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KAPITEL 4 »Ich bin ein Dosenmacher.«

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Auch bei der zweiten Schwangerschaft droht durch die Verkürzung des Gebärmutterhalses eine Frühgeburt, ich muss mich schonen, und wir engagieren eine Putzhilfe. Für eine kurze Zeit kommt sie sogar zweimal pro Woche für zwei Stunden, doch anders, als ich dachte, will Rolf, dass ich in dieser Zeit arbeite – nicht mich ausruhe.

Er präsentiert mir einen neuen Einkommensplan, in dem er mir eine Übergangsfrist zugesteht, um über meine Nebentätigkeiten und mithilfe der Illustratoren-Ausbildung zum geforderten Akademikergehalt zu gelangen. So finde ich mich also mit hochgelegten Beinen am Schreibtisch wieder, Zeichenblock und Tastatur auf dem Bauch, skizzierend, Ideen sammelnd, Entwürfe umreißend, während die Putzfrau herumklappert und Anne sich an den Kindergarten gewöhnt.

Bei einem wichtigen Kontrolltermin ist Rolf dabei, wir wollen das Geschlecht unseres zweiten Kindes erfahren. Als der Arzt nichts finden kann, was auf einen Jungen hindeutet, versteinert sich Rolfs Miene. Er kann seine Enttäuschung nur schwer verbergen, später sehe ich, wie ihm die Tränen kommen. Ich hingegen bin so freudig überrascht, dass ich es mir nicht verkneifen kann, die Arzthelferin zu fragen, ob sich der Arzt schon jemals in seiner Prognose geirrt hat. Doch sie lächelt nur milde und schüttelt den Kopf.

»Niemals«, sagt sie.

Ich werde eine Töchtermutter, jubelt es in mir, und ich weiß kaum, wohin mit meinem Glück.

»Ich bin ein Dosenmacher«, sagt Rolf voller Bitterkeit, ein frauenverachtendes Wort, das ich nie vergessen werde.

So glücklich ich bin, so unglücklich ist er. Ich versuche, seine Gefühle nachzuvollziehen, Verständnis aufzubringen. Ginge es mir ähnlich, hätte ich jetzt einen zweiten Sohn bekommen?

Keinen Sohn gezeugt zu haben, passt nicht in Rolfs Weltbild, und ich bin mehr als einmal froh, dass nicht ich für die Entstehung des Geschlechts verantwortlich bin. Dass Julika kein Junge ist, macht ihm zu schaffen, er findet einfach keinen Zugang zum Mädchensein seiner Töchter. Ihm zum Gefallen melde ich Anne später sogar im Basketballverein an, sie ist das einzige Mädchen im Club, tapfer schleicht sie Woche für Woche zum Training. Doch selbst das hilft nichts, nur widerwillig schaut Rolf ein-, zweimal zu, und als er auch keinen Elan zeigt, sie am Wochenende zu Spielen zu begleiten, anzufeuern, mit ihr zu üben oder sie wenigstens mal vom Training abzuholen, beende ich den Versuch, vielleicht auf diese Weise das Interesse an seiner Ältesten zu wecken.

Ich stelle das Fußende meines Lattenrosts nach oben, sodass ich nachts fast wie eine Fledermaus schlafe, weil in meiner laienhaften Vorstellung so am gründlichsten dafür gesorgt ist, dass das Gewicht des Fötus wenigstens für ein paar Stunden nicht den Muttermund belastet. Verrückterweise scheint meine Methode zu funktionieren. Statt den üblichen vier bis fünf Zentimetern bleibe ich stabil zwischen zehn und zwanzig Millimetern, und das ist ein großer Sieg.

Nach der Geburt bin ich im Babyglück, denn Julika ist im Gegensatz zu ihrer Schwester so still und unkompliziert, dass ich am Anfang Panik habe, sie einmal irgendwo in ihrer Babyschale zu vergessen. Wenn sie aufwacht, kreischt sie nicht wie am Spieß, sondern brabbelt zufrieden eine Weile vor sich hin, bevor sie sich bemerkbar macht, ich kann es kaum fassen! Anne kommt gut im Kindergarten zurecht, sie ist eine stolze und hinreißend liebevolle große Schwester, auch wenn sie mit starkem Willen weiterhin meine gesamte Aufmerksamkeit und Leistungskraft einfordert. Doch obwohl ich nachts nun selten länger als eine Stunde am Stück schlafe, kommen wir drei in einen einigermaßen gut funktionierenden Rhythmus.

Rolf auch. Bei seinen Partyterminen, ganze 15 in diesem Jahr, er trägt seine Abwesenheiten gewissenhaft in unseren Familienplaner ein, damit auch nichts dazwischenkommt.

Nur in der Firma klappt es nicht.

Seine Karrierepläne stagnieren. Er kommt immer später nach Hause, oft erst tief in der Nacht, manchmal fährt er morgens um sechs schon in die Firma. Er erzählt mir von heftigen Auseinandersetzungen mit seinen Vorgesetzten, es kommt zum offenen Streit. Er bewirbt sich in anderen Abteilungen, wann immer er der Meinung ist, es könnte seinen Aufstieg befördern. Stundenlang proben wir die Bewerbungsgespräche, ich helfe ihm, die besten Formulierungen auf typische Einstellungsfragen nach Motivation, Stärken, Schwächen, Zielen und Persönlichkeit zu finden, wir schleifen an Scherzen und Anekdoten, die er einfließen lassen kann, wenn es zu Stress- oder Fangfragen kommt. Ich coache ihn, geduldig, ausdauernd, auf den Zehenspitzen wippend, das Baby auf dem Arm und Anne am Bein. Einmal muss er eine wichtige Rede halten, er weckt mich mitten in der Nacht, damit ich ihm helfe, sie zu schreiben und einzuüben, obwohl ich so schon kaum Schlaf bekomme. Die Migräneanfälle, die mich seit dem Studium plagen, werden schlimmer.

Der Wechsel in andere Schwerpunktbereiche klappt in der Regel, so wie Rolf es geplant und intern vorbereitet hat, irgendwann wird er Produktmanager. Doch die erhoffte und angestrebte Beförderung in eine Position mit Führungsverantwortung bleibt weiterhin aus. Aber Rolf braucht Menschen um sich herum, auf die er herabschauen kann, von vornherein, oder wenn das nicht der Fall ist, redet er sie klein oder macht sie lächerlich. Er versteht es meisterlich, mich mit seinen Abhandlungen über andere Menschen tief zu verunsichern, er höhlt und bohrt und sät so lange Zweifel, bis ich meiner eigenen Meinung nicht mehr traue. Fast gelingt ihm das sogar bei meinen Eltern – ob ich denn nicht merken würde, dass sie mir nicht guttun, mich zu sehr beanspruchen, unsere Beziehung belasten, meine Zeit rauben, mich unglücklich machen? Warum macht er sie schlecht, versucht, mich von ihnen zu isolieren? Auch alle neuen Personen, die in mein Leben treten oder die mir nahestehen, weiß er übel dastehen zu lassen oder mischt sich am besten sofort in die Beziehung ein. Wenn ich, was selten genug vorkommt, Freundinnen zu Besuch habe, versucht er, sie zu vereinnahmen, setzt sich ausgedehnt zu uns an den Tisch, redet über sich und stiehlt mir die kostbare Zeit mit ihnen.

Als im Ort ein Sportstudio eröffnet, entdecke ich, dass es einen Samstagnachmittagskurs gibt, der mir die Möglichkeit gibt, am Wochenende wenigstens für eine Stunde mal rauszukommen. Aber Rolf ist der Meinung, meine häusliche Abwesenheit würde unseren Tagesablauf durcheinanderbringen, wir könnten dann nichts mehr planen oder unternehmen, und er findet es nicht gut, dass, wo er schon so selten zu Hause ist, jetzt auch noch die gemeinsame Zeit für meinen Sport draufgeht. Er setzt auf meinen Mutterinstinkt, indem er mein schlechtes Gewissen auf die Spitze treibt. Da Julika von Anfang an quasi an mir festgewachsen zu sein scheint, macht er sich ihren Trennungsschmerz zunutze.

»Die Mama geht jetzt«, sagt er, wenn ich aufbreche. »Guck, die Mama geht. Aber der Papa ist ja da …« Dann kommt er mit dem kreischenden Kind auf dem Arm mit zur Haustür, folgt mir auf den Treppenabsatz und sieht mir nach, wenn ich mit dem Rad wegfahre. Ich kann das Baby die Straße zusammenbrüllen hören. Es bricht mir das Herz, ich bin empört und wütend, aber ich schaffe es, mich nicht erpressen zu lassen. In Wirklichkeit passt es ihm nur nicht, mit den Kindern allein zu sein, während ich mich für eine Stunde vergnüge. Er unterstellt mir permanent, dass ich mich nicht genug um ihn kümmere, ihm nicht genug Aufmerksamkeit entgegenbringe, Zeit widme. Rolf fühlt sich unaufhörlich von mir vernachlässigt, ich muss jede freie Minute mit ihm verbringen, augenblicklich und immer zur Verfügung stehen. Dass ich abends lieber im Bett ein Buch lese, als mit ihm fernzusehen, macht ihn regelrecht wütend. Was immer ich in meinem Sinne tue, interpretiert er als aktive Abgrenzung und mangelnde Wertschätzung. Sonntagsmorgens, wenn er nach dem Frühstück noch mit uns beisammensitzen will, darf ich nicht dabei stricken, weil ihn das Geklapper der Nadeln nervt und er das Gefühl hat, ich konzentriere mich nicht voll auf die Familie. Ich gerate in eine Zwickmühle, die im Laufe der Jahre immer problematischer wird, weil ich meine Bedürfnisse zugunsten von seinen zurückstelle, nur damit ich nicht ständig mit dem Vorwurf konfrontiert werde, ich hätte kein Interesse mehr an ihm.

Er kann es auch nicht ertragen, wenn ich mich am Sonntag für eine Stunde hinlege. Ich brauche den Schlaf, bin am Limit mit der Kraft. Manchmal kann ich tagsüber die Augen kaum offen halten, aber Rolf bringt es stets zuverlässig fertig, die Kinder, kaum habe ich mich hingelegt, in einen so mauligen Grundzustand zu versetzen, dass ich dringend wieder zu übernehmen habe: »Hier, Jo, ich schaff das nicht.« Er kommt mit ihnen ins Schlafzimmer, ich bin gerade eingeschlafen, lädt sie auf meinem Bett ab. »Ich gehe Inliner fahren«, sagt er und verschwindet.

Um keine familiären Aufgaben übernehmen zu müssen, verschanzt sich Rolf für Stunden in seinem Arbeitszimmer. Ich kann nicht nachvollziehen, was es dort ständig zu erledigen gibt, obwohl er nicht müde wird zu betonen, dass eigentlich ich aufwändige Versicherungs- und Steuerangelegenheiten erledigen sollte, da ich ja sonst nicht sonderlich viel zu tun hätte. Silke würde Alex all das komplett abnehmen, sie würde nicht verlangen, dass er diese Dinge auch noch neben seinem Job zu regeln habe. Stets hat Rolf zahlreiche Beispiele auf Lager, wie es in den Familien seiner Freunde und Kollegen laufe. Deren Frauen kümmerten sich, im Gegensatz zu mir, gern um die finanztechnische Verwaltung, erledigten selbst die kompliziertesten Steuererklärungen, hätten zudem alle ordentliche Jobs und würden es nicht wagen, ihren noch schwerer arbeitenden Ehemann mit solchen Bagatellen zusätzlich zu belasten. Ja, und übrigens: In den Familien seiner Freunde säße man auch morgens ganz entspannt beim Frühstück, ein gedeckter Tisch, eine angekleidete Frau, fröhliche Kinder, die den Vater für den gemeinsamen Start in den Tag erwarten. Mein Herz verkrampft sich bei seinen Aufzählungen, doch Rolf entlässt mich erst, wenn ich vor Verzweiflung zu weinen beginne.

Und zwar vor Verzweiflung, weil ich das alles einfach nicht hinkriege.

Denn ich glaube ihm.

Ich glaube ihm, dass andere Frauen es fertigbringen, all diese Dinge noch vor sieben Uhr morgens erledigt zu haben. Den Tisch am Abend vorher gedeckt, die Kinder aus dem Schlaf gerissen, gewickelt, gefüttert, angezogen, Kaffee und Tee und Toast und Eier … Ich glaube ihm, dass sie alle es täglich schaffen, die ganze Familie zur Gesellschaft des frühstückenden Familienoberhauptes antreten zu lassen, jeden Tag, noch vor Kindergartenöffnung. Dass Rolf morgens sowieso bis zur letzten Minute schläft, das Haus dann hektisch ohne Frühstück verlässt, zählt einfach nicht, wird komplett ausgeblendet. Aus lauter Beschämung versuche ich natürlich, ihm den Gefallen zu tun, schaffe es zwei-, dreimal eine solche frühmorgendliche Idylle herzustellen, halbtot vor Müdigkeit. Doch selbstverständlich ist es von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn kaum ist dieses Ziel erreicht, passt irgendetwas anderes nicht. Am Küchentisch ist es zu eng, Anne kommt zu spät herunter und überhaupt, Jo, kannst du dich nicht setzen, es macht mich völlig verrückt, wenn du die ganze Zeit herumwuselst, nun setz dich hin, wie andere Frauen das auch machen, setz dich einfach nur ruhig hin, und sei doch bitte so lieb und iss auch was! Aber ich kann in der Hektik nichts essen, während ich ein Kind mit Brei füttere und dem anderen die Kindergartenbox füllen muss, das Brot streiche oder eine Frisur flechte. Verständlich, dass Rolf unter solchen Umständen überhaupt keinen Spaß daran hat, mit uns den Morgen zu verbringen.

Rolf fängt nun auch an, meine eigene Stimmung in seinem Sinne umzuinterpretieren.

An manchen Tagen ist es fast unerträglich, dass er schon morgens beginnt, mir zu sagen, wie ich mich fühle oder in welchem Gemüts- oder Gesamtzustand ich gerade bin: zu gereizt, zu missmutig, zu schlecht gelaunt oder zu ernst. Blass, unzufrieden, unausgeglichen, nervös, wenn ich ruhig und gemütlich etwas erledige – du bist dies, du bist das … Nein, ich bin in der Regel das lebende Gegenbeispiel, keine seiner Interpretationen trifft zu, aber mein Protest gegen seine Unterstellungen macht es nur noch schlimmer. Wenn ich ihn darauf aufmerksam mache, dass seine Einschätzung völlig falsch ist, und ihn bitte, mir nicht irgendwelche Befindlichkeiten oder Gemütszustände anzudichten, lacht er nur verächtlich und weiß es besser.

Rolf kritisiert fast alles an mir; meine Haare kitzeln ihn im Gesicht, und wie ich küsse, ist unerträglich. Er zeigt mir, wie ich die Lippen formen soll, nicht so schmal, mehr stülpen und mit mehr Speichel, Jo, deine Hasenküsse fühlen sich fürchterlich an – er reagiert auf jeden Kuss mit ausführlicher Manöverkritik, das verunsichert mich dermaßen, dass ich kaum noch spontan sein kann. Auch die Farben meiner Kleider sind eine Katastrophe, er kann die Länge, Weite und Art meiner Röcke nicht leiden, mein ganzer Stil missfällt ihm, die rötliche Tönung meiner Haare sowieso.

Als Sahnehäubchen garniert er seine Redeflüsse mit Silke-Geschichten. Sie dient Rolf als Inkarnation des perfekten Gegenbeispiels, und er weiß, wie weh er mir mit diesen Vergleichen tut. In all den Jahren der Freundschaft zwischen Alex und Rolf, sind Silke und ich uns nicht den kleinsten Schritt nähergekommen, auch nicht, wenn unsere Familien sich treffen. Wir pflegen ein angestrengt freundliches, aber oberflächliches Miteinander, zum Gefallen für unsere Männer, obwohl wir uns nicht das Geringste zu sagen haben.

Vordergründig betrachtet hat Messlatten-Silke zunächst und unbestritten zwei große Pluspunkte: Als Verkäuferin findet sie erstens stets schnell einen Job, wo immer es Alex hinzieht. Zum zweiten lässt sie sich von Alex »von hinten f***«, wie Rolf mir gern berichtet.

Dass er mir diese Sexsache, die Silke so viel besser macht als ich, immer wieder aufs Brot schmiert, auch noch, als er längst nicht mehr mit mir schläft, ist für mich kränkend und ungehörig.

Das Tragischste an diesen Silke-Vergleichen ist jedoch, dass die Wahrheit eine ganz andere ist. Sie schlägt ihre Kinder, das erzählen sie mir oft, und dennoch lässt Rolf nichts auf sie kommen.

Der Feind an meiner Seite

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