm.

„Ich werde ihn suchen und herbringen.“

Reitstunde? Wo sollten sie in diesem Palast denn reiten? Florent schnaufte. Was für eine dumme Ausrede. Zielstrebig ging er in Richtung Garten. Er ahnte, wo sein abtrünniger Schützling sich aufhielt. Er schob sich durch das Weinrankengeflecht, ohne Rücksicht darauf, dass er gehört werden könnte. Als er am steinernen Brunnen ankam, sah Federico ihm mit genervten Blicken entgegen.

„Warum belügst du den ehrbaren Magister? Ist das eines Königs würdig?“, schimpfte er.

„Er wollte lieber in diesen alten Wälzern lesen, die er im Archiv gefunden hat.“

„Es geht hier nicht um den Magister. Es geht um dich und dein Verhalten. Du bist unehrlich und faul.“

„Aber ich studiere hier!“

„So?“ Florent drehte sich im Kreis und hob die Hände. „Was genau studierst du? Das Weinrankenwachstum? Den Zerfall der Engelsfiguren?“

Federico rollte mit den Augen. „Ich studiere die Entwicklung der Küken in den Eiern. Sieh her.“

Erst jetzt entdeckte Florent, dass der Brunnen nicht leer war. Drei Hennen saßen auf Strohnestern und musterten sie ihn wachsam mit zuckenden Köpfen. Vor dem Brunnen lagen diverse Messer und Scheren auf einer umgedrehten Kiste, daneben seltsame schleimige Klumpen. Entsetzt trat er einen Schritt zurück. „Was ist das?“

„Küken in verschiedenen Stadien der Entwicklung. Dieses dort war zehn Tage bebrütet, das hier zwölf Tage und dieses nur ...“

„Sei still!“ Er atmete tief aus und wandte sich ab von den kleinen, unförmigen Körpern, die nebeneinander aufgereiht lagen wie Leichen nach einer Schlacht. „Wie gehst du mit Gottes Geschöpfen um? Hast du vor nichts Ehrfurcht? Diesen kleinen Wesen war bestimmt, zu leben.“

„Es sind nur Hühner.“ Federicos Miene zeigte keine Reue, eher Verwunderung.

„Auch sie haben unseren Respekt verdient. Sie liefern uns Eier, Federn und Fleisch.“

„Für Letzteres müssen wir sie schlachten“, konterte der Junge.

„Nachdem sie gelebt haben! Verstehst du nicht? Du nimmst ihnen die Möglichkeit, überhaupt zu leben. Das ist verabscheuungswürdig.“ Florent warf einen längeren Blick in den Brunnen. „Was sind das für Bänder um die Glucken?“

„Ich habe sie festgebunden.“

Sein Meister musterte ihn eine Weile sprachlos, dann sagte er: „Du glaubst, die Natur gibt Antworten auf deine Fragen, wenn du sie quälst? Das funktioniert nicht. Lass die Hühner frei und bring sie zurück, wo sie hingehören.“

Federico schüttelte den Kopf. „Das geht nicht, die Eier sind schon angebrütet.“

„Gütiger Jesus!“ Florent lief rot an. „Ich will nicht mit dir debattieren, ich will, dass du tust, was ich sage! Sofort befreist du die Hühner!“ Er schrie es und die Glucken gackerten panisch.

Federico zögerte. Er hatte seinen Lehrmeister noch nie wütend gesehen, das allein sprach dafür, zu tun, was er verlangte. Allerdings verstand er diese Wut nicht, er musste herausfinden, was sie verursachte. „Opfer zu bringen ist notwendig für die Wissenschaft und ein Huhn ist ein armseliges Tier.“

„Ein Huhn ist ein Lebewesen wie alle anderen auch! Wenn du nicht augenblicklich deinen Hintern in Bewegung setzt, kannst du dir einen neuen Meister suchen. Frag den Magister, ob er dir zeigt, wie man das Schwert benutzt. Frag Markward, ob er dir die Armbrust spannt.“

Mit einem Schulterzucken erhob sich der Junge und kletterte in den Brunnen. Florent sah zu, wie er eine der Glucken mit ihrem Nest anhob und einen breiten Leinenstreifen löste, der um das Tier und den Korb gewickelt war.

„Wenn du dich beeilst, können sie im Hühnerstall weiter brüten“, sagte Florent. „Aber ohne Gurt!“

„Die Eier werden absterben“, grummelte der Junge.

„Nein, das halten sie aus. Die Glucken müssen schließlich fressen und kacken gehen können.“

Federico bedachte ihn mit einem zornigen Blick.

Er hat nichts verstanden, dachte Florent entsetzt. Was geht in diesem Kind vor?

„Wenn die Hühner wieder an Ort und Stelle sind, melde dich bei Magister Franciscus. Entschuldige dich bei ihm und nimm die Lateinlektion wahr.“ Fluchtartig verließ Florent den Garten. Den Kopf voller bestürzender Gedanken eilte er über den Hof. Auf welche dummen Einfälle würde Federico noch kommen? Er musste dafür sorgen, dass der Junge eine Aufgabe bekam, die ihn forderte, der Unterricht allein genügte nicht. Wenn er wenigstens in die Stadt dürfte, seine Freunde sehen.

Er selbst hatte in den letzten Tagen verstärkt darüber nachgedacht, Luna zu suchen. Sorgen und Vorwürfe quälten ihn, weil sie allein unterwegs war. Doch dann müsste er Federico für Tage, vielleicht Wochen allein lassen. Verflucht, warum fiel ihm kein Ausweg ein?

Am Eingang der Palastwäscherei blieb er stehen. Aus der Tür quollen Dampfschwaden, es roch nach Seife und feuchter Wolle. Er hörte Mägde schwatzen, während Wasser plätscherte und nasser Stoff auf Stein klatschte. „Das geht schon länger. Es müssen qualvolle Schmerzen sein.“

„Von mir aus kann er verrecken, ich war seit drei Wochen nicht bei meiner Mutter.“

„Eine Frechheit, uns hier einzusperren. Reich mir mal den Korb rüber.“

Sie sprachen über den Markgrafen. Wenn der tatsächlich krank war, ergab sich vielleicht eine Möglichkeit, aus dem Palazzo herauszukommen. Er könnte Lorna aufsuchen, vielleicht hatte sie etwas von Luna gehört ... Wie ein Wink des Schicksals kam einer der Schreiber des Markgrafen über den Hof.

Seine Miene war hochnäsig wie immer, doch Florent vertrat ihm den Weg. „Baron Maserini, ich bitte um Verzeihung. Es heißt, der Markgraf sei erkrankt. Es gibt eine heilkundige Frau in der Stadt, ich würde sie holen, wenn Ihr mir eine Genehmigung erteilt.“

Der Schreiber war stehen geblieben und musterte ihn. „Ihr seid der Schwertmeister des jungen Königs, wenn ich mich recht erinnere. Wie kommt Ihr darauf, der Markgraf sei krank?“

„Es gibt Gerüchte und heute früh ... mir schien, er hatte starke Schmerzen.“

„Unsinn, es geht ihm ausgezeichnet.“ Maserini reckte seine Nase ein wenig höher und eilte die Treppe hinauf.

Missmutig schlenderte Florent in Richtung Küche. Vor der Siesta musste er etwas essen. Seit der Palazzo abgeriegelt war, stellte sich unter den Bediensteten solidarische Brüderlichkeit ein, die eine bisher unbekannte Großzügigkeit des Küchenpersonals einschloss. Eine Magd füllte ihm einen frisch gebackenen Fladen mit gekochtem Gemüse. „Vorsicht, sehr heiß“, sagte sie und lächelte ihm zu.

„Wer?“, scherzte er.

Sie kicherte. „Verschwinde. Der Koch sieht es nicht gerne, wenn wir unsere Zeit vertun.“

„Was ist dran an den Gerüchten, der Markgraf sei krank?“

Das Lächeln verschwand. „Wir kochen jede Menge Tee. Vielleicht ein Nierenleiden.“

„Na so was“, sagte Florent und biss in den heißen Fladen. Er schmeckte Kichererbsen und Gurken. „Mmh, himmlisch. Ein bisschen salzig vielleicht. Ist der Koch verliebt?“

Die Magd wurde rot. „Luigi? Höchstens in sich selbst.“

Er war schon auf dem Hof, als ihn jemanden rief. „He, Schwertmeister!“ An der Balustrade stand der hochnäsige Schreiber. „Der Markgraf will Euch sehen.“

Markward hatte sich in den ehemaligen Räumen der Königin einquartiert. Kostbare Teppiche bedeckten Boden und Wände, an den Motiven erkannte er das Werk persischer Teppichknüpfer. Marmorstatuen blickten ernst auf leere Bodenvasen. Der Schreiber führte ihn in ein helles Zimmer, in dem die Fenster bis zum Boden reichten. Dort schob er ihn auf ein breites Bett mit roten Samtvorhängen zu und verkündete: „Der Schwertmeister, Hoheit!“

Als Antwort kam ein markerschütterndes Stöhnen und eine Hand winkte ihn aus einem Berg von Decken heran. Es war wenige Stunden her, seit er Markward in dessen Schreibstube gegenüber gesessen hatte. In dieser Zeit hatte der sich rapide verändert, seine Gesichtshaut war gelblich und um seine Augen lagen dunkelblaue Schatten.

„Der Schreiber sagte mir, meine Krankheit hätte sich herumgesprochen“, krächzte der Kranke. „Wen kennt Ihr, der mir helfen könnte, Judenärzte ausgeschlossen?“

„Es gibt eine alte Kräuterfrau in der Stadt. Sie ist blind, aber sie mischt für einen großen Kundenkreis ihre Arzneien und viele Leute vertrauen ihr.“

„Blind, sagt Ihr? Wie kann sie da mischen?“

„Sie hat eine Gehilfin, äh... ich meine, einen Jungen, der ihr hilft. Er handelt nach ihren Anweisungen und ist dabei recht geschickt.“

„Maserini? Lasst Euch die Adresse geben und bringt die Alte her.“

Florent hob die Hand. „Mit Verlaub, wäre es nicht besser, Ihr würdet Eure Gebrechen schildern, damit sie die erforderlichen Arzneien gleich mitbringen kann?“

„Blödsinn ...aah.“ Ein erneuter Schmerzanfall nahm ihm den Atem. „Es ... sind Steine. Die Bader sind sich nicht einig, wo sie sitzen. Der eine sagt, in den Nieren, der andere sagt, in der Galle. Ich saufe wie ein Schlachtross nach einem Ritt durch die Wüste, gehe alle Stunde pissen, aber die Dinger sitzen fest.“ Er stöhnte und auf seiner Stirn bildeten sich kleine Schweißtropfen.

Florent wusste nicht so recht, was er sagen sollte.

„Gebt mir zu trinken!“, presste Markward hervor.

Zwei Krüge voll Tee standen auf einem Tisch neben dem Bett. Florent füllte einen Becher, half ihm beim Aufsetzen und beim Trinken. Wie schnell eine Krankheit einen Mann zu Fall bringen kann, dachte er. Wie eine Säge einen Baum. „Wie lange habt Ihr diese Steine schon?“

„Einige Jahre. Meist ist es nach einer Woche vorüber. Die Bader sagen, der Körper scheidet sie aus, wenn sie nicht zu groß sind.“

„Warum sucht Ihr keinen Arzt auf?“

„Einen Juden vielleicht?“

„Es gibt auch arabische Ärzte.“

„Der Kaiser hatte einen hervorragenden Arzt. Sie nannten ihn den Mauren.“ Markward sank zurück in die Kissen der sizilianischen Königin. „Leider verlor ich ihn aus den Augen. Er und sein Weib waren hervorragende Ärzte. Ohne sie wäre Heinrich schon früher umgekommen. Noch früher. Gütiger Gott, er war gerade vierunddreißig Jahre alt.“ Markward verstummte und starrte wehmütig an die Decke.

Florent zog sich einen Hocker ans Bett. Sollte er sagen, dass er den Mauren gekannt hatte oder besser schweigen?

Der Kranke zuckte zusammen und krümmte sich. „Gütiger Himmel“, stöhnte er. „Betet für mich, so schlimm war es nie zuvor.“

Florent faltete die Hände und murmelte ein Vaterunser, doch in seinem Hinterkopf reifte ein Gedanke heran, der sich nicht mehr abweisen ließ. Er wälzte ihn hin und her und nach dem dritten „ ...in Ewigkeit, Amen.“ Beschloss er, es zu riskieren. „Wenn Ihr dieses Ärztepaar kanntet, wisst ihr bestimmt auch von der Tochter?“

„Sie war nicht ihre Tochter, die beiden hatten nicht einmal geheiratet. Judith war nichts weiter als eine entlaufene Äbtissin, die in Sünde lebte. Hätte Heinrich sie nicht so sehr gebraucht, wäre sie im Verlies gelandet.“ Er stockte plötzlich. „Warum fragt Ihr nach dem Mädchen?“ Seine tränenden Augen richteten sich misstrauisch auf Florent.

„Sie kennt sich auch mit der Heilkunst aus.“

Von Annweiler stützte sich mühsam auf die Unterarme. „Ich vergesse immer wieder, dass Ihr Wilhelms Schwertmeister wart.“ Er kniff die Augen zusammen. „Natürlich kanntet Ihr das Mädchen. Weißes Haar und diese seltsamen Augen, sie hatte Heinrich völlig verhext. Keinen Schritt tat er ohne sie. Sie rettete ihm das Leben, damals vor Neapel, als die Männer starben wie Frösche in der Wüste.“

„Vielleicht könnte sie Euch helfen.“

Der Kranke winkte ab. „Sie sind nach Akkon geflohen, alle drei.“

Florent grübelte fieberhaft. Sollte er Luna verraten? Markward würde ihr vergeben, wenn sie ihn heilte. Wenn er sie nur fragen könnte.

Markward musterte ihn. „Was wisst Ihr über Luna?“

Florent holte tief Luft. „Sie ist hier auf der Insel.“

„Was? Und das sagt Ihr erst jetzt?“

Florent konnte von Glück sagen, dass Markward so schwach war, sonst hätte er ihn mit Sicherheit am Kragen gepackt. Wut und Hoffnung vermischten sich in seinem Blick.

„Sie ist unterwegs nach Norden.“

„Ihr müsst sie holen! Wenn sie noch auf der Insel ist, könnt Ihr vor Ablauf der Woche zurück sein.“

„Ihr tragt ihr nichts nach, was den Tod des Kaisers angeht?“

Der Kranke schien ihn nicht zu hören. „Worauf wartet Ihr? Ich will nicht unter diesen goldbestickten Samtvorhängen sterben. Reitet wie der Teufel und bringt mir diese weiße Hexe.“

Falke und Adler

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