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Zweite Unterredung

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des Abtes Moyses über die Klugheit.


1. Die Klugheit ist nothwendig und eine große Gnade Gottes.

Nachdem wir also nach Mitternacht ein wenig geschlafen und endlich voll Freude über den Aufgang der Sonne die versprochene Unterredung eben verlangt hatten, da begann der fromme Moyses also: Da ich euch von solcher Glut des Verlangens entflammt sehe, daß ich glaube, es werde nicht einmal die kurze Ruhezeit, die ich der geistigen Unterredung entzog und lieber auf die Erholung des Fleisches verwendet wissen wollte, zur Ruhe eueres Körpers beigetragen haben: so liegt auch mir, wenn ich diesen euern Eifer betrachte, eine größere Sorgfalt ob; denn auch ich muß nun in der Lösung meiner eingegangenen Verpflichtung für eine um so größere Aufopferung sorgen, mit je mehr Aufmerksamkeit ihr, wie ich sehe, mich anhaltet, nach jenem Ausspruch: 57 „Wenn du beim Mahle sitzest am Tische des Mächtigen, so merke wohl auf, was dir vorgesetzt wird, und lege deine Hand an, wissend, daß du Solches bereiten mußt.“ — Da wir also von der Gabe und Tugend der Klugheit sprechen wollen, worauf unsere Rede in der nächtlichen Unterhaltung noch kam, und womit die Disputation endigte, so halten wir es für passend, ihre Vortrefflichkeit zuerst durch Aussprüche der Väter zu zeichnen, damit wir nach Klarlegung der Ansichten und Aussprüche unserer Vorfahren ihren Nutzen und Vortheil nach Möglichkeit von Neuem behandeln, indem wir darstellen, wie in alter und neuer Zeit Viele gefallen und zu Grunde gegangen sind, weil sie diese Tugend zu wenig erlangt hatten und also in verderblichem Falle stürzten. Wenn das durchgenommen ist, werden wir durch die Betrachtung der Wucht ihres Verdienstes und ihrer Gnade kräftiger unterrichtet werden, wie wir sie pflegen und suchen sollen. Es ist das nemlich nicht so eine mittelmäßige Tugend oder eine, die immer durch menschliche Thätigkeit erfaßt werden konnte, wenn sie nicht durch göttliche Gabe und Gnade verliehen ist. Wir lesen nemlich, daß dieselbe unter den edelsten Gaben des hl. Geistes so von dem Apostel aufgezählt werde: 58 „Dem Einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit verliehen, dem Andern der Glaube in demselben Geiste, wieder Einem die Gabe der Heilung in einem Geiste“ und bald darauf: „Dem Andern die Unterscheidung der Geister.“ Dann, nachdem er die ganze Reihe der geistigen Gnadengaben aufgeführt hat, fügt er bei: „Aber all Das wirkt ein und derselbe Geist und theilt es den Einzelnen aus, wie er will.“ Ihr seht also, daß die Gabe der Unterscheidung nicht eine irdische und kleine ist, sondern ein sehr großes Geschenk der göttlichen Gnade. Wenn ein Mönch sie nicht mit aller Anstrengung erstrebt hat und nicht nach einer sichern Regel die in ihm aufsteigenden Geister zu unterscheiden weiß, so muß er wie in blinder Nacht und schwarzer Finsterniß umherirrend nicht nur in jähe, verderbliche Vertiefungen fallen, sondern auch auf ebenem und geradem Wege oft anstoßen.

2. Der Nutzen der Klugheit wird aus der Unterredung mit dem Abte Antonius bewiesen.

Ich erinnere mich also, daß einst in meinen Knabenjahren in jener Gegend der Thebais, wo der hl. Antonius wohnte, die Väter zu ihm kamen, um nach Vollkommenheit zu forschen, und daß bei der Unterredung, die von den Abendstunden bis zum Morgenlicht sich ausgedehnt hatte, diese Frage den größten Theil der Nacht wegnahm. Denn sehr lange wurde untersucht, welche Tugend oder Übung den Mönch bei den Fallstricken und Täuschungen des Teufels immer unverletzt bewahren oder wenigstens auf dem rechten Pfad und mit festem Schritt zum Gipfel der Vollkommenheit führen könnte. Da brachte nun Jeder nach seiner Einsicht eine Meinung vor, und die Einen setzten Das in den Eifer der Fasten und Nachtwachen, weil der hiedurch ernüchterte Geist, der die Reinheit des Herzens und Körpers erlangt habe, sich leichter mit Gott eine; — die Andern in die Hingabe und Verachtung aller Dinge, von denen völlig entblößt der Geist, weil ihn keine Fesseln mehr zurückhalten, ungehinderter zu Gott kommen könne; — wieder Andere hielten die Anachoresis für nothwendig, das ist die Einsamkeit und die Stille der Wüste; denn wer hier weile, könne Gott vertraulicher anstehen und ihm besonders anhangen; Einige meinten, daß die Werke der Liebe d. i. der Barmherzigkeit zu üben seien, da diesen der Herr im Evangelium ganz besonders das Himmelreich versprochen habe, da er sagte: „Kommet, ihr Gesegnete meines Vaters, nehmet das Reich in Besitz, das euch von Gründung der Welt an bereitet wurde: denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich dürstete, und ihr gabt mir zu trinken“ &c. Als sie nun auf diese Weise verschiedene Tugenden bestimmten, durch welche der Zugang zu Gott mehr gesichert werden könne, und der größte Theil der Nacht durch diese Untersuchung weggenommen war, sagte endlich der hl. Antonius: All’ das, was ihr gesagt habt, ist zwar nothwendig und nützlich für die nach Gott Dürstenden, die zu ihm zu gelangen sich sehnen; aber unzählige Fälle und Versuche Vieler erlauben uns durchaus nicht, in Solches die Hauptgnade zu setzen. Denn ich sah oft Solche, die auf das Strengste den Fasten und Nachtwachen oblagen und sich merkwürdig in der Einsamkeit verbargen, welche ferner die Hingabe alles Vermögens so befolgten, daß sie für sich nicht den Lebensunterhalt eines Tages, oder einen Denar übrig ließen, — welche die Werke der Barmherzigkeit mit ganzer Aufopferung übten: — und Solche sah ich so plötzlich betrogen, daß sie das ergriffene Werk nicht zum entsprechenden Ausgang führen konnten und den höchsten Feuereifer und einen lobenswerthen Wandel mit einem verabscheuungswürdigen Ende beschloßen. Was also hauptsächlich zu Gott führe, können wir klar erkennen, wenn wir die Ursache der Täuschung und des Sturzes Jener genauer untersuchen. Jenen gestattete nemlich, während sie die Werke der genannten Tugenden in Überfluß hatten, allein der Mangel der Klugheit nicht, in denselben bis zum Ende zu verharren. Denn man entdeckt keine andere Ursache ihres Falles, als daß sie, von den Vätern nicht unterrichtet, durchaus nicht im Stande waren, die Weise der Klugheit zu erlangen, welche jede Übertreibung unterlassend den Mönch immer auf königlichem Wege einherschreiten lehrt und ihm weder auf der rechten Seite der Tugend gestattet, sich zu überheben, d. i. im überwallenden Eifer das Maß der rechten Zurückhaltung mit thörichter Anmaßung zu überschreiten, — noch ihm erlaubt, aus Lust an der Erholung sich nach links zu den Lastern zu wenden. d. i. unter dem Vorwande für den Körper zu sorgen, in der entgegengesetztten Schlaffheit des Geistes zu erlahmen. Diese Klugheit nemlich ist’s, welche im Evangelium Auge und Leuchte des Köpers genannt wird nach jenem Ausspruche des Erlösers: 59 „Die Leuchte deines Körpers ist dein Auge; wenn nun dein Auge ungetrübt ist, so wird dein ganzer Körper Licht sein; wenn aber dein Auge schlecht geworden ist, so wird dein ganzer Körper finster sein.“ Das ist so, weil sie alle Gedanken und Handlungen des Menschen unterscheidet und Alles, was zu thun ist, durchschaut und durchleuchtet. Wenn nun sie im Menschen schlecht geworden ist, das heißt, nicht durch wahres Urtheilen und Wissen befestigt, sondern durch irgend welchen Irrthum und Wahn irregeführt, so wird sie unsern ganzen Körper finster machen, d. h. allen Scharfblick des Geistes und all’ unsere Handlungen wird sie dunkel machen, indem sie dieselben mit der Blindheit der Laster und der Finsterniß der Verwirrung umgibt. „Denn,“ sagt der Herr, „wenn das Licht, das in dir ist, Finsterniß ist, wie groß wird die Finsterniß sein?“ Denn das ist Keinem zweifelhaft, daß, wenn das Urtheil unseres Herzens irrt und in der Nacht der Unwissenheit befangen ist, auch unsere Gedanken und Werke, die aus der Überlegung der Einsicht entspringen, in größere Finsterniß der Sünden verwickelt werden.

3. Von dem Irrthum Sauls und Achabs, der sie durch ihren Mangel an Klugheit täuschte.

So wurde Jener, der zuerst nach der Wahl Gottes das Königthum über das Volk Israel erhielt, weil er dieß Auge der Klugheit nicht hatte und so gleichsam am ganzen Körper finster geworden war, auch vom Throne gestoßen. Er hatte ja, bethört durch die Finsterniß und den Irrthum dieser Leuchte, geglaubt, seine Opfer für Gott wohlgefälliger halten zu müssen, als den Gehorsam gegen das Gebot Samuels, und nahm dort Gelegenheit zu einer größern Beleidigung, wo er gehofft hatte, sich die göttliche Majestät zu versöhnen. Dieselbe Unkenntniß der Klugheit trieb Achab, den König von Israel, an, nach jenem Triumphe des herrlichsten Sieges, der ihm durch Gottes Gunst zugestanden worden war, zu glauben, seine Barmherzigkeit sei besser als die strengste Ausübung des göttlichen Gebotes und einer, wie ihm schien, grausamen Herrschaft. Da er so durch diese Erwägung weich gestimmt lieber den blutigen Sieg durch Gnade mildern will, wird er selbst durch seine unkluge Barmherzigkeit gleichsam am ganzen Leibe finster und unwiderruflich zum Tode verurtheilt. 60

4. Was über das Gut der Klugheit in den heiligen Schriften gesagt wird.

Das ist die Klugheit, welche nicht nur Leuchte des Körpers, sondern auch Sonne vom Apostel genannt wird nach jener Stelle: „Die Sonne soll nicht untergehen über euerm Zorn.“ 61 Sie wird die Leitung unseres Lebens genannt, dort wo steht: „Die keine Leitung haben, fallen wie die Blätter.“ Sie heißt ganz mit Recht der Rath, ohne den wir nach Lehre der Schrift durchaus Nichts thun dürfen; so daß wir nicht einmal den geistigen Wein, der das Herz des Mensch erfreut, ohne ihre Mäßigung nehmen dürfen, nach jenem Wort: „Mit Überlegung thu’ Alles, mit Überlegung nimm Wein!“ Und wieder: 62 „Wie eine Stadt, deren zerstörte Mauern sie offen lassen, so ist ein Mann, der Etwas ohne Überlegung thut.“ Wie verderblich ihr Mangel dem Mönche sei, zeigt das Beispiel und Bild dieses Ausspruches, der ihn mit einer zerstörten, mauerlosen Stadt vergleicht. In ihr besteht die Weisheit, in ihr die Einsicht und die Sinnigkeit, ohne welche weder unser innerliches Haus erbaut werden kann noch geistige Reichthümer gesammelt werden können, nach jenem Wort: 63 „Durch Weisheit wird das Haus gebaut und durch Einsicht wieder aufgerichtet; durch Sinnigkeit werden die Kammern gefüllt mit allen kostbaren und guten Schätzen.“ Das, sage ich, ist die feste Speise, die nur von Vollkommenen und Starken genommen werden kann, wie es heißt: „Die Vollkommenen aber haben eine feste Speise, Jene, welche ihre Sinne durch Gewohnheit geübt haben zur Unterscheidung des Guten und Bösen.“ 64 So sehr wird diese Tugend als uns nützlich und nothwendig anerkannt, daß sie sogar mit dem Worte Gottes und seinen Kräften verbunden wird in jener Stelle: „Denn lebendig ist das Wort Gottes und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Fugen und Mark und entscheidend über die Gedanken und Absichten des Herzens.“ 65 Dadurch wird ganz offenbar erklärt, daß ohne die Gnade der Unterscheidung keine Tugend weder ganz vollendet werden noch beharren könne. Und so ist sowohl durch die Entscheidung des hl. Antonius als der Übrigen bestimmt worden, daß es die Klugheit sei, welche den Mönch mit festem Schritte ohne Zagen zu Gott führe und die genannten Tugenden beständig unverletzt bewahre; daß mit ihr man zu den hohen Gipfeln der Vollkommenheit mit geringerer Anstrengung aufsteigen könne, und daß ohne sie Viele auch noch so eifrig Strebende die Höhe der Vollkommenheit durchaus nicht erreichen konnten. Denn die Mutter, Wächterin und Lenkerin aller Tugenden ist die Klugheit.

5. Der Tod des Greises Hero.

Damit nun diese von dem hl. Antonius und den übrigen Vätern vor Alters gegebene Bestimmung nach meinem Versprechen auch durch ein neueres Beispiel bestätigt werde, so denket an den neulichen Vorfall, den ihr mit eigenen Augen gesehen habt, nemlich an den Greis Hero, der vor nur wenigen Tagen durch teuflische Bethörung von der höchsten Höhe in die tiefste Tiefe gestürzt wurde. Wir wissen, daß er 50 Jahre in dieser Wüste weilend mit besonderer Entschiedenheit die Strenge der Entsagung hielt und die Stille der Einöde mehr als alle hier Wohnenden mit merkwürdigem Eifer suchte. Auf welche Art und Weise wurde nun Dieser nach solchen Mühen vom Versucher betrogen und hat durch seinen schrecklichen Fall alle in dieser Wüste Wohnenden mit Trauer und Schmerz erfüllt? Etwa nicht, weil er zu wenig mit der Tugend der Klugheit ausgerüstet sich lieber durch seine eigene Entscheidungen leiten wollte, als daß er den Rath und die Besprechungen der Brüder und die Grundsätze der Vorfahrer befolgt hätte? Er übte nemlich die beständige Enthaltsamkeit durch Fasten mit solcher Strenge und wahrte so beständig die Einsamkeit in der Wüste und in der Zelle, daß man von ihm weder die Theilnahme an einem mit den Brüdern zu haltenden Mahle noch je die Feier deß Osterfestes erlangen konnte. Während sich durch diese alle Brüder zur jährlichen Feierlichkeit in der Kirche halten lassen, konnte er allein nicht zur Versammlung gebracht werden, damit er ja nicht, sei es auch nur durch Annahme von ein wenig Gemüse, in seinem Vorsatze nachgelassen zu haben scheine. So durch Eigensinn betrogen nahm er, einen Engel Satans als Engel des Lichtes mit der größten Verehrung auf, gehorchte seinen Geboten mit bereitwilligstem Dienste und stürzte sich in einen Brunnen, dessen Tiefe der Blick des Auges nicht erreicht, da er nemlich an dem Versprechen seines Engels nicht zweifelte, der ihn versichert hatte, er könne wegen des Verdienstes seiner Tugenden und Mühen durchaus keiner Gefahr unterliegen. Um nun Dieß auf’s Klarste durch einen Beweis seiner Unverletzbarkeit als glaubwürdig zu bewähren, warf er sich voll Thorheit in unheimlicher Nacht in den genannten Brunnen, um, wenn er unbeschädigt herauskäme, hiedurch den großen Werth seiner Tugend zu beweisen. Als er nun mit ungeheurer Mühe der Brüder fast leblos herausgezogen worden war, blieb er, was noch ärger ist, so verstockt in seiner Bethörung, daß er sich, als er nach drei Tagen am Sterben war, nicht einmal durch den Beweis seines Todes Überzeugen ließ, wie er durch die List der Teufel betrogen sei. Deßhalb konnten Die, welche an seinem Untergange schmerzlichen Antheil nahmen, durch dieß ihr Mitleid und die größte Demuth kaum von dem Priester und Abte Paphnutius erlangen, daß Jener wegen der Verdienste so großer Mühsale und der Zahl der Jahre, die er in der Wüste aushielt, nicht unter die Selbstmörder gerechnet und auch des Andenkens und Opfers für die Entschlafenen unwürdig erklärt wurde.

6. Von dem Unglück zweier Brüder wegen Mangels an Klugheit.

Was soll ich sagen von jenen zwei Brüdern, welche jenseits jener Wüste von Thebais wohnten, wo einst der hl. Antonius gewohnt hatte, und die in doch gar zu wenig vorsichtiger Überlegung beschlossen hatten, bei einer Reise durch die ausgedehnte Öde der Wüste durchaus keine Speise zu nehmen, ausser die ihnen der Herr selbst bieten würde? Als sie nun dahin irrten durch die Wüste und fast verschmachteten vor Hunger, wurden sie von ferne von einigen Maziken erblickt, welcher Volksstamm unmenschlicher und grausamer ist als fast alle wilden Völker denn es reizt sie zum Blutvergießen nicht wie andere Stämme die Begierde nach Beute, sondern nur die Wildheit ihres Herzens. Als ihnen nun diese gegen die Natur ihrer Wildheit mit Broden entgegenkamen, da nahm sie der eine, dem die Klugheit zu Hilfe kam, als von Gott gereicht mit Freude und Danksagung an, da er glaubte, diese Speise werde ihm von Gott gegeben, und es sei nicht ohne Gott geschehen, daß diese, die sich stets an dem Blute der Menschen weiden, den Schmachtenden und fast Vergehenden Lebensmittel reichten; der andere aber, der die Speise als von Menschen angeboten zurückwies, starb vom Hunger aufgerieben. Obwohl diese nun mit einer tadelnswerthen Ansicht begannen, so hat doch Einer, da ihm die Besonnenheit noch kam, das, was er leichtsinnig und unvorsichtig beschlossen hatte, zuletzt, wie wir sahen, gebessert; der Andere aber, in seinem thörichten Wahne verharrend und aller Klugheit unfähig, hat sich selbst den Tod zugefügt, den der Herr abwenden wollte, da er nicht einmal glauben wollte, es sei durch göttlichen Antrieb geschehen, daß herzlose Barbaren, der ihnen eigenen Wildheit vergessend, ihnen mit Brod statt mit den Schwertern entgegenkamen.

7. Von der Bethörung, in die ein Anderer durch Unkenntniß der Klugheit kam.

Was soll ich nun von Jenem erwähnen, — seinen Namen will ich verschweigen, weil er noch lebt, — der lange Zeit einen Teufel in der lichten Gestalt eines Engels aufgenommen hatte und, obwohl er in unzähligen Offenbarungen oft von ihm getäuscht worden war, doch glaubte, es sei ein Bote der Gerechtigkeit? So brachte er, um Anderes zu übergehen, jede Nacht Licht in die Zelle von Jenem, ohne Hilfe einer Leuchte. Zuletzt befahl er ihm, daß er Gott seinen Sohn, der zugleich mit ihm in dem Kloster wohnte, opfere, damit er durch dieses Opfer nemlich den Verdiensten des Patriarchen Abraham in keiner Weise nachstehend erfunden werde. Und so wurde der Mönch durch die Überredung verführt, daß er den Mord gleich in der That vollbracht hätte, wenn nicht der Knabe entflohen wäre, durch eine Ahnung des bevorstehenden Verbrechens erschreckt, weil er sah, wie Jener das Messer gegen seine Gewohnheit durch Schärfen vorbereitete und Stricke suchte, mit denen er ihn beim Opfer zum Abschlachten binden wollte.

8. Von der Täuschung und dem Falle eines mesopotamischen Mönches.

Es wäre zu lange in einer Erzählung auch die Täuschung jenes mesopotamischen Mönches durchzugehen, der in jener Provinz eine nur sehr Wenigen mögliche Entsagung bewies, die er viele Jahre einzeln in einer Zelle verborgen durchgeführt hatte, zuletzt aber so von teuflischen Offenbarungen und Träumen betrogen wurde, daß er nach so vielen Mühen und Tugenden, durch die er alle dort wohnenden Mönche übertroffen hatte, im kläglichen Falle bis zum Judenthum und zur Beschneidung des Fleisches gedrängt wurde. Denn nachdem der Teufel, um ihn durch die Angewöhnung von Visionen zur Leichtgläubigkeit für die künftige Täuschung zu bringen, lange Zeit nur Wahres als Bote der Wahrheit geoffenbart hatte, zeigte er zuletzt, daß das christliche Volk zugleich mit den Fürsten unserer Religion und unseres Glaubens, den Aposteln und Märtyrern, finster und häßlich und ganz dürr, abgezehrt und ungestalt, dagegen das Judenvolk mit Moses und den Patriarchen und Propheten tanzend in höchster Freude und im hellsten Lichte glänzend sei, und rieth ihm, wenn er lieber des Verdienstes und der Seligkeit dieser theilhaft werden wolle, eilends auch die Beschneidung anzunehmen. Von all Diesen wäre sicherlich Keiner so traurig betrogen worden, wenn sie sich bemüht hätten, die Weise der Klugheit sich anzueignen. So zeigen also die Geschicke und Erfahrungen Vieler, wie gefährlich es sei, die Gnade der Klugheit nicht zu haben.

9. Frage über die Erwerbung der wahren Klugheit.

Darauf sagte Germanus: Sowohl durch die Beispiele der Neuern als durch die Aussprüche der Alten ist mehr als genügend offenbar geworden, daß die Klugheit gewissermaßen die Quelle und Wurzel aller Tugenden sei. Wir wünschen also Unterricht, wie man sie erlangen müsse, oder wie man zu erkennen vermöge, welches die wahre, von Gott stammende und welches die falsche und teuflische sei, damit nach der evangelischen Parabel, welche du in der frühern Abhandlung auseinandergesetzt hast, und die uns befiehlt, bewährte Wechsler zu werden, wir beim Anblick des der Münze aufgeprägten Bildes des wahren Königs zu entscheiden vermögen, was nicht in gesetzlicher Münzstätte geprägt sei, und damit wir Dieß, wie du mit einem vulgären Worte in der gestrigen Unterredung gesagt hast, als Paracharagme (falsche Münze) verwerfen, unterrichtet in jener Kunst, von der du in so ausführlicher und vollständiger Darstellung gezeigt hast, daß der geistige und evangelische Wechsler sie haben müsse. Denn was würde es uns nützen, den Werth dieser Tugend und Gnade zu kennen, wenn wir nicht wüßten, wie wir sie suchen und erlangen sollen?

10. Antwort, wie man die wahre Klugheit besitzen könne.

Darauf sprach Moyses: Die wahre Klugheit wird nur durch wahre Demuth erlangt. Die erste Probe dieser Demuth ist, wenn nicht nur alle Handlungen, sondern auch alle Gedanken der Prüfung der Väter vorbehalten werden, so daß Keiner Etwas seinem Urtheile glaube, sondern in Allem sich bei den Aussprüchen Jener beruhige und durch ihre Lehre erkenne, was er für gut oder bös halten solle. Diese Anleitung wird einen Jüngling nicht nur lehren, auf dem wahren Pfade der Klugheit geraden Weges einherzugehen, sondern ihn auch unverletzt bewahren bei allem Trug und Hinterhalt des Feindes. Denn es wird Einer durchaus nicht getäuscht werden können, wenn er nicht nach seinem Urtheile, sondern nach dem Beispiele der Vorfahren lebt – und es wird der schlaue Feind nicht Denjenigen als Unwissenden täuschen können, der Nichts davon weiß, alle im Herzen entstehenden Gedanken mit verderblicher Scham zu verbergen, sondern sie nach der reifen Prüfung der Väter entweder verwirft oder zuläßt. Sobald nemlich ein böser Gedanke geoffenbart ist, verliert er seine Kraft, und noch ehe das Urtheil der Klugheit ausgesprochen ist, wird die scheußliche Schlange aus ihrem finstern unterirdischen Schlupfwinkel ans Licht hervorgezogen durch die Kraft deines Bekenntnisses und weicht überführt und mit Schande bedeckt von dannen. Denn so lange herrschen ihre schädlichen Einflüsterungen in uns, als sie im Herzen verborgen werden. Und damit ihr die Kraft dieser Lehre lebendiger auffasset, will ich euch eine That des Abtes Serapion erzählen, welche dieser den Jüngern zu ihrer Belehrung häufig mittheilte.

11. Worte des Abtes Serapion von der Kraftlosigkeit geoffenbarter Gedanken und der Gefahr des Selbstvertrauens.

Als ich noch ein Knabe war, sagte er, und mit dem Abte Theon zusammenwohnte, hatte mir der Feind durch seine Versuchung die Gewohnheit beigebracht, nachdem ich mit dem Greise um die neunte Stunde mich gelabt hatte, täglich einen Zwieback in der Brustfalte zu verbergen, den ich dann später, ohne daß Jener es wußte, heimlich aß. Obwohl ich nun diesen Diebstahl meiner Luft zu Lieb und in der Unenthaltsamkeit der einmal eingewurzelten Begierde ohne Aufhören beging, so fühlte ich doch, wenn die trügerische Gier gestillt und ich zu mir selbst gekommen war, über das begangene Verbrechen des Diebstahls mehr Pein, als ich Lust beim Essen gehabt hatte. Als ich nun jeden Tag mich angetrieben fühlte, dieß so beschwerliche Thun trotz der Bitterkeit des Herzens auszuüben, gleich als wäre es mir von den Vögten Pharaos statt der Ziegel aufgegeben, 66 und mich doch nicht herausreissen konnte aus dieser grausamen Tyrannei, da ich mich schämte, dem Greise den heimlichen Diebstahl zu offenbaren, da traf es sich auf Veranlassung Gottes, der mich von diesem Joche der Sklaverei befreien wollte, daß einige Brüder die Zelle des Greises ihrer Erbauung wegen aufsuchten. Als nun nach der Erfrischung die geistliche Besprechung in Gang gekommen war und der Greis in der Antwort auf die vorgelegten Fragen über das Laster der Gefräßigkeit und die Herrschaft der geheimen Gedanken handelte und ihre Natur auseinandersetzte, sowie die furchtbare Herrschaft, welche sie haben, so lange sie verborgen werden, da ward ich getroffen von der Macht der Unterredung und erschreckt von dem anklagenden Gewissen, als glaubte ich, es sei Alles nur deßwegen vorgebracht worden, weil der Herr dem Greise die Geheimnisse meines Herzens geoffenbart hätte, und wurde zuerst zu heimlichen Seufzern bewegt, dann mit der Zunahme der Herzenszerknirschung in offenes Schluchzen und Thränen ausbrechend holte ich den Zwieback, den ich nach meiner lasterhaften Gewohnheit zum heimlichen Essen weggenommen hatte, von der Brust, dieser Mitwisserin und Bewahrerin meines Diebstahls, hervor und bekannte, ihn offen hinlegend, zur Erde niedergeworfen und mit der Bitte um Verzeihung, wie ich täglich heimlich gegessen hätte. Mit reichlich vergossenen Thränen bat ich, daß sie mir vom Herrn die Lösung dieser so harten Gefangenschaft erflehen möchten. Dann sprach der Greis: „Habe Muth, o Knabe, es befreit dich von diesen Banden, auch wenn ich schweige, dein Bekenntniß. Denn über deinen siegreichen Gegner hast du heute triumphirt und ihn stärker durch dein Bekenntniß hinausgestoßen, als du selbst von ihm durch dein Schweigen unterjocht warst. Bisher hast du ihn in dir herrschen lassen, ohne ihn durch eigenen oder fremden Tadel zu beschämen nach jenem Ausspruche Salomons: „Weil nicht schnell Widerspruch geschieht denen, die Böses thun, deßhalb ist das Herz der Menschenkinder voll zu üblen Thaten.“ 67 Und deßhalb wird dich nach dieser Eröffnung der so nichtswürdige Geist nicht mehr beunruhigen können, noch wird die scheußliche Schlange fortan ein Versteck in dir behaupten können, nachdem sie aus der Finsterniß deines Herzens durch dein heilsames Bekenntniß an’s Licht gezogen wurde.“

Noch hatte der Greis diese Worte nicht vollendet, siehe, da kam eine brennende Fackel aus meinem Busen hervor und erfüllte die Zelle so mit Schwefelgeruch, daß die Heftigkeit des Gestankes uns kaum in ihr bleiben ließ. Der Greis nahm die Ermahnung wieder auf und sagte: „Siehe, der Herr hat dir die Wahrheit meiner Worte sichtbar bewiesen, damit du mit eigenen Augen sehest, wie der Anstifter deiner Leidenschaft durch das heilsame Bekenntniß aus deinem Herzen gejagt sei, und damit du durch die sichtbare Austreibung des Feindes erkennest, daß er nach seiner Entdeckung durchaus keinen Platz mehr in dir haben werde.“ Und so ist also, sagte er, nach dem Ausspruche des Greises durch die Kraft meines Bekenntnisses die Herrschaft jener diabolischen Tyrannei so in mir ausgelöscht und auf immer betäubt worden, daß der Feind mir nicht einmal eine Erinnerung an jene Begierde einzugeben versuchte und ich mich nachher nie durch eine Anreizung dieses Diebsverlangens bewegt fühlte. Diesen Sinn finden wir auch im Prediger sehr schön in bildlicher Darstellung: 68 „Wenn die Schlange beißt im Stillen, so hat der Beschwörer keine Macht, zu zeigen, daß der Biß der schweigenden Schlange verderblich sei,“ das heißt, wenn nicht durch die Beicht der teuflische Einfall oder Gedanke irgend einem Beschwörer geoffenbart wird, d. i. einem geistigen Manne, der durch die Gesänge der hl. Schriften die Wunde sogleich zu heilen und das verderbliche Schlangengift aus dem Herzen zu ziehen gewohnt ist, so kann er dem Gefährdeten oder zu Grunde Gehenden nicht zu Hilfe kommen. Auf diese Weise also werden wir am leichtesten zum Verständniß der wahren Klugheit kommen können, wenn wir den Fußtapfen der Altmeister nachgehend uns weder herausnehmen, etwas Neues zu thun noch auf unser Urtheil hin zu entscheiden; sondern wir wollen in Allem so wandeln, wie es uns ihre Lehre und ihr tugendhaftes Leben lehrt. Durch diesen Unterricht befestigt wird man nicht nur zur vollkommenen Weise der Klugheit gelangen, sondern auch bei allen Nachstellungen des Feindes ganz sicher bleiben. Denn durch kein anderes Laster zieht der Teufel einen Mönch so jäh abwärts und bringt ihn zum Tode, als wenn er ihn überreden konnte, mit Hintansetzung des Rathes der Altväter auf eigene Urtheil, auf eigene Entscheidung und Lehre zu vertrauen. Denn da alle Künste und Wissenschaften, die vom Menschengeiste erfunden wurden und nur den Vortheilen dieses zeitlichen Lebens dienen, doch, obwohl man sie mit Händen greifen und mit den Augen sehen kann, von Keinem recht begriffen werden können ohne den Unterricht eines Lehrers, wie thöricht ist es dann zu glauben, diese Kunst allein bedürfe keines Lehrers, während sie doch unsichtbar und geheim ist und nur dem reinsten Herzen anschaulich wird; da ferner ein Irrthum in ihr nicht zeitlichen Schaden zufügt oder einen, der sich leicht ausbessern läßt, sondern das Verderben der Seele und den ewigen Tod! Denn sie hat einen Kampf bei Tag und Nackt nicht gegen sichtbare Feinde, sondern gegen unsichtbare und grausame, und hat einen geistigen Streit nicht gegen Einen oder Zwei, sondern gegen unzählige Schaaren; eine Niederlage hier ist aber um so viel gefährlicher als sonstwo, je gehässiger dieser Feind und je verborgener der Zusammenstoß ist. Deßhalb muß man immer den Fußtapfen der Altväter mit dem größten Fleiße nachgehen und diesen Alles vortragen, was in unsern Herzen auftaucht, ohne die Hülle der Verlegenheit!

12. Bekenntniß der Scham, aus welcher wir uns scheuen, unsere Gedanken den Vätern zu offenbaren.

Germanus: Einen Grund zu der verderblichen Scheu, mit welcher wir böse Gedanken zu verbergen suchen und uns schämen, sie in heilsamem Bekenntniß zu eröffnen, bietet besonders der Vorfall, aus dem wir wissen, daß ein in Syrien wohnender und, wie man glaubte, ausgezeichneter Altvater einem Bruder, der ihm seine Gedanken in aufrichtigem Bekenntnisse offenbarte, nachher dieselben mit einer gewissen Entrüstung schwer vorgeworfen habe. Daher kommt es, daß, während wir sie in uns zurückhalten und uns schämen, sie den Vätern zu bekennen, wir auch die Mittel der Heilung nicht erlangen können.

13. Antwort über die zu unterdrückende Scham und die Gefahr, keine Theilnahme zu finden.

Moyses: Wie nicht alle Jungen gleich sind in glühendem Geisteseifer oder an Unterricht in den Wissenschaften und guten Sitten, so können auch nicht lauter Greise gefunden werden, die in gleicher Weise vollkommen oder ganz bewährt sind. Der Reichthum der Alten ist ja nicht nach den grauen Haaren, sondern nach dem Eifer der Jugend und nach den Früchten der vergangenen Arbeit zu messen. „Denn“, heißt es, „was du nicht gesammelt hast in deiner Jugend, wie wirst du es in deinem Alter finden?“ 69 „Ein verehrungswürdiges Alter ist nicht das lange und das nach der Jahrzahl berechnete; denn für Greisenhaar gilt die Einsicht eines Menschen und für hohes Alter ein unbeflecktes Leben.“ 70 Wenn deßhalb einen Alten nur weisses Haar bedeckt und nur die Länge des Lebens ihn empfiehlt, so dürfen wir darum nicht schon seinen Weg nachahmen und befolgen oder seine Lehren und Ermahnungen aufnehmen, sondern nur, wenn Einer sich durch ein lobenswerthes und ganz rechtschaffenes Leben in der Jugend ausgezeichnet hat und nicht durch eigenen Wahn, sondern durch die Lehren der Vorfahren unterrichtet ist. Denn es gibt Einige, ja, was noch trauriger ist, ihre Menge ist sogar größer, die in der Lauheit, welche sie in der Jugend angenommen haben, und in der Trägheit alt geworden doch eine Autorität für sich verlangen nicht wegen der Reife ihres Charakters, sondern wegen der Zahl ihrer Jahre. An Diese ist recht eigentlich der Vorwurf des Herrn durch den Propheten gerichtet: „Fremdlinge haben verzehrt seine Kraft, und er merkt es nicht; aber auch Greisenhaare sind ausgebreitet über ihn, und er weiß es nicht.“ 71 Diese hat nicht die Rechtschaffenheit des Lebens noch irgend eine löbliche und nachahmungswürdige Rührigkeit in diesem Berufe, sondern nur die Zahl der Jahre zu einem Vorbild der Jugend befördert. Ihr weisses Haar stellt der schlaue Feind zur Täuschung der Jüngern mit ausgemachter Autorität hin und will mit trügerischer Schlauheit durch ihre Beispiele um so schneller auch Diejenigen verkehrt machen und täuschen, welche sonst wohl zum Leben der Vollkommenheit entweder durch die Ermahnungen Dieser oder Anderer hätten angeregt werden können, nun aber entweder zu schädlicher Lauheit oder tödtlicher Verzweiflung durch deren Lehre und Anleitung geführt werden. Da ich euch davon Beispiele erzählen will, so werde ich den Namen des Thäters weglassen, damit wir nicht etwas Ähnliches begehen wie der, welcher die ihm anvertrauten Fehler des Bruders veröffentlichte, und werde nur die Thatsache, welche euch die nöthige Belehrung bieten kann, mit wenigen Worten darlegen. Da also zu einem uns wohlbekannten Greise ein Jüngling, nicht gerade von den feigsten, um seines Fortschrittes und seiner Heilung willen gekommen war und aufrichtig eingestanden hatte, daß er von fleischlicher Brunst und dem Geiste der Unzucht beunruhigt werde, und nun glaubte, er werde in seiner Mühseligkeit durch das Gebet des Vaters Trost und Mittel für die erhaltenen Wunden finden, da schalt ihn jener mit den bittersten Worten, nannte ihn einen Elenden und Unwürdigen, der nicht den Namen eines Mönches verdiene, da er durch derlei Laster und Gier sich kitzeln lasse. Durch diesen verkehrten Tadel verwundete er Jenen so, daß er ihn in höchster Verzweiflung und Niedergeschlagenheit, in vollem Jammer und tödtlicher Trauer aus seiner Zelle entließ. Als nun dem von solcher Schwermuth Gedrückten, der schon nicht mehr an ein Heilmittel gegen seine Leidenschaft, sondern an Ausübung der gefaßten Begierde in tiefem Sinnen dachte, der Abt Apollo, 72 der bewährteste der Väter, begegnete und die Mühe und Heftigkeit des Kampfes, der in der Stille in seinem Herzen wühlte, aus der Betrachtung des Angesichtes und der Niedergeschlagenheit vermuthete, fragte er nach der Ursache einer solchen Verstörung. Da nun dieser dem Greise, der ihn sanft anging, nicht einmal eine Antwort geben konnte, merkte derselbe mehr und mehr, daß Jener nicht ohne Grund die Ursache einer solchen Traurigkeit, die er nicht einmal im Antlitz verbergen konnte, mit Stillschweigen bedecken wolle, und begann nur um so dringender den Grund des geheimen Schmerzes zu erfragen. Dadurch gefangen bekannte Jener, daß er nach dem Dorfe gehe, um dort eine Frau zu nehmen und mit Verlassung des Klosters zum Weltleben zurückzukehren, weil er ja doch nach dem Ausspruch jenes Vaters kein Mönch sein könne, den Stachel des Fleisches nicht zu zügeln und kein Mittel gegen die Versuchung zu erlangen vermöge. Der Vater Apollo besänftigte ihn mit zärtlichem Troste und sagte, daß er täglich durch dieselben Stachel und Gluten der Brunst gequält werde, und daß er deßhalb nicht so gänzlich in Verzweiflung fallen dürfe noch sich wundern über die Hitze des Kampfes, der nicht sowohl durch den Eifer der Anstrengung als durch Gottes Barmherzigkeit und Gnade siegreich überstanden würde. Er verlangte von ihm nur einen Tag Waffenstillstand, bat ihn, in seine Zelle zurückzukehren, und ging dann in aller Eile zu dem Kloster des obengenannten Greises. Als er sich demselben genähert hatte, goß er mit ausgebreiteten Händen unter Thränen sein Gebet aus und sprach: „Herr, der du allein der liebevolle Richter und geheime Arzt der verborgenen Kräfte und der menschlichen Schwäche bist, wende die Anfechtung jenes Jünglings auf diesen Greis, damit er noch im Alter belehrt werde, herabzusteigen zu der Schwäche der Streitenden und Mitleid zu haben mit der Gebrechlichkeit der Jüngern.“ Als er nun dieß Gebet mit Seufzen geschlossen hatte, sah er einen schwarzen Äthiopier der Zelle von jenem gegenüber stehen und feurige Pfeile auf ihn richten. Als dieser sogleich durch dieselben verwundet worden war und aus der Zelle tretend dahin und dorthin wie ein Wahnsinniger und Trunkener lief und bald heraus bald hineingehend sich in ihr gar nicht mehr halten konnte, begann er aufgeregt auf demselben Wege fortzugehen, auf welchem jener Jüngling hinweggegangen war. Als ihn nun Vater Apollo erblickte, wie er gleichsam wahnsinnig geworden und von Furien getrieben war, da merkte er, daß das feurige Geschoß, welches er von jenem Teufel auf ihn abgeschossen sah, in seinem Herzen hafte und diese Verwirrung des Geistes und diese Aufregung der Sinne durch unerträgliche Gluten bewirte. Nun trat er zu ihm und sagte: „Wo eilst du hin, oder welche Ursache läßt dich deines Greisenernstes vergessen und regt dich so jugendlich auf, daß sie dich antreibt, so leichtbeweglich zu laufen?“ Als nun dieser bei der Anklage seines Gewissens und der Verwirrung durch den schändlichen Trieb glaubte, die Leidenschaft seiner Brust sei verrathen, und nun, da die Geheimnisse seines Herzens dem Greise offenbar seien, durchaus nicht wagte, dem Forschenden eine Antwort zu geben, sagte Apollo: „Kehre zurück in deine Zelle und lerne endlich, daß du bisher vom Teufel entweder nicht gekannt oder verachtet warst, und daß er dich nicht unter die Zahl Jener rechnete, von deren Fortschritten und Bestrebungen er täglich zu Kampf und Streit angereizt wird, da du nach einer solchen Reihe von Jahren, die du in diesem Berufe hingebracht hast, nicht einmal ein einziges Geschoß desselben ich will nicht sagen zurückwerfen, sondern nicht einen einzigen Tag ertragen konntest. Der Herr hat dich durch dasselbe deßhalb verwunden lassen, daß du wenigstens im Alter lernest, Mitleid zu haben mit fremder Schwäche, und durch dein eigenes Beispiel und Erfahrung belehrt werdest, dich herabzulassen zu der Gebrechlichkeit der Jüngeren. Du hast einen Jüngling, der an teuflischer Anfechtung litt, nicht nur mit keinem Troste gepflegt, sondern ihn auch in verderbliche Verzweiflung gestürzt und, so viel an dir lag, den Händen des Feindes überliefert, daß er ihn schrecklich verschlinge. Der hätte ihn wohl gewiß nicht mit dem heftigen Kampfe angegriffen, mit dem er dich bisher zu suchen verschmäht hat, wenn er nicht aus Neid über den künftigen Fortschritt desselben sich beeilt hätte, jene Tugend, die er in seinem Gemüthe vorhanden sah, im Keim zu ersticken und durch seine feurigen Geschoße zu zerstören. Ohne Zweifel erkannte er ihn als einen Stärkern, da er es der Mühe werth fand, ihn mit solcher Heftigkeit anzugreifen. Lerne jetzt an dir selbst, mit den Ringenden Mitleid zu haben und die Gefährdeten ja nicht mit verderblicher Verzweiflung zu schrecken oder mit harten Worten rauh zu behandeln, sondern sie vielmehr mit sanfter und zarter Tröstung zu erquicken, und nach der Vorschrift des so weisen Salomo 73 unterlaß nicht, zu retten, die zum Tode geführt werden, und zu befreien, die zum Untergange bestimmt sind. Lerne aus dem Beispiele unsers Erlösers, das geknickte Rohr nicht zu brechen und den glimmenden Docht nicht auszulöschen 74 und jene Gnade vom Herrn zu erbitten, mit welcher du selbst vertrauensvoll in That und Wahrheit singen kannst: 75 „Der Herr gab mir eine kundige Zunge, damit ich durch mein Wort zu stärken wisse den, der gefallen ist.“ Denn Keiner könnte die Nachstellungen des bösen Feindes aushalten oder die fleischliche Leidenschaft, deren Feuer gewissermaßen von Natur aus aufflammt, auslöschen oder unterdrücken, wenn nicht die Gnade Gottes unsere Gebrechlichkeit entweder unterstützen oder beschützen und festigen würde. — Da nun der Grund dieser heilsamen Anordnung beseitigt ist, durch welche der Herr entweder jenen Jüngling von seiner gefährlichen Glut befreien oder dich über die Heftigkeit der Anfechtung und das Gefühl des Mitleids belehren wollte, so wollen wir ihn in gemeinschaftlichem Gebete anflehen, daß er die Entfernung dieser Geißel, die er des Nutzens wegen dir zu senden sich würdigte, befehlen möge. (Denn er macht Schmerz und heilt wieder: er schlägt und seine Hände heilen; er erniedrigt und erhöht, er tödtet und macht lebendig, führt zur Unterwelt und wieder zurück.) 76 So möge er denn die feurigen Geschoße, die er, wie ich meine, Dir einbohren ließ, durch den Thau seines Geistes wieder auslöschen.“ Obgleich nun der Herr diese Versuchung ebenso schnell, als er sie erregt werden ließ, auf ein einziges Gebet des Greises wieder hinwegnahm, so hatte er doch durch eine klare Probe gelehrt, daß man nicht nur Keinem die eröffneten Fehler vorwerfen dürfe, sondern daß auch der Schmerz des Ringenden nicht einmal leicht verachtet werden solle. Deßhalb darf uns auch von dieser heilsamen oben genannten Bahn und Lehre der Vorfahren durchaus nicht abschrecken oder entfernen die Ungeschicklichkeit oder Leichtsinnigkeit des Einen oder Weniger, deren Greisenhaar der schlaue Feind mißbraucht zur Täuschung der Jüngern; sondern es muß Alles ohne Hülle der Scham den Altvätern geoffenbart werden und von ihnen entweder die Heilmittel für die Wunden oder die Beispiele für den Wandel und das Leben vertrauensvoll geholt werden; darin werden wir immer die gleiche Hilfe und den ähnlichen Erfolg erfahren, wenn wir durchaus Nichts nach eigener Beurtheilung und Annahme zu erstreben suchen.

14. Über die Berufung Samuels.

Endlich bewährt sich diese Lehre so sehr als Gott wohlgefällig, daß wir ebendieselbe Anweisung fleissig in den heiligen Schriften eingereiht finden, so daß der Herr den Knaben Samuel, den er nach seinem Rathschluß vor Andern auserwählt hatte, nicht durch sich selbst in der Schule göttlicher Unterredung lehren wollte, sondern ihn wieder und wieder zu einem Greise eilen ließ. So wollte er also, daß Derjenige, den er zu seiner Ansprache rief, selbst durch die Lehre eines Solchen unterwiesen werde, der Gott beleidigt hatte, weil es doch ein Älterer war, und wollte lieber, daß Der, den er seiner Berufung für so würdig erachtet hatte, durch den Unterricht eines Älteren gebildet werde, damit nemlich so theils die Demuth dessen, der zum göttlichen Dienste berufen wurde, sich bewähre, theils den Jüngern das Bild dieser Unterwürfigkeit als Beispiel hingestellt werde.

15. Von der Berufung des Apostels Paulus.

Auch den Paulus, den er selbst gerufen und angeredet hat, will Christus, obwohl er ihm sogleich den Weg der Vollkommenheit erschließen konnte, lieber zu Ananias senden und läßt ihn von Diesem den Weg der Wahrheit lernen, indem er sagt: „Steh’ auf und geh’ in die Stadt, und dort wird man dir sagen, was du thun sollst.“ Er sendet also auch Diesen zu einem Älteren und bestimmt, daß er eher durch dessen Unterricht als den seinen belehrt werden solle; damit nemlich nicht das, was bei Paulus ganz in Ordnung geschehen wäre, den Späteren ein böses Beispiel zur Anmaßung biete, indem Jeder sich einreden würde, er müsse auf ähnliche Weise auch eher allein durch Gottes Lehre und Schule als durch die Anleitung der Ältern unterrichtet werden. Die volle Verwerflichkeit dieser Anmaßung lehrt auch der Apostel selbst nicht nur in seinen Briefen, sondern auch in That und Beispiel. Deßhalb allein versichert er nach Jerusalem gegangen zu sein, damit er das Evangelium, das er unter dem Beistande des heiligen Geistes und mit der Kraft der Wunder und Zeichen den Heiden verkündete, mit seinen Mitaposteln und Vorgängern in einer besondern und vertraulichen Prüfung vergleiche. „Und ich verglich“, sagt er, 77 „mit ihnen das Evangelium, das ich unter den Heiden predige, damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder gelaufen wäre.“ Wer sollte also so anmaßend und blind sein, daß er es wagt, sich seinem eigenen Urtheil und seiner Entscheidung zu überlassen, während das Gefäß der Auserwählung bezeugt, daß er der Besprechung der Mitapostel bedurft habe? Dadurch wird aufs Klarste bewiesen, daß Gott Keinem den Weg der Vollkommenheit zeige, der im Besitze dessen, was ihn unterrichten kann, Dieß verachtet, nemlich Lehre und Anweisung der Väter, und so gering schätzt jenen Ausspruch, den man auf’s Sorgfältigste beobachten sollte: 78 „Frage deinen Vater, und er wird dir Kunde geben; deine Ahnen, und sie werden es dir sagen.“

16. Daß die Klugheit anzustreben sei.

Man muß also das Gut der Klugheit, die uns unversehrt bewahren kann vor jeder Übertreibung, mit allem Eifer durch die Tugend der Demuth zu erlangen suchen. Es ist nemlich ein altes Sprüchwort: ἀκρότητες ἰσότητες, d. i. Übertreibungen gleichen sich — denn zu demselben Ende kommt das Übermaß im Fasten wie die Gefräßigkeit, und in denselben Verlust bringt den Mönch die unmäßige Andauer der Nachtwachen wie die Lähmung des tiefsten Schlafes. Der durch Übertreibung der Enthaltsamkeit zu sehr Geschwächte muß nemlich nothwendig in jenen Zustand zurückversetzt werden, in welchem der zu Nachläßige durch seine Sorglosigkeit gehalten wird, so daß wir oft sahen, wie Solche, die durch Gefräßigkeit nicht verführt werden konnten, durch Übermaaß im Fasten zu Fall gebracht wurden und bei Gelegenheit ihrer Schwäche gerade in die Leidenschaft herabsanken, welche sie besiegt hatten. Auch die Nachtwachen und die unvernünftige Schlaflosigkeit stürzten Jene, welche der Schlaf nicht hatte besiegen können. Deßhalb muß man nach dem Apostel durch die Waffen der Gerechtigkeit an dem, was zur Rechten und zur Linken ist, vorbeigehen mit richtiger Mäßigung und zwischen beiden Übertreibungen mit Hilfe der leitenden Klugheit einhergehen, daß wir uns weder von dem überlieferten Pfade der Enthaltsamkeit abführen lassen noch durch schädliche Nachsicht in die Gier des Gaumens und des Bauches zurückfallen.

17. Von dem unmäßigen Fasten und Wachen.

Ich erinnere mich nun, daß ich oft das Verlangen nach Speise so zurückdrängte, daß mir, wenn ich auch die Erfrischung zwei oder drei Tage aufgeschoben hatte, nicht einmal eine Erinnerung an jenes Essen den Geist mahnte; und wieder hatte ich auf Anfechtung des Teufels hin den Schlaf so sehr meinen Augen entzogen, daß ich dann mehrere Nächte und Tage Gott bitten mußte, er möge nur ein wenig Schlaf auf meine Lider gießen. Und schwerer fühlte ich mich nun gefährdet durch die Abneigung gegen Schlaf und Speise, als durch den Kampf gegen Schläfrigkeit und Eßlust. Wie wir also frühzeitig dafür sorgen müssen, daß wir nicht durch Verlangen nach leiblicher Lust in gefährliche Erschlaffung fallen und uns ja nicht herausnehmen, vor der festgesetzten Zeit uns Speise zu erlauben oder ihr Maaß zu überschreiten: so muß man doch die Erfrischung durch Speise und Schlaf zur erlaubten Zeit annehmen, selbst wenn man Abneigung dagegen hat. Denn beide Kämpfe entstehen durch das Treiben unseres Feindes, und größere Verheerung richtet die ungeordnete Enthaltsamkeit an als die zu nachsichtige Sättigung. Von dieser nemlich kann man mittelst einer heilsamen Zerknirschung zum Maaße der Strenge sich erbeben, von jener nicht.

18. Frage über das Maaß der Enthaltung oder der Erfrischung.

Germanus: Welches ist also das Maaß der Enthaltsamkeit, welches wir in gleicher Eintheilung festhalten müssen, um unverletzt zwischen beiden Übertreibungen durchkommen zu können?

19. Von dem richtigsten Maaße der täglichen Speise.

Moyses: Ich weiß, daß über diesen Punkt von unsern Vorfahren oft verhandelt worden ist; denn sie besprachen die Entsagungen Verschiedener, die ihr Leben beständig entweder nur mit Hülsenfrüchten oder Gemüsen oder Äpfeln fristeten, gaben aber den Vorzug vor all Dem der Nahrung mit Brod allein, als dessen passendstes Maaß sie zwei Zwiebacke bestimmten, welche kleinen Brode ganz gewiß kaum das Gewicht eines Pfundes haben. 79

20. Einwurf über die Leichtigkeit der Entsagung, die mit zwei Broden eingehalten wird.

Germanus: Das nahmen wir gerne an und antworteten, daß uns dieses Maaß durchaus für keine Entsagung gelte, da wir es keinenfalls ganz verzehren könnten.

21. Antwort, wie das besagte Gesetz der Enthaltung beobachtet werden müsse.

Moyses: Wenn ihr die Kraft dieser Anordnung erproben wollt, so haltet dieß Maaß beständig ein, und nehmet ausserdem keine gekochte Zuspeise am Sonntag oder Samstag oder unter dem Vorwande der Ankunft von Brüdern; denn hievon gestärkt vermag der Leib an den übrigen Tagen nicht nur mit einem geringern Maaße erhalten zu werden, sondern sogar die ganze Labung ohne Mühe aufzuschieben, weil er gekräftigt ist durch die Zugabe jener Speisen, die man ausserdem genommen hat. Wer aber stets mit der Quantität des besagten Maaßes sich begnügt, der wird das durchaus nicht zu thun vermögen und nicht die Labung mit dem Brode auf den kommenden Tag aufschieben können. Denn ich erinnere mich, daß unsere Vorfahren — wie es auch uns meines Wissens oft ergangen ist — mit solcher Mühe und Schwierigkeit diese karge Kost aushielten und unter so viel Anstrengung und Hunger das genannte Maaß wahrten, daß sie sich gewissermaßen ungern und nicht ohne Seufzen und Leid diese Grenze der Labung auflegten.

22. Welches das allgemeine Maaß des Fastens und der Labung sei.

Das allgemeine Maaß der Enthaltung ist jedoch Dieß, daß je nach der Fähigkeit der Kräfte oder des Körpers oder des Alters Jeder sich so viel Speise erlaubt, als die Erhaltung des Leibes, nicht aber das Verlangen nach Sättigung erfordert. Denn wer in seinem ungleichen Verhalten jetzt den Leib durch die Dürre des Fastens einschnürt, jetzt durch zu vieles Essen auftreibt, wird in beiden Fällen den größten Nachtheil dulden. Wie nemlich der Geist durch den Mangel der Speise erschöpft die Kraft zum Gebete verliert, da er durch die zu große Schwäche des Körpers gedrückt zum Schlafe gedrängt wird: so kann er wieder durch zu große Gefräßigkeit niedergehalten seine Gebete zu Gott nicht rein und leicht aussenden. Aber nicht einmal die Keuschheit kann er in ununterbrochener Beständigkeit rein bewahren, da ihm selbst an jenen Tagen, an welchen er das Fleisch mit größerer Enthaltsamkeit zu züchtigen scheint, doch der Stoff der frühern (überreichen) Speise das Feuer der fleischlichen Begierde entzündet, obwohl in der Gegenwart sein Körper schwach ist.

23. Wie der Überfluß der Zeugungssäfte im Zaume gehalten werden solle.

Was einmal durch den Überfluß der Speisen im Marke sich gebildet hat, das muß Drang haben und von dem Gesetze der Natur selbst fortgetrieben werden, da sie nicht duldet, daß Überfluß an irgend einem unnöthigen Saft, der ihr ja schädlich und entgegen ist, in ihr bleibe. Deßhalb müssen wir immer mit einer vernünftigen und gleichmäßigen Kargheit unsern Leib in Zucht halten, damit, wenn wir auch von dieser natürlichen Nothwendigkeit, solange wir im Fleische weilen, nicht ganz frei sein können, uns der ganze Jahreslauf doch seltener und nicht öfter als dreimal von diesem Ausflusse benetzt finde. Das soll aber ohne allen Reiz der ruhige Schlaf ausstoßen und nicht ein Trugbild als Zeichen heimlicher Lust hervorlocken. Deßhalb ist es diese besagte Mäßigung und Enthaltsamkeit, diese Beschaffenheit und Menge, wie sie auch durch das Urtheil der Väter gebilligt wird, — daß nemlich die tägliche Labung des Brodes auch der tägliche Hunger begleite, — sie ist es, welche in einem und demselben Zustande Leib und Seele bewahrt und den Geist weder durch die Erschöpfung des Fastens hinfällig noch durch Sättigung beschwert werden läßt. Denn man hört nach so einfachem Mahle auf, daß der Geist bisweilen nach der Abendzeit kaum merkt oder sich erinnert, daß er gegessen habe.

24. Von der Beschwerde einer gleichmäßigen Labung und von der Gefräßigkeit des Bruders Benjamin.

Das geschieht nun so wenig ohne Beschwerde, daß Diejenigen, welche die Vollkommenheit der Klugheit nicht kennen, lieber das Fasten bis zum zweiten Tage fortsetzen wollen und das, was sie heute genossen hätten, auf den morgigen Tag aufbewahren, um nur, wenn sie zum Essen kommen, die ersehnte Sättigung zu erlangen. Ihr wisset, daß das neulich euer Mitbürger Benjamin hartnäckig eingehalten bat, der, um nicht täglich mit zwei Broden in gleichmäßiger Kasteiung immer die nemliche Kargheit haben zu müssen, lieber das Fasten immer zwei Tage fortsetzen wollte, um nur, wenn er zum Essen käme, mit doppeltem Maaße die Gefräßigkeit des Leibes stillen zu können, d. h. durch den Genuß von vier Broden sich der gewünschten Sättigung zu erfreuen und die Anfüllung seines Magens gewissermaßen durch das zweitägige Fasten auszugleichen. So gehorchte er eigensinnig und hartnäckig mehr seinen eigenen Bestimmungen als der Lehre der Vorfahren, und ihr erinnert euch ohne Zweifel, mit welchem Ende er seinen Beruf beschlossen habe. Er verließ nemlich die Wüste, verwickelte sich wieder in die leere Weisheit dieser Welt und die Eitelkeit des Zeitlichen und mag so die obengenannte Lehre der Väter durch das Beispiel seines Falles besiegeln und durch seinen Untergang Alle lehren, daß Niemand auf seine Entscheidungen und sein eigenes Urtheil vertrauend die Höhe der Vollkommenheit irgend einmal ersteigen oder auch nur den verderblichen Täuschungen des Teufels entgehen könne.

25. Frage, wie immer ein und dasselbe Maaß eingehalten werde.

Germanus: Wie werdet ihr nun im Stande sein, dieß Maaß ununterbrochen zu bewahren? Denn zuweilen, wenn um die neunte Stunde, wo das Fasten schon beendet ist, Brüder ankommen, ist es nöthig, aus Rücksicht auf sie entweder dem festgesetzten und gewöhnlichen Maaße Etwas beizufügen oder sicher die Menschenfreundlichkeit, die wir Allen entgegenbringen sollen, ganz zu verläugnen.

26. Antwort, daß man das Maaß der Labung nicht überschreiten solle.

Moyses: Man muß Beides in gleicher Weise und Sorgfalt beachten. Denn wir müssen sowohl das Maaß der Speise wegen der Enthaltsamkeit und Reinheit mit aller Genauigkeit einhalten als auch die Menschenfreundlichkeit und Verehrung den ankommenden Brüdern der Liebe wegen gleichfalls leisten, weil es gar zu abgeschmackt ist, dem Bruder, ja Christo selbst, den Tisch anzubieten und nicht mit ihm gleichfalls Speise zu nehmen oder sich von seiner Mahlzeit abzusondern. Daher werden wir in keinem der beiden Punkte tadelnswerth erfunden werden, wenn wir diese Gewohnheit einhalten, daß wir um die neunte Stunde von den zwei Broden, die uns nach dem festgesetzten Maaße mit Recht gehören, das eine sogleich genießen, das andere wegen des zu erwartenden Besuches auf den Abend aufheben, um es, wenn unerwartet einer der Brüder kommt mit ihm gemeinsam zu nehmen, ohne der sonstigen Gewohnheit Etwas beizufügen. Bei dieser Ordnung wird uns der Besuch des Bruders, der uns sehr angenehm sein muß, durchaus nicht betrüben. So leisten wir also die Pflichten der Menschenfreundlichkeit auf eine Weise, die uns Nichts von der Strenge der Enthaltung nachgeben läßt. Wenn aber Niemand kommt, so nehmen wir das andere Brod, als nach dem gesetzlichen Maaße uns gebührend, ohne Bedenken auch sogleich. Bei dieser Kargheit kann der Magen Abends nicht beschwert werden, da ja um die neunte Stunde schon ein Brod vorausgenommen wurde; dagegen pflegt Dieß meist denen zu geschehen, die im Glauben, eine strengere Entsagung zu üben, die ganze Labung auf den Abend verschieben. Denn die kurz zuvor genommene Speise läßt nicht zu, daß man beim abendlichen und nächtlichen Gebete eine feine und leichte Fassungsgabe finde. Daher ist sehr zum Vortheil und Nutzen um die neunte Stunde eine Essenszeit erlaubt worden, und der Mönch, der sie hiezu benützt wird sowohl in den nächtlichen Vigilien leicht und frei erfunden werden als auch sehr fähig zu der abendlichen Gebetsfeier, da die Speise schon verdaut ist.

So sättigte uns der gottselige Moses mit der Speise eines doppelten Unterrichtes: da er uns nicht nur die Gnade und Tugend der Klugheit im gegenwärtigen Lehr-vortrage, sondern auch in der vorausgegangenen Besprechung die Weise der Entsagung und die Bestimmung und den Endzweck dieses Berufes zeigte, so daß, was wir vorher nur in der Glut des Geistes und im Eifer für Gott gleichsam mit geschlossenen Augen verfolgt hatten, uns nun heller als das Licht durch ihn eröffnet war. Er brachte uns auch zur Einsicht, wie weit wir diese Zeit her von der Reinheit des Herzens und der Richtschnur der Klugheit abgewichen seien; da ja auch die Wissenschaft aller sichtbaren Künste dieser Welt ohne die Bestimmung eines Zweckes nicht bestehen und ohne Hinblick auf ein bestimmtes Ziel gar nicht erreicht werden kann.

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern

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