Читать книгу Briefe an Olympias und Papst Innocentius - Johannes Chrysostomos - Страница 13
Erster Brief. 1. Die Bedrängnisse der Kirche sind überaus groß, aber nicht von Dauer.
ОглавлениеMeiner Herrin, der ehrwürdigen und frommen Diakonissin Olympias, Gruß im Herrn von Johannes.
Nun wohl, ich will es wieder einmal versuchen, deine Trauer, die dich schmerzt wie ein böses Geschwür, zu lindern und die Gedanken zu zerstreuen, aus denen sich dieses Gewölk in deiner Seele zusammenzieht. Was ist es denn, das deinen Sinn verwirrt? Daß der wilde, düstere Sturm, der den Kirchen zusetzt, Alles in eine finstere Nacht verwandelt hat, mit jedem Tage — unheilvollen Schiffbruch drohend — ärger wird, und daß das Verderben auf dem ganzen Erdkreis sich mehrt? Das weiß ich auch, und Niemand wird es bestreiten. Und wenn es dir genehm ist, will ich dir auch die Dinge, die jetzt vor sich gehen, in einem Bilde darstellen, um dir dieses Trauerspiel noch deutlicher zu zeigen. Ich sehe ein allenthalben von Stürmen gepeitschtes Meer, aufgewühlt aus seinen grundlosen Tiefen; auf seiner Oberfläche schwimmen Leichen von Schiffern, während andere in seine Tiefen versunken sind. Die Bretter der Fahrzeuge sind gelöst, die Segel zerrissen, die Masten zerbrochen, die Ruder den Händen der Schiffer entfallen. Die Ruderer sitzen auf dem Verdeck statt auf ihren Bänken, lassen ihre Hände auf den Knieen ruhen, und rathlos ob all der Schrecknisse vermögen sie nur zu heulen, zu schreien und zu jammern. Weder den Himmel noch das Meer kann das Auge unterscheiden, überall herrscht tiefe, dichte, düstere Finsterniß, so daß man nicht einmal den nächsten Nachbar sieht. Das Getöse der Fluthen nimmt überhand; auch die Ungeheuer des Meeres dringen von allen Seiten auf die Schiffsleute ein — doch wozu soll ich noch weiter zu schildern versuchen, was jeder Beschreibung spottet? Welches Bild ich auch immer wählen mag, um die Drangsale unserer Zeit zu veranschaulichen, der Versuch muß mißlingen, und meine Schilderung wird von der schrecklichen Wirklichkeit überboten. Allein obgleich ich Das weiß, lasse ich keineswegs die Hoffnung auf eine glückliche Wendung fahren, indem ich des Steuermanns gedenke, der diese Welt regiert, der nicht durch Mittel der Kunst des Sturmes Meister wird, sondern durch einen Wink den Orkan beschwichtigt. Wenn er Das aber nicht von vornherein und nicht alsbald thut, nun, Das ist so seine Art. Nicht beim Beginne steuert er dem Unglück, sondern wenn es damit schlimmer geworden, wenn es zum Äussersten gekommen ist, und wenn die Meisten schon verzagen, dann greift er ein, wunderbar und wider Erwarten. So lange wartet er, um seine eigene Macht zu bewähren, und um die Heimgesuchten zu üben in der geduldigen Beharrlichkeit. Darum bitte ich dich, den Muth nicht zu verlieren; denn nur Eins, Olympias, ist zu fürchten, ist eine ernstliche Anfechtung, und dieses Eine ist die Sünde. Ich bin nie müde geworden, dir ohne Unterlaß diese Wahrheit vorzupredigen. Alle andern Leiden sind Dieß nur in unserer Einbildung: Nachstellungen, Befeindungen, Betrug, Verleumdung, Beschimpfung, Anklagen, Gütereinziehung und Achtserklärung, Verbannung, die Schärfe des Schwertes, Gefahren auf dem Meere, Krieg auf der ganzen Welt. Denn Dieses alles, wie man auch sonst davon denken mag, ist der Zeit und der Vergänglichkeit unterworfen, geht nicht über unser sterbliches Leibesleben hinaus und vermag der besonnenen Seele nicht zu schaden. Daher ist das Glück wie das Unglück dieses Lebens nicht hoch anzuschlagen, wie uns der heilige Paulus lehrt, mit einem Worte Alles zusammenfassend: „Was wir sehen, ist vergänglich.“2 Warum also fürchtest du das Vergängliche, das vorüberfließt gleich den Wellen eines Stromes? Denn solcher Art sind die Schicksale dieses Lebens, im Glück wie im Unglück. Ein anderer gotterleuchteter Mann nennt alle Erdenfreuden zusammengenommen eine Blume des Grases; er vergleicht sie also nicht einmal mit dem Grase, sondern er achtet sie noch geringer — und zwar alle insgesammt. Denn er spricht nicht von einem Bruchtheil derselben, nicht von Reichthum allein oder Sinnenlust oder Macht oder Ehren, sondern er faßt Alles, was unter den Menschen geschätzt wird, mit dem einen Worte „Herrlichkeit“ zusammen, und nun stellt er das Bild von dem Grase daneben: „Alle menschliche Herrlichkeit ist wie eine Blume des Grases.“3