Читать книгу Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus - Страница 6
Erste Unterredung
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gehalten mit Abt Moyses über Absicht und Endzweck des Mönches.
1. Über die scythische Ansiedlung und den Grundsatz des Abtes Moyses.
In der scythischen Wüste, 4 wo die bewährtesten Väter der Mönche und die Vollkommensten aller Heiligen weilten, suchte ich den Abt Moyses auf, der unter diesen herrlichen Blüthen lieblicher leuchtete, nicht nur durch die Vollkommenheit im thätigen, sondern auch im beschaulichen Leben, und wünschte, durch seine Unterweisung einen festen Grund zu bekommen. Zugleich mit mir war der heilige 5
Vater Germanus, mit dem ich von der Lehrzeit an und seit den ersten Anfängen des geistlichen Kriegsdienstes eine so untrennbare Genossenschaft pflegte sowohl im Kloster als in der Wüste, daß Alle zur Bezeichnung unserer Freundschaft und der Gleichheit unseres Strebens sagten, es sei ein Geist und eine Seele in zwei Körpern. In gleicher Weise verlangten wir nun von eben jenem Vater Moyses mit strömenden Thränen, daß er zu unserer Erbauung rede. Wir kannten nämlich gar wohl die Strenge seines Gemüthes, daß er sich nicht herbeiläßt, die Thüre der Vollkommenheit zu öffnen, wenn man nicht in Wahrheit sich sehnt und mit aller Zerknirschung des Herzens darnach sucht; damit er nemlich nicht entweder den Fehler der Prahlerei oder das Verbrechen des Verrathes zu begehen scheine, wenn er sie durchgehends entweder den Nichtwollenden oder den lau Verlangenden zugänglich mache und also die hiebei unvermeidlichen Dinge, die nur den nach Vollkommenheit Verlangenden bekannt sein dürfen, unter Unwürdigen verbreite unter Solchen, die sie mit Langeweile hinnehmen. Endlich begann er, durch unsere Bitten ermüdet, also:
2. Von der Frage des Abtes Moyses, der untersucht, welche Bestimmung und welches Ziel der Mönch habe.
Alle Künste und Wissenschaften, sagte er, haben einen σκοπός, das ist eine Bestimmung, und ein τέλος, das ist ein eigenes Ziel; darauf hinblickend erträgt Jeder, der eine Kunst eifrig anstrebt, gleichmüthig und gerne alle Mühen und Gefahren und allen Aufwand. Denn auch der Landmann scheut weder die sengenden Strahlen der Sonne noch Reif und Eis und durchfurcht unermüdlich die Erde und zwingt die unbewältigten Schollen wieder und wieder unter die Pflugschar, indem er seine Absicht festhält, die von allen Dornen gereinigte und allem Unkraut befreite Erde durch diese Bearbeitung wie zerreiblichen Sand zu verkleinern. Er glaubt sicher, daß er nur durch seine Mühe und seinen Schweiß den Endzweck erreichen könne, nemlich die Ernte reicher Früchte und voller Ähren, wodurch er fürderhin sorglos zu leben oder sein Vermögen zu vermehren im Stande sei. Ebenso nimmt er, wenn die Scheune von Früchten voll ist, gerne davon und vertraut sie den lockern Furchen an mit eiliger Mühe, ohne Betrübniß über die gegenwärtige Verminderung wegen der Aussicht auf zukünftige Ernte. Auch Die, welche Handel treiben, fürchten nicht die unsichern Zufälle der Meerfahrt und scheuen keine Gefahr, da sie die Hoffnung auf Lohn und der Endzweck des Erwerbes reizt. Ferner Jene, welche von weltlichem militärischem Ehrgeiz brennen, haben kein Gefühl für die todbringenden Gefahren der Märsche, da sie auf den Endzweck der Ehre und Macht schauen, und sie werden nicht gebeugt durch die gegenwärtigen Mühen und Kämpfe, da sie das vorgesteckte Ziel hoher Würden zu erreichen streben. 6 Es hat also auch unser Stand eine eigene Bestimmung und seinen Endzweck, in Rücksicht auf welchen wir alle Anstrengungen nicht nur unermüdet, sondern auch gerne aufwenden, so daß uns der Hunger des Fastens nicht ermattet, die Müdigkeit des Nachtwachens uns ergötzt, die beständige Lesung und Betrachtung der hl. Schriften uns nicht sättigt, auch die unaufhörliche Arbeit, die Blöße und der Mangel an Allem, ja selbst diese schaurige, ödeste Wüsteneinsamkeit uns nicht abschreckt. Wegen dieses Zieles habt ohne Zweifel auch ihr die Neigung zu den Angehörigen verachtet, den heimathlichen Boden und die Freuden der Welt bei der Wanderung durch so viele Gegenden gering geschätzt, um zu uns ungebildeten und unwissenden Menschen zu kommen, die wir in dieser rauhen Wüste leben. Antwortet mir deßhalb, sagte er, welches die Absicht oder der Zweck sei, der euch antrieb, all Dieß so gerne zu übernehmen.
3. Unsere Antwort.
Da er nun darauf bestand, uns unsere Meinung über diesen Fragepunkt zu entlocken, so antworteten wir, daß man all Dieß um des Himmelreiches willen ertrage.
4. Untersuchung des Moyses über den vorgenannten Satz.
Darauf sagte Jener: Gut und klug habt ihr über den Endzweck gesprochen; nun müßt ihr aber vor Allem wissen, welches unser σκοπός d. i. unsere nächste Absicht sein muß, der wir beständig anhängen müssen, um so das Endziel erreichen zu können. Da wir nun unsere Unwissenheit einfach bekannt hatten, fügte er bei: In jeder Kunst und Wissenschaft geht, wie ich sagte, ein gewisser σκοπός voraus, d. i. eine Bestimmung des Gemüthes oder eine unaufhörliche Absicht des Geistes, ohne deren mit allem Fleiß und aller Beharrlichkeit festgehaltene Beachtung Einer auch nicht zu dem Endziel des begehrten Erfolges gelangen kann. Denn, wie ich gesagt habe, der Landmann, der das Ziel hat, sorglos und behäbig zu leben durch das Wachsthum reichlicher Saaten, der hat auch die Absicht, seinen Acker von allem Dorngestrüppe zu reinigen und von allen unfruchtbaren Gräsern zu befreien, und gibt sich nicht der Vertrauensseligkeit hin, daß er auf andere Weise die Fülle des ruhigen Zieles erreichen werde, als wenn er das, was er in Gebrauch und Besitz haben will, zuvor schon gewissermaßen durch seine Mühe und Hoffnung besitze. Auch der Geschäftsmann legt das Verlangen, sich Waaren zu verschaffen, nicht ab, durch das er sich vortheilhafte Reichthümer sammeln kann, weil er vergebens nach Gewinn verlangen würde, wenn er den Weg, zu demselben zu kommen, nicht erwählt hätte; und die, welche sich in gewissen Würden dieser Welt geehrt sehen wollen, setzen sich auch zuerst vor, welcher Pflicht oder Ordnung sie sich unterwerfen müssen, damit sie auf dem gesetzmäßigen Pfad der Erwartung auch das Endziel der gewünschten Würden zu erlangen vermögen. So ist auch das Endziel unseres Weges allerdings das Reich Gottes; welches aber unser nächstes Ziel sei, muß fleissig untersucht werden. Wenn uns das nicht gleichmäßig bekannt ist, werden wir uns durch vergebliches Ringen abmühen, weil die ohne Weg vorwärts Strebenden wohl die Mühe der Wanderung haben, aber kein Fortkommen. Als wir darüber staunten, sagte uns der Greis: Das Endziel unseres Standes ist allerdings, wie wir gesagt haben, das Reich Gottes oder das Himmelreich; aber unser nächstes Ziel ist die Reinheit des Herzens, ohne welche es unmöglich ist, daß Einer zu diesem Endziel gelange. Indem wir also auf diese Absicht die Blicke bei unserer Leitung heften, richten wir unsern Lauf ganz gerade wie nach einer bestimmten Linie. Und wenn unsere Gedanken ein wenig von ihr abgewichen sind, eilen wir sogleich zu ihrer Betrachtung zurück und wollen dieselben wieder wie nach einer gewissen Norm auf das Genaueste verbessern. Diese also wird immer alle unsere Unternehmungen zu diesem einen Sammelpunkt zurückrufen und so alsbald Klage führen, wenn unser Geist von der vorgesteckten Richtung auch nur ein wenig abweicht.
5. Er zeigt an einem andern Beispiele, daß man sich genau nach einem Ziele richten müsse.
Wenn Diejenigen, welche kriegerische Geschoße zu handhaben pflegen, vor einem Könige dieser Welt ihre Meisterschaft in dieser Kunst zeigen wollen, so suchen sie die Geschoße oder Pfeile in einem ganz kleinen Schild, der die Preise abgebildet enthält, einzubohren, da sie gewiß wissen, daß sie nicht anders als in der Linie ihres Zieles zu dem Endzweck des gewünschten Preises gelangen können, den sie allerdings nur dann in ihren Besitz bringen werden, wenn sie das vorgesteckte Ziel zu treffen vermochten. Wenn nun dieß zufällig ihrem Blicke entzogen worden ist, so werden, wie weit auch immer das leere Zielen der Unkundigen von dem rechten Schußwege abweichen mag, sie doch nicht merken, daß sie von der Richtung der vorgeschriebenen Linie abgekommen sind, weil sie kein bestimmtes Zeichen haben, das entweder die Trefflichkeit des Zielens bewähren oder die Unrichtigkeit überweisen würde. Wenn sie also unnütze Schüsse in die leere Luft abgegeben haben, so können sie nicht beurtheilen, worin sie gefehlt haben, und wo sie sich getäuscht haben, da sie kein Zeichen überführt, wie weit sie von der Richtung abgewichen seien, und der auf keinen bestimmten Gegenstand gerichtete Blick keine Norm lehren kann, worin sie sich nachher verbessern oder wohin sie sich zurückwenden müssen. So ist auch das Endziel unseres Vorhabens zwar das ewige Leben nach dem Apostel, der da sagt: 7 „Ihr habt euere Frucht in der Heiligung, zum Ende aber das ewige Leben;“ das nächste Ziel aber ist die Reinheit des Herzens, die er nicht mit Unrecht Heiligung nennt, ohne welche das genannte letzte Ziel nicht erreicht werden kann. Es ist, wie wenn er mit andern Worten gesagt hätte: Ihr habt zwar für euer nächstes Trachten die Reinheit des Herzens, zum Endzweck aber das ewige Leben. Wo eben dieser hl. Apostel an einer andern Stelle von dieser Bestimmung lehrt, da drückt er sogar deutlich das Wort selbst, d. i. σκοπός, aus, indem er sagt: 8 „Was rückwärts liegt, vergessend, zu dem was vorwärts liegt, mich ausstreckend trachte ich nach dem Ziel zu dem Siegerlohn der himmlischen Berufung des Herrn.“ Im Griechischen steht noch klarer: κατὰ σκόπον διώκω, d. i. nach dem Ziele eile ich vorwärts; gleich als hätte er gesagt: Durch jenes Ziel, gemäß welchem ich das Vergangene vergesse, nemlich die Fehler des früheren Menschen, strebe ich zu dem Endziel des himmlischen Siegespreises zu gelangen. Was uns also immer zu diesem nächsten Ziele, der Reinheit des Herzens, leiten kann, das ist mit aller Kraft zu erstreben; was uns aber davon abzieht, ist als gefährlich und verderblich zu meiden. Denn für dieses dulden und thun wir Alles; für dieses werden Eltern, Vaterland, Würden, Reichthümer, Weltfreuden und alle Lust verachtet, damit nemlich die beständige Reinheit des Herzens bewahrt bleibe. Wenn wir uns also diese Bestimmung vorgezeichnet haben, so werden immer unsere Handlungen und Gedanken in geradester Richtung auf ihre Erreichung abzielen. Wenn sie nicht beständig uns vor Augen steht, so wird ihr Mangel nicht nur alle unsere Arbeiten leer und haltlos machen und dieselben vergebens und ohne jeden Erfolg herausnöthigen, sondern auch alle Gedanken in Verworrenheit und Widerspruch erregen. Denn nothwendig muß ein Geist, der Nichts hat, worauf er zurückkommen und dem er vorzüglich anhängen kann, jede Stunde und jeden Augenblick nach der Verschiedenheit dessen, was auf ihn eindringt, sich ändern und durch das, was sich aussen ereignet, sogleich in den Zustand verwandelt werden, der sich ihm zuerst darbietet.
6. Von denen, die der Welt entsagen, aber ohne Liebe nach der Vollkommenheit streben.
Daher nemlich kommt es, daß wir sehen, wie Einige, welche die größten Reichthümer, viele Talente Goldes und Silbers und herrliche Landgüter verachtet haben, hernach wegen eines Messerchens, eines Griffels, wegen einer Nadel oder Feder aufgeregt werden. Wenn Diese ihre Geistesaugen fest auf die Reinheit des Herzens gerichtet hätten, so würden sie nicht wegen kleiner Dinge zulassen, in was sie wegen großer und kostbarer Schätze so wenig hineinkommen wollten, daß sie dieselben lieber ganz von sich warfen. So hüten auch Manche mit solchem Eifer ein Buch, daß sie es von einem Andern nicht einmal flüchtig lesen oder nur berühren lassen, und kommen so eben dort in die Gefahr der Ungeduld und des geistigen Todes, wo sie ermahnt werden, den Lohn der Geduld und Liebe zu erwerben. Nachdem sie also alle Reichthümer wegen der Liebe zu Christus vertheilt haben, halten sie die frühere Neigung des Herzens in den kleinsten Dingen zurück, und indem sie für diese oft leicht beweglich in Zorn gerathen, als hätten sie die apostolische Liebe nicht, haben sie von Allem keine Frucht und keinen Erfolg. Das im Geiste voraussehend sagte der hl. Apostel: 9 „Und wenn ich mein ganzes Vermögen zur Speisung der Armen ausgetheilt und meinen Leib zum Verbrennen hingegeben hätte, besäße aber die Liebe nicht, so nützte es mir Nichts.“ Damit ist klar bewiesen, daß die Vollkommenheit nicht gleich in der Blöße oder in der Hingabe alles Vermögens oder in dem Wegwerfen aller Würden erreicht werde, wenn man nicht jene Liebe, deren Theile der Apostel beschreibt, in Wahrheit besitzt, und diese besteht nur in der Reinheit des Herzens. Denn was ist es anders, nicht eifern, nicht aufgebläht werden, nicht erbittert werden, nicht leichtsinnig handeln, nicht suchen, was sein ist, sich nicht freuen über Ungerechtigkeit, nicht Böses denken u. s. w. — was ist Dieß anders, als Gott immer ein vollkommenes und ganz reines Herz darbringen und es unberührt bewahren vor allen Störungen?
7. Von dem Streben nach der Ruhe des Herzens.
Alles also müssen wir wegen dieser (Reinheit) thun und anstreben; für diese müssen wir die Einsamkeit suchen; für sie müssen wir, wie wir gesehen haben, die Fasten, die Nachtwachen, die Arbeiten, Blöße des Körpers, die Lesungen und übrigen Tugendübungen auf uns nehmen, damit wir nemlich durch dieselben unser Herz von allen gefährlichen Leidenschaften frei machen und bewahren können und auf diesen Stufen zu der Vollkommenheit der Liebe aufstreben und aufsteigen. Aber wir wollen nicht wegen dieser Übungen, wenn uns vielleicht eine erlaubte und nothwendige Beschäftigung dazwischen kommt, so daß wir unsere gewohnte Eintheilung nicht einhalten können, in Traurigkeit fallen oder in Unwillen und Zorn, zu deren Bekämpfung wir ja gerade das thun wollten, was unterlassen wurde. Denn der Gewinn des Fastens ist nicht so groß als der Aufschub des Zornes, noch wird aus der Lesung eine so große Frucht geschöpft, als wir durch Verachtung des Bruders Schaden leiden. Was also nur um des Andern willen da ist, nemlich die Fasten, Nachtwachen, Zurückgezogenheit, Betrachtung der Schriften, müssen wir wegen des Hauptzieles, d. i. der Reinheit des Herzens, welche die Liebe ist, üben und nicht wegen jener Dinge diese Haupttugend trüben; wenn diese in uns unversehrt und unverletzt dauert, so wird es nicht schaden, wenn Etwas von dem, was nur aus ihr folgt, nach Bedürfniß unterlassen wird. Ebenso wird es uns Nichts nützen, Alles gethan zu haben, wenn diese genannte Hauptsache weg ist, für deren Erlangung wir Alles thun müssen. Denn nicht dazu sucht sich Einer die Geräthe einer Kunst zu verschaffen und herzurichten, damit er sie ungebraucht besitze und so die Frucht des Vortheils, der aus ihnen gehofft wird, in den bloßen Besitz der Instrumente lege, sondern damit er mit ihrer Hilfe die Kunde und den Endzweck jenes Faches, dessen Hilfsmittel sie sind, nachhaltig erlerne. So sind also Fasten, Nachtwachen, Betrachtung der Schrift, Blöße und Beraubung alles Vermögens nicht die Vollkommenheit, sondern die Mittel zur Vollkommenheit, weil nicht in ihnen der Endzweck jenes Lehrgegenstandes liegt, sondern weil man durch sie zum Endziel kommt. Vergebens also wird diese Übungen vornehmen, wer immer mit ihnen als dem letzten Gute zufrieden die Absicht seines Herzens gerade hier festgesetzt hat und nicht all’ sein Tugendstreben ausgedehnt hat auf die Erfassung des Zieles, um deßwillen diese Dinge zu begehren sind; er hat zwar die Instrumente dieser Wissenschaft, aber er kennt das Ziel nicht, in welchem alle Frucht enthalten ist. Was also immer diese Reinheit und Ruhe unseres Geistes stören könnte, ist als schädlich zu meiden, wenn es auch nützlich und nothwendig scheint. Nach dieser Norm nun können wir alle Reihen der Irrthümer und Ausschweifungen vermeiden und das ersehnte Ziel in der Linie der bestimmten Richtung erreichen.
8. Von dem Hauptstreben nach Beschauung der göttlichen Dinge und von dem Gleichnisse der Maria und Martha.
Das also muß unser Hauptringen, das die unveränderliche, immer angestrebte Absicht unsers Herzens sein, daß der Geist den göttlichen Dingen und Gott immer anhänge, und was davon verschieden ist, das muß, wie groß es auch sei, doch für das Zweite oder auch Letzte oder für gewiß schädlich gehalten werden. Ein Bild dieses Geistes oder Benehmens wird uns auch im Evangelium durch Martha und Maria ganz schön vorgestellt. Denn da Martha mit allerdings heiligen Dienstleistungen beschäftigt war, indem sie ja dem Herrn selbst und seinen Jüngern diente, während Maria nur auf die geistige Lehre achtete und zu den Füßen Jesu weilte, die sie küßte und mit dem Balsam eines aufrichtigen Bekenntnisses salbte: erhielt doch sie von dem Herrn den Vorzug, weil sie den bessern Theil erwählt habe, den, der von ihr nicht könne genommen werden. Denn als Martha sich abmühte in frommer Sorgfalt und vielseitiger Geschäftigkeit und sah, daß sie allein zu einer solchen Bedienung nicht hinreichen könne, da erbat sie von dem Herrn die Hilfe ihrer Schwester und sagte: „Sorgt es dich nicht, daß meine Schwester mich allein läßt bei der Aufwartung? Sag ihr doch, daß sie mir helfe!“ Wahrhaftig, sie rief sie nicht zu einem eitlen Werk, sondern zu einem lobenswerthen Dienst. Und doch, was hört sie vom Herrn? „Martha, Martha, du bist besorgt und kümmerst dich um Vieles; aber es ist Weniges oder auch nur Eines nothwendig; Maria hat den guten Theil erwählt, der nicht von ihr wird genommen werden.“ Ihr seht also, daß der Herr das größte Gut in die Beschauung allein, also in die göttliche Contemplation gesetzt bat. Deßhalb urtheilen wir, daß die übrigen Tugenden, obwohl wir sie für nothwendig und nützlich erklären, doch auf die zweite Stufe zu stellen seien, weil sie alle zur Erreichung dieser einzigen erworben werden. Denn indem der Herr sagt: „Du bist besorgt und kümmerst dich um Vieles; Weniges aber oder auch nur Eines ist nothwendig,“ — setzt er das höchste Gut nicht in die thätige Übung, so lobenswerth und reich an vielen Früchten sie auch ist, sondern in die Beschauung Seiner, die wahrhaft einfach und eine ist. So verkündet er, daß wenig nothwendig sei zur vollkommenen Glückseligkeit, d. i. zu jener Beschauung, die zuerst in der Betrachtung weniger Heiligen geübt wird, wovon aufsteigend der, welcher noch auf dem Wege ist, mit Gottes Hilfe zu dem kommt, was das Eine genannt wird. d. i. die Anschauung Gottes allein, so daß er nemlich, auch die Handlungen und wunderbaren Leistungen der Heiligen überschreitend, nur mehr an Gottes Schönheit und Wissenschaft sich weidet. Maria hat also den besten Theil erwählt, der nicht von ihr wird genommen werden. Das müssen wir uns genauer ansehen; denn wenn er sagt, Maria hat den guten Theil erwählt, so lehrt er doch, obwohl er von Martha schweigt und sie durchaus nicht zu tadeln scheint, durch das Lob Jener, daß Diese die Geringere sei. Wieder, wenn er sagt, der nicht von ihr wird genommen werden, zeigt er, daß Dieser ihr Theil genommen werden könne; denn die körperlichen Leistungen können nicht mit dem Menschen beständig dauern; aber über das Streben Jener lehrt er uns, daß es durchaus kein Ende haben könne.
9. Frage, wie die Tugendübungen mit den Menschen nicht fortdauern.
Germanus: Darauf sagten wir sehr ergriffen: Wie also, die Beschwerde des Fastens, der Fleiß in der Lesung, die Werke der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit, Frömmigkeit und Menschenliebe sollen von uns genommen werden und nicht mit ihren Trägern fortdauern? Und Das, während der Herr selbst diesen Werken den Lohn des Himmelreiches verspricht mit den Worten: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmet das Reich in Besitz, das euch seit Gründung der Welt bereitet war; denn ich war hungrig, und ihr gabt mir zu essen; ich dürstete und ihr gabt mir Trank“ &c. Wie wird also das hinweggenommen werden, was Diejenigen, die es gethan, in das Himmelreich führt?
10. Antwort: Nicht der Lohn, sondern die Handlung werde aufhören.
Moyses: Ich habe auch nicht gesagt, daß der Lohn des guten Werkes hinweggenommen werde, da ja derselbe Herr sagt: 10 „Wer Einem der Geringsten von Diesen nur einen Becher kalten Wassers zum Tranke gegeben haben wird auf den Jüngernamen hin, wahrlich sage ich Euch, nicht verlieren wird er seinen Lohn.“ Aber ich sage, daß die Handlung, welche körperliches Bedürfniß oder die Bedrängniß des Fleisches oder die Ungleichheit dieser Welt zu thun fordert, aufhören werde. Denn die anhaltende Lesung oder die Beschwerde des Fastens werden nur in der Gegenwart zur Reinigung des Herzens und zur Zähmung des Fleisches mit Nutzen geübt, solange das Fleisch begehrt wider den Geist. Wir sehen, daß dergleichen Dinge zuweilen auch in der Gegenwart bei Seite gethan werden von Denen, die durch zu viele Arbeit oder Krankheit des Körpers oder Alter ermattet sind, und daß sie also von dem Menschen nicht beständig geübt werden können. Um wie viel mehr werden sie also im zukünftigen Leben aufhören, wenn dieß Verwesliche die Unverweslichkeit angezogen haben wird und dieser Körper, der jetzt thierisch ist, als geistiger auferstanden sein und das Fleisch angefangen haben wird, nicht mehr so zu sein, daß es gegen den Geist gelüstet? Davon lehrt auch der Apostel offenbar, indem er sagt: 11 „Die körperliche Übung ist zu wenig nütze, die Frömmigkeit aber, unter welcher ohne Zweifel die Liebe verstanden wird, ist nützlich zu Allem, da sie die Verheissung hat für das gegenwärtige und zukünftige Leben.“ Die also für Weniges nützlich erklärt wird, von der wird auch offenbar gelehrt, daß sie nicht durch alle Zeit geübt werde, und daß sie nicht für sich allein dem Strebenden die höchste Vollkommenheit verschaffen könne. Denn das „Wenig“ kann auf Beides bezogen werden, d. i. entweder auf die Kürze der Zeit, daß nemlich die körperliche Übung dem Menschen sowohl in der Gegenwart als in der Zukunft nicht gleich sein könne an Dauer; oder sicher auf die Kleinheit des Nutzens, der von der leiblichen Übung erlangt wird, deßhalb weil das leibliche Dulden zwar einige Anfänge des Fortschrittes erzeugt, aber nicht die Vollkommenheit der Liebe selbst, welche die Verheissung hat für das gegenwärtige und zukünftige Leben.
Und deßhalb halten wir die Übung der genannten Werke für nöthig, weil man ohne sie nicht zum Gipfel der Liebe aufsteigen kann. Auch die, welche ihr Werte der Liebe und Barmherzigkeit nennt, sind nothwendig in dieser Zeit, da noch unbillige Verschiedenheit herrscht, und es würde deren Ausübung nicht einmal hier erwartet werden, wenn nicht die Zahl der Hilflosen, Dürftigen und Kranken übergroß wäre. Diese ist so geworden durch die Ungerechtigkeit der Menschen, nemlich derjenigen, welche Das, was von dem gemeinsamen Schöpfer Allen zugestanden wurde, nur zu ihrem Gebrauch in Besitz nehmen und nicht einmal zum Gebrauche verwenden! 12 So lange also in dieser Welt solche Ungleichheit herrscht, wird solches Handeln nothwendig sein und nützlich Dem, der es übt; denn es wird allerdings der Gutmüthigkeit und dem liebevollen Willen den Lohn des ewigen Erbes zubringen, selbst aber im zukünftigen Leben, wo die Gleichheit herrscht, aufhören, da nun keine Unbilligkeit mehr da ist, wegen deren diese Dinge geübt werden müßten, sondern Alle von dieser vielfachen, d. i. thätigen Übung zur Liebe Gottes und zur Beschauung der göttlichen Dinge übergehen werden durch die beständige Reinheit des Herzens. Dieser haben sich nun Jene, welchen daran liegt, sich entweder der Wissenschaft oder der Reinigung des Geistes zu befleissen, schon in dieser Zeit mit aller Anstrengung und Kraft nach freier Wahl hingegeben. Diese haben sich nemlich, während sie noch im verweslichen Fleische sind, jener Beschäftigung geweiht, in welcher sie nach Ablegung der Verweslichkeit immer sein werden, und gelangen so zu jener Verheissung unseres Herrn und Erlösers, in welcher er sagt: „Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen.“ 13
11. Von der Ewigkeit der Liebe.
Und was wundert ihr euch, wenn jene oben zusammengefaßten Verrichtungen aufhören, da ja der hl. Apostel noch höhere Gaben des hl. Geistes als vorübergehende bezeichnet, während er die Liebe allein als ohne Ende während darstellt, indem er sagt: 14 „Gilt es Weissagungen, sie werden abgethan; gilt es Sprachen, sie werden aufhören; gilt es Wissenschaft, sie wird zerfallen;“ von dieser aber sagt er: „Die Liebe wird nie vergehen.“ Alle Gaben nemlich werden je nach Brauch und Bedarf auf einige Zeit verliehen und nach vollendeter Benützung ohne Zweifel vergehen; die Liebe aber wird zu keiner Zeit aufgehoben, da sie nicht nur in der gegenwärtigen Welt nützlich in uns wirkt, sondern auch in der zukünftigen, wenn die Bürde der körperlichen Noth abgelegt ist, viel wirksamer und herrlicher fortdauern wird. Keinem Mangel und Verderben je preisgegeben wird sie in ewiger Unzerstörbarkeit Gott nur feuriger und inniger anhängen.
12. Frage über die Beharrlichkeit der geistigen Beschauung.
Germanus: Wer nun kann, mit dem gebrechlichen Fleische umkleidet, dieser Beschauung immer so ergeben sein, daß er nie denkt an die Ankunft eines Bruders, an den Besuch eines Kranken, an die Handarbeit oder doch an die Menschenliebe, die man Pilgern oder Ankömmlingen erweisen muß? Wer endlich sollte nicht gestört werden durch die Verpflegung des eigenen Körpers oder durch Sorge? Ferner wünschen wir belehrt zu werden, wie oder in wem der Geist es vermöchte, jenem unsichtbaren und unbegreiflichen Gotte untrennbar anzuhangen?
13. Antwort über die Richtung des Herzens auf Gott und über das Reich Gottes und das des Teufels.
Moyses: Freilich, Gott beständig anhangen und seiner Beschauung sich unaufhörlich hinzugeben, wie ihr sagt, das ist für den Menschen, so lange er mit diesem gebrechlichen Fleische bekleidet ist, unmöglich. Aber es ist uns nothwendig zu wissen, wohin wir die Meinung unseres Geistes fest gerichtet halten müssen, und zu welchem Ziele wir den Blick unserer Seele immer zurückrufen müssen. Kann Dieß der Geist erreichen, so freue er sich und fühle es schmerzlich und mit Seufzen, wenn er davon getrennt ist; er merke es, daß er ebenso oft von dem höchsten Gute weggekommen ist, als er sich getrennt von jenem Anblick betroffen hat, und halte für Unzucht selbst jede nur augenblickliche Entfernung von der Betrachtung Christi. Wenn von ihm unser Blick auch nur ein wenig abgewichen ist, so wollen wir die Augen des Herzens wieder zu ihm wenden und gleichsam in geradester Linie den Blick des Geistes zurückrufen. Denn Alles liegt in der Zurückgezogenheit der Seele. Wenn der Teufel aus ihr getrieben ist und die Laster nicht mehr in ihr herrschen, so wird in sicherer Folge das Reich Gottes in uns gegründet, wie der Evangelist sagt: Das Reich Gottes wird nicht kommen in auffallender Weise, und man wird nicht sagen: „Sieh’ hier, oder siehe dort ist es; denn wahrlich ich sage euch, das Reich Gottes ist in euch.“ 15 In uns kann aber nichts Anderes sein als die Kenntniß oder Unkenntniß der Wahrheit und die Vertrautheit entweder mit den Lastern oder mit den Tugenden, wodurch wir entweder dem Teufel oder Christo ein Reich im Herzen bereiten. Die Beschaffenheit dieses Reiches beschreibt auch der Apostel, indem er sagt: 16 „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken. sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im hl. Geist.“ Wenn also das Reich Gottes in uns ist, und wenn es Gerechtigkeit und Friede und Freude ist, dann ist ja der, welcher sich in diesen aufhält, ohne Zweifel im Reiche Gottes; und im Gegentheil sind Jene, welche in Ungerechtigkeit, in Zwietracht und in der Traurigkeit, die den Tod wirkt, leben, im Reiche des Teufels, in der Hölle und im Tode. Denn durch diese Anzeichen wird das Reich Gottes und des Teufels unterschieden. Und in der That, wenn wir mit hohem Geistesblick den Zustand betrachten, in welchem die himmlischen, überirdischen Kräfte leben, die wahrhaft im Reiche Gottes sind, welcher andere Zustand ist dafür zu halten, als der einer immerwährenden, beständigen Freude? Denn was ist der wahren Seligkeit so eigen und so entsprechend als eine beständige Ruhe und immerwährende Freude? Und damit du um so sicherer belehrt werdest, nicht bloß durch mein Urtheil, sondern durch die Autorität des Herrn selbst, daß das Gesagte so sei, so höre ihn, wie er die Beschaffenheit und den Zustand jenes Reiches ganz klar beschreibt: 17 „Siehe,“ sagt er, „ich schaffe neue Himmel und eine neue Erde. und nicht mehr wird das Frühere im Gedächtnisse sein und nicht kommen in’s Herz; sondern ihr werdet euch freuen und jubeln in dem, was ich schaffe, ewiglich.“ Und wieder: 18 „Freude und Frohlocken wird man finden in ihr, Danksagung und die Stimme des Lobes; und es wird sein Mondesfest um Mondesfest und Sabbath auf Sabbath.“ 19 Und wieder: 20 „Freude und Frohlocken werden sie erlangen: fliehen werden Schmerz und Seufzen.“ Und wenn ihr noch Klareres über jenes Leben und die Stadt der Heiligen erkennen wollt, so merket auf Das, was durch die Stimme des Herrn zu Jerusalem selbst gesagt wird: „Und ich werde Setzen,“ sagt er, „als deine Aufsicht den Frieden und als deinen Vorsteher — Gerechtigkeit; nicht wird ferner Ungerechtigkeit in deinem Lande gehört werden, nicht Verödung und Betrübniß in deinen Grenzen; Heil wird stehen auf deinen Mauern und Lobpreis unter deinen Thoren. Nicht wird ferner die Sonne deine Leuchte sein am Tage und nicht der Glanz des Mondes dich erhellen, sondern der Herr wird Dir sein zum ewigen Licht und dein Gott zu deinem Ruhme; nicht wird untergehen fürderhin deine Sonne und dein Mond nicht abnehmen, sondern es wird der Herr dir zum ewigen Lichte sein und ganz zu Ende die Tage deiner Trauer.“ Und deßhalb nennt der hl. Apostel nicht allgemein und schlechthin jede Freude das Reich Gottes, sondern ausdrücklich und genau nur jene, die im hl. Geiste ist. Denn er weiß, daß es auch eine andere tadelnswerthe Freude gibt, von der es heißt: „Diese Welt wird sich freuen“ und: „Weh’ euch Lachenden, weil ihr weinen werdet.“ — Das Himmelreich kann übrigens dreifach aufgefaßt werden: entweder, infoferne die Himmel, d. i. die Heiligen herrschen werden über andere Untergebene nach jener Stelle: „Sei du über fünf Städte und du über zehn!“ Auch gehört hieher, was zu den Jüngern gesagt wurde: „Ihr werdet auf zwölf Thronen sitzen und richten die zwölf Stämme Israels;“ oder insoferne die Himmel selbst Anfangs von Christus regiert werden, da nemlich, erst nachdem Alles ihm unterworfen ist, Gott anfangen wird, Alles in Allem zu sein; oder sicher, insofern sie im Himmel mit dem Herrn herrschen werden. 21
14. Über die Einigkeit der Seele.
Obwohl in diesen Körper gebannt, soll doch Jeder wissen, daß er jener Religion, jenem Gefolge werde zugerechnet werden, als dessen Theilnehmer und Verehrer in diesem Leben er sich gezeigt hat, und soll nicht zweifeln, daß er auch in jenem Leben dort Genosse sein werde, wo er sich in diesem als Diener und Mitglied lieber hingeben wollte, nach dem Ausspruche des Herrn, der so sagt: „Wenn Jemand mir dient und mir nachfolgt, so wird, wo ich bin, dort auch mein Diener sein.“ Denn wie das Reich des Teufels angenommen wird dadurch, daß man in den Lastern mit ihm übereinstimmt, so nimmt man das Reich Gottes durch Übung der Tugenden, durch Reinheit des Herzens und geistige Wissenschaft in Besitz. Wo aber das Reich Gottes ist, da hat man ohne Zweifel auch das ewige Leben; und wo das Reich des Teufels ist, da ist ohne Zweifel Tod und Hölle; wer darin ist, kann auch Gott nicht loben nach dem Ausspruch des Propheten, der sagt: 22 „Nicht die Todten werden dich loben, und Alle nicht, die in die Tiefe (ohne Zweifel: der Sünde) steigen; sondern wir, sagt er, die da leben (nicht den Lastern und dieser Welt, sondern Gott), wir preisen den Herrn von nun an bis in Ewigkeit.“ „Denn Niemand ist im Tode, der Gottes gedenket; und in der Tiefe (der Sünde), wer wird den Herrn bekennen?“ 23 Also Niemand. Denn Keiner bekennt den Herrn, wenn er sündigt, auch wenn er sich tausendmal für einen Christen oder Mönch erklärt, seiner gedenkt Gottes, wenn er Das zuläßt, was Gott verabscheut; noch bekennt er sich wahrhaft als einen Diener Desjenigen, dessen Gebote er mit halsstarrigem Leichtsinn verachtet. In diesem Tode ist nach der Erklärung des hl. Apostels jene Wittwe, die in Wohlbehagen lebt, denn er sagt: „Eine Wittwe, die in Genüssen lebt, ist bei lebendigem Leibe todt.“ Es gibt also Viele, die in diesem Leibe lebend todt sind und im Abgrunde liegend Gott nicht loben können. Auf der andern Seite aber gibt es Solche, die, abgestorben dem Leibe nach, Gott im Geiste preisen und loben, nach jener Stelle: „Preiset den Herrn, ihr Geister und Seelen der Gerechten!“
Und wieder: „Jeder Geist lobpreise den Herrn!“ Und in der Apokalypse 24 heißt es, daß die Geister der Getödteten Gott nicht nur loben, sondern auch mit Bitten drängen. Im Evangelium 25 sagt der Herr noch klarer zu den Sadducäern: „Habt Ihr nicht gelesen, was euch Gott gesagt hat: Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Nun, Gott ist kein Gott der Todten, sondern der Lebendigen.“ Denn Alle leben ihm. Von diesen sagt der Apostel: 26 „Deßhalb schämt sich Gott nicht, ihr Gott genannt zu werden; denn er hat ihnen eine Stadt bereitet.“ Denn daß die Seelen nach der Trennung von diesem Leibe nicht unthätig sind und nicht ohne Gefühl, das zeigt auch die Parabel des Evangeliums, welche von dem armen Lazarus und dem in Purpur gekleideten Reichen erzählt wird: 27 Der Eine von ihnen erhält zum Lohne den seligsten Platz, d. i. die Ruhe im Schooße Abrahams, der Andere wird durch die unerträgliche Gluth des ewigen Feuers verzehrt. Wenn wir nun auch auf Das merken wollen, was zu dem Räuber gesagt wird: „Heute wirst Du bei mir im Paradiese sein,“ was drückt es offenbar Anderes aus, als daß in den Seelen nicht nur die frühern Erkenntnisse bleiben, sondern daß sie auch eines Looses genießen, das der Beschaffenheit ihrer Verdienste und Handlungen entspricht. Denn das hätte Gott Jenem keineswegs versprochen, wenn er gewußt hätte, daß seine Seele nach der Trennung vom Fleische entweder des Gefühles beraubt oder in das Nichts aufgelöst werden müßte; denn nicht sein Fleisch, sondern seine Seele sollte mit Christo eingehen in’s Paradies. — Vermeiden, ja mit allem Abscheu verwerfen muß man jene ganz verkehrte Unterscheidung der Häretiker, welche nicht glauben, daß Christus an demselben Tage, an welchem er in die Unterwelt stieg, auch im Paradiese sein konnte, und nun so trennen: Wahrlich sage ich dir heute, — und indem sie hier die Trennung hereinsetzen, fahren sie fort: Du wirst bei mir im Paradiese sein, — so daß also dieß Versprechen nicht als ein sogleich nach Ablauf dieses Lebens erfülltes anzusehen wäre, sondern als ein erst nach Eintritt seiner Auferstehung sich erfüllendes. Sie sehen nicht ein, was der Herr schon vor dem Tage seiner Auferstehung zu den Juden gesagt hatte, die da glaubten, er werde wie sie von menschlichen Bedrängnissen und leiblicher Schwäche festgehalten: „Niemand,“ sagt er, „steigt in den Himmel, ausser wer vom Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen, der im Himmel ist.“ Dadurch wird klar bewiesen, daß die Seelen der Verstorbenen nicht nur ihrer Sinneskräfte nicht beraubt werden, sondern auch nicht jener Affekte ermangeln, wie Hoffnung und Trauer, Freude und Furcht, und daß sie schon anfangen Etwas von dem vorauszukosten, was ihnen in jenem allgemeinen Gerichte aufbewahrt wird; daß sie ferner nicht nach der Meinung einiger Ungläubigen, wenn es mit dem irdischen Aufenthalte aus ist, in Nichts sich auflösen, sondern lebendiger fortbestehen und im Lobe Gottes eifriger verharren. Und in der That — damit wir nun die Schriftzeugnisse bei Seite lassen und über die Natur der Seele selbst nach unserer geringen Fassungskraft ein wenig disputiren — geht es denn nicht, ich will nicht sagen über alle Einfältigkeit, sondern über allen Wahnsinn der Thorheit, auch nur leichthin zu vermuthen, daß jener kostbarere Theil des Menschen, in welchem nach dem hl. Apostel das Ebenbild und Gleichniß Gottes sich findet, nach Ablegung dieser körperlichen Bürde, in der er jetzt verborgen ist, seine Fassungskraft verliere, da er doch alle Kraft der Vernunft in sich enthält und auch die stumme und sinnlose Materie des Fleisches durch Theilnahme an sich sinnbegabt macht? Folgt ja doch in allweg und ist in der Ordnung der Vernunft enthalten, daß der Christ, befreit von dieser leiblichen Masse, von der er nun abgestumpft wird, seine Erkenntniskräfte besser entfalten und sie viel eher reiner und feiner erhalte, als daß er sie verliere. So sehr nun erkennt der hl. Apostel die Wahrheit dessen, was wir sagen, daß er sogar wünscht, von diesem Fleische zu scheiden, damit er durch die Trennung von demselben inniger mit Gott sich zu vereinigen vermöge, und so sagt er: „Ich habe Sehnsucht, aufgelöst zu werden und bei Christo zu sein 28 — denn es ist viel besser — weil, so lange 29 wir im Fleische sind, wir in der Fremde sind weg vom Herrn; — und deßhalb sind wir voll kühnen und guten Willens, eher vom Leibe zu scheiden und bei Gott heimisch zu sein. Deßhalb auch bestreben wir uns, sei es ferne oder nahe, ihm zu gefallen.“ So nennt er also das Weilen der Seele, welche in diesem Fleische ist, ein Fernsein vom Herrn und eine Trennung von Christus; dagegen hält er mit vollem Glauben und Vertrauen ihre Lösung von diesem Leibe und ihr Scheiden für die Heimkehr zu Christus. Und noch klarer sagt derselbe Apostel wieder über diesen lebensvollsten Zustand der Seelen: 30 „Ihr seid hinzugetreten zu Sion, der Bergeshöhe und Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, zu der Versammlung vieler tausend Engel und zu der Kirche der Erstgeborenen, die aufgezeichnet sind im Himmel, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten.“ Von diesen Geistern sagt er an einer andern Stelle: 31 „Wir hatten die Väter unseres Fleisches als Gelehrtere 32 und wir verehrten sie; werden wir uns nun nicht viel mehr dem Vater der Geister unterwerfen und so leben?“
15. Von der Betrachtung Gottes.
Die Betrachtung Gottes wird in vielfacher Weise geübt; denn Gott wird nicht allein in der Bewunderung seiner unbegreiflichen Wesenheit erkannt, — was ja noch verborgen ist und nur aus der Verheissung gehofft wird, — sondern man sieht ihn auch in der Größe seiner Geschöpfe oder in der Betrachtung seiner Gerechtigkeit oder in der Hilfe seines täglichen Wirkens. So, wenn wir mit ganz reinem Geiste durchgehen, was er mit seinen Heiligen die einzelnen Geschlechter hindurch gethan; wenn wir mit zitternden Herzen bewundern seine Macht, mit der er Alles leitet, ordnet und regiert, und die Unermeßlichkeit seines Wissens und das Auge, welchem die Geheimnisse der Herzen sich nicht verbergen können; wenn wir den Sand des Meeres und die Zahl der Wellen, die er gezählt und erkannt hat, zagend bedenken; wenn wir staunend betrachten, wie die Tropfen des Regens, die Stunden und Tage der Jahrhunderte, wie alles Vergangene und Zukünftige seinem Wissen gegenwärtig ist; wenn wir seine unaussprechliche Milde betrachten, mit der er unzählbare Schandthaten, die jeden Augenblick vor seinem Angesichte begangen werden, mit unermüdeter Langmuth erträgt: wenn wir die Berufung erwägen, mit der er uns ohne vorausgegangene Verdienste durch die Gnade seines Erbarmens aufnahm; wenn wir endlich mit einem gewissen Entzücken der Bewunderung sehen, wie viele Gelegenheiten des Heiles er denen verliehen hat, die er als Kinder annehmen wollte: da er uns so geboren werden ließ, daß selbst von der Wiege an uns die Gnade und die Kenntniß seines Gesetzes überliefert wurde; da er, das Widerstrebende in uns selbst besiegend, nur für die Zustimmung des guten Willens uns mit ewiger Seligkeit und immerwährendem Lohne beschenkt; da er zuletzt den Rathschluß seiner Menschwerdung zu unserm Heile annahm und die Wunder seiner Heilsgeheimnisse bei allen Völkern verbreitete. Es gibt aber auch zahllose andere Betrachtungen dieser Art, die nach Beschaffenheit des Lebens und der Reinheit des Herzens in unserm Geiste entstehen, und durch welche Gott entweder mit reinem Blicke geschaut oder vor Augen behalten wird. Diese wird freilich Keiner immerwährend festhalten, in welchem noch Etwas von den fleischlichen Affekten lebt, denn der Herr sagt: „Du wirst mein Angesicht nicht sehen können; denn nicht wird mich ein Mensch sehen und leben,“ nemlich dieser Welt und den irdischen Leidenschaften.
16. Frage über die Beweglichkeit der Gedanken.
Germanus: Wie kommt es nun, daß auch ohne unsern Willen, ja sogar ohne unser Wissen so überflüssige Gedanken sein und heimlich sich anhängen, so daß es eine unmäßige Schwierigkeit ist, sie zu vertreiben, ja sie auch nur zu bemerken und zu entlarven? Kann also der Geist einmal von diesen frei erfunden und niemals mehr von derartigen Bethörungen angegriffen werden?
17. Antwort, was der Geist vermöge über den Zustand der Gedanken, und was er nicht vermöge.
Moyses: Daß der Geist nicht von Gedanken gestört werde, ist unmöglich; sie aber anzunehmen oder zu verwerfen, steht in der Macht eines Jeden, der sich eifrig bemüht. Wie also ihr Entstehen nicht ganz von uns abhängt, so steht es doch bei uns, sie zu billigen oder zu erwählen. Es ist also wegen unserer Behauptung, daß es für den Geist unmöglich sei, von Gedanken nicht angegriffen zu werden, nicht gleich Alles entweder dem Andrang oder jenen Geistern zuzuschreiben, welche dieselben uns einzugeben suchen, sonst würde das freie Wahlvermögen im Menschen nicht bleiben, und die thätige Sorge für unsere Besserung wäre nicht in unserer Gewalt; aber ich sage, es steht zum großen Theile bei uns, daß die Beschaffenheit der Gedanken verbessert werde, und daß entweder die heiligen und geistigen in unsern Herzen wachsen oder die irdischen und fleischlichen. Daher wird die häufige Lesung und die beständige Erwägung der hl. Schriften angewendet, damit uns dadurch Gelegenheit geboten sei, das Gedächtniß mit geistigem Inhalt zu erfüllen. Daher das häufige Absingen der Psalmen, damit uns dadurch eine beständige Zerknirschung nahe gelegt werde; daher der Fleiß, der im Wachen, Fasten und Beten angewendet wird, damit der ernüchterte Geist nicht am Irdischen Geschmack finde, sondern das Himmlische betrachte. Wenn Dergleichen bei einschleichender Nachläßigkeit wieder aufgegeben wird, so muß nothwendig der Geist, der mit dem Schmutze der Laster so eng verwachsen ist, sich bald auf die fleischliche Seite neigen und fallen.
18. Vergleichung der Wassermühle und der Seele.
Die Thätigkeit des Herzens wird nicht unpassend mit den ihr ähnlichen Mühlen verglichen, welche die rasche Strömung der Wasser wälzt in kreisendem Schwung. Diese freilich können keineswegs abstehen von ihrem Werk, da der Andrang des Wassers sie umgibt; aber es steht in der Macht des Geschäftsführers, ob er Weizen male, ob er Gerste oder Trespe 33 zermalme; denn ohne Zweifel muß ja das gemahlen werden, was von Demjenigen aufgelegt wurde, dem die Sorge für dieß Geschäft übertragen worden. So wird auch der Geist, der rings umtobt ist von dem Dränge des gegenwärtigen Lebens, wo von allen Seiten die Ströme der Versuchungen heranstürzen, nicht frei sein können von der Brandung der Gedanken; welche er aber zulassen oder sich erwecken solle, dafür wird er eben mit strebendem und eifrigem Fleisse sorgen. Denn wenn wir nach dem oben Gesagten beständig zu der Betrachtung der heiligen Schriften zurückeilen und unser Gedächtniß erheben zu der Erinnerung an geistige Dinge, zu dem Verlangen nach Vollkommenheit und zu der Hoffnung der künftigen Seligkeit, so ist die nothwendige Folge, daß die hiedurch entstehenden geistigen Gedanken den Geist in dem verweilen lassen, worüber wir nachgedacht haben. Wenn wir aber, von Trägheit und Nachläßigkeit überwunden, uns mit müßigen Schwätzereien und Lastern abgeben oder uns in weltliche Geschäfte und unnütze Sorgen verwickeln, so wird folgerichtig Etwas wie eine gewisse Art Unkraut entstehen und eine unserm Herzen verderbliche Wirksamkeit nahe legen; dann wird nach einem Ausspruch unsers Herrn und Erlösers nothwendig unser Herz dort weilen, wo der Schatz unserer Werke oder unserer Meinung ist.
19. Von den drei Quellen unserer Gedanken.
Das müssen wir in der That vor Allem wissen, daß es drei Quellen unserer Gedanken gebe, da sie von Gott, vom Teufel und von uns selbst kommen können. Von Gott nun, sind sie, wenn er, um uns zu einem höhern Fortschritt aufzurichten, sich würdigt, uns mit der Erleuchtung des hl. Geistes heimzusuchen, und uns mit gar heilsamer Zerknirschung straft, wenn wir in Etwas zu wenig erzielt haben oder lässig strebend überwunden worden sind; oder auch, wenn er uns himmlische Geheimnisse ausschließt und unsern Vorsatz und Willen zu bessern Handlungen wendet, wie damals. als König Assuerus, 34 vom Herrn gestraft 35, sich angetrieben fühlte, die Jahrbücher nachzusehen, durch die er an die Verdienste des Mardochäus erinnert wurde, den er nun auf die höchste Stufe der Ehre erhob und den so grausamen Befehl, das jüdische Volk hinzumorden, sogleich zurückrief. — Von derselben Quelle redet der Prophet, wenn er erwähnt: 36 „Ich will hören, was Gott der Herr in mir spricht.“ Auch ein Anderer sagt: „Und es sprach der Engel, der in mir redete.“ 37 So ist es ferner, wenn der Sohn Gottes verspricht, 38 er werde zugleich mit dem Vater kommen und Wohnung bei uns nehmen. Und wieder sagt er: 39 „Nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist eueres Vaters ist es, der in euch redet.“ Und das Gefäß der Auserwählung 40 sagt: „Suchet ihr eine Probe dessen, der in mir redet, Christi?“ — Vom Teufel aber kommt die Gedankenreihe, wenn er uns zu stürzen sucht sowohl durch den Reiz der Laster, als durch heimliche Nachstellungen, indem er mit der feinsten Schlauheit trügerisch das Böse als gut zeigt und sich für uns in einen Engel des Lichtes verwandelt. Oder auch, wenn der Evangelist berichtet: „Und nach dem Mahle, als der Teufel es schon dem Judas in’s Herz gegeben hatte, daß er den Herrn verrathe;“ und wieder: „Nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn.“ Auch Petrus sagt zu Ananias: 41 „Warum hat Satan dein Herz versucht, dem hl. Geiste zu lügen?“ So lesen wir auch im Evangelium, und lange vorher war es gesagt durch den Prediger: 42 „Wenn der Geist des Gewaltigen wider dich aufsteht, so weiche nicht von der Stelle!“ Ferner wird im dritten Buche der Könige gegen Achab 43 im Namen eines unreinen Geistes zu Gott gesagt: „Ich werde ausgehen und ein Lügengeist sein im Munde aller seiner Propheten.“ Von uns aber stammen die Gedanken, wenn wir in natürlicher Weise an Das denken, was wir thun oder gethan oder gehört haben. Von solchen sagt der hl. David: 44 „Ich denke der alten Tage und erwäge sinnend die Jahre der Urzeit; ich überlege Nachts in meinem Herzen und mühe mich ab und reinige meinen Geist.“ Und wieder: 45 „Der Herr kennt die Gedanken der Menschen, daß sie eitel sind.“ Im Evangelium aber sagt der Herr zu den Pharisäern: 46 „Was denkt Ihr Böses in eueren Herzen?“
20. Er lehrt mit dem Gleichnisse eines tüchtigen Geldwechslers, wie unsere Gedanken zu unterscheiden seien.
Diese dreifache Art müssen wir also beständig beachten und alle Gedanken, die in unserm Herzen aufsteigen, mit kluger Unterscheidung durchforschen, indem wir ihrem Entstehen, ihren Ursachen und Urhebern von Anfang an nachspüren, damit wir erwägen können, wie wir uns gegen sie zu verhalten haben gemäß dem Werthe Derjenigen, die sie uns eingaben, und damit wir so nach dem Gebote des Herrn tüchtige Wechsler werden. Diese haben die beste Erfahrung und Schule, zu Prüfen, was ganz reines Gold ist, feuererprobtes, wie man sagt, oder welches weniger durch die Läuterung des Feuers ausgebrannt ist; sie sind auch geübt, sich durch den ehernen werthlosen Denar, wenn er eine werthvolle Münze durch die Farbe des glänzenden Geldes nachahmen soll, bei ihrer so vorsichtigen Unterscheidung nicht täuschen zu lassen und nicht nur die Münzen, welche das Bild der Herrscher zeigen, richtig zu erkennen, sondern auch diejenigen mit noch größerer Gewandtheit herauszufinden, welche zwar mit dem Bilde des wahren Königs, aber nicht gesetzmäßig geprägt sind. Ferner pflegen sie durch die Entscheidung der Waage fleissig zu untersuchen, ob den Münzen nicht von ihrem gesetzlichen Gewichte Etwas genommen sei. Daß wir Dieß alles geistiger Weise beobachten sollen, lehrt uns das Wort des Evangeliums unter dem genannten Gleichnisse. Zuerst, daß wir, was immer sich in unser Herz geschlichen hat, oder was uns als Lehrsatz zugemuthet wird, auf das Sorgfältigste prüfen, ob es durch jenes göttliche und himmlische Feuer des heiligen Geistes gereinigt sei oder zu dem jüdischen Aberglauben gehöre oder der Aufgeblasenheit der weltlichen Philosophie entstamme und so nur auf der Oberfläche Frömmigkeit zeige. Das können wir einhalten, wenn wir uns nach jenem apostolischen Worte richten: „Glaubet nicht jedem Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind.“ 47 In dieser Hinsicht sind auch Jene getäuscht worden, welche nach Ablegung des Klostergelübdes sich anlocken ließen durch den Glanz der Rede und einige Lehrsätze der Philosophen, welche auf den ersten Blick die Zuhörer durch einen gewissen frommen und mit der Religion harmonirenden Sinn wie durch den Glanz des Goldes täuschen, aber die einmal durch den Schein Verlockten, gleichwie die durch eherne und falsche Münzen Betrogenen, für immer arm und elend machen, indem sie dieselben entweder in den Lärm der Welt zurückrufen oder zu häretischen Irrthümern und aufgeblasener Anmaßung verleiten. Das ist, wie wir im Buche Jesu Nave 48 lesen, auch dem Achan 49 widerfahren, der aus der Stadt der Fremdlinge eine goldene Stange gierig wünschte und stahl, und der dafür nach Verdienst mit dem Fluche geschlagen und mit ewigem Tode bestraft wurde. 50 Zweitens müssen wir sorgfältig aufmerken, daß nicht eine dem reinsten Golde der hl. Schrift beigefügte verkehrte Auslegung uns durch die Kostbarkeit des Metalles täusche. Darin suchte ja der schlaue Teufel selbst unsern Herrn und Erlöser wie einen bloßen Menschen zu betrügen, indem er Das, was allgemein von allen Gerechten zu verstehen ist, in boshafter Auslegung verdrehte und im Besondern auf den anzuwenden suchte, der des Schutzes der Engel nicht bedarf. „Er hat,“ sagt er, „seinen Engeln deinetwegen befohlen, daß sie dich beschützen auf allen deinen Wegen; auf den Händen werden sie dich tragen, damit du nicht je einmal an einen Stein stoßest deinen Fuß.“ 51
Indem er nemlich die kostbaren Aussprüche der hl. Schriften mit schlauer Auffassung wendet und sie zu einem gegentheiligen und schädlichen Sinne verdreht, damit er uns das Gepräge des Tyrannenbildes unter der Farbe des täuschenden Geldes entgegenhalte, sucht er uns entweder mit falschen Münzen zu betrügen, indem er zum Eifer für ein frommes Werk mahnt, das unter dem Vorwande der Tugend zum Laster führt, weil es nicht aus der gesetzlichen Münzstätte der Väter hervorgeht; oder er führt uns zu einem schändlichen Ende, indem er uns mit unmäßigem, ungehörigem Fasten oder mit zu langen Nachtwachen oder mit ungeordneten Gebeten und unangemessener Lesung täuscht. Auch überredet er uns, mit Vermittlungen und frommen Besuchen uns abzugeben, um uns durch dieselben von den geistlichen Schranken des Klosters und dem Stillschweigen der trauten Ruhe zu lösen, und gibt uns wieder ein, die Angelegenheiten und Sorgen frommer und verlassener Frauen auf uns zu nehmen, damit er durch solche Fesseln den Mönch unlösbar verstricke und durch die Last gefährlicher Sorgen zerstreue. Gewiß ist es auch vom Teufel, wenn er uns anreizt, das heilige Amt des Klerus zu verlangen, unter dem Vorwande der Erbauung Vieler und aus Liebe zu geistigem Gewinn, wodurch er uns aber nur von der Demuth und Strenge unseres Vorsatzes abkehren will. Obwohl all Dieß unserm Heile und unserm Berufe entgegen ist, so täuscht es doch unter der Hülle einer gewissen Barmherzigkeit und Frömmigkeit leicht die Unerfahrenen und Unvorsichtigen. Denn es ist ähnlich den Münzen des wahren Königs, weil es für den Anfang voll Frömmigkeit scheint, aber es ist nicht geprägt von den gesetzlichen Münzern, d. i. den bewährten und katholischen Vätern, und geht nicht hervor aus der Hauptund Amtswerkstätte ihres Unterrichts, sondern ist heimlich durch Teufelstrug gemacht und wird nicht ohne Nachtheil allen Unerfahrenen und Unwissenden in die Hände gespielt. Obwohl Dergleichen für den Augenblick nützlich und nothwendig scheinen mag, so ist es doch heilsam, es wie ein zwar nöthiges, aber Ärgerniß gebendes Glied von uns abzuschneiden und wegzuwerfen, wenn es auch den Dienst der rechten Hand oder des Fußes zu leisten scheint, sobald es den ächten Grundlagen unseres Berufes entgegen zu sein anfängt und gleichsam den ganzen Körper unseres vorgesteckten Zieles wanken zu machen. Denn es ist besser, ohne das Glied eines Gebotes, d. i. ohne jene Thätigkeit oder jenen Erfolg, im Übrigen gesund und fest zu dauern und gleichsam schwach in’s Himmelreich einzugehen, als mit der Stärke eines solchen Gebotes in ein Ärgerniß zu fallen, das durch eine verderbliche Gewohnheit uns von der Regel der Strenge und der Zucht des angenommenen Vorsatzes trennen und in einen solchen Verlust bringen würde, der keineswegs die künftigen Nachtheile ausgleichen, sondern alle früheren Früchte und die ganze Masse unseres Wirkens im Feuer der Hölle brennen machen würde. Von dieser Art der Täuschungen ist auch in den Sprüchwörtern 52 schön gesagt: „Es gibt Wege, welche dem Menschen recht scheinen, aber ihr Ende führt in die Tiefe der Hölle.“ Und wieder: 53 „Der Böse schadet, wenn er sich mit dem Gerechten verbindet,“ d. i. der Teufel betrügt, wenn er sich mit der Farbe der Heiligkeit bedeckt. „Er haßt aber die Stimme des Beschützers,“ d. i. die Macht der Klugheit, welche aus den Worten und Ermahnungen der Väter kommt.
21. Von der Täuschung des Abtes Johannes.
Ich habe erfahren, daß sich darin neulich auch der Abt Johannes, der in Lykon 54 wohnt, getäuscht hat. Denn als er mit erschöpftem und ermüdetem Körper in zweitägigem Fasten Speise und Trank zu nehmen aufgeschoben hatte, da kam, als er am nächsten Tage zur Erfrischung ging, der Teufel in Gestalt eines schwarzen Äthiopiers und sprach zu seinen Füßen niedergeworfen: „Vergib, daß ich dir diese Plage eingegeben habe.“ So sah also jener große und in der Weise der Unterscheidung so vollendete Mann ein, daß er unter dem Scheine dieser ungeziemend geübten Enthaltsamkeit durch die Schlauheit des Teufels hintergangen und durch ein solches Fasten abgehetzt worden sei, daß er dem ermüdeten Körper eine nicht nöthige, sondern dem Geiste sogar schädliche Ermattung auferlegt habe. So war er also getäuscht durch eine falsche Münze, weil er voll Verehrung für das Bild des wahren Königs auf ihr zu wenig untersuchte, ob sie auch gesetzmäßig geprägt sei. — Die letzte Weise nun eines solchen bewährten Geldwechslers, von der wir oben sagten, sie bestehe in der Prüfung des Gewichtes, wird von uns dann vollständig nachgeahmt werden, wenn wir, was immer die Gedanken uns zu thun eingeben, mit aller Genauigkeit wieder und wieder hernehmen, es auf unsere innerliche Waage legen und mit pünktlichster Abwägung untersuchen, ob es vollwiegend sei an öffentlicher Ehrbarkeit, schwer an Furcht Gottes, ganz an Sinn; ob es leicht sei an menschlicher Prahlerei oder irgendwelcher neuerungssüchtigen Anmaßung; ob das Gewicht seines Verdienstes nicht eitle Ehrsucht verkleinert oder Ruhmbegierde angefressen habe. Und so wollen wir es sofort in Vergleich bringen mit dem allgemeinen Probegewicht, d. i. mit den Handlungen und Zeugnissen der Propheten und Apostel, und dann entweder annehmen als vollwerthig und vollkommen und mit jenen im Gleichgewicht, oder wir wollen es als unvollkommen und schädlich und dem Gewichte Jener nicht entsprechend mit aller Vorsicht verwerfen.
22. Von der vierfachen Art der Unterscheidung.
Es wird uns also auf die vierfache Art, die wir genannt haben, diese Unterscheidung nöthig sein, nemlich zuerst, daß uns die Materie des ächten oder des gefärbten und täuschenden Goldes nicht unbekannt sei, zweitens, daß wir eben diese Gedanken, die uns Werke der Frömmigkeit vorgaukeln, zurückweisen als falsche, ungesetzliche Münzen, die nemlich fälschlich das Bild des Königs enthalten, da sie nicht gesetzmäßig geprägt sind. Ferner sollen wir jene, welche in dem kostbarsten Golde der hl. Schrift bei ihrer schändlichen und häretischen Auslegung nicht das Bild des wahren Königs, sondern das eines Tyrannen tragen, gleichfalls unterscheiden und verwerfen können; oder wir sollen jene, deren Gewicht und Werth der Rost der Eitelkeit angenagt hat und sie so dem Probegewichte der Väter nicht mehr gleichkommen läßt, als leichte und schadenbringende und zu wenig wiegende Münzen zurückweisen, damit uns nicht begegne, was wir nach dem Gebote des Herrn mit aller Kraft vermeiden sollen, und wir um alles Verdienst und allen Lohn unserer Mühen betrogen werden. „Sammelt euch nicht,“ sagt er, „Schätze für die Erde, wo Rost und Motten sie verzehren, und wo Diebe sie ausgraben und stehlen können.“ 55 Denn wir sollen wissen, daß wir nach dem Worte des Herrn all’ das nur für die Erde sammeln, was wir aus Rücksicht auf Menschenruhm thun; und also ist es gleichsam im Boden verborgen oder in der Erde vergraben oder den verschiedenen Dämonen preisgegeben zur Verwüstung, dem gefräßigen Roste der Ehrsucht oder den Motten des Hochmuthes zur Verzehrung, so daß es zu keinem Nutzen und Vortheil des Verbergenden gereicht. Es müssen also alle Winkel unseres Herzens beständig durchsucht und die Spuren dessen, was in sie hineinsteigt, mit klügster Nachforschung immer beachtet werden, damit dort nicht vielleicht irgend eine geistige Bestie, ein Löwe oder Drache durchkomme und die verderblichen Spuren heimlich eindrücke, durch welche auch den Andern der Zugang in die Tiefen des Herzens bei der Vernachlässigung der Gedanken geöffnet würde. Wenn wir so alle Stunden und Augenblicke die Erde unseres Herzens mit dem evangelischen Pfluge, d. i. mit der beständigen Erinnerung an das Kreuz unseres Herrn, durchfurchen, so werden wir aus uns bald die Schlupfwinkel schädlicher Bestien, bald die Nester giftiger Schlangen berausreissen und hinausstoßen können.
23. Der Lehrer redet, wenn es die Zuhörer verdienen.
Als der Greis uns darüber erstaunt und bei den Worten seiner Rede von unersättlicher Begierde entflammt sah, hielt er unsere Sehnsucht bewundernd ein wenig mit dem Vortrag inne und fügte dann wieder bei: Weil denn, Söhne, euer Eifer uns zu einer so langen Unterredung veranlaßt hat und ein gewisses Feuer unserer Besprechung glühendere Sinne leiht in Folge eurer Begierde, so daß ich eben daraus offenbar sehe, wie ihr in Wahrheit nach der Lehre der Vollkommenheit dürstet, so will ich euch noch über die Vortrefflichkeit der Klugheit 56 oder über eine Gnade, welche den höchsten und ersten Rang unter allen Tugenden einnimmt, Einiges auseinandersetzen und ihre Herrlichkeit und Nützlichkeit nicht nur durch die täglichen Beispiele, sondern auch durch die alten Reden und Sprüche der Väter beweisen. Denn ich erinnere mich, daß oft, wenn Einige eine Unterredung hierüber mit Seufzen und Thränen erbaten und ich ihnen einige Lehren mittheilen wollte, ich Dieß durchaus nicht konnte, da mir nicht nur die Kraft der Einsicht, sondern auch die des Wortes so schwand, daß mir nicht beifiel, wie ich sie auch nur mit ein wenig Trost entlassen konnte. Das ist ein klarer Beweis, daß die Gnade des Herrn den Redenden das Wort eingibt je nach dem Verdienste und Verlangen der Hörenden. Da nun der übrige gar kurze Theil der Nacht für unsere Darstellung nicht auszureichen vermag, so wollen wir denselben lieber der Ruhe des Körpers widmen, der ganz sich auflösen müßte, wenn man ihm auch das Wenige verweigern würde, und wir wollen die ganze Entwicklung des Themas für die unverkürzte Untersuchung des kommenden Tages oder der Nacht aufsparen. Das ziemt, sich ja für gute Lehrer der Klugheit, daß sie zuerst darin die Fertigkeit ihrer Einsicht offenbaren, und ob sie jener Tugend fähig sind oder sein können, durch Geduld und dieses Anzeichen bewähren, daß sie von jener Tugend handelnd, welche die Mutter der Mäßigung ist, durchaus nicht in das Laster der Übertreibung fallen, das jener entgegen ist. So würden sie das innerste Wesen und die Natur jener, die sie mit Worten pflegen, in That und Wirklichkeit verletzen. Darin also soll uns die gute Gabe der Klugheit, über welche wir, soweit es der Herr verleihen mag, noch untersuchen wollen, zuerst nützen, daß sie uns nicht erlaubt, das Maß der Unterredung oder der Zeit zu überschreiten, da wir ja gerade über ihre Vortrefflichkeit und die Mäßigung, welche als erste ihr inwohnende Tugend erkannt wird, uns besprechen wollen. Mit diesen Worten nun die Unterredung endend ermahnte Moyses uns, die wir noch voll Begierde an seinem Munde hiengen, ein wenig zu schlafen, und wies uns an, gleich auf dieselben Psiathien (Matten), auf denen wir saßen, zu liegen, nachdem Embrimien (Polster) statt der Kopfkissen unter unser Haupt gelegt waren, die man aus gröberem Papyrus in lange und schlanke Bündel zusammengepaßt hatte. Diese bieten, in Fußes Höhe gleich zusammengebunden, den Brüdern, die beim Mahle sitzen, einen niedern Sitz nach Weise eines Schemels; dann aber wieder, unter den Nacken der Schlafenden gelegt, gewähren sie dem Haupte eine nicht zu harte, sondern nachgiebige und geeignete Stütze. Man hält sie deßhalb für so günstig und passend zum Gebrauche der Mönche, weil sie erstens etwas weich sind und mit wenig Mühe und Geld zu verschaffen, da ja überall an den Ufern des Nil der Papyrus herauswächst, den Jeder, der will, zum Gebrauche unbehindert abschneiden darf; zweitens, weil sie zum Hinund Herlegen, je nachdem es nöthig ist, sehr handsamen Stoffes und leichter Natur sind. Und so ließen wir uns endlich durch das Gebot des Greises zum Schlafen bestimmen, mit Mühe ruhend, theils wegen unserer begeisterten Freude über die entwickelte Unterredung, theils wegen der gespannten Erwartung der versprochenen Untersuchung.