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Vorwort

des Priesters Johann Cassian zu den zehn Unterredungen mit den Vätern, die in der scythischen Wüste wohnten.

An den Bischof Leontius und an Helladius.

Die Schuld, welche ich dem heiligen Vater Castor 1 gegenüber einging durch mein Versprechen in der Vorrede zu jenen Bänden, die über die Einrichtungen der Klöster und die Mittel gegen die acht Hauptlaster in zwölf Büchern mit Gottes Hilfe zusammengestellt wurden, — diese Schuld ist nun, soweit die Schwäche meines Talentes hinreichte, irgendwie getilgt. Man mag in der That sehen, was hierüber durch unsere gemeinschaftliche Prüfung erwogen worden sei, und ob wir in so tiefen und hohen Dingen, die nach meiner Meinung vorher nicht zur Darstellung gekommen sind, Etwas vorgebracht haben, was euerer Kenntnißnahme und des Begehrens aller heiligen Brüder würdig ist. Nun aber, weil der oben genannte Bischof uns verlassen hat und zu Christus gegangen ist, so glaubte ich, diese zehn Unterredungen der größten Väter, d. i. der Anachoreten, die in der scythischen Wüste weilten, am Ehesten Euch, o heiligster Vater Leontius und heiliger Bruder Helladius, weihen zu müssen. (Jener nemlich, brennend von unvergleichlichem Eifer nach Heiligkeit, hatte verlangt, daß ich ihm diese Unterredungen in ähnlicher Darstellung zusammen schreibe, nicht bedenkend in der Größe seiner Liebe, mit welch’ schwerer Last er schwache Schultern belade.) Nemlich der Eine von Euch, der dem erwähnten Manne (Castor) durch die Liebe des leiblichen Bruders, durch die Würde des Priesterthums und, was mehr ist, durch die Gluth des heiligen Eifers nahe stand, fordert mit Recht als Erbschaft das Guthaben des Bruders; der Andere hat es wie kaum Einer unternommen, die hohen Einrichtungen der Anachoreten im Vorhinein anzustreben und auf eigene Gefahr; aber obwohl er auf Erleuchtung des hl. Geistes den echten Pfad der Lehre erkannte, fast ehe er lernte, so will er doch lieber durch die Überlieferungen Jener unterrichtet werden, als durch eigene Erfindungen. Damit öffnet sich nun mir, der ich jetzt im Hafen des Stillschweigens weile, ein unermeßliches Meer: daß ich nemlich wagen soll, über das Institut und die Lehre so großer Männer durch eine Schrift Etwas zu verewigen. Denn der schwache Kahn des Geistes muß hiebei um so mehr wie durch eine gefahrvolle Fahrt in tiefen Gewässern umhergeworfen werden, je mehr das Einsiedlerleben über das klösterliche, und die Beschauung Gottes, der jene unschätzbaren Männer immer obliegen, über das thätige Leben, welches in den Congregationen geübt wird, an Größe und Hoheit hinausragt. Es ist daher an Euch, unsern Versuch mit frommen Gebeten zu unterstützen, damit nicht entweder ein so heiliger Gegenstand, der, wenn auch mit unerfahrener, so doch mit wahrheitsliebender Rede vorgebracht werden will, durch uns Schaden leide oder auf der anderen Seite unsere Unbeholfenheit nicht in den Abgründen dieses Gegenstandes zu Grunde gehe.

So laßt uns also von den äussern und sichtbaren Gebräuchen der Mönche, die wir in den frühern Büchern auseinandergesetzt haben, zu der unsichtbaren Verfassung des innern Menschen übergehen, und es möge die Rede aufsteigen von der Weise der kanonischen Gebete zu jener vom Apostel verlangten Beständigkeit des immerwährenden Gebetes, damit, wer immer durch die Lektüre des vorigen Werkes schon den Namen jenes Jakob 2 in geistiger Beziehung verdient hat durch Niederwerfung der fleischlichen Laster, nun auch, nicht sowohl meine als der Väter Grundsätze hinnehmend beim Aufsteigen zu dem Verdienste und sozusagen der Würde Israels 3 durch Anschauung der göttlichen Reinheit — gleichfalls unterrichtet werde, was er auf diesem Gipfel der Vollkommenheit zu beobachten habe. Mögen also euere Gebete erlangen von Demjenigen, der uns für würdig hielt, jene Männer zu sehen, ihre Schüler und Genossen zu sein, — daß er uns die volle Erinnerung an jene Lehren und eine redegewandte Darstellung geben möge, damit wir sie so heilig und vollständig, als wir sie von Jenen empfangen haben, darlegen und Euch so jene Männer gleichsam in ihren Anweisungen verkörpert und sogar in lateinischer Sprache disputirend vorstellen können. Daran aber will ich vor Allem den Leser sowohl dieser Collationen als auch der früheren Bände gemahnt haben, daß, wenn er vielleicht Etwas von diesen Dingen nach der Beschaffenheit seines Standes und Lebenszieles, oder nach dem gewöhnlichen Brauch und Wandel für unmöglich oder für zu hart halten möchte, er Dieß doch nicht nach dem geringen Maße seiner Fähigkeit, sondern nach der Würde und Vollkommenheit der Sprechenden bemessen möge, deren Streben und Vorhaben er zuerst erfassen soll. Sie sind durch dasselbe wahrhaft diesem irdischen Wandel abgestorben und durch keine Neigungen zu den leiblichen Verwandten, durch keine Verpflichtungen, zu weltlichen Handlungen gebunden. — Dann möge der Leser auch die Beschaffenheit der Gegenden, in welchen sie wohnen, erwägen. In der ödesten Einsamkeit weilend und von allem Umgänge mit Menschen getrennt, besitzen sie erleuchtete Sinne und betrachten und reden Dinge, welche den Unerfahrenen und Ungebildeten nach ihrer gewohnten Lage und Mittelmäßigkeit vielleicht unmöglich scheinen werden. Wenn jedoch Jemand hierüber ein wahres Urtheil sprechen will und zu erfahren wünscht, ob derlei sich verwirklichen lasse, der mache sich nur gleich daran, zuerst die Aufgabe, welche sich Jene gesteckt, mit gleichem Eifer und gleicher Lebensweise auf sich zu nehmen, und dann erst wird er finden, daß Das, was ihm die menschlichen Kräfte zu übersteigen schien, nicht nur möglich, sondern auch sehr lieblich sei. — Nun aber wollen wir sogleich an ihre Unterredungen und Anweisungen gehen.

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern

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