Читать книгу Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus - Страница 10
Fünfte Unterredung
Оглавление
welche die des Abtes Serapion über die acht Hauptsünden ist.
1. Abt Serapion.
In jener Gemeinschaft der ältesten Greise war ein Mann Namens Serapion, 190 gar sehr mit der Gnade der Klugheit geschmückt, dessen Unterredung ich der Mühe werth halte, aufgezeichnet zu werden. Denn als wir ihn angingen, daß er Einiges über die Bekämpfung der Laster bespreche, wodurch deren Entstehung und Ursache anschaulicher dargelegt würde, begann er also:
2. Abt Serapion zählt die acht Hauptsünden auf.
Acht Hauptlaster gibt es, 191 welche das menschliche Geschlecht beunruhigen, nemlich das erste die Gastrimargie, welches bedeutet die Völlerei des Bauches; das zweite die Unzucht; das dritte die Philargyrie, d. i. der Geiz oder die Geldliebe; das vierte der Zorn; das fünfte die Traurigkeit; das sechste die Acedia, d. i. die Engherzigkeit oder der Überdruß des Herzens; das siebente die Cenodoxie, d. i. die Prahlerei, das eitle Rühmen; das achte der Hochmuth.
3. Von den zwei Gattungen der Sünden und ihrer vierfachen Verwirklichung.
Es sind nun zwei Gattungen dieser Sünden; denn entweder sind sie natürlich, wie die Gefräßigkeit, oder ausser der Natur wie die Geldsucht. Ihre Verwirklichung aber ist vierfach; denn einige können ohne körperliche Handlung nicht vollbracht werden, wie die Völlerei und Unzucht; andere aber werden ohne jede leibliche That begangen, wie die Ruhmsucht und der Hochmuth; einige erhalten die Ursache ihrer Erregung von aussen, wie Habsucht und Zorn; andere aber entstehen durch innerliche Bewegungen, wie die Verdrossenheit und Traurigkeit.
4. Das Hauptsächlichste über die Leidenschaft der Völlerei und Unzucht und ihre Heilung.
Das wollen wir nun sowohl durch eine möglichst kurze Besprechung als auch durch die Aussprache der hl. Schrift klarer machen. Da uns die Völlerei und Unzucht von Natur aus so nahe liegen, so entstehen sie auch zuweilen ohne jede Anreizung der Seele bloß durch die Aufstachelung und den Reiz des Fleisches. Sie bedürfen aber, um vollendet zu werden, der Materie von aussen, und so kommen sie durch die körperliche Handlung zur Wirklichkeit. „Denn Jeder wird versucht von seiner Eigenen Begierlichkeit; dann, wann die Begierlichkeit empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.“ 192
So hätte auch der erste Adam nicht durch die Gaumenlust verführt werden können, wenn er nicht die Materie der Speise zur Hand gehabt und so gegen Erlaubniß mißbraucht hätte. Auch der zweite wurde nicht ohne jede materielle Anreizung versucht, da ihm gesagt wurde: 193 „Wenn du der Sohn Gottes bist, so sprich, daß diese Steine Brod werden.“ Daß auch die Unzucht nur durch den Leib ausgeführt werden könne, ist Allen klar, da von diesem Geiste Gott so zu dem frommen Job spricht: 194 „Und seine Kraft ist in seinen Lenden, und seine Macht in Mitte seines Bauches.“ Deßhalb bedürfen besonders diese zwei, welche mit Hilfe des Fleisches geschehen, ausser jener geistigen Pflege der Seele auch noch einer eigenen körperlichen Enthaltsamkeit. Es reicht ja zur Zurückstoßung ihrer Stacheln nicht die bloße Absicht des Geistes hin (wie das gegenüber dem Zorn, der Traurigkeit und den übrigen Leidenschaften zu geschehen pflegt, welche zuweilen auch ohne jede Betrübniß des Fleisches die Thätigkeit des Geistes allein zu besiegen weiß), — wenn nicht auch die körperliche Kasteiung dazu kommt, welche in Fasten, Wachen und thätiger Zerknirschung besteht; wenn ferner nicht die örtliche Entfernung damit verbunden wird, weil sie nur durch die Anstrengung des Geistes und des Leibes überwunden werden können, wie sie ja auch durch die Schuld beider entstehen. Obwohl nun der hl. Apostel alle Laster gemeinhin fleischliche genannt hat, indem er Feindschaft und Zorn und Spaltung unter die übrigen Werke des Fleisches zählt, so unterscheiden doch wir sie in doppelter Theilung, um ihre Wesensbestimmungen und Heilungsarten genauer zusammenzustellen. So sagen wir also, daß einige von ihnen fleischliche, andere geistige seien; und zwar jene fleischlich, welche nach ihrer Art den Reiz und das Gefühl des Fleisches betreffen, und an denen es sich so ergötzt und weidet, daß es auch ruhige Geister aufregt und die Nichtwollenden zuweilen zur Einstimmung in seinen Willen hinzieht. Von solchen sagt der Apostel: 195 „Auch wir alle wandelten einst nach den Begierden unseres Fleisches und thaten den Willen des Fleisches und des (eigenen) Denkens und waren von Natur aus Kinder des Zornes wie auch die Übrigen.“ — Geistige Sünden aber nennen wir die, welche nur nach dem Drange des Geistes entstehen und dem Fleische nicht nur keine Lust bringen, sondern es auch mit den schwersten Leiden behaften und nur die kranke Seele auf die Weide ihrer elenden Ergötzung führen. Deßhalb bedürfen diese nur eines innern Heilmittels, während die fleischlichen wie gesagt nur durch eine doppelte Kur zur Gesundheit gelangen können. So nützt es also denen, die nach Reinheit streben, am meisten, wenn sie sich die Gegenstände dieser fleischlichen Leidenschaften gleich von vornherein entziehen, insofern durch dieselben für die noch kranke Seele eine Veranlassung zu eben diesen Neigungen oder eine Erinnerung an dieselben entstehen kann. Denn für eine zweifache Krankheit muß man auch eine zweifache Kur anwenden. So ist dem Körper, damit die Begierlichkeit nicht zur That hervorzubrechen suche, nothwendig, die verführerische Gestalt und Materie zu entziehen; und damit die Seele nicht eine solche im Gedanken auffasse, muß ihr überdieß eine aufmerksamere Lesung der Schriften, eine wachsame Sorge und einsame Zurückgezogenheit zugemuthet werden. Bei den übrigen Sünden aber schadet der Umgang mit Menschen nicht; ja er nützt sogar denen sehr viel, die ihn wirklich zu entbehren wünschen, weil sie beim Verkehr mit Menschen mehr in ihrem wahren Wesen zum Vorschein kommen. Wenn nun das Aufgestöberte häufiger offenbar wird, so kommen sie durch die schnell vorhandene Medicin zum Heil.
5. Wie unser Herr allein ohne Sünde versucht worden sei.
Obwohl unser Herr Jesus Christus nach dem Ausspruche des Apostels 196 in Allem versucht wurde nach der Ähnlichkeit mit uns, so heißt es doch: „ohne Sünde,“ d. i. ohne Berührung mit dieser Leidenschaft, da er durchaus nicht die Stacheln der fleischlichen Begierlichkeit erfuhr, durch die wir nothwendig auch ohne unser Wissen und Wollen getroffen werden. Bei ihm fand ja keine Ähnlichkeit mit menschlicher Zeugung oder Empfängniß statt, da der Erzengel die Weise seiner Empfängniß so verkündet: 197 „Der hl. Geist wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten. Deßhalb wird auch das Heilige, das aus dir geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.“
6. Über die Art der Versuchung, durch welche der Herr vom Teufel versucht wurde.
Derjenige, welcher das unversehrte Ebenbild und Gleichniß Gottes besaß, mußte in denselben Leidenschaften versucht werden, in denen auch Adam versucht wurde, als er noch in der unverletzten Ähnlichkeit mit Gott stand, nemlich in Gaumenlust, Ruhmsucht und Hochmuth, nicht aber in denjenigen, in welche er sich nach Übertretung des Gebotes und nach der Verletzung des Ebenbildes und Gleichnisses Gottes durch eigene Schuld verwickelte. Denn es ist die Gaumenlust, vermöge welcher er sich das Essen von dem verbotenen Baume erlaubte; die Prahlerei, behufs welcher ihm gesagt wurde: „Es werden eure Augen geöffnet werden;“ und der Hochmuth, für den es hieß: „Ihr werdet sein wie die Götter, wissend das Gute und Böse.“ Also in diesen drei Lastern ist, wie wir lesen, auch unser Herr und Erlöser versucht worden. In der Gaumenlust, da ihm der Teufel sagt: „Sprich, daß diese Steine Brod werden;“ in der Ruhmsucht: „Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich da hinab;“ im Hochmuth, da er ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigt und sagt: „Dieß alles werde ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“ So wollte uns der Herr in denselben Richtungen der Versuchung, in welchen Jener angegriffen wurde, durch sein Beispiel zeigen, in welcher Weise wir den Versucher besiegen müssen. Deßhalb wird sowohl Jener Adam genannt als auch Dieser. Jener als der erste zu Untergang und Tod; Dieser als der erste zu Auferstehung und Leben. Durch Jenen fällt das ganze menschliche Geschlecht der Verdammung anheim, durch Diesen wird es befreit; Jener wird gebildet aus roher, frischer Erde. Dieser wird aus der Jungfrau Maria erzeugt. Wie es also angemessen war, daß Dieser die Versuchungen von Jenem auf sich nehme, so war es doch nicht nöthig, über dieselben hinauszugehen. Denn wer die Gaumenlust besiegt hatte, konnte nicht durch Unzucht versucht werden, die aus der Üppigkeit jener wie aus der Wurzel hervorgeht, und durch die nicht einmal jener erste Adam geschlagen worden wäre, wenn er nicht zuvor, verführt durch die Lockungen des Teufels, die sie erzeugende Leidenschaft zugelassen hätte. Deßhalb heißt es auch vom Sohne Gottes nicht schlechthin, daß er im Fleische der Sünde gekommen sei, sondern in der Ähnlichkeit 198 des Fleisches der Sünde, weil er die Sünde des Fleisches, welche den Abfall verschuldete, nicht in Wahrheit, sondern nur in der Vorstellung hatte, während doch wahrhaftes Fleisch an ihm war, welches aß und trank und schlief und in Wahrheit die anheftenden Nägel aufnahm. So erfuhr er nicht die feurigen Stachel der fleischlichen Begierde, die in uns auch gegen unsern Willen auftauchen, da schon die Natur sie bietet, sondern er nahm nur irgend eine Ähnlichkeit hievon an, durch die Theilnahme an unserer Natur. Da er nun Alles, was sich für uns gehört, in Wahrheit erfüllte und alle menschlichen Schwächen trug, so wurde er folgerichtig dafür angesehen, auch dieser Leidenschaft unterworfen zu sein, so daß er gemäß den übrigen Schwächen auch diesen Lasterund Sündenzustand in seinem Fleische zu tragen schien. Endlich versucht ihn der Teufel nur in diesen Sünden, zu welchen er auch jenen Ersten verführt hatte, da er dachte, er werde auch Diesen wie einen Menschen in den übrigen gleichfalls überwinden, wenn er ihn in jenen geschlagen finde, durch die er den Ersten gestürzt hatte. Aber er konnte ihm die zweite Krankheit, die aus der Wurzel des ersten Lasters hervorgekeimt war, nicht anthun, da er schon im ersten Kampfe besiegt wurde. Denn er sah, daß dieser keineswegs den Anfangsgrund jenes Siechthums angenommen habe, und es war überflüssig, von dem die Frucht einer Sünde zu hoffen, der nicht einmal, wie wohl zu sehen war, den Samen oder die Wurzel davon in sich trug. Nach Lukas, 199 der als letzte Versuchung jene ansetzt, in der es heißt: „Wenn du der Sohn Gottes bist, stürze dich hinab,“ kann hier an die Leidenschaft des Hochmuths gedacht werden, so daß bei jener frühern, welche Matthäus 200 als dritte zählt, und in welcher nach dem Evangelisten Lukas dem Herrn alle Reiche der Welt in einem Augenblicke gezeigt und vom Teufel versprochen werden, die Leidenschaft der Habsucht verstanden werden kann, weil Satan nemlich ohne Sieg in der Gaumenlust den Herrn mit der Unzucht nicht zu versuchen vermochte und also zur Habsucht überging, die er als eine Wurzel alles Bösen kannte. In dieser wieder überwunden wagte er nicht, ihm eines der aus ihr folgenden Laster zuzumuthen, von denen er wußte, daß sie aus ihr als der Wurzel und dem Zunder hervorkommen, sondern ging zu der letzten Leidenschaft, der des Hochmuths über. Daß durch sie auch manche Vollkommene nach Beilegung aller Laster verwundet werden können, wußte er, wie er auch daran dachte, daß er selbst als Lucifer und viele Andere ohne den Reiz vorhergegangener Leidenschaften nur durch sie aus dem Himmel gestürzt seien. Nach dieser besagten Reihenfolge also, die vom Evangelisten Lukas eingehalten wird, stimmt auch der Reiz und die Gestalt der Versuchungen, mit denen der so schlaue Feind sowohl den ersten als den zweiten Adam angriff, auf das Schönste zusammen. Jenem nämlich sagt er: „Eure Augen werden geöffnet werden.“ Diesem zeigt er alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit; dort sagt er: „Ihr werdet sein wie die Götter,“ hier: „Wenn du der Sohn Gottes bist.“
7. Von der Verwirklichung der Ruhmsucht und des Hochmuths ohne Beihilfe des Körpers.
Damit wir nun in der vorgenommenen Ordnung auch über die Bethätigung der übrigen Leidenschaften sprechen, — deren Aufzählung zu unterbrechen uns die Darstellung der Gastrimargie und der Versuchung des Herrn genöthigt hat, — so pflegen die Ruhmsucht und der Hochmuth auch ohne jede Beihilfe des Körpers verwirklicht zu werden. Denn worin bedürfen die einer fleischlichen That, welche je nach ihrer Beherrschung oder freien Begierde allein durch das Verlangen nach dem zu erwerbenden Lobe oder dem zu erreichenden Menschenruhm genug Schaden für die gefangene Seele erzeugen? Oder welche körperliche Bethätigung fand statt bei dem alten Hochmuthe jenes vorgenannten Lucifer, und wie hätte er ihn nicht allein im Innern und im Gedanken gefaßt, da doch der Prophet so spricht: 201 „Der du gesprochen in deinem Herzen: Zum Himmel will ich aufsteigen, über Gottes Sterne erhöhen meinen Thron; … will aufsteigen über die Höhe der Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten.“ Wie dieser Niemanden zum Anstifter seines Hochmuthes hatte, so hat ihm auch der Gedanke allein die Vollendung des Verbrechens und des ewigen Sturzes zu Stande gebracht, obwohl keine Werke seiner angemaßten Herrschsucht nachfolgten.
8. Von der Habsucht: daß sie ausserhalb der Natur sei, und welcher Unterschied sei zwischen ihr und den natürlichen Lastern.
Die Habsucht und der Zorn, obwohl sie nicht einer Natur sind, — denn die erstere ist ausserhalb der Natur, der andere aber scheint doch einen ursprünglichen Keim in uns zu besitzen, — entstehen doch auf ähnliche Weise, da sie von aussen zumeist die Ursache ihrer Erregung nehmen. Denn oft beklagen sich Solche, welche noch schwächer sind, daß sie durch Anreizung und Drängen Anderer in diese Sünden gefallen seien, und schützen als Grund vor, daß sie durch deren Überredung in Zorn oder Habsucht vorschnell gerathen seien. Daß die Habsucht ausserhalb unserer Natur liege, ist daraus klar zu ersehen, daß sie nachweislich ihren ersten Anfang nicht in uns hat 202 und auch nicht von der Materie aufgenommen wird, die zur Verbindung mit Leib und Seele gehört und zur Erhaltung des Lebens. Denn es ist doch gewiß, daß Nichts zum Gebrauche und Bedürfniß der gemeinsamen Natur gehöre als das tägliche Maaß von Speise und Trank; alle übrigen Gegenstände aber, mit welchem Eifer und welcher Anhänglichkeit sie auch bewahrt werden, stehen dem menschlichen Bedürfniß, wie der Lebensgebrauch selbst bestätigt, fern, weßhalb sie als ausserbalb der Natur stehend nur laue und schlecht gegründete Mönche beunruhigen können. Was aber zur Natur gehört, das beschäftigt stets auch die bewährtesten der Mönche, selbst wenn sie in der Einöde leben. Und so sehr zeigt sich das als durchaus wahr, daß wir auch einige Volksstämme von dieser Leidenschaft, d. i. der Habsucht, ganz frei sehen, weil sie die Krankheit dieses Lasters durch Brauch und Gewohnheit durchaus nicht annahmen. Wir glauben auch, daß jene frühere Welt, die vor der Sündfluth war, sehr lange den Wahnsinn dieser Begierde nicht kannte. Sie kann auch erwiesener Maßen in einem Jeden von uns, der recht entsagt, ohne irgend eine Mühe getilgt werden, wenn Einer nemlich nach Hingabe alles Vermögens so sehr die Klosterregel zu erfüllen strebt, daß er von demselben auch nicht einen Denar für sich übrig läßt. Als Zeugen hiefür können wir viele Tausende von Menschen finden, die in einem kurzen Augenblicke all ihr Vermögen austheilten und diese Leidenschaft so sehr ausrodeten, daß sie fernerhin auch nicht einmal leicht von ihr bewegt wurden. Aber trotzdem können sie nicht sicher sein, wenn sie nicht zu jeder Zeit gegen die Gaumenlust streiten und mit aller Wachsamkeit des Herzens und Enthaltsamkeit des Körpers kämpfen.
9. Daß die Traurigkeit und Verdrossenheit durch keine Anreizung von aussen entstehen wie die andern Sünden.
Die Traurigkeit und Verdrossenheit pflegen wie wir oben gesagt, ohne Zutritt einer äussern Anreizung zu entstehen. Denn man weiß, daß sie gerade die Einsamen, in der Wüste Wohnenden, in keinen menschlichen Umgang Verstrickten am häufigsten und bittersten quälen. Daß Dieß sehr wahr ist, kann Jeder, wenn er sich in die Einsamkeit begibt und die Kämpfe des innern Menschen durchmacht, durch die Erfahrung selbst ganz leicht erproben.
10. Über die Zusammenstimmung von sechs Lastern und die Verwandtschaft der zwei von ihnen abweichenden.
Obwohl diese acht Sünden verschiedenen Ursprung und ungleiche Bethätigung haben, so sind doch die sechs ersten, also die Völlerei (Gaumenlust), Unzucht, Habsucht, Zorn, Traurigkeit, Verdrossenheit durch eine gewisse Verwandtschaft und so zu sagen Verkettung unter sich verbunden, so daß die Überfülle der vorhergehenden zum Anfang für die folgende wird. Denn aus der Üppigkeit der Völlerei entsteht nothwendig Unzucht, aus der Unzucht Habsucht, aus der Habsucht Zorn, aus diesem die Traurigkeit und aus ihr die Verdrossenheit; deßhalb muß man gegen diese in ähnlicher Weise und gleichem Verhalten kämpfen und den Widerstreit gegen die nachfolgenden immer von den vorausgehenden beginnen. Denn viel leichter verdorrt die schaden-bringende Breite und Höhe eines Baumes, wenn zuvor die Wurzeln, auf die er sich stützt, entweder entblößt oder abgeschnitten sind. Ebenso werden widrige Gewässer sogleich austrocknen, wenn die sie erzeugende Quelle und die hervorsprudelnden Adern mit emsiger Sorgfalt verstopft sind. Damit also die Acedie besiegt werde, muß zuvor die Traurigkeit überwunden werden; um diese zu vertreiben, werde zuvor der Zorn hinausgestoßen; um ihn auszulöschen, zertrete man die Habsucht; damit diese ausgerissen werde, muß die Unzucht gezügelt werden; und zu ihrer Vernichtung züchtige man das Laster der Völlerei. — Die zwei übrigen, nemlich die Prahlsucht und der Hochmuth, sind zwar gleichfalls unter sich auf eine solche Weise verbunden, wie wir von den obigen Lastern sagten, so daß die Zunahme des einen zum Anfang des andern wird, — so erzeugt die überwuchernde Ruhmsucht den Zündstoff des Hochmuths; — aber sie weichen doch von jenen sechs vorigen Sünden ganz ab und sind durch keine ähnliche Gemeinschaft mit ihnen verbunden. Sie erhalten nemlich nicht nur von jenen keine Veranlassung zu ihrer Entstehung, sondern werden auch in gerade entgegengesetzter Weise und Ordnung erregt; denn wenn jene ausgerissen sind, setzen diese reichere Früchte an, und durch den Tod jener keimen und wachsen diese lebendiger. Deßhalb werden wir auch in anderer Weise von diesen beiden Lastern angefochten; denn in jedes jener sechs Laster fallen wir dann, wenn wir von dem ihm vorhergehenden überwunden sind; aber in die Gefahr dieser beiden gerathen wir als Sieger und am meisten nach Triumphen. Wie nun alle Sünden durch das Wachsthum der frühern erzeugt werden, so werden sie auch durch deren Verminderung entfernt. Aus diesem Grunde muß die Ruhmsucht erstickt werden, damit der Hochmuth ausgemerzt werden könne. So werden immer, wenn die vorhergehenden überwunden sind, die nachfolgenden ruhen und nach Erlöschung der ersten Leidenschaften die übrigen ohne Mühe schwinden. Obwohl nun diese acht genannten Laster in der erwähnten Weise unter sich verbunden und vermischt sind, so kann man sie doch noch eigens in vier Verbindungen und Paare eintheilen; denn mit der Völlerei verbindet sich die Unzucht in besonderer Gemeinschaft, mit der Habsucht der Zorn, mit der Traurigkeit die Verdrossenheit und mit der Ruhmsucht der Hochmuth in engerer Freundschaft.
11. Von dem Ursprunge und der Beschaffenheit einer jeden dieser Sünden.
Damit wir nun im Einzelnen über die Gattungen einer jeden Sünde sprechen, so gibt es drei Gattungen der Gastrimargie. Die erste, welche den Mönch drängt, zu der Labung vor der bestimmten und gesetzlichen Stunde zu eilen; die zweite, welche sich ergötzt an der Anfüllung des Leibes und dem Aufzehren aller möglichen Speisen; die dritte, welche eine zu genaue Bereitung und die größte Feinheit der Speisen verlangt. Diese drei treffen den Mönch mit keinem leichten Schaden, wenn er nicht von allen mit gleicher Anstrengung und Übung sich zu befreien sucht. Denn wie man sich die Beendigung des Fastens vor der gesetzlichen Stunde durchaus nicht herausnehmen darf, so ist auch die Anfüllung des Magens und die kostspielige und ausgesuchte Zubereitung der Speisen fernzuhalten. Werden doch aus diesen drei Ursachen verschiedene und sehr arge Krankheiten der Seele erzeugt. So entsteht aus der ersten die Abneigung gegen das Kloster, und daraus wächst der Abscheu und die Unfähigkeit, diesen Wohnort länger zu ertragen, worauf ohne Zweifel bald der Austritt oder die eiligste Flucht folgt. Die zweite Ursache weckt feurige Stachel der Ausschweifung und Lüsternheit. Die dritte schlingt auch noch um den Nacken der Gefangenen unlösbare Stricke der Habsucht und läßt nicht zu, daß der Mönch jemals in der vollkommenen Blöße Christi gegründet werde. Daß uns Spuren dieses Lasters innewohnen, erkennen wir auch daran als einem Zeichen, daß wir, wenn uns ein Bruder beim Essen behält, nicht zufrieden sind mit dem Geschmacke der Speisen, der ihnen von dem Anbietenden durch die Würze gegeben ist, sondern in unpassender und zügelloser Freiheit verlangen, es möge noch Etwas hinzugegossen oder beigefügt werden. Das soll durchaus nicht geschehen aus drei Ursachen: zuerst, weil der Geist des Mönches immer in voller Übung der Geduld und Entsagung sein soll und nach dem Apostel 203 lernen soll, zufrieden zu sein mit Dem, was da ist; denn keineswegs wird der im Stande sein, die geheimen und heftigeren Begierden des Körpers zu zügeln, der sich schon an der Empfindung einer unbedeutenden Unschmackhaftigkeit stößt und nicht einmal auf einen Augenblick die Leckerhaftigkeit seines Gaumens zu zähmen vermag. Die zweite Ursache ist, weil, wie oft geschieht, die verlangte Sache für jetzt fehlen kann und wir also der Dürftigkeit oder Einfachheit des Gastgebers eine Beschämung bereiten, indem wir seine Armuth, die er lieber Gott allein wollte bekannt sein lassen, veröffentlichen. Drittens, weil der Geschmack, den wir beigefügt wissen wollen, zuweilen Andern nicht zu entsprechen pflegt und es sich also herausstellt, daß wir Andern entgegen sind, während wir unserm Gaumen und unserm Gelüsten genug thun wollen. Deßhalb also ist diese Freiheit auf jede Weise in uns abzutödten. Die Unzucht hat drei Gattungen: die erste ist die, welche durch Verbindung der beiden Geschlechter sich vollzieht; die zweite, welche ohne weibliche Berührung geschieht, wofür Onan, 204 der Sohn des Patriarchen Judas, vom Herrn getödtet wurde. In den hl. Schriften heißt sie immunditia (Unreinigkeit), und der Apostel sagt darüber: 205 „Ich sage aber den Ledigen und Wittwen, daß es gut für sie ist, wenn sie so bleiben wie auch ich; wenn sie sich aber nicht halten, so mögen sie heirathen; denn es ist besser zu heirathen, als Brunst zu leiden.“ Die dritte Art ist die, welche nur in Geist und Gemüth begangen wird. Darum spricht der Herr im Evangelium: 206 „Wer ein Weib ansieht, um ihrer zu begehren, hat schon in seinem Herzen mit ihr die Ehe gebrochen.“ Daß diese drei Arten in gleicher Weise auszutilgen seien, lehrt der hl. Apostel und sagt: 207 „Ertödtet euere Glieder, die auf der Erde sind, die Buhlerei, die Unreinigkeit, die Lüsternheit.“ Und wieder schreibt er von zweien an die Ephesier: 208 „Buhlerei und Unreinigkeit sollen unter euch nicht einmal genannt werden.“ Und wieder: 209 „Das aber wisset, daß kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Geizhals — was Götzendienst ist — eine Erbschaft im Reiche Christi und Gottes besitzen wird.“ Damit wir also alle drei mit gleicher Anstrengung meiden, schreckt uns ihre gleiche Ausschließung vom Reiche Christi. — Die Gattungen der Habsucht sind drei: die erste, welche nicht zuläßt, daß man entsage und seiner Reichthümer und Güter sich beraube; die zweite, welche uns überredet, das, was wir vertheilt oder den Dürftigen gegeben haben, mit größerer Begierde wieder zurückzunehmen; die dritte, welche uns antreibt, das, was wir vorher nicht einmal besaßen, zu begehren oder zu erwerben. Der Zorn hat drei Gattungen: die eine, die innerlich entbrennt, was im Griechischen θυμός heißt; die andere, die in Wort und That und Wirksamkeit hervorbricht und ὀργή genannt wird, von welcher der Apostel sagt: 210 „Nun aber leget ab allen Zorn und Unwillen;“ die dritte, welche nicht wie jene hitzig im Augenblicke verläuft, sondern tagweis und lange bewahrt wird, was ἄλυς heißt. 211 All das müssen wir mit gleichem Abscheu verwerfen. Die Gattungen der Traurigkeit sind zwei: die eine, welche entsteht, wenn der Zorn nachläßt, oder über einen uns zugefügten Schaden, ein verhindertes oder vereiteltes Begehren, die andere, welche aus unvernünftiger Unruhe des Geistes oder aus der Verzweiflung stammt. — Die Acedie hat zwei Gattungen: die eine überwältigt mit Schlaf in der Schwüle; die andere treibt an, die Zelle zu verlassen und zu fliehen. Die Ruhmsucht hat, obwohl sie vielgestaltig und vielfältig ist und in verschiedene Arten sich theilt, doch zwei Gattungen: in der ersten überheben wir uns wegen fleischlicher und sichtbarer Dinge; in der zweiten entbrennen wir wegen geistiger und geheimer von Begierde nach eitlem Lob.
12. In welcher Hinsicht die Ruhmsucht nützlich sei.
In einem Falle kann jedoch die Ruhmsucht mit Nutzen von den Anfängern angenommen werden, aber nur von denen, die noch von fleischlichen Lastern gereizt werden. Möge also ein Solcher zur Zeit der Bedrängniß durch den Unzuchtsgeist sich entweder die Würde des priesterlichen Amtes vorstellen oder dieß öffentliche Meinung, in der er für heilig und unbefleckt gilt, und möge so die Stachel der unreinen Begierde als schändlich und sowohl seines Rufes als dieses Standes unwürdig wenigstens durch diese Betrachtung vermeiden, indem er ein größeres Übel durch ein kleineres zurückdrängt. Denn es ist für Jeden besser, durch den Fehler der Ruhmsucht verwundet zu werden, als in die Gluth der Unzucht zu fallen, aus der es nach dem Falle keine oder doch kaum eine Herstellung gibt. 212 Diesen Gedanken hat an Gottes Statt einer der Propheten trefflich ausgedrückt, indem er sagt: „Um meinetwillen werde ich entfernen meinen Zorn, und durch mein Lob werde ich dich zügeln, daß du nicht untergehest,“ d. h. damit du durch das deiner Ehrsucht gebotene Lob ergriffen werdest und ja nicht in die Tiefe der Hölle stürzest und unwiderruflich in vollendeten Todsünden untergehest. Es ist auch nicht zu wundern, wenn dieser Leidenschaft eine solche Kraft innewohnt, daß sie Jeden, der in den Schmutz der Unzucht fallen will, im Zaume zu halten vermag, da durch die Erfahrungen Vieler gar oft erprobt worden ist, wie sie den, welchen sie einmal durch den Pesthauch ihres Giftes verdorben hat, unermüdlich macht, so daß sie ihn nicht einmal ein zweioder dreitägiges Fasten fühlen läßt. Das haben, wie wir wissen, auch Einige in dieser Wüste häufig bekannt, daß sie bei ihrem Aufenthalt in den Klöstern Syriens eine nur alle fünf Tage stattfindende Labung mit Brod ohne Mühe ausgehalten hatten, nun aber schon von der dritten Stunde an von solchem Hunger gequält wurden, daß sie kaum bis zur neunten das tägliche Fasten aufschieben könnten. Über diesen Punkt gab der Abt Makarius eine gute Antwort, als ihn Einer fragte, warum er in der Wüste von der dritten Stunde an schon vom Hunger gequält werde, da er doch im Kloster oft ganze Wochen die Labung verschmähte, ohne Hunger zu fühlen. „Weil hier“, sagt er, „kein Zeuge deines Fastens ist, der dich mit seinem Lob nähren und erhalten könnte; dort aber sättigte dich der Finger 213 der Menschen und die Erquickung der Ehrsucht.“ Ein Bild hievon, daß, wie gesagt, durch das Hinzukommen der Ruhmsucht die Sünde der Unzucht verdrängt werde, ist ganz schön und bezeichnend im Buche der Könige 214 dargestellt, wo der heranziehende König der Assyrier, Nabuchodonosor, das von Nechar, dem König Ägyptens, gefangene Volk Israel aus Ägypten in sein Reich führte, natürlich nicht um sie in die frühere Freiheit und ihr Vaterland wieder einzusetzen, sondern um sie in sein Gebiet zu bringen, mithin weiter zu entfernen, als sie in Ägyptens Gefangenschaft gewesen waren. Dieses Bild kann auch so noch für uns zutreffen; denn obwohl es erträglicher ist, dem Laster der Ehrsucht als dem der Unzucht zu dienen, so kommt man doch härter aus der Herrschaft der Ehrsucht heraus; denn der gleichsam in weitere Ferne geführte Gefangene wird nur mit größerer Mühe in sein Vaterland und die heimathliche Freiheit zurückkehren, und mit Recht wird an ihn jener Tadel des Propheten gerichtet: 215 „Warum bist du alt geworden im fremden Land?“ Mit Recht nemlich heißt Der „alt geworden im fremden Land“, welcher sich nicht erneuert durch die Lossagung von irdischen Lastern.
Der Hochmuth hat zwei Gattungen: die erste ist fleischlich, die zweite geistig, die auch gefährlicher ist; denn sie versucht besonders Jene, die sie in Tugenden fortgeschritten findet.
13. Von der verschiedenen Angriffsweise aller Sünden.
Obwohl nun diese acht Sünden das ganze Menschengeschlecht beunruhigen, so greifen sie doch nicht Alle auf gleiche Weise an. Denn in dem Einen behauptet der Geist der Unzucht den ersten Platz, in einem Andern ist der Zorn voran, im Dritten nimmt die Ruhmsucht, die Herrschaft in Anspruch, und bei dem Nächsten hält der Hochmuth die Festung besetzt. Während also fest steht, daß Alle von Allen angefochten werden, leiden wir doch im Einzelnen in verschiedener Weise und Reihenfolge.
14. Von dem Kampfe, zu dem wir uns wider die Sünden, ihrer Angriffsweise entsprechend, rüsten müssen.
Deßhalb müssen wir gegen sie den Kampf so aufnehmen, daß Jeder nach Erforschung des Lasters, das ihn am meisten angreift, gegen dieses den Hauptstreit richte, indem er alle Sorge und Sorgfalt des Geistes auf die Beobachtung und Bekämpfung desselben heftet, auf dieses mit den täglichen Pfeilen der Fasten zielt, gegen dieses jeden Augenblick das Stöhnen des Herzens und zahlreiche Geschoße der Seufzer schleudert, die Mühen des Wachens und die inneren Betrachtungen darauf verwendet, unaufhörlich sein Gebet in Thränen vor Gott ausgießt und die Überwindung der Versuchung von ihm besonders und beständig erbittet. Denn es ist unmöglich, über irgend eine Leidenschaft einen Triumph davon zu tragen, ehe man eingesehen hat, daß man durch eigenes Ringen und Mühen den Sieg im Kampfe nicht erlangen könne, obwohl es zur Erlangung der Reinigung nothwendig ist, Tag und Nacht in aller Sorge und allem Eifer zu verharren. Wenn sich nun Einer von dieser Leidenschaft befreit fühlt, so durchforsche er aufs Neue die Schlupfwinkel seines Herzens in gleicher Absicht und suche, welche von den Übrigen Leidenschaften sich ihm als die unheilvollere zu erkennen gebe, und erhebe gegen sie besonders alle Waffen des Geistes. So wird er immer, wenn die stärkeren überwunden sind, einen schnellen und leichten Sieg über die andern gewinnen, weil sowohl der Geist durch die fortschreitenden Triumphe stärker wird als auch der nachfolgende Streit mit den schwächern ihm ohnehin den Erfolg im Kampfe leichter macht. So geschieht es auch gewöhnlich von denen, welche vor den Königen dieser Welt aus Rücklicht auf den Lohn mit allen Arten wilder Thiere zu kämpfen pflegen, welche Art des Schauspiels man geheimhin pancarpum nennt. Diese, sage ich, nehmen gegen jene Thiere, welche sie als kampffähiger durch ihre Kraft oder als gefährlicher durch die Wuth ihrer Wildheit erkennen, zuerst den Zusammenstoß und Kampf auf, und wenn diese getödtet sind, werfen sie die weniger furchtbaren und wüthenden in leichterer Vernichtung nieder. So werden wir auch uns, wenn die mächtigern Laster überwunden sind und die schwächeren nachfolgen, ohne jede Gefahr einen vollkommenen Sieg verschaffen. Wir dürfen auch nicht glauben, daß Einer, welcher hauptsächlich gegen ein Laster kämpft und über die Pfeile der Andern gleichsam ohne Acht hinsieht, durch irgend einen unverhofften Schlag leichter verwundet werden könne, was gewiß nicht geschehen wird; denn es ist unmöglich, daß Jemand, der für die Reinigung seines Herzens besorgt ist und sein geistiges Streben gegen den Angriff irgend eines Lasters bewaffnet hat, nicht eine gewisse allgemeine Scheu und ähnliche Wachsamkeit auch gegen die übrigen Sünden habe. Denn wie würde Der verdienen, auch nur über jene Leidenschaft, von der er gereinigt werden will, den Sieg davonzutragen, der sich des Lohnes der Reinigung unwürdig macht durch die Befleckung mit andern Lastern? Nicht also, sondern wenn sich die Hauptmeinung unseres Herzens den besondern Kampf gegen eine Leidenschaft vorgenommen hat, so wird sie hiefür aufmerksamer beten und mit besonderer Sorgfalt und Dringlichkeit bitten, daß sie dieselbe genauer beobachten und dadurch einen schnellen Sieg erlangen möchte. Denn daß wir diese Kampfesordnung einhalten müssen, ohne jedoch auf unsere eigene Kraft zu vertrauen, das lehrt auch der Gesetzgeber mit diesen Worten: 216 „Fürchte sie nicht, weil der Herr dein Gott in deiner Mitte ist; der große und furchtbare Gott selbst wird diese Nationen vor deinen Augen vertilgen allgemach und Theil um Theil. Du wirst sie nicht zugleich vernichten können, damit nicht etwa zu viel werde wider dich das Gethier der Erde. Aber es wird sie dir preisgeben der Herr dein Gott vor deinem Angesichte und wird sie tödten, bis sie ganz vernichtet sind.“
15. Daß wir Nichts gegen die Laster vermögen ohne die Hilfe Gottes, und daß wir uns wegen Besiegung derselben nicht überheben dürfen.
Aber er ermahnt auch ebenso, daß wir uns im Siege über dieselben nicht überheben dürfen. „Aber“, sagt er, „nachdem du gegessen hast und satt geworden bist, schöne Häuser gebaut und sie bezogen hast, nachdem du Rinder und Schafheerden bekommen hast und Gold und Silber und alle Dinge im Überfluß, da überhebe sich nicht dein Herz und vergiß nicht den Herrn deinen Gott, der dich aus dem Lande Ägypten geführt hat, aus dem Hause der Knechtschaft, und der dein Führer war in der großen und furchtbaren Wüste.“ 217 Auch Salomon sagt in den Sprüchwörtern: 218 „Wenn dein Feind fällt, frohlocke nicht, und bei seinem Untergang überhebe dich nicht, damit es nicht der Herr sehe mit Mißfallen und er seinen Zorn von Jenem wegwende,“ d. i. damit er nicht beim Anblick deines innern Hochmuthes von der Verfolgung desselben ablasse und du nun von ihm verlassen wieder anfangest, von derselben Leidenschaft beunruhigt zu werden, welche du mit Gottes Gnade vorher überwunden hattest; denn der Prophet hätte nicht im Gebete gesprochen: 219 „Übergib nicht, o Herr, den Wilden Thieren die Seele, welche dich bekennt,“ wenn er nicht gewußt hätte, daß Einige wegen der Überhebung ihres Herzens zur Demüthigung wieder denselben Lastern übergeben werden, die sie schon besiegt hatten. Wir dürfen deßhalb sicher sein, da uns sowohl die Erprobung der Thatsachen als unzählige Zeugnisse der hl. Schriften lehren, daß aus unsern Kräften, wenn wir nicht einzig gestützt würden durch die Hilfe Gottes, wir solche Feinde nicht besiegen könnten, und daß wir also auf ihn jeden Tag unsern ganzen Sieg beziehen müssen. Dazu ermahnt uns auch Gott durch Moses in folgender Weise 220 „Wenn der Herr dein Gott sie vor deinen Augen vernichtet haben wird, so sage nicht in deinem Herzen: Wegen meiner Gerechtigkeit hat mich der Herr hereingeführt, dieses Land zu besitzen, da jene Nationen wegen ihrer Ungerechtigkeit vernichtet worden sind. Denn nicht wegen deiner Gerechtigkeit und der Geradheit deines Herzens wirft du einziehen zum Besitz ihres Landes, sondern weil jene Ruchloses gethan, so sind sie bei deinem Einzüge vernichtet worden.“ Ich frage, wie man noch deutlicher reden könnte gegen unseren verderblichen Dünkel und Hochmuth, in welchem wir all unser Thun dem freien Willen oder unserm Eifer anrechnen wollen. Sage nicht, spricht er, in deinem Herzen, wenn der Herr dein Gott sie vor deinen Augen vernichtet hat: Wegen meiner Gerechtigkeit hat mich der Herr hereingeführt zum Besitze dieses Landes! Sagt er damit nicht Jedem, der offene Geistesaugen hat und Ohren zum Hören, ganz deutlich: Wenn dir die Kämpfe gegen die fleischlichen Laster gut gelungen sind, und du siehst dich von ihrem Schmutz und dem Wandel dieser Welt befreit, so schreibe das nicht im Hochmuth über den Erfolg des Kampfes und Sieges deiner Kraft und Weisheit zu und glaube nicht, daß du durch dein Mühen und Streben und deinen freien Willen über die geistigen Bosheiten und fleischlichen Laster gesiegt habest. Diese hättest du ohne Zweifel in Nichts ganz überwinden können, wenn dich nicht Gottes Hilfe gestützt oder geschützt hätte.
16. Über die Bedeutung der sieben Völker, deren Länder Israel nahm, und warum es bald heißt, daß es sieben, bald daß es viele Völker waren.
Es sind das die sieben Völker, deren Länder Gott den aus Ägypten ausgezogenen Söhnen Israels zu geben versprach. Da nach dem Apostel Jenen Dieß alles zum Vorbilde begegnete, so müssen wir es als eine für uns geschriebene Ermahnung auffassen. Denn so heißt es: 221 „Wenn dich der Herr dein Gott hineingeführt haben wird in das Land, in dessen Besitz du einziehst, und wenn er viele Völker vor deinen Augen vernichtet haben wird, den Hethäer und Gergezäer, den Amorrhäer und Chananäer, den Pherezäer und Eväer und Jebusäer, sieben Völker viel zahlreicher und stärker als du, und wenn der Herr sie dir wird preisgegeben haben, so schlage sie bis zur Vernichtung.“ Daß es nun heißt, sie seien zahlreicher, hat den Grund, daß die Laster zahlreicher sind als die Tugenden. Deßbalb werden im Verzeichniß zwar sieben Nationen aufgezählt, bei der Erwähnung ihrer Besiegung aber stehen sie ohne Nennung einer Zahl, denn es heißt: Und wenn er viele Völker vernichtet haben wird &c. Denn zahlreicher als Israel ist das Volk der fleischlichen Leidenschaften, welches aus diesem siebenfachen Zündstoff und Keim der Laster hervorgeht. Denn daraus entstehen Mord, Streit, Spaltungen, Diebstähle, falsche Zeugnisse, Gotteslästerungen, Schmausereien, Trunkenheit, Verläumdungen, Spielereien, schändliche Reden, Lügen, Meineide, thörichtes Geschwätz, Leichtfertigkeit, Unruhe, Raubsucht, Bitterkeit, Geschrei, Unwille, Verachtung, Murren, Versuchung, Verzweiflung und viele andere, deren Aufzählung zu lange wäre. Da diese von uns für leicht gehalten werden, so hören wir, was der Apostel von ihnen denke, oder was für ein Urtheil er über sie fälle: 222 „Murret nicht“, sagt er, „wie Einige von Jenen murrten und durch den Verderber 223 umkamen;“ und von der Versuchung: 224 „Lasset uns nicht Christum versuchen, wie Einige von ihnen versucht haben und durch Schlangen umkamen;“ von der Verläumdung: „Liebe nicht die Verläumdung, damit du nicht umkommest;“ und von der Verzweiflung: 225 „Die in der Verzweiflung sich der Unzucht ergaben zur Ausübung jeder Verkehrtheit, zur Unreinigkeit.“ Daß aber Zankgeschrei, wie Zorn, Unwille und Gotteslästerung verdammt werde, lehrt uns ganz klar derselbe Apostel, da er so befiehlt: 226 „Jede Bitterkeit, Zorn und Unwille, Zankgeschrei und Gotteslästerung werde entfernt von euch wie alle Bosheit.“ Und dergleichen mehr. Obwohl nun die Laster viel zahlreicher sind als die Tugenden, so werden doch nach Besiegung jener acht hauptsächlichsten, aus deren Natur sie, wie sicher ist, hervorgehen, sogleich alle ruhig und werden zugleich mit diesen in ewiger Vernichtung ausgerottet. Denn von der Gastrimargie entstehen Schmausereien und Trunkenheit; von der Unzucht: Schandreden und Possen, Spielerei und thörichtes Geschwätz; von der Geldsucht: Lüge, Betrug, Diebstahl, Meineid, Verlangen nach schmutzigem Gewinn, falsche Zeugnisse, Gewalt, Unmenschlichkeit und Raubsucht. Vom Zorn entstehen: Mord, Polterei, Erbitterung; von der Traurigkeit: Herbheit, Kleinmuth, Bitterkeit, Verzweiflung; von der Acedie: Trägheit, Schläfrigkeit, Unaufgelegtheit, Unruhe, Herumschweifen, Unstätigkeit des Geistes und Körpers, Geschwätzigkeit, Neugier; von der Ehrsucht: Streit, Spaltung, Prahlerei und anmaßende Neuerungssucht; vom Hochmuth: Verachtung, Neid, Ungehorsam, Gotteslästerung, Murren, Verläumdung. Daß aber diese Pestkrankheiten auch stärker sind, fühlen wir deutlich bei der Anfechtung in unserer Natur selbst. Denn kräftiger kämpft in unsern Gliedern die Lust der fleischlichen Leidenschaften oder Laster, als das Streben nach den Tugenden, die nur durch die größte Anstrengung des Herzens und des Körpers erlangt werden. Schauen wir nun noch mit unsern geistigen Augen auf jene unzählbaren Schaaren von Feinden, die der Apostel anführt mit den Worten: 227 „Wir haben nicht einen Kampf gegen Fleisch und Blut, sondern gegen die Herrschaften und Mächte, gegen die Weltherrscher dieser Finsterniß, gegen die Geister der Bosheit in den Himmelsräumen.“ Davon handelt auch jene Stelle über den Gerechten, die im neunzigsten Psalme steht: „Es werden fallen dir zur Seite Tausend und Zehntausend zu deiner Rechten.“ Nun wirst du klar einsehen, daß sie viel größer sind an Zahl und Kraft als wir, die wir fleischlich sind und irdisch, während jenen eine geistige und luftähnliche Substanz verliehen ist.
17. Frage über die Vergleichung der sieben Stämme und acht Sünden.
Germanus: Woher sind es nun acht Sünden, die uns anfechten, während von Moses sieben Volksstämme aufgezählt werden, die gegen das Volk Israel streiten, oder in wie fern ist es für uns ein Vortheil, die Länder der Sünden zu besitzen?
18. Antwort, wie nach den acht Sünden die Zahl der acht Stämme sich ergänze.
Serapion: Daß es acht Hauptsünden seien, die den Mönch antasten, ist die feststehende Lehre Aller. Da diese nun vorbildlich unter den Völkernamen bezeichnet sind, werden sie deßhalb jetzt nicht alle genannt, weil Moses oder durch ihn der Herr im Deuteronomium ja zu denen spricht, die schon aus Ägypten ausgezogen und also von einem sehr starken Volke, nämlich den Ägyptern, schon befreit sind. Das Vorbild kann nun, wie man sieht, für uns ganz gut so stehen bleiben, da ja auch wir als Solche erkannt werden, die aus den Fesseln der Welt befreit sind und so das Laster der Gastrimargie, d. i. des Bauches oder des Gaumens nicht mehr haben. Nun haben wir aber gegen die übrigen sieben Völker in ähnlicher Weise zu kämpfen, da wir das erste, das schon besiegt ist, gar nicht mehr zählen. Dessen Land wird auch den Israeliten nicht zum Besitze gegeben, sondern es wird durch Gottes Gebot festgesetzt, daß sie dasselbe für ewig verlassen und davon ausziehen. Deßhalb ist auch das Fasten so zu mäßigen, daß man nicht nöthig hat wegen Übertreibung der Enthaltung, deren Schuld in der Erschöpfung des Körpers oder Krankheit sich zeigt, wieder nach Ägypten zurückzukehren, d. i. zu der frühern Begierde des Gaumens und Fleisches, die wir bei der Weltentsagung von uns warfen. Das haben dem Vorbilde gemäß Jene erfahren, die ausgezogen in die Wüste der Tugenden wieder nach den Fleischtöpfen verlangten, an denen sie in Ägypten saßen.
19. Warum nur das Volk Ägyptens verlassen, die übrigen aber vernichtet werden müssen.
Daß aber jenes Volk, unter welchem die Söhne Israels geboren worden, nicht ganz vernichtet, sondern daß nur sein Land verlassen werden sollte, aber diese sieben bis zur Ausrottung vernichtet werden müssen, hat darin seinen Grund, daß, wenn wir auch mit noch so großem Feuereifer des Geistes in die Wüste der Tugenden eingezogen sind, wir doch die Nachbarschaft und Herrschaft der Gastrimargie und gewissermaßen den täglichen Umgang mit ihr nicht entbehren können. Denn immer wird in uns die Neigung zu Speise und Eßwaaren als angeborene und naturwüchsige fortleben, obwohl wir uns abmühen, ihre überflüssigen Wünsche und Forderungen zu beschneiden, um so Das, was nicht ganz vernichtet werden kann, doch pflichtgemäß durch ein gewisses Ausweichen zu vermeiden. Davon heißt es: 228 „Für das Fleisch traget nicht Sorge in Begierden!“ Während wir also für diese Sorge, die wir nach dem Gebote nicht ganz abschneiden, sondern nur ohne Begierden haben sollen, eine Neigung zurückbehalten, richten wir offenbar die ägyptische Nation nicht zu Grunde, sondern werden nur von ihr durch eine gewisse Trennung ferngehalten, indem wir nicht an überflüssige oder gar zu leckere Mahlzeiten denken, sondern nach dem Apostel mit der täglichen Nahrung und Kleidung zufrieden sind. Das wird vorbildlich auch im Gesetze geboten: 229 „Verabscheue nicht den Ägypter, denn du warst Fremdling in seinem Lande.“ Man kann nemlich dem Körper die nothwendige Nahrung nicht verweigern, ohne ihn selbst zu verderben oder die Seele zu verschlechtern. Aber die Regungen jener sieben Störungen müssen als in jeder Beziehung schädlich aus den Schlupfwinkeln unserer Seele vollständig entfernt werden. Denn von diesen heißt es: 230 „Jede Bitterkeit, Zorn, Unwille, Polterei und Gotteslästerung werde von euch entfernt sammt aller Bosheit;“ und wieder:«) „Buhlerei aber und alle Unreinigkeit und Geiz werde nicht einmal genannt unter euch, oder Schändlichkeit, oder thörichtes Geschwätz und Leichtfertigkeit.“ Wir können also die Wurzeln dieser Laster, welche der Natur mehr obenhin eingepflanzt sind, abschneiden; aber die Ausübung der Gastrimargie können wir durchaus nicht abthun. Denn so weit wir auch vorwärts kommen, wir können doch nicht das nicht sein, als was wir geboren wurden. Daß dem so sei, zeigt sich sowohl bei uns, die wir freilich gering sind, als auch in dem Leben und Wandel aller Vollkommenen. Während diese die Stachel der übrigen Leidenschaften ausgeschnitten haben und in die Wüste mit allem Eifer des Geistes und aller Entsagung des Leibes eindringen, können sie doch nicht frei werden von der Fürsorge für den täglichen Lebensunterhalt und der Bereitung des jährlichen Brodes.
20. Von der Natur der Gastrimargie, die im Gleichnis mit dem Adler verglichen wird.
Ein Bild dieser Leidenschaft, von welcher nothwendig selbst der noch so geistige und hochstehende Mönch bedrängt wird, zeichnet man treffend genug durch die Vergleichung mit dem Adler. Obwohl dieser durch den höchsten Flug über die Höhe der Wolken erhoben wird und sich verbirgt vor den Augen aller Sterblichen, ja vor dem Angesichte der ganzen Erde, so wird er doch durch den Drang des Magens genöthigt, wieder in die Tiefen der Thäler sich zu senken und zur Erde herabzusteigen, ja sich mit Tod und Cadaver abzugeben. An dieser Andeutung bewährt sich auf’s Klarste, daß der Geist der Gastrimargie durchaus nicht wie die übrigen Laster ausgemerzt und nicht in gleicher Weise ausgelöscht werden kann, sondern daß nur seine Anreizungen und überflüssigen Ansprüche durch die Kraft der Seele zurückgedrängt und im Zaume gehalten werden können.
21. Wie die Beharrlichkeit der Gastrimargie gegen die Philosophen dargelegt worden.
Die Natur dieses Lasters hat Einer der Greise, der mit Philosophen disputirte, die da wegen seiner christlichen Einfalt glaubten, sie dürften ihn wie einen bäurischen Menschen hetzen, schön ausgedrückt, indem er sie unter folgendem Bilde in einer Frage zeichnete: „Mein Vater,“ sagte er, „hat mich in Verpflichtungen gegen viele Gläubiger zurückgelassen; während ich die andern ganz bezahlte und dadurch von aller Belästigung ihres Anforderns frei wurde, kann ich einem durch tägliches Zahlen nicht genug thun.“ Als nun jene die Bedeutung der vorgelegten Frage nicht kannten und ihre Lösung mit Bitten verlangten, sprach er: „In viele Laster war ich von Natur aus verwickelt; aber da mir Gott das Verlangen nach Freiheit eingab, that ich diesen allen, wie den lästigsten Gläubigern Genüge, indem ich dieser Welt entsagte und alles vom Vater überkommene Vermögen gleichfalls von mir warf, und so wurde ich von ihnen gänzlich frei. Die Reizungen der Gastrimargie aber vermochte ich durchaus nicht wegzubringen. Denn obwohl ich sie auf ein geringes Maß und eine ganz unbedeutende Menge eingeschränkt habe, so entgehe ich doch nicht der Gewalt des täglichen Triebes, sondern ich muß durch ihre ewigen Verhandlungen bedrängt werden und eine endlose Zahlung in beständiger Leistung gewähren und ihren Anforderungen einen niemals vollzähligen Tribut bringen.“ Jetzt erklärten Jene, daß dieser Greis, den sie vorher als unwissend und bäurisch verachtet hatten, den vorzüglichsten Theil der Philosophie, d. i. die Ethik, trefflich erfaßt habe, und wunderten sich sehr, wie er von Natur aus, ohne daß es ihm eine weltliche Bildung beigebracht habe, das hätte erreichen können, während sie mit vieler Mühe und langem Lernen nicht so weit hätten kommen können. Das mag nun im Besondern über die Gastrimargie hinreichen, und wir wollen nun zurückkehren zu der Auseinandersetzung, die wir über die allgemeine Kenntniß der Laster begonnen haben.
22. Warum Gott dem Abraham vorausgesagt habe, daß das Volk Israel zehn Stämme besiegen müsse.
Als Gott zu Abraham über die Zukunft sprach, was ihr gar nicht nachgesehen habt, da zählte er, wie wir lesen, nicht sieben Stämme auf, sondern zehn, deren Land er seinen Samen zu geben verspricht. Diese Zahl wird, wenn wir den Götzendienst und die Gotteslästerung hinzurechnen, augenscheinlich ausgefüllt, und diesen ist vor der Erkenntniß Gottes und der Gnade der Taufe sowohl die gottlose Menge der Heiden als die gotteslästerliche der Juden unterworfen, solange sie in dem geistigen Ägypten weilen. Wenn aber Einer durch Gottes Gnade entsagend und von da ausziehend auch die Gastrimargie besiegt und zur geistigen Wüste kommt, so hat er von der Anfechtung dreier Stämme befreit, nur noch gegen die sieben, welche von Moses aufgezählt werden, den Kampf aufzunehmen.
23. In wie fern es uns nützlich sei, das Gebiet der Sünden zu besitzen.
Daß uns aber befohlen wird, das Gebiet dieser verderblichen Völker zu unserm Heile zu besitzen, ist so zu verstehen: Es hat jedes Laster in unserm Herzen eine eigene Stätte, die es sich wahrt und so Israel aus unserer Seelenwohnung hinausdrängt, d. i. die Betrachtung der höchsten und heiligen Dinge, denen zu widerstreiten es nicht abläßt. Denn es können nicht die Tugenden mit den Sünden zugleich wohnen. Oder was hat die Gerechtigkeit mit der Bosheit zu schaffen, oder welche Gemeinschaft ist dem Lichte mit der Finsterniß? Wenn aber die Laster von dem Volke Israel, d. i. von den mit ihnen streitenden Tugenden überwunden sind. So wird den Platz, den in unserm Herzen der Geist der Begierlichkeit oder der Unzucht für sich einnahm, in Zukunft die Keuschheit behaupten; den die Heftigkeit weggenommen hatte, wird die Geduld beanspruchen; den die Traurigkeit, welche den Tod wirkt, einnahm, wird die heilsame und freudevolle Traurigkeit besehen; den der Hochmuth niederstampfte, wird die Demuth ehren; und so werden nach Austreibung der einzelnen Sünden die entgegengesetzten Tugenden deren Plätze, d. i. deren Neigungen, inne haben. Diese werden nicht mit Unrecht Söhne Israels, d. i. gottschauende Seelen genannt; wenn sie nun alle Leidenschaften der Seele ausgetrieben haben, so muß man nicht glauben, daß sie in fremden Besitz eingedrungen seien, sondern daß sie den eigenen wieder errungen haben.
24. Daß die Ländereien, aus welchen die Völker der Chananäer vertrieben wurden, für die Nachkommen des Sem bestimmt waren.
Wie eine alte Überlieferung lehrt, hatten die Söhne Sems ebendiese Ländereien der Chananäer, in welche die Söhne Israels geführt wurden, einst bei der Theilung des Erdkreises als ihren Antheil gezogen, und erst nachher nahmen durch Gewalt und Macht die Nachkommen Chams in ungerechtem Einfall davon Besitz. Darin bewährt sich nun auch die Gerechtigkeit des Urtheils Gottes, der jene aus dem fremden Eigenthum, das sie sündhaft an sich gerissen, vertrieb und diesen den alten Besitz der Väter, der ihrem Geschlecht bei der Welttheilung zugekommen war, zurückgab. Daß dieses Bild auch für uns Geltung habe, ergibt sich aus einem ganz zuverlässigen Vergleichungsgrund. Denn der Wille des Herrn hatte von Natur aus den Besitz unseres Herzens nicht den Lastern, sondern den Tugenden zugetheilt. Da nun diese nach der Untreue Adams durch die frech werdenden Laster, d. i. die chananäischen Völker aus ihrer Heimath vertrieben worden sind, so muß man nicht glauben, daß sie fremdes Gebiet weggenommen, sondern das eigene wieder erlangt haben, wenn es ihnen mit Gottes Gnade durch unsern Fleiß und Eifer wieder zugestellt worden ist.
25. Verschiedene Zeugnisse über die Bezeichnung der acht Sünden.
Über diese acht Sünden wird im Evangelium Folgendes angedeutet: 231 „Wenn aber der unreine Geist von einem Menschen ausgegangen ist, irrt er umher durch öde Gegenden, sucht Ruhe und findet sie nicht. Dann sagt er: Ich will zurückkehren in das Haus, von welchem ich auszog. Und nun kommt er, findet es leer, mit Besen gereinigt und geziert. Da geht er hin, nimmt sieben andere Geister mit, die ärger sind als er, und sie ziehen ein und wohnen dort, und es werden die letzten Dinge dieses Menschen ärger als die ersten.“ Siehe, wie wir dort von sieben Völkern lesen, mit Ausnahme des ägyptischen, von welchem die Söhne Israels weggezogen waren, so heißt es auch hier, daß sieben unreine Geister zurückkehren, mit Ausnahme dessen, der, wie gesagt wurde, von dem Menschen vorher ausgegangen war. Von diesem siebenfachen Zunder der Laster schreibt auch Salomon in den Sprüchwörtern: 232 „Wenn dich dein Feind bittet mit lauter Stimme, so gib ihm nicht nach; denn sieben Bosheiten sind in seinem Herzen,“ d. h. wenn der überwundene Geist der Gastrimargie anfängt, dir mit seiner Verdemüthigung zu schmeicheln, gleichsam bittend, du möchtest ein Bischen nachlassen in dem angefangenen Eifer und ihm geben, was das Maaß der Enthaltsamkeit und das Gesetz der gerechten Strenge überschreitet, so laß dich durch seine Unterwerfung nicht umstimmen; und wenn dir die Sicherheit vor Anfechtung lächelt, in der du dich ein wenig vor der fleischlichen Brunst in Ruhe findest, so kehre ja nicht zu der frühern Gemächlichkeit oder den alten Begierden des Gaumens zurück. Denn damit sagt jener Geist, den du besiegt hattest: „Ich will zurückkehren in mein Haus, von dem ich ausgegangen bin;“ und die sieben sogleich aus ihm hervorgehenden Geister der Laster werden für dich ärger sein als jene Leidenschaft, welche in ihren Anfängen überwunden worden war, und sie werden dich bald zu schändlichern Arten von Sünden hinreissen.
26. Daß nach Besiegung der Gaumenlust unsere Mühe auf die Erwerbung der übrigen Tugenden zu verwenden sei.
Wenn wir also dem Fasten und der Enthaltsamkeit obliegen, so müssen wir uns sofort nach Besiegung der Gaumenlust bestreben, unsere Seele nicht leer sein zu lassen von den nöthigen Tugenden, sondern mit ihnen alle Tiefen unseres Herzens fleissiger auszufüllen, damit nicht der zurückkehrende Geist der Begierlichkeit uns von ihnen leer und ledig finde und, nicht zufrieden für sich allein den Einzug zu halten, noch jenen siebenfachen Zündstoff der Laster mit sich in unsere Seele einführe und so unser Ende schlechter mache als unsern Anfang. Denn schlechter und unreiner wird darnach eine Seele und strafwürdiger, als sie früher war in der Welt lebend, da sie noch nicht die Negel und den Namen des Mönches angenommen hatte, wenn sie jetzt, wo sie sich rühmt, der Welt entsagt zu haben, von diesen acht Lastern beherrscht wird. Denn diese sieben Geister werden deßhalb schlechter genannt als jener frühere, der ausgezogen war, weil die Begierde des Gaumens, also die Gastrimargie an und für sich nicht schädlich wäre. 233 wenn sie nicht andere schwerere Leidenschaften zubrächte, nämlich Unzucht, Habsucht, Zorn, Traurigkeit oder Hochmuth, die ohne Zweifel durch sich selbst der Seele schädlich und verderblich sind. Und deßhalb wird Derjenige nie die Reinheit der Vollkommenheit erreichen, der sie mit dieser Enthaltsamkeit allein, d. i. mit dem körperlichen Fasten zu erringen hofft, wenn er nicht einsieht, daß er diese deßhalb üben müsse, damit er nach der Demüthigung des Fleisches durch das Fasten um so leichter gegen die andern Laster kämpfen könne, wenn der satte und angefüllte Leib nicht mehr frech sich erhebt.
27. Daß die Reihenfolge der Kämpfe nicht dieselbe sei wie die der Laster.
Man muß jedoch wissen, daß die Reihenfolge der Kämpfe nicht in Allen dieselbe sei, weil wir, wie gesagt, nicht alle auf gleiche Weise angefochten werden und nun ein Jeder von uns nach der Art des Angriffes, durch den er in erster Reihe beunruhigt wird, den Gegenkampf aufnehmen muß, so daß der Eine nöthig hat, gegen das Laster, welches als drittes angesetzt ist, zuerst sich im Kampfe zu üben, der andere aber gegen das vierte oder fünfte und so fort, wie gerade die Laster in uns ihre Herrschaft behaupten. Wie es also die Art der Anfechtung erfordert, so müssen wir die Reihenfolge der Kämpfe ordnen, der gemäß dann auch der eintretende Erfolg des Sieges und Triumphes uns zur Reinheit des Herzens und zur Fülle der Vollkommenheit führen wird.
Soweit der Abt Serapion in seiner Abhandlung über die Natur der acht Hauptsünden, in der er uns die Gattungen dieser in unseren Herzen verborgenen Leidenschaften, deren Ursachen und Verwandtschaft wir vorher, obwohl wir täglich von ihnen Schaden litten, weder ganz erkennen noch unterscheiden konnten, so lichtvoll ausschloß, daß wir sie wie vor Augen gestellt gleichsam im Spiegel zu schauen meinten.