Читать книгу Feinde des Lebens - Johannes Anders - Страница 4
ОглавлениеInhaltsverzeichnis
1 Brückentag
2 Schneise der Verwüstung
3 Offene Rechnungen
4 Der Vergifter
5 Rattenrisotto mit Erdnusssauce
6 Die Wurzel des Übels
7 Siegerehrung
8 Das Gesetz der Maschinen
9 Die andere MCLANE
10 Der Kampf um die MCLANE
11 Der Aufrührer
12 Unter Beschuss
13 Widerstand
14 Der Parasit
15 Der Angriff auf die LIBERTY
16 Die letzte Bitte
17 Die Suche nach Erkenntnis
Biographie
1
Brückentag
Leutnant Gael Klein beobachtete, wie Bordingenieur Chivan Swo mit einer Tüte Fritten in der Hand den Lift verließ. Der glückliche Gesichtsausdruck, mit dem er über die Brücke schwebte, war für Gael Klein nur schwer zu ertragen.
„Hast du herausgefunden, warum er so strahlt?“, flüstertesie Kommunikationsoffizier Neno Chung ins Ohr, der an der Konsole neben ihr stand.
„Nein, keine Ahnung.“
„Die fettigen Fritten allein können es nicht sein“, mutmaßte Gael. „Man könnte glauben, er hätte den geheimen Scotchvorrat der Kommandantin gefunden.“
„Zaya hat keine geheimen Alkoholvorräte“, widersprach Neno. „Du weißt, wie korrekt sie ist.“
„Dann nimmt er andere Drogen!“
Swo schien von dem Geraune seiner Kollegen nichts mitzubekommen. Er legte die Frittentüte auf einer Konsole ab und begann Checks durchzuführen. Mit Schaudern beobachtete Gael, wie eine der fettigen Fritten zu Boden fiel. Sie spürte den inneren Zwang hinzugehen und sie aufzuheben.
„Essen ist auf der Brücke nicht erlaubt!“, ermahnte sie Swo mit bebender Stimme und hielt ihm die Fritte unter die Nase.
Swo griff mit breitem Grinsen zu und schobsich den verlorenen Sohn seiner Pommes genüsslich in den Mund. „Tschulligung!“, murmelte er kauend und blies Gael dabei ranzigen Atem ins Gesicht.
Gael fuhrzurück und hob schützend die Arme. Sie erwog ein Donnerwetter abzulassen, sie tat es nicht. Es war ja zwecklos. Stattdessen rannte sie von der Brücke und verschanzte sich in ihrer Kabine.
„ALLISTER!“, schnauzte sie den Bordcomputer an. „Was ist mit Bordingenieur Swo los? Seit Tagen grinst er wie ein Honigkuchenpferd und nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Nimmt er Drogen?“
„Du weißt, dass ich keine persönlichen Daten weitergeben darf, Gael“, antwortete der Computer.
„Drogenkonsum an Bord eines Kreuzers ist keine Privatsache, das geht uns alle an!“
„Bordingenieur Swo nimmt keine Drogen.“
„Warum grinst er dann so dämlich?“
„Dazu kann ich nichts sagen.“
„Kannst du nicht oder willst du nicht?“
„Das kann ich nicht sagen.“
„Dann verschwinde aus meiner Kabine!“
Natürlich konnte der Bordcomputer nicht verschwinden, aber das Lämpchen, das den offenen Kommunikationskanal anzeigte, erlosch. Gael dachte nach. Das unerträgliche Glück hatte Swo seit drei Tagen heimgesucht. Vor drei Tagen musste folglich etwas Entscheidendes vorgefallen sein, das ihr entgangen war.
Sie aktivierte den Bordcomputer ein zweites Mal. „ALLISTER! Lies mir das Log von vor drei Tagen vor!“
„Morgendliche Bordkontrolle ohne Befund. Sprung über die Einstein-Rosen-Brücke planmäßig beendet. Nachrichtensonde aufgenommen. Nächster Sprung planmäßig begonnen …“
„Danke, das genügt.“
Es musste mit dem Nachrichtenupdate zusammenhängen. Die MCLANE war tief in die unerforschten Weiten des Alls vorgedrungen und befand sich fernab aller Relaisketten und Funkverbindungen. Das Mutterschiff, die FERDINAND MAGELLAN, schickte deshalb alle paar Wochen eine Sonde mit Nachrichten und neuen Anweisungen über die Einstein-Rosen-Brücke zu einem vereinbarten Treffpunkt. Alle freuten sich auf den Brückentag, wie er genannt wurde, weil auch persönliche Post mit ausgeliefert wurde.
„Enthielt das Update eine persönliche Nachricht für Bordingenieur Swo?“
„Dazu kann ich nichts sagen.“
Gael hätte gerne etwas zerdeppert. Der Gedanke an die dadurch entstehende Unordnung ließ sie davor zurückschrecken.
Ob ein anderes Besatzungsmitglied mehr herausgefunden hatte? Zaya wohl nicht. Die stand über solchem Klatsch und Tratsch, als Kommandantin würde sie nie die Privatsphäre der Besatzungsmitglieder verletzen. Aber vielleicht konnte Neno helfen. Der kümmerte sich zwar kaum um jemand anderen als um sich selbst, stand aber im Ruf ziemlicher Trinkfestigkeit.
„Kannst du Swo nicht zu einem Space-Sherry-Gelage überreden?“, fragte sie ihn. „Vielleicht verplaudert er sich, wenn er besoffen ist, und gibt das Geheimnis seines Glücks preis?“
„Das glaube ich kaum“, wandte Neno ein. „Er mag zwar Sherry, aber er ist auch unglaublich stur. Wer etwas für sich behalten will, tut er das. Frag lieber Storm, vielleicht weiß die noch was!“
Gael seufzte.
„Ich weiß“, sagte Neno, „Storm ist schwierig, man redet nicht gerne mit ihr. Aber sie ist nicht mehr so schlimm wie früher.“
„Man sieht ihr ja nicht einmal an, ob gerade Eden Sturm oder der Coach durch ihre Lippen spricht.“
„Das stimmt zwar, aber einen Versuch ist es wert. Der Coach weiß alles über die Besatzung, schließlich hat er uns lange Zeit psychologisch betreut.“
„Nur ist er sehr streng mit dem Datenschutz. Er beteuert ja, dass er nicht mal Eden vertrauliche Informationen über uns gibt, obwohl sie quasi seine andere Hirnhälfte ist.“
„Ja, stimmt natürlich. Dann frag doch Eden. Vielleicht hat sie etwas über Swo aufgeschnappt?“
„Ach, die interessiert sich doch nur für ihre Lichtwerfer und den Overkill.“
Trotzdem war Eden ein Ansatzpunkt, um mehr über Swo zu erfahren. Immerhin pfiff sie auf Vorschriften, also wahrscheinlich auch auf den Datenschutz.
Leider war es schwer, Eden Sturm unter vier Augen zu sprechen, denn sie schob endlose Schichten, bei denen sie sich mit Coach Juli abwechselte, indem sie immer eine Hirnhälfte schlafen schickte. Man witzelte schon, dass die beiden die Brücke nie mehr verlassen würden. Womöglich konnte man aufgrund ihrer Dauerschichten bald ein anderes Besatzungsmitglied einsparen. Nur selten gönnten sie ihrem gemeinsamen Körper Erholung.
Gael passte einen solchen Moment ab und summte an der Kabine der Armierungsoffizierin. Dabei verfluchte sie ihre brennende Neugier, die sie dazu anstiftete.
„Ja?“, ertönte es aus dem Wandlautsprecher.
„Gael Klein hier. Ich mache mir Sorgen um Bordingenieur Swo.“
„Ich coache nicht mehr.“
Mist. Offenbar war gerade Coach Juli am Ruder. Gael wollte sich schon abwenden, als sich die Kabinentür öffnete. Zögernd trat sie ein.
„Was ist denn mit dem Bordingenieur?“, erkundigte sich Coach Juli, der das Coachen wohl doch noch nicht ganz lassen konnte.
„Er schwebt seit drei Tagen mindestens zehn Zentimeterüber dem Boden, so glücklich ist er. Ich befürchte, er nimmt Drogen!“
„Er nimmt keine Drogen.“
„Was ist es dann?“
„Das kann ich dir sagen.“
„Ernsthaft? Du kannst es mir einfach sagen? Ich war schon bei ALLISTER. Der hat was von Datenschutz gefaselt. Und du sagst es mir einfach?“
„Ja, kein Problem. Man muss nicht Swos persönliche Daten hacken, um die Quelle seines Glücks zu erfahren. Die Information ist öffentlich zugänglich, auch wenn ALLISTER sie noch nicht gelesen hat. Er ist ja nur ein Bordcomputer. Hier, mit dem letzten Datenupdate kam auch die neue Scientific Sternenlicht.“ Coach betätigte seinen Armcomputer und ließ das Magazin als Holo zwischen ihnen aufleuchten. „Moment …“ Er blätterte darin.
Gael riss es fast den Boden unter den Füßen weg. Swo, der nachlässige, faule Bordingenieur mit dem Mundgeruch und dem notorischen Frittenfleck auf der Uniform einen Preis gewonnen. Der Wissenschaftsrat hat ihm für die Erforschung der schirmbasierten Lichtumleitung den begehrten neuen Fluk-Rosen-Award verliehen. Tatsächlich hatte er eine mehr schlecht als recht funktionierende Tarnvorrichtung gebaut, die Menschen oder Dinge weitgehend unsichtbar machen konnte. Gael war überzeugt, dass der Mistkerl nur zufällig auf diese glanzvolle Idee gekommen war. Keinesfalls hatte er sie sich hart erarbeitet und einen Preis dafür verdient.
„Da staunt der Fachmann und der Wunde leiert sich!“, kalauerte Swo, der plötzlich neben ihr stand.
Gael fuhr erschrocken zur Seite. Offensichtlich hatte sich der Schwachkopf mit seiner Lichtumleitung in die Kabine geschlichen, als Gael eingetreten war. Das bedeutete, dass er ihr schon eine Weile gefolgt sein musste.
„Stalkst du mich etwa?“
„Und was ist mit dir? Warum fragst du jeden, ob ich Drogen nehme?“
„Bei mir ist das ganz was anderes!“