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Vorwort

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Noch nie habe ich mit einem Detektivbüro telefoniert.

Bis gerade eben.

Allmählich komme ich richtig in Schwung. Es ist bereits das dritte Gespräch, und ich kann mein Anliegen immer klarer und verständlicher formulieren. Übernehmen möchte meinen Auftrag trotzdem keiner. Die beste Observation kann nichts gegen die Hinterzimmerdeals meines Ehemannes ausrichten. Für neuntausend Euro bekäme ich die Auskunft über geheime Konten in Österreich, der Schweiz oder Liechtenstein. Ich lehne das großzügige Angebot bedauernd ab.

Danach bin ich wie erschlagen.

Dass die Realität anders ist als im Fernsehen, weiß jedes Kind.

Aber dass die Realität auch anders ist als die Realität, das hätte ich niemals erwartet.

Ich bin ein Spielball in den Händen und Plänen meines Mannes.

Ich bin es immer gewesen.

Mein Name ist Johanna Winter.

Ich habe Soziologie und Sozialpädagogik studiert, bin Illustratorin und Mutter zweier Töchter. Als sich mein Mann nach zwei Jahrzehnten Beziehung von mir trennte, wusste ich nicht, wie ich das bewältigen sollte.

Ich hätte es beinahe nicht geschafft.

Doch nicht, weil ich nicht in der Lage gewesen wäre, ohne meinen Mann zu existieren, ganz im Gegenteil, sondern weil die Trennung auf eine Weise geschah, durch die ich rückblickend mein halbes Erwachsenenleben, meinen Verstand, meine psychische Gesundheit und den Sinn meiner gesamten Ehe infrage stellte.

Viel zu lange habe ich den schleichenden emotionalen Missbrauch in unserer Ehe ertragen, entschuldigt, gerechtfertigt und durch meine hochsensible Persönlichkeitsstruktur zum Teil sogar befördert. Ohne dass ich mir die Zusammenhänge erklären konnte, wurde ich durch Abwertungen, Manipulationen und Entwürdigungen so sehr geschwächt, dass es mir schließlich so vorkam, als hätte ich den finalen Stoß letztlich verdient.

Ich erzähle Ihnen in diesem Buch meine Geschichte.

Sie ist nicht stellvertretend für andere Schicksale in dieser Konstellation zu verstehen, nicht für andere Ehen vor dem gleichen pathologischen Hintergrund und nicht stellvertretend für mieses Karma im Besonderen oder das Verhalten von Psychopathen oder toxischen Narzissten im Allgemeinen zu sehen.

Sie ist auch kein Psychogramm, keine Anklage und schon gar keine Abrechnung. Sie soll weder weinerlich noch wehleidig klingen, denn natürlich gibt es so unvorstellbar grausamere Dinge, die einem widerfahren können, dass sich meine Erfahrung dagegen wie das reinste Luxusproblemchen ausnimmt.

Deshalb ist sie, was sie ist: meine Geschichte. Sie hat sich genau so zugetragen. Still und leise bin ich benutzt worden und habe die zerstörerische Kraft lange Zeit unterschätzt.

Vielleicht werden Sie bei der Lektüre denken, dass ich es doch in der Hand gehabt hätte und die vermeintliche Sicherheit viel früher gegen einen gesunden Seelenfrieden hätte eintauschen können.

Sie haben recht. Und auch nicht. Denn ich bin ich und nicht Sie. Und mit den Jahren kommt einem, hoppla, das wahre Leben dazwischen, das die volle Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert. Ja, sicher, es gab einige Stationen, an denen ich hätte aussteigen können, aber es gab keinen Halt, und wer springt schon mit kleinen Kindern aus einem fahrenden Zug?

Manche Ratgeber sprechen davon, dass man als Partner eines Narzissten diesem schließlich das Podium bietet, quasi zum Co-Narzissten wird, der die Eskalation erst ermöglicht. Nach einer solchen Argumentation bin ich also auch nicht Johanna, sondern Co-Rolf? Bin keine Frau, sondern Co-Mann? Nein, eine Beziehung, ganz unabhängig davon, wer führt oder sich führen lässt, wird erst dann zum gemeinsamen Tanz, wenn diese Führung nicht mit Dominanz gleichgesetzt wird, wenn nicht einer die Choreografie diktiert, sich der Kraft des Tanzpartners bedient wie einer Batterie und dessen Sensibilität für seine Zwecke missbraucht.

Beim Schreiben dieses Buches habe ich selbstverständlich Namen, Berufe, Aussehen, Orte und viele weitere persönliche Details verändert. Ich möchte uns nicht in Gefahr bringen und niemandes Ruf schädigen. Für Ersteres sorge ich selbst, Letzteres erledigt das Schicksal, da bin ich mir ganz sicher.

Dieses Buch handelt also von mir.

Dass es das tut, ist mir unangenehm, denn ich rede nicht gern über mich.

Wenn wir jetzt bei einer Tasse Kaffee zusammensäßen, würden Sie meine Geschichte wahrscheinlich nicht mit meiner Erscheinung zusammenbringen.

Man hat da nämlich diese Bilder im Kopf, von Frauen, denen SO WAS passiert.

Von Opfern gewissermaßen. Zum Glück ›stimmt‹ vermeintlich immer irgendetwas an ihnen nicht, das menschliche Gehirn funktioniert so, es schützt uns, wiegt uns in Sicherheit, sagt, siehst du, ganz ruhig, hier haben wir doch den Grund, warum sie in den ganzen Schlamassel geraten ist und es nicht gemerkt hat; mir würde das sicher nicht passieren, sogar ganz sicher nicht.

Unbewusst suchen wir nach selbst verschuldeten Gründen des Versagens, in den Gesichtszügen der Opfer, im Elternhaus, beim Bildungshintergrund, dem Kleidungsstil. Und natürlich wissen wir, dass all das Unsinn ist.

Aber vielleicht auch nicht?

Ich bin eine mädchenhafte, zierliche Frau mit blasser Haut und dunklen Haaren, früher habe ich an Fasching immer das Disney-Schneewittchen gespielt, mein Lucy-von-den-Peanuts-Haarschnitt hat wunderbar dazu gepasst. Ich bin liebevoll, empfindsam und viel zu empathisch. Ich nehme tausend Kleinigkeiten wahr und bin manchmal ganz erschöpft von der Vielzahl der Eindrücke in meinem Kopf. Menschenmassen, Krach, Höhen und Geschwindigkeiten überfordern mich, machen mir Angst. Ich wirke jünger, als ich bin. Ja, vielleicht wirke ich auch repräsentativ, wie eine adrette Ehefrau. Auf alle Fälle schwach, vielleicht auch ein bisschen naiv, ganz sicher wecke ich Beschützerinstinkte – nun, es wäre nicht das erste Mal, dass ich unterschätzt werde …

Aber ist an all dem etwas falsch? Nein, es prädestinierte mich nur dazu, ausgewählt zu werden.

Als es bei uns zu Hause ganz schlimm wurde, saß ich bei einem Elternabend im Gymnasium. Die Klassenlehrerin einer meiner Töchter hat mich mit ihrer unerschrockenen Burschikosität tief beeindruckt. Sie kam jeden Morgen anderthalb Stunden aus irgendeinem abgelegenen Dorf mit dem Mountainbike zur Schule, verschwitztes T-Shirt, unrasierte Achseln. Make-up- und frisurlos polterte sie sich ruppig durch den Abend, bestimmt, klar, unbeeindruckt. Sie machte mir fast Angst – und gleichzeitig Mut, und ich konnte nur diesen einen Satz denken: Bei ihr würde er sich das nicht trauen. Bei ihr würde er sich das nicht trauen.

Richtiger wäre vielleicht gewesen: Sie würde sich das nicht gefallen lassen, aber so weit war ich damals noch nicht. Deshalb ist es wohl doch eine Typ-Frage – ich möchte einen Mann bewundern dürfen, zu ihm aufschauen, weil er Dinge tut oder kann, die mir imponieren.

Und es ist wohl auch eine Schuldfrage. Ich mache mir fürchterliche Vorwürfe, dieses Drama womöglich verschuldet zu haben. Einfach, weil ich damals als junge Ehefrau und Mutter tat, was ich dachte, tun zu müssen.

Ich war fürsorglich, unterstützend, loyal. Ich war geduldig, kreativ und fröhlich. Ich lobte und idealisierte. Ich managte, hegte und kultivierte. Ich hatte zum ersten Mal ein Kind, zum ersten Mal ein Haus, zum ersten Mal einen Ehemann, zum ersten Mal ein völlig erwachsenes Leben.

Und es hat mich glücklich gemacht.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem meinem Mann das nicht mehr gefiel.

Bis er verhindern musste, dass ich zu mächtig wurde.

Bis meine Bewunderung ihm nicht mehr ausreichte, sich abgenutzt hatte.

Bis er sich gereizt fühlte von meiner Zufriedenheit, meiner Fähigkeit, in mir selbst zu ruhen. Von den Verschwörungen in der Firma. Davon, dass niemand seine Genialität und Führungsstärke zu erkennen schien. Bis er seine Unzufriedenheit und innere Leere kanalisieren musste.

Da war ich plötzlich nicht mehr kuschelig genug, verfolgte die falschen Erziehungsansätze, verkorkste die Kinder, lag auf Kosten des Familienernährers auf der faulen Haut und begann, unverschämte Verwöhnte-Prinzessin-Allüren an den Tag zu legen. Recht schnell war ich auch nicht mehr in der Lage, das Familienoberhaupt sexuell zu befriedigen, weil ich auch im Bett nicht so unkompliziert funktionierte wie ein Internet-Pornostar.

Nun, Sie werden mir zustimmen, dass so was bestraft gehört …

Auch wenn ich es nicht gern tue, ist es wichtig, darüber zu reden. Manchmal voller Ironie, weil es anders nicht geht, manchmal verletzt, oft ratlos.

Sie mögen meinen Mann am Ende des Buches vielleicht auch nur für einen Menschen mit ›Charakter‹ halten, mit miesem Charakter, weil es schlimmere gibt und Schlimmeres geschehen kann, Ihnen womöglich geschehen ist … Dem habe ich nichts entgegenzusetzen, denn es geht natürlich immer noch heftiger. Sehr viel heftiger. Aber mir hat das schon gereicht.

Wenn ich auch nur ein Augenpaar öffnen, eine Leserin für die Thematik sensibilisieren kann, hat es sich schon gelohnt, noch einmal hinabzusteigen in den Keller der Erinnerung, in dem ich in der Realität schon war, zusammengebrüllt und bewusstlos liegen gelassen … das traumatische Ende eines traumhaften Anfangs.

Vielleicht ist meine Geschichte eine Warnung, was geschehen kann, wenn man als argloser, friedlicher Zeitgenosse, sagen wir es bildhafter, als jemand, der eine Blumengirlande an seinem Fahrradkorb hat, auf einen Partner mit psychopathischen oder narzisstischen Persönlichkeitszügen trifft und irgendwann feststellt, dass das anfängliche Zusammenspiel in eine gewaltige Schieflage geraten ist und man in einer diktatorischen Beziehung feststeckt, in der es schon längst nicht mehr um gegenseitige Unterstützung auf Augenhöhe geht, um gemeinsames Wachstum, Liebe und Respekt.

Und möglicherweise ist sie der Auslöser, dass Sie, früher als ich oder überhaupt, den Mut fassen, die Notbremse zu ziehen und dem Missbrauch zu entkommen, solange Sie noch die Kraft dazu haben.

Denn nur so kann man einen rasenden Zug anhalten, wenn man unbedingt aussteigen muss.

Der Feind an meiner Seite

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