Читать книгу Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus - Страница 9

Vierte Unterredung

Оглавление

welche die mit Abt Daniel ist über die Begierlichkeit des Fleisches und des Geistes.


1. Über Abt Daniel.

Unter den übrigen Männern von christlicher Lebensweisheit sehen wir auch den Abt Daniel, ebenbürtig in jeder Art der Tugend denen, die in der scythischen Wüste weilten, aber besonders geschmückt mit der Gnade der Demuth. Wegen seiner Reinheit und Sanftmuth erhielt er von dem hl. Paphnutius, dem Presbyter dieser Einöde, den Vorzug für das Amt des Diakons, obwohl er Vielen an Alter nachstand. Denn so sehr war der hl. Paphnutius erfreut über seine Tugenden, daß er sich beeilte, einen Mann, den er an Verdienst und Gnade sich gleich fand, auch im Range des Priesterthums sich gleichzustellen. Er konnte es nemlich durchaus nicht ertragen, daß derselbe länger in einem niedrigern Dienste bleibe, und in dem Wunsche, sich einen recht würdigen Nachfolger zu verschaffen, brachte er, der Jenen überleben mußte, ihn zur Würde des Priesterthums.“ 160

Dieser jedoch gab seine gewohnte Demuth nicht auf und erlaubte sich in Gegenwart Jenes nie die Bethätigung seiner neuen hohen Würde, sondern blieb immer, wenn Abt Paphnutius das geistige Opfer darbrachte, als Diakon in der Verrichtung des vorigen Dienstes. In Betreff Daniels aber hatte den gottseligen Paphnutius, obwohl er ein so herrlicher und großer Mann war, daß er unter vielen Gnaden auch die des Vorherwissens besaß, doch seine Wahl und die Hoffnung auf einen Stellvertreter getäuscht. Denn kurze Zeit nachher mußte er diesen, den er sich zum Nachfolger hergerichtet hatte, zu Gott vorausgehen lassen.

2. Frage, woher die plötzliche Veränderung der Geister komme, von unaussprechlicher Freude bis zur tiefsten Niedergeschlagenheit des Gemüthes.

Diesen gottseligen Daniel also befragten wir über den Grund des folgenden Zustandes: Wir sitzen oft in der Zelle voll solcher Heiterkeit des Herzens, mit einer gewissen unaussprechlichen Freude und überschwellendem Reichthum der geheimnißvollsten Erfahrungen, so daß nicht einmal das Gefühl all dem nahe kommen, geschweige denn die Darstellung in Worten folgen könnte. Das Gebet ist dann rein und leicht zu üben, und der Geist, voll von Früchten seiner Art, merkt, daß seine Bitten, selbst wenn er im Schlafe betet, wirksam und wie im Fluge zu Gott gelangen. Aber ein ander Mal werden wir ohne Ursache plötzlich von solcher Angst erfüllt und von einer gewissen unerklärlichen Traurigkeit gedrückt, daß wir nicht nur fühlen, wie wir selbst durch diese Stimmung austrocknen, sondern wie auch die Zelle voll Schauer, die Lesung voll Eckel ist, und wie selbst unser Gebet unstät, schwankend und wie im Rausche hervorkömmt, so daß trotz unserer Seufzer und Plage der Geist zu der früheren Richtung nicht zurückgeführt werden kann. Mit je mehr Anstrengung derselbe zum Hinblick auf Gott zurückgeführt wird, desto heftiger wird er im leichten Ausgleiten zu den unstäten Abschweifungen hingerissen. Und so leer wird er dann von aller geistlichen Frucht, daß er weder durch die Vorstellung der Himmelssehnsucht noch der Höllenschrecken aus diesem todesähnlichen Schlafe geweckt werden kann. Woher Dieß alles? Er antwortete also:

3. Antwort auf die vorgelegte Frage.

Ein dreifacher Grund ist uns von den Vorfahren für diese genannte Unfruchtbarkeit des Geistes angegeben. Entweder kommt sie von unserer Nachlässigkeit oder von der Anfechtung des Teufels oder auf Anordnung Gottes zu unserer Prüfung. Von unserer Nachlässigkeit kommt sie, wenn wir aus eigener Schuld zuvor in Lauigkeit fielen, uns unvorsichtig und zu bequem verhielten und mit Feigheit und Trägheit schädlichen Gedanken ergeben auf der Erde unseres Herzens Dornen und Disteln sprossen ließen; wenn diese hervorkeimen, so werden wir nothwendig unfruchtbar und leer von aller geistlichen Frucht und Beschauung. — Die Anfechtung des Teufels ist schuld, wenn wir zuweilen selbst unter guten Bestrebungen durch diesen Gegner, der mit seiner Schlauheit in unsern Geist eindringt, ohne unser Wissen oder gegen unsern Willen von den besten Meinungen abgezogen werden.

4. Daß es für die Anordnung und Prüfung Gottes eine doppelte Ursache gebe.

Für die Anordnung aber und Prüfung des Herrn gibt es einen zweifachen Grund. Der erste ist, daß wir in dieser kurzen Verlassenheit von ihm die Schwäche unseres Geistes demüthig einsehen und uns ja nicht überheben wegen der frühern Herzensreinheit, die uns durch seine Heimsuchung geschenkt war, sondern daß wir aus Erfahrung einsehen, wie wir verlassen von ihm durch unser Seufzen und Ringen jenen Zustand der Freude und Reinheit nicht wieder erlangen können, weil ja die vorige Heiterkeit des Herzens uns nicht durch unser Streben, sondern durch Gottes Herablassung zugekommen war und wir also ihre Gegenwart wieder von seiner Gnade und Erleuchtung erstehen müssen. — Der zweite Grund der Prüfung aber ist, daß unsere Beharrlichkeit oder die Standhaftigkeit unseres Geistes und unsere Sehnsucht auf die Probe gestellt werde und sich zeige, mit welcher Herzensmeinung und welcher Ausdauer im Gebete wir die uns verlassende Heimsuchung des hl. Geistes wieder zu erlangen streben. Ferner sollen wir in der Erkenntniß, wie schwer diese einmal Verlorne geistige Freude und reine Fröhlichkeit wieder zu erlangen ist, bestrebt sein, die gefundene um so sorgfältiger zu bewachen und um so kräftiger festzuhalten. Denn was man leicht wieder erwerben zu können glaubt, das pflegt doch wohl nachlässiger bewahrt zu werden.

5. Daß unser Streben und Thun ohne die Hilfe Gottes Nichts vermöge.

Hiedurch wird unwiderleglich bewiesen, daß die Gnade und Barmherzigkeit Gottes immer Das, was gut ist, in uns wirke; daß ferner, wenn sie uns verläßt, das Streben des Ringenden Nichts vermöge und der Eifer des noch so sehr sich anstrengenden Gemüthes ohne seine neue Hilfe den frühern Stand nicht wieder erlangen könne. Daß aber diese Hilfe uns beständig im Vollmaaße zu Theil werde, das ist nicht Sache des Wollenden und Laufenden, sondern der Erbarmung Gottes 161 Ja diese Gnade verschmäht es zuweilen nicht einmal, selbst Nachlässige und Ungebundene mit der besagten hl. Einflößung und diesem Überflusse geistiger Gedanken heimzusuchen, sondern inspirirt Unwürdige, weckt Schlafende, erleuchtet die mit blinder Unwissenheit Behafteten und tadelt und züchtigt uns milde, sich eingießend in unseren Herzen, damit wir wenigstens so von ihr getroffen und erregt Mahnung genug hätten, von dem Schlafe der Trägheit uns zu erheben. Endlich werden wir gerade bei diesen plötzlichen Heimsuchungen häufig auch von übersüßen Wohlgerüchen erfüllt, die alle Mischung menschlicher Kunst übertreffen, so daß der Geist in dieser Wonne aufgelöst, in eine gewisse Entzückung hingerissen wird und vergißt, daß er noch im Fleische weile.

6. Daß es uns nützlich sei, zuweilen von Gott verlassen zu werden.

So sehr nun erkannte der hl. David dieses besagte Zurückweichen oder, um mich so auszudrücken, diese Flucht Gottes als eine uns nützliche, daß er keineswegs Gott bitten will, durchaus in keiner Weise verlassen zu werden. Denn er wußte, daß Dieß weder ihm noch der menschlichen Natur entsprechend sei, wenn sie zu irgend einer Vollkommenheit gelangen wolle; er bittet nur um Milderung und sagt: 162 „Verlaß mich nicht ganz und gar!“ Das heißt mit andern Worten: Ich weiß, daß du deine Heiligen in heilsamer Weile zu verlassen pflegst, um sie zu prüfen; denn sie können sonst von ihrem Widersacher nicht versucht werden, wenn sie nicht ein wenig von dir verlassen sind; darum bitte ich nicht, daß du mich nie verlassest; denn es ist mir nicht zuträglich, wenn ich nie, meine Schwäche fühlend, sagen kann: 163 „Gut ist mir’s, daß du mich gedemüthigt hast,“ — oder wenn ich keine Übung habe im Kampfe, die ich ohne Zweifel nicht haben kann, wenn mir immer und ununterbrochen zugegen ist der göttliche Schutz. Denn den Schützling deines vertheidigenden Armes wird der Teufel nicht zu versuchen wagen, sondern wird entweder mir oder dir vorhalten oder vorwerfen, was er gegen deine Kämpfer mit seiner verläumderischen Zunge vorzubringen pflegt: 164 „Dient etwa Job umsonst seinem Gott? Hast du nicht ihn und sein Haus und seine ganze Habe rings wie mit einem Walle umgeben?“ O ich bitte mehr darum, daß du mich nicht gar zu sehr verlassest, was im Griechischen heißt: μέχρι πρὸς ἀγαντεῖον, d. i. bis zum Übermaaß. Denn so nützlich es mir ist, wenn du dich ein wenig von mir zurückziehst, damit sich die Standhaftigkeit meines Verlangens erprobe, so schädlich ist es mir, wenn du zugibst, daß ich gar zu sehr verlassen werde, wie ich wohlverdient und verschuldet hätte. Es kann ja keine menschliche Kraft, wenn sie zu lange in der Versuchung deiner Hilfe entbehrt, durch ihre eigene Standhaftigkeit ausdauern, ohne alsbald durch die Macht und die Umtriebe ihres Widersachers zu erliegen, wenn nicht du selbst, der du die menschlichen Kräfte kennst und die Kämpfe milderst, die Versuchung hinderst, welche unsere Kraft überschreitet; ja wenn nicht du zugleich mit der Versuchung auch den Ausweg gibst, daß wir sie ertragen können. 165 Etwas Ähnliches von geheimnisvollem Sinn lesen wir im Buch der Richter 166 über die Vertreibung jener Völker von geistiger Bedeutung, die Israel anfeinden: 167 „Dieß sind die Völker, welche der Herr übrig ließ, um durch sie Israel zu üben und ihm die Gewohnheit des Kampfes mit Feinden zu verschaffen.“ Und wieder gleich darauf: „Und es ließ sie der Herr, um an ihnen Israel zu prüfen, ob es auf die Gebote des Herrn höre, die er den Vätern durch die Hand des Moses gegeben, oder nicht.“ Diesen Kampf hatte jedenfalls Gott nicht deßhalb übrig gelassen, weil er Israel die Ruhe nicht gönnte oder schlecht für dasselbe sorgte, sondern weil er wußte, daß derselbe Israel sehr nützlich sei, damit es in der beständigen Bedrängniß wegen der Angriffe dieser Völker nie glaube, der Hilfe des Herrn entbehren zu können. So sollte es immer im Andenken und Anrufen Gottes verharren und weder in Trägheit erschlaffen noch die Erfahrung im Kriege und die Übung der Tapferkeit verlieren. Denn oft schon fielen Die, welche das Unglück nicht überwinden konnte, durch Sorglosigkeit und Glück.

7. Von der Nützlichkeit jenes Kampfes, den der Apostel in den Widerstreit des Fleisches und Geistes setzt.

Daß dieser Kampf in nützlicher Weise auch in unsere Glieder gelegt sei, lesen wir beim Apostel so geschildert: 168 „Denn das Fleisch begehrt wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese also bekämpfen sich gegenseitig, so daß ihr nicht thuet, was ihr gerade immer wollt.“ Da hast du also auch hier den Kampf gleichsam im Eingeweide unseres Leibes nach dem Walten der göttlichen Anordnung. Denn wenn Etwas allgemein und ohne jede Ausnahme Allen innewohnt, was kann man dann anders denken, als daß es dem menschlichen Wesen selbst nach dem Falle des ersten Menschen gleichsam von Natur aus zugetheilt sei? Und wenn Etwas Allen angeboren und eingewachsen sich zeigt, wie sollte man nicht glauben, daß es durch den Willen des Herrn, der nicht schaden, sondern fürsorgen will, eingepflanzt sei? 169 Als Grund nun dieses Krieges zwischen Fleisch und Geist verzeichnet der Apostel folgenden: „so daß ihr nicht thuet, was ihr nur immer wollt.“ 170 Was also Gott zu verhüten suchte, wofür kann Dieß anders gehalten werden, als für schädlich? Und so ist immerhin dieser Kampf, den uns Gottes Anordnung einpflanzte, nützlich und ruft und treibt uns in einen bessern Zustand, während im Gegentheil ohne ihn gewiß ein verderblicher Friede folgen würde.

8. Frage, wie denn in dem Capitel des Apostels nach den unter sich streitenden Begierden des Fleisches und des Geistes ein dritter Wille beigefügt werde.

Germanus: Obgleich uns eine gewisse Einsicht in den Ausspruch des Apostels aufzuleuchten beginnt, so wünschen wir doch, weil wir ihn nicht ganz durchschauen, noch eine vollständigere Erklärung zu hören. Denn von drei Dingen scheint hier die Rede zu sein: Zuerst vom Kampfe des Fleisches gegen den Geist; dann vom Verlangen des Geistes wider das Fleisch, und drittens von unserm Willen, der wie in der Mitte steht, und von dem es heißt, daß ihr nicht thut, wie ihr immer wollt. Das ist der Punkt, über den wir zwar aus dem schon Gegebenen einige Vermuthungen des Verstandes zusammenstellen, jedoch, da sich nun einmal diese Gelegenheit zur Unterredung bot, gerne etwas mehr aufgeklärt werden möchten.

9. Über den Verstand Dessen, der richtig fragt.

Daniel: Es ist Sache des Verstandes, die Theile und Umrisse der Fragen zu unterscheiden, und der größte Theil des Verständnisses ist schon erreicht, wenn man weiß, wo es noch fehlt. Deßhalb heißt es: „Dem unwissenden Frager wird Weisheit zugeschrieben.“ 171 Denn obwohl der Fragende die Bedeutung der vorgelegten Frage nicht kennt, so wird ihm doch gerade seine kluge Frage und die Einsicht, daß er nicht einsieht, als Weisheit angerechnet, eben weil er klug erkannt hat, wo es ihm fehle. Nach eurer Theilung also scheinen von dem Apostel an dieser Stelle drei Punkte genannt zu werden, das Begehren des Fleisches wider den Geist und des Geistes wider das Fleisch, deren gegenseitiger Kampf als Ursache und Grund zu haben scheint, daß wir nicht Das sollen thun können, was wir wollen. Es ist also ein Viertes noch vorhanden, was ihr gar nicht bemerkt habt, nemlich die Ursache, daß wir Das thun, was wir nicht wollen. Wir müssen also zuerst die Bedeutung der beiden Begierden, also des Fleisches und Geistes, erkennen und werden dann zu untersuchen vermögen, was es um unsern Willen sei, der zwischen beiden liegt; endlich werden wir gleichfalls unterscheiden, was nicht Sache unseres Willens sein könne.

10. Daß das Wort „Fleisch“ nicht in einer Bedeutung gebraucht werde.

Das Wort Fleisch lesen wir in den hl. Schriften in verschiedener Bedeutung. Denn zuweilen bezeichnet es den ganzen Menschen, also wie er aus Seele und Leib besteht, z. B. in der Stelle: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ und: „Alles Fleisch wird das Heil unseres Gottes schauen.“ 172 Oft wird es von den sündigen, fleischlich gesinnten Menschen gebraucht, z. B.: 173 „Nicht wird bleiben mein Geist bei diesen Menschen, weil sie Fleisch sind.“ Manchmal steht es statt des Wortes Sünde, z. B.: „Ihr aber seid nicht im Fleische, sondern im Geiste;“ 174 und wieder: 175 „Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht besitzen.“ Dann folgt: „Und die Verwesung wird nicht die Unverweslichkeit in Besitz nehmen.“ Zuweilen bezeichnet es die Verwandtschaft und Angehörigkeit, wie: 176 „Siehe, wir sind dein Bein und dein Fleisch;“ und beim Apostel: 177 „Ob ich wohl zur Nacheiferung brächte mein Fleisch (die Verwandten) und Einige von ihnen retten würde.“ Wir müssen also untersuchen, in welcher der vier Bedeutungen wir das Wort Fleisch hier zu nehmen haben. Es ist aber offenbar, daß es nach jener, in der es heißt: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ oder: „Und alles Fleisch wird das Heil unseres Gottes schauen“ hier durchaus nicht stehen könne; aber auch nicht nach jener zweiten Bedeutung, in der gesagt ist: „Nicht wird bleiben mein Geist“ &c.; denn es ist nicht ebenso schlechthin von dem sündigen Menschen gebraucht, wenn gesagt wird: „Das Fleisch begehrt wider den Geist“ &c. Er spricht ja nicht von den Substanzen, sondern von den Thätigkeiten, die in einem und demselben Menschen entweder zugleich oder einzeln mit Zeitwechsel und Veränderung sich bestreiten. 178

11. Was an dieser Stelle vom Apostel Fleisch genannt werde, und was die Begierde des Fleisches sei.

Deßhalb müssen wir hier unter Fleisch nicht den Menschen, d. i. die Substanz des Menschen, sondern den Willen des Fleisches und seine argen Begierden verstehen, wie wir auch unter Geist nicht irgend eine Substanz, sondern die guten und geistigen Begierden der Seele zu meinen haben. Diesen Sinn drückte ebenderselbe hl. Apostel oben deutlich aus, indem er so schrieb: 179 „Ich sage aber: wandelt im Geiste, und so thuet ihr nicht des Fleisches Begehren; denn das Fleisch begehrt wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; denn diese sind einander entgegen, daß ihr nicht thuet, was ihr gerade wollet.“ Da also beides Begehren, nemlich des Fleisches und des Geistes, in einem und demselben Menschen ist, so gibt es täglich einen innern Krieg in uns, indem die Begierlichkeit des Fleisches, die jählings zum Laster gezogen wird, sich an den Lüsten freut, die zum ruhigen Genuß der Gegenwart gehören. Dieser nun ganz widerstrebend verlangt die Begierde des Geistes, so vollständig geistigen Strebungen nachzuhängen, daß sie selbst die nöthigsten Bedürfnisse des Leibes auszuschließen wünscht, voll Verlangen, sich jenen beständig so sehr hinzugeben, daß sie der leiblichen Gebrechlichkeit durchaus keine Sorgfalt angedeihen lassen will. Das Fleisch freut sich an Üppigkeit und Geilheit, der Geist hält sich nicht einmal bei den naturgemäßen Wünschen auf. Jenes will sich faltigen mit Schlaf, sich anfüllen mit Speise; dieser wird so durch Wachen und Fasten befriedigt, daß er nicht einmal für den nothwendigen Bedarf des Lebens Schlaf und Speise zulassen will. Jenes wünscht Überfluß zu haben an allen Reichthümern; dieser ist zufrieden, wenn es ihm nicht einmal täglich ein kleines Brod trägt. Sich in Bädern glänzend rein zu machen verlangt jenes, und täglich von ganzen Schaaren der Schmeichler umdrängt zu werden; dieser aber freut sich an rauhem Schmutz und an der Öde der unzugänglichen Wüste und flieht die Gegenwart eines jeden Menschen. Jenes sonnt sich an Ehre und Menschenlob, dieser aber ist erfreut über die ihm zugefügten Verfolgungen und Beleidigungen.

12. Was unser Wille sei, der zwischen dem Begehren des Fleisches und Geistes liegt.

Zwischen diesen beiden Begierlichkeiten steht also der Wille der Seele in einer gewissen tadelnswertheren Mitte und hat weder Freude an der Schändlichkeit der Laster, noch verharrt er bei den Leiden der Tugenden, indem er so die fleischlichen Leidenschaften zu mäßigen sucht, daß er keineswegs die nothwendigen Leiden aushalten will, ohne welche man die Begierden des Geistes nicht haben kann. So will er ohne Kasteiung des Fleisches die Keuschheit des Leibes besitzen, ohne die Mühe des Wachens zur Reinheit des Herzens kommen, in der Ruhe des Fleisches an geistlichen Tugenden Überfluß haben, ohne jegliche rauhe Schmährede die Gnade der Geduld besitzen, die Demuth Christi ohne Verlust der weltlichen Ehre üben, die Einfalt der Religion erreichen und die Umtriebe der Welt nicht lassen. Christo mit dem Beifall und der Gunst der Menschen dienen und die Strenge der Wahrheit vortragen, ohne Jemand auch nur im Geringsten zu beleidigen. Kurz, er will die künftigen Güter so erreichen, daß er die gegenwärtigen nicht verliere. Dieser Wille ließe uns nie zur wahren Vollkommenheit gelangen, sondern würde uns in eine schändliche Lauigkeit versetzen und denen ähnlich machen, welche in der Apokalypse mit dem Vorwurf des Herrn gestraft werden: 180 „Ich kenne deine Werke, daß du weder warm noch kalt bist; wärst du doch kalt oder warm; nun aber, da du lau bist, will ich beginnen dich auszuspeien aus meinem Munde;“ wenn nicht anders diesen Zustand arger Lauigkeit jene sich in uns erbebenden Kämpfe durchbrechen. Denn wenn wir uns im Dienste unseres Willens ein wenig zu einer solchen Gemächlichkeit nachgeben wollen, da erheben sich gleich die Stachel des Fleisches, verwunden uns mit ihren Lastern und Leidenschaften und lassen uns durchaus nicht in dieser angenehmen Art von Reinheit bestehen, sondern ziehen uns zu der verhaßten Lust der Kalten und auf einen dornenvollen Weg. Dann wieder, wenn wir in geistiger Gluth entbrannt die Werke des Fleisches ganz austilgen wollen und uns in der Überhebung des Herzens ohne jede Rücksicht auf die menschliche Gebrechlichkeit ganz an unmäßige Tugendübungen hinzugeben suchen: ruft uns die Schwäche des Fleisches mit ihrem Widerspruch von dieser tadelnswerthen Übertreibung des Geistes zurück und legt uns ihren Hemmschuh an. So geschieht es, daß bei dem gegenseitigen Widerspruch und Kampf der beiden Begierlichkeiten der Wille der Seele, der sich weder ganz den fleischlichen Lüsten ergeben noch in den Mühen der Tugend sich heiß machen will, gewissermaßen durch ein gerechtes Maaß geordnet wird, da dieser wechselseitige Streit jenen verderblichen Willen ausschließt, und gleichsam ein Billigkeitsgewicht auf der Waage unsers Körvers liegen läßt, welches die Grenzen des Geistes und Fleisches in gerechter Prüfung bestimmt und weder den von innerer Gluth entflammten Geist nach rechts, noch das von den Stacheln der Laster getriebene Fleisch nach links überwiegen läßt. Indem dieser Kampf täglich zu unserm Besten in uns angefacht wird, sind wir in heilsamer Weise getrieben, zu jenem Vierten zu kommen, das wir nicht wollen, daß wir nemlich die Reinheit des Herzens nicht mit Muße und Sorglosigkeit, sondern in beständiger heisser Anstrengung und Zerknirschung des Geistes erreichen und die Keuschheit des Leibes mit strengem Fasten, Hunger, Durst und Wachen bewahren: daß wir ferner die Sammlung des Herzens mit Lesung, Wachen, beständigem Gebet und rauher Einsamkeit erfassen, die Geduld durch Übung in der Trübsal wahren, unserm Schöpfer unter Lästerungen und Fülle der Schmach dienen, die Wahrheit zur Geltung bringen, wenn es nöthig ist, trotz der Mißgunst dieser Welt und ihrer Feindseligkeiten. So mag; indem wir durch diesen in unserm Körper drängenden Kampf abgezogen werden von feiger Sorglosigkeit und angetrieben zu jenem Ringen und Tugendstreben, das wir wollen, die rechte Miite am besten bewahrt werden, und soll von der einen Seite die Gluth des Geistes, von der andern die eisige Erstarrung des Fleisches unsere zur Lauheit geneigte Freiheit mit gemäßigter Wärme ordnen. Es dulde weder die Begierlichkeit des Geistes, daß er zu zügellosen Lastern herabgezogen werde, noch gestatte die Gebrechlichkeit des Fleisches, daß der Geist in unvernünftigem Verlangen nach Tugenden sich überhebe, damit nicht von dort aus die Keimstätten aller Laster ihre Brut hervorbringen oder von hier aus unsere Hauptkrankheit auftauche und uns mit dem gefährlichern Pfeile des Hochmuths durchbohre. Also die richtige Ausgleichung durch diesen Kampf muß folgen und den gesunden, maßvollen Weg zwischen beiden Tugenden bewahren, lehrend, wie der Streiter Christi auf dem königlichen Wege einhergehen müsse. Wenn dann auch der Geist gemäß der Lauheit des genannten so feigen Willens sich zu sehr zu den Begierden des Fleisches herabgeneigt hat, so wird er durch das geistige Begehren, das sich durchaus nicht bei den irdischen Lastern beruhigt, wieder gezügelt; andererseits wenn unser Geist in unmäßigem Eifer durch die innere Ausschweifung zum Unmöglichen und Unüberlegten fortgerissen wird, so dürfte er durch die Schwäche des Fleisches zu billiger Prüfung zurückgezogen werden und den Stand der Lauigkeit unseres Willens überschreitend durch die passendste Mäßigung und auf ebenem Pfade im Schweiße feines Eifers auf dem Wege der Vollkommenheit einhergehen. Etwas Ähnliches lesen wir auch im Buche der Genesis von Gott verfügt bei der Erbauung jenes Thurmes, wo die plötzlich entstandene Verwirrung der Sprachen den sakrilegischen und gottlosen Wagnissen der Menschen einen Zügel anlegte. Denn es wäre auch dort gegen Gott, ja selbst zum Schaden eben Derjenigen, welche angefangen hatten, die göttliche Majestät herauszufordern, die Übereinstimmung nur mit Gefahr geblieben, wenn jene nicht auf Anordnung Gottes die widerspruchsvolle Verschiedenheit der Sprache und Uneinigkeit der Rede gezwungen hätte, nach einem bessern Zustande zu streben, und wenn also nicht Diejenigen, welche die gefährliche Einigkeit bis zur Selbstvernichtung ermuthigt hatte, eine gute und heilsame Uneinigkeit zum Heile zurückgeführt hätte. Sie fiengen nemlich jetzt, da die Trennung eintrat, an, die menschliche Armseligkeit zu merken, welche sie vorher im Übermuth ihrer schädlichen Verbindung nicht kannten.

13. Über die Nützlichkeit der Verzögerung, welche [Seitenwechsel, d. Bearb.] aus dem Kampfe des Fleisches und Geistes entsteht.

Aus dem Kampfe dieses Unterschiedes entsteht uns insofern eine nützliche Verzögerung und ein heilsamer Aufschub aus dem Streite, als wir durch den Widerstand des schwerfälligen Körpers von der Durchführung dessen, was wir boshaft ausgedacht haben, zurückgehalten und dann zuweilen zu einer bessern Gesinnung bestimmt werden, sei es durch die nachfolgende Reue oder durch eine gewisse gute Sinnesänderung, die aus dem Aufschub der Handlung und dem nochmaligen Nachdenken zu folgen pflegt. Wir sehen ja, daß Diejenigen, welche, wie wir wissen, in der Ausführung ihrer Willensneigungen durch kein Hinderniß des Fleisches aufgehalten werden, nemlich die Dämonen und bösen Geister, obwohl sie aus der höhern Ordnung der Engel herabgestürzt sind, doch abscheulicher sind als die Menschen, weil ihren Begierden die Möglichkeit beiwohnt und sie also nicht zögern, den einmal gefaßten boshaften Plan in unwiderruflicher Unthat zu vollführen; denn wie ihr Geist schnell ist zum Ausdenken, so ist er auch rasch in der Ausführung als reine Substanz; und während so die leichte Behendigkeit ihnen ermöglicht, das zu thun, was sie wollen, verbessert den bösen Gedanken keine Dazwischenkunft einer heilsamen Überlegung.

14. Von der unverbesserlichen Bosheit der verworfenen Geister.

Wie nemlich die geistige Substanz, durch leibliche Schwere nicht gefesselt, keine Entschuldigung des in ihr entstandenen verkehrten Willens erlangt, so schließt sie auch die Verzeihung der Bosheit aus; denn sie wurde nicht wie wir durch Anfechtung des Fleisches von aussen zur Sünde gereizt, sondern nur durch die Schlechtigkeit des bösen Willens entflammt, und deßhalb gibt es keine Gnade für ihre Sünde und kein Heilmittel für ihre Krankheit. Wie sie fiel ungereizt von irdischer Materie, so kann sie auch keine Verzeihung oder Gelegenheit zur Reue erlangen. 181 Daraus ergibt sich deutlich, daß dieser in uns erweckte gegenseitige Streit des Fleisches und Geistes nicht nur nicht schädlich sei, sondern uns viel Nutzen bringe.

15. Was uns die Begierde des Fleisches gegen den Geist nütze.

Fürs Erste weist sie unsere Trägheit und Nachlässigkeit uns sogleich nach und läßt uns wie ein eifriger Erzieher von der Bahn der Strenge und Zucht niemals abweichen, sondern wenn unsere Sorglosigkeit ein wenig das Maaß der geziemenden Strenge mißachtet hat, so treibt sie sogleich an mit den Geißeln der hitzigen Gier und ruft uns scheltend zu der gebührenden Kargheit zurück. Zweitens sehen wir uns oft nach dem Grade unserer Keuschheit und Reinheit mit der Gnade Gottes so lange Zeit von geschlechtlicher Befleckung frei, daß wir meinen, fürderhin nicht einmal durch einfache Aufregung des Fleisches beunruhigt zu werden, und dadurch uns heimlich in unserm Gewissen überheben, als trügen wir nicht mehr die Verderbtheit des Fleisches. Da nun demüthigt uns wieder die Begierlichkeit und drückt uns herab, indem sie uns mit ihrem wenn auch im Schlaf und ohne Absicht erfolgenden Ausflusse heimsucht und uns durch ihre Stacheln mahnt daß wir Menschen seien. Denn wenn wir in den übrigen Arten der Laster, und zwar schwerern und gefährlichern, mit größerer Gleichgiltigkeit zu wandeln pflegen und nicht leicht wegen ihrer Zulassung zerknirscht werden, so fühlt sich in diesem Punkt unser Gewissen gleichsam mehr gedemüthigt und wird bei solchen Vorspiegelungen auch durch die Erinnerung an die vernachlässigten Leidenschaften gepeinigt, da es deutlich einsieht, daß es unrein geworden sei durch die natürliche Brunst, während es die größere Verunreinigung durch geistige Laster nicht merkte. Indem es nun sogleich eilt, die frühere Lässigkeit zu verbessern, wird es gemahnt, daß es sich auch nicht auf die Erfolge der vorigen Reinheit verlassen dürfe, die es augenscheinlich durch eine kleine Abkehr vom Herrn verloren hat, und daß man die Gabe dieser Reinigung nur durch Gottes Gnade besitzen könne, da uns ja die thatsächliche Erfahrung lehrt, wie wir beständig nach der Tugend der Demuth streben müssen, wenn wir die Reinheit des Herzens für immer zu erreichen wünschen.

16. Von den fleischlichen Gluten, durch die wir schwerer zu Fall kämen, wenn wir nicht gedemüthigt würden.

Daß nun die Überhebung wegen dieser Reinheit 182 gefährlicher sein würde als alle Laster und Verbrechen, und daß wir ihretwegen von aller Reinheit und Keuschheit keinen Nutzen ziehen würden, das beweisen jene oben erwähnten Kräfte, 183 die, obwohl ohne solche Reizungen des Fleisches, doch wegen der Überhebung des Herzens allein in ewiger Verwerfung aus ihrem hohen himmlischen Wohnort gestürzt wurden. Wir wären also lau ohne jedes Heilmittel, da wir keinen in unserm Körper oder in unserm Gewissen liegenden Anzeiger unserer Nachlässigkeit hätten und nie streben würden, zum Feuereifer der Vollkommenheit zu gelangen; ja wir würden nicht einmal die Strenge der Einfachheit und Enthaltsamkeit bewahren, wenn nicht dieser aufkeimende Reiz des Fleisches uns demüthigen, zurückdrängen und auch in Betreff der Reinigung von geistigen Lastern uns sorgsamer und aufmerksamer machen würde.

17. Über die Lauheit der Verschnittenen.

Endlich finden wir meistens bei denen, welche dem Leibe nach verschnitten sind, 184 daß ihnen gerade deßhalb diese Lauheit des Gemüthes anhafte, weil sie, befreit von diesem fleischlichen Dränge, weder der Anstrengung körperlicher Enthaltsamkeit noch der Herzenszerknirschung zu bedürfen glauben. Durch diese Sicherheit erschlafft trachten sie niemals, die Vollkommenheit des Herzens oder auch nur die Reinigung von geistigen Lastern wahrhaft zu suchen oder zu besitzen. Dieser Zustand, der von der körperlichen Beschaffenheit seinen Anfang nimmt, wird dann seelisch, was ohne Zweifel ein schlimmerer Grad ist; denn er ist es, der von der Kälte zur Lauigkeit übergehend durch das Wort des Herrn als fluchwürdiger bezeichnet wird.

18. Frage, was für ein Unterschied sei zwischen einem Fleischlichen und Seelischen.

Germanus: Die Nützlichkeit des zwischen Leib und Geist erregten Kampfes ist nun, wie uns scheint, deutlich dargestellt, so daß wir glauben, sie sei fast für die Hände greifbar gemacht. Darum wünschen wir aber, daß uns in ähnlicher Weise auch das Verhältniß erklärt werde, welches zwischen dem fleischlichen und seelischen Manne besteht, und wie der seelische schlechter sein könne als der fleischliche.

19. Von dem dreifachen Zustande der Seelen.

Daniel: Nach der Bestimmung der hl. Schrift gibt es drei Zustände der Seelen: Der erste ist der fleischliche, der zweite der seelische, der dritte der geistige. Diese lesen wir beim Apostel so bezeichnet; denn vom fleischlichen heißt es: 185 „Milch gab ich euch zu trinken, nicht aber Speise; denn ihr konntet sie noch nicht ertragen und könnt es auch jetzt noch nicht; denn noch seid ihr fleischlich.“ Und wieder: „Denn da unter euch Eifersucht ist und Streit, — seid ihr da nicht fleischlich?“ Von dem seelischen wird so gesprochen: 186 „Der sinnliche 187 Mensch aber faßt nicht, was vom Geiste Gottes ist; denn es ist ihm Thorheit;“ von dem geistigen aber: „Der Geistige prüft Alles; er selbst aber wird von Niemand gerichtet;“ und wieder: 188 „Ihr, die ihr geistig seid, unterweiset Solche im Geiste der Sanftmuth.“ Wir müssen also emsig streben, wenn wir durch die Entsagung aufgehört haben, fleischlich zu sein, oder angefangen haben mit der Trennung von weltlichem Umgang und der Freiheit von jener offenbaren Befleckung des Fleisches —; dann auch mit aller Kraft sogleich nach Erfassung des geistigen Zustandes zu ringen, damit wir uns nicht vielleicht schmeicheln, als hätten wir alle Vollkommenheit schon erreicht, weil wir, wie es nach dem äussern Menschen scheint, dieser Welt entsagt haben oder die Theilnahme an der fleischlichen Unzucht aufgaben; und damit wir also dadurch nicht in der Folge zu nachlässig und nachsichtig werden in der Besserung der übrigen Leidenschaften und so zwischen beiden hingehalten die Stufe des geistigen Fortschritts nicht erreichen können wegen unserer Meinung, es genüge uns längst zur Vollkommenheit, dem äussern Menschen nach von dem Umgang mit der Welt und Lust getrennt zu sein oder frei zu sein von fleischlicher Vermischung und Verderbniß. Mögen wir uns nur erinnern, daß wir so in jenem lauen Zustande erfunden werden, der als der schlechteste erklärt ist, und daß wir also aus dem Munde des Herrn nach seinem eigenen Ausspruch auszuwerfen sind, da er ja sagt: „Wärest du doch warm oder kalt! Da du aber lau bist, will ich beginnen, dich auszuspeien aus meinem Munde.“ Und nicht mit Unrecht erklärt der Herr, daß er sie, die er schon im Innersten seiner Liebe aufgenommen hatte, und die nun so gefährlich lau geworden, gleichsam mit Erschütterung seines Innern auswerfen müsse. Wollten sie ja doch, statt daß sie ihm gleichsam eine heilsame Nahrung hätten bieten können, lieber von seinem Innern losgerissen werden und wurden dadurch um so schlechter als jene Speisen, die nie in den Mund des Herrn gekommen waren, je mehr wir Das, was wir vom Ekel gereizt auswerfen, mit tiefster Abneigung verabscheuen. Denn was kalt ist, wird doch im Munde erwärmt und dann mit wohlthuender Annehmlichkeit genossen; was aber einmal wegen des Fehlers widerlicher Lauheit ausgeworfen ist, das können wir, ich will nicht sagen nicht an die Lippen bringen, sondern nicht einmal von fern ohne größten Abscheu ansehen. Ganz richtig wird also ein Solcher für schlechter erklärt, weil leichter ein fleischlich Gesinnter, d. i. ein Weltlicher oder Heidnischer zum heilsamen Wandel und zum Gipfel der Vollkommenheit gelangt, als Einer, der den Mönchsstand gelobte und doch nicht den Weg der Vollkommenheit nach der Regel der Sucht ergreift, sondern von der Flamme der frühern geistigen Glut abläßt. Denn Jener wird wenigstens durch die körperlichen Laster gedemüthigt, und im Gefühl seiner Verunreinigung durch die fleischliche Fäulniß eilt er, irgend einmal zerknirscht, zur Quelle der wahren Reinigung und zum Gipfel der Vollkommenheit und wird dann auch im Schauder vor seinem Zustand des Unglaubens und der Kälte, bei seiner glühenden Begeisterung leichter zur Vollkommenheit auffliegen. Wer aber einmal angefangen hat, mit seinem lauen Beginnen den Namen eines Mönches zu mißbrauchen, und nicht in pflichtmäßiger Demuth und Begeisterung den Weg dieses Berufes ergreift, der wird, angesteckt von dieser erbärmlichen Pest und in ihr ganz erschlafft, weder aus sich selbst weiterhin das Vollkommene verstehen noch durch die Ermahnungen eines Andern unterrichtet werden können; denn er spricht in seinem Herzen, wie es in jenem göttlichen Ausspruche heißt: „Ich bin reich und voll Besitz und bedarf Niemandes.“ Auf ihn wird aber dann auch ganz passend angewendet, was dort folgt: „Du aber bist elend und erbärmlich und arm und blind und nackt.“ Ja auch darin ist er schlechter geworden als ein Weltlicher, weil er sich weder als elend noch als blind und nackt erkennt, oder als bedürfe er der Besserung oder Jemandes Ermahnung und Unterweisung. Deßhalb läßt er auch kein heilsames Wort der Ermahnung zu, sieht aber nicht ein, daß er gerade durch den Mönchsnamen in schwerere Schuld und durch die öffentliche Meinung in größere Noth kommt; denn da er nach dieser von Allen für heilig gehalten und als Diener Gottes verehrt wird, muß er nothwendig in Zukunft einem schwerern Gericht und Strafurtheil unterworfen werden. Kurz, was verweilen wir so lange bei diesen Dingen, die uns durch die Erfahrung hinlänglich bekannt und bewährt sind? Denn häufig sehen wir bei Kalten und fleischlich Gesinnten, d. i. bei Weltlichen und Heiden daß sie zum geistigen Eifer gelangen aber bei; Lauen und Sinnlichen sehen wir das durchaus nicht. Der Abscheu des Herrn vor diesen ist, wie wir beim Propheten lesen, auch so groß, daß er den geistigen Männern und Lehrern befiehlt, sie sollten von der Ermahnung und Belehrung dieser Menschen abstehen und den Samen des heilsamen Wortes ja nicht verschwenden an eine unfähige, unfruchtbare und mit schädlichen Dornen besetzte Erde, sondern sie sollten mit Verachtung derselben lieber ein frisches Land bebauen, d. i. sie sollten auf Heiden und Weltleute alle Pflege der Lehrer und alle Ausdauer im heilsamen Wort übertragen. was so ausgedrückt ist: 189 „Das spricht der Herr zu dem Manne von Juda und zu den Bewohnern von Jerusalem: Brechet euch Neubruch um, und säet nicht unter die Dornen!“

20. Von Denen, die schlecht entsagen.

Endlich sehen wir, was ich mit Scham sage, wie die Meisten so entsagt haben, daß sie offenbar von den frühern Lastern und Sitten Nichts geändert haben als den Stand und die weltliche Kleidung. Denn sie erwerben eifrig Geld, das sie nicht einmal vorher hatten; oder sie hören nicht auf, das, welches sie hatten, zu behalten und es, was noch trauriger ist, noch zu vermehren unter dem Vorwande, daß sie ja nach Gerechtigkeit, wie sie behaupten, ihre Diener oder Brüder noch immer ernähren müssen. Oder sie bewahren es wenigstens mit dem Vorgeben, ein Kloster gründen zu wollen, das sie wie Äbte einrichten zu können sich anmäßen. Wenn diese wahrhaft den Weg der Vollkommenheit suchen würden, so würden sie vor Allem das mit ganzer Kraft durchzuführen trachten, daß sie frei vom Geld und aber auch von den frühern Neigungen und allen Zerstreuungen sich selbst allein und entblößt so unter den Befehl der Väter stellen würden, daß sie nicht nur keine Sorge um Andere, sondern nicht einmal um sich selbst trügen. Statt dessen nun geschieht es, daß, während sie den Brüdern vorzustehen streben, sie selbst sich nie den Vätern unterwerfen, und daß sie so im Hochmuth beginnend, voll Verlangen Andere zu unterrichten, selbst weder lernen, was man Gott zu leisten hat, noch es wirklich leisten. Diese müssen nothwendig nach dem Ausspruche des Herrn als blinde Führer der Blinden gleichfalls in die Grube fallen. Obwohl dieser Hochmuth der Gattung nach einer ist, so ist er doch der Art nach doppelt: die eine Art heuchelt beständig Ernst und Würde, die andere gibt sich mit zügelloser Freiheit ganz dem Gekicher und lautem thörichtem Lachen hin; jene hat Gefallen an der Schweigsamkeit, diese verschmäht es, sich mit Stillschweigen Gewalt anzuthun; sie schämt sich nicht, überall herauszuschwätzen, selbst unpassendes und thörichtes Zeug, während sie sich doch schämt, für geringer oder ungelehrter als die Übrigen gehalten zu werden. Die eine trachtet, um sich zu erheben, nach dem Amte des Clerus, die andere verschmäht es in der Meinung, daß es entweder der frühern Würde oder dem Werthe ihres Lebens und ihrer Abstammung nicht angemessen oder gar nicht ebenbürtig sei. Möge Jeder für sich prüfen und erwägen, welche von diesen beiden als die schlechtere zu erklären sei. Sicher ist es eine und dieselbe Gattung des Ungehorsams, das Gebot des Obern zu verletzen, geschehe es jetzt aus dem Drange nach Arbeit oder aus der Begierde nach Müssiggang, und man hat den gleichen Verlust, ob man die Ordnung des Klosters dem Schlafe oder dem Wachen zu lieb verletzt. Endlich ist es aber so arg, das Gebot des Abtes, welches Lesen befiehlt, zu übertreten, als wenn du den Befehl zu schlafen verachtest; auch ist es kein anderer Hochmuthszunder, den Bruder wegen des Fastens zu verachten, als wegen des Essens, ausser daß gefährlicher sind und weiter von den Heilmitteln entfernt jene Laster, die unter dem Scheine der Tugend und in der Gestalt geistiger Dinge auftauchen, als jene, welche offen aus fleischlicher Lust entstehen. Denn diese werden als offen dargestellte und erkannte Krankheiten Aug in Aug überführt und so geheilt; jene aber in ihrer tugendheuchlerischen Decke wuchern ungeheilt fort und stürzen alle ihre Opfer in ein gefährlicheres und hoffnungsloseres Siechthum.

21. Von denen, die Großes verlassen und vom Kleinen beherrscht werden.

Was soll ich nun von jener Lächerlichkeit sagen, daß wir sehen müssen, wie Einige nach der Begeisterung jener ersten Entsagung, in welcher sie ihr Vermögen, die größten Schätze und den Dienst der Welt verließen, um in’s Kloster zu gehen, — mit solcher Anhänglichkeit an noch so kleine und werthlose Dinge gefesselt sind, die man nun einmal nicht ganz wegthun kann, und die man auch in diesem Stande haben muß, — daß die Sorge für dieselben ihre Leidenschaft für ihr ganzes früheres Vermögen übertrifft! Diesen wird es in der That nicht viel Nutzen bringen, größere Schätze und Reichthümer verlassen zu haben, weil sie die Anhänglichkeit an dieselben, wegen deren jene eben zu verlassen sind, auf kleine, unbedeutende Dinge übertragen haben. Denn indem sie das Laster der Begierlichkeit und Habsucht, dem sie in kostbaren Dingen nicht mehr fröhnen können, für werthlosere Gegenstände zurückbehalten, beweisen sie, daß sie die frühere Leidenschaft nicht ausgerissen, sondern nur vertauscht haben. So werden sie in ihrem zu großen Fleiße bei der Sorge um die Matraze, das Körbchen, das Säcklein, ein Buch, eine Matte und andere ähnliche obwohl ganz unbedeutende Dinge doch von derselben Begierde beherrscht wie früher. Sie bewachen und vertheidigen diese Dinge auch mit solcher Eifersucht, daß sie sich nicht schämen, um derselben willen gegen ihren Bruder aufgeregt zu werden, und was noch schändlicher ist, zu streiten. Da sie in diesen Dingen noch an der Krankheit der frühern Begierlichkeit leiden, so sind sie nicht zufrieden, Das, was der Bedarf des Körpers oder die Nothwendigkeit den Mönch zu besitzen zwingt, nach der allgemeinen Zahlund Maßbestimmung zu haben, und zeigen auch darin die Habsucht ihres Herzens, daß sie theils das, was man haben muß eifriger anstreben als die Übrigen, theils in ungemäßigter Sorgfalt es zu sonderlich und aufmerksam bewahren und so von den Andern nicht einmal berühren lassen, was doch allen Brüdern gemeinsam sein sollte. Das ist, als ob nur der Unterschied der Metalle, aber nicht die Leidenschaft der Begierlichkeit für schädlich gehalten würde, und als ob in kleinen Sachen, während man sich für große nicht erzürnen darf, der Zorn ohne Schuld zugelassen werden könnte; als ob wir endlich nicht deßhalb die kostbarern Gegenstände hingeworfen hätten, damit wir um so leichter die werthloseren verachten lernen. Denn was macht es für einen Unterschied, ob Einer die verwirrende Begierde gegenüber reichen und herrlichen Schätzen oder bei werthlosen Gegenständen zur Geltung kommen läßt? Höchstens ist er darin noch tadelnswerther zu finden, daß er, der das Größte verachtete, durch das Kleinste gefesselt wird. Und so erlangt diese Entsagung nicht die Vollkommenheit des Herzens, weil sie zwar für arm geschätzt wird, aber den Willen des Reichen nicht abwirft. <br

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern

Подняться наверх