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Sechste Homilie.

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I.

7-11. Darum, wie der heilige Geist sagt, heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht, wie bei der Erbitterung am Tage der Versuchung in der Wüste. wo mich versuchten euere Väter, mich prüften und doch sahen meine Werke vierzig Jahre hindurch. Darum zürnte ich diesem Geschlechte und sprach: Immer irren sie mit ihrem Herzen, sie aber erkannten meine Wege nicht; so schwur ich denn in meinem Zorne: sie sollen nicht eingehen in meine Ruhe.

Nachdem Paulus über die Hoffnung gesprochen und gesagt hatte, daß „wir sein Haus seien, wenn wir anders das Vertrauen und die herrliche Hoffnung bis an’s Ende festhalten,“ zeigt er des Weiteren, daß unsere Hoffnung eine feste sein müsse, und beweist Dieß aus der Schrift. Merket nun auf! Denn seine Darstellung ist etwas dunkel und die Sache selbst schwer zu verstehen. Darum ist es nothwendig, vorerst unsere Bemerkungen zu machen und euch den Unterrichtsstoff kurz auseinander zu setzen und hierauf die Rede auf den Text hinzulenken; denn alsdann werdet ihr meiner Anleitung nicht weiter bedürfen, sobald euch der Zweck des Apostels klargelegt ist. Paulus sprach über die Hoffnung, und daß es nothwendig sei, die Erwartungen auf die Zukunft zu setzen, und daß auf die Mühen des Lebens der Lohn und die Frucht und die Ruhe nicht ausbleiben würden. Dieses beweist er durch den Propheten. Und was sagt er? „Darum, wie der heilige Geist sagt, heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht, wie bei der Erbitterung am Tage der Versuchung in der Wüste, wo mich versuchten euere Väter, mich prüften und doch sahen meine Werke vierzig Jahre hindurch. Darum zürnte ich diesem Geschlechte und sprach: Immer irren sie in ihrem Herzen; sie aber erkannten meine Wege nicht; so schwur ich denn in meinem Zorne: sie sollen nicht eingehen in meine Ruhe.“117 Er sagt, es gebe eine dreifache Ruhe; eine sei die Sabbatruhe, wo Gott von seinen Werken geruht habe; eine zweite die Ruhe Palästina’s, wobei die Juden sich nach ihrer Ankunft erholen wollten von ihren vielen Strapazen und Arbeiten; eine dritte, die in Wahrheit diesen Namen verdient, die Seligkeit des Himmels, deren Theilhaber in Wahrheit ausruhen von ihren Anstrengungen und Beschwerden. Diese drei Arten erwähnt er nun hier. Warum behandelt er aber nur eine, während er doch drei in Erinnerung bringt? Um zu zeigen, daß der Prophet nur von dieser (einen) redet. Denn von der ersten, sagt er, hat er nicht gesprochen; und wie sollte er Das? Hatte sie ja schon längst aufgehört. Auch von der zweiten, der in Palästina nicht; denn wie sollte er Das? Hatte ja auch sie schon das Ende erreicht. Es erübrigt also nur von der dritten zu sprechen. Es ist aber nothwendig, eine genauere Erklärung der Geschichte zu geben, um über die Rede ein helleres Licht zu verbreiten. Denn nachdem sie aus Ägypten ausgezogen und eine große Strecke Weges zurückgelegt, und von Gott zahllose Beweise seiner Macht sowohl in Ägypten als auch im rothen Meere und in der Wüste empfangen hatten, wollten sie Kundschafter aussenden, um die Natur des Landes erforschen zu lassen. Diese zogen hin und waren nach ihrer Rückkehr voll Bewunderung über das Land und erzählten, daß es reich an herrlichen Früchten, aber von einem unüberwindlichen Riesengeschlechte bewohnt sei. Die unverständigen und gefühllosen Juden aber, anstatt, wie es Pflicht war, an die (früheren) Wohlthaten Gottes zu denken, und wie er sie, als die ägyptischen Kriegsschaaren sie in die Enge getrieben, nicht nur der Gefahr entriß, sondern ihnen auch noch eine fette Beute gewährte; und wie er ferner aus dem Felsen ihnen reichliches Wasser hervorquellen ließ und das Manna gab: anstatt im Angedenken an diese und die anderen Wunder auf Gott zu vertrauen, dachten sie nicht einmal daran, gerade als wäre gar Nichts geschehen, sondern wollten voll Schrecken wieder nach Ägypten zurückkehren, indem sie sprachen: Gott hat uns heraus und hieher geführt, um uns sammt Kindern und Weibern zu Grunde zu richten. Und der Zorn Gottes entbrannte wider sie, weil sie die Erinnerung an das Geschehene so schnell verloren hatten, und Gott that einen Schwur, daß jenes Geschlecht, welches also gesprochen, in die Ruhe nicht eingehen werde; und sie starben alle in der Wüste. Darum hat auch David lange nach dem Untergang Jener gesprochen: „Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht wie bei der Erbitterung!“ Warum? Damit ihr nicht Dasselbe erleidet, was eueren Vorfahren zustieß, und nicht der Ruhe beraubt werdet. Offenbar deutet er in diesen Worten auf irgend welche Ruhe. Waren sie jener Ruhe, will er sagen, schon theilhaftig geworden, warum führt er denn wieder die Worte an: „Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht wie bei der Erbitterung!“ Welch andere Ruhe kann nun gemeint sein als die Seligkeit des Himmels, deren Bild und Zeichen der Sabbat ist? Hierauf führt er das ganze Zeugniß an, welches lautet: „Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht wie bei der Erbitterung am Tage der Versuchung in der Wüste, wo mich versuchten euere Vater, mich prüften und doch sahen meine Werke vierzig Jahre hindurch. Darum zürnte ich diesem Geschlechte und sprach: Immer irren sie mit ihrem Herzen, sie aber erkannten meine Wege nicht; so schwur ich denn in meinem Zorne: sie sollen nicht eingehen in meine Ruhe.“ Dann fügt er bei:

12. Sehet zu, Brüder, daß nicht in Einem von euch sei ein böses, ungläubiges Herz, geneigt, abzufallen von dem lebendigen Gotte!

Denn aus der Herzenshärte wird der Unglaube geboren. Und wie sich an harten und ausgedorrten Körpern die Kunst der Ärzte vergebens versucht, so werden auch hart ausgetrocknete Seelen vom göttlichen Worte nicht erweicht werden. Wahrscheinlich hatten Einige am Glauben Schiffbruch gelitten, da ihre Werke mit der Wahrheit im Widerspruch standen; darum sagt er: „Sehet zu, daß nicht in Einem von euch sei ein böses, ungläubiges Herz, geneigt, abzufallen von dem lebendigen Gotte!“ Denn weil die Lehre über die Zukunft nicht denselben Glauben findet wie die Mittheilung über die Vergangenheit, so ruft er ihnen die Geschichte in’s Gedächtniß zurück, (die Zeit,) in der sie des Glaubens entbehrten. Denn wenn euere Väter, sagt er, weil sie nicht das Vertrauen besaßen, wie sie es besitzen sollten, also gezüchtiget wurden, so steht euch um so mehr Dasselbe bevor. Denn auch für sie sind diese Worte gesprochen, da das Wort „heute“ gilt, so lange die Welt steht.

13. Sondern ermahnet euch selbst einander alle Tage, so lange es noch „heute“ heißt,

d. i. erbauet einander, richtet einander auf, damit nicht Dasselbe geschehe: „damit nicht Jemand von euch verhärtet werde durch den Trug der Sünde.“


II.

Siehst du, daß die Sünde die Mutter des Unglaubens ist? Denn wie der Unglaube ein lasterhaftes Leben gebiert, so ist die Seele, sobald sie sich in den Abgrund des Bösen verloren, voll Verachtung (gegen die Wahrheit), und in dieser Verachtung läßt sie den Glauben nicht Platz greifen, um die Furcht von sich zu verscheuchen. „Denn sie sagen,“ heißt es, „nicht sieht es der Herr, noch merkt es der Gott Jakobs;“118 und wieder: „Unsere Lippen sind für uns, wer ist unser Herr?“119 Ferner: „Warum hat der Böse Gott erbittert?“ Weiter: „Der Thor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott. Verderbt sind sie geworden in ihren Anschlägen.“120 Und wiederum: „Furcht Gottes ist nicht vor ihren Augen;“121 und: „Denn er handelt trüglich vor seinem Angesichte, daß man finde seine Sünden und hasse.“122 Dasselbe sagt auch Christus: „Ein Jeder, der Böses thut, hasset das Licht und kommt nicht an das Licht.“123 Dann fügt der Apostel bei:

14. Denn wir sind Christi theilhaftig geworden. Was heißt Das: „Wir sind Christi theilhaftig geworden“? Er und wir sind Eins geworden; denn er ist das Haupt, wir aber sind der Leib und Miterben und zu einem Körper vereinigt. Ein Körper sind wir, sagt er, von seinem Fleische und von seinem Gebein; „wenn wir anders seine anfängliche Grundlage festhalten.“ Was ist Das: „Die anfängliche Grundlage“? Der Glaube, durch den wir Bestand gewonnen, durch den wir (neu) geboren und man könnte sagen mit dem wir wesenhaft verbunden wurden (συνουσιώϑημεν). Dann fügt er bei:

15. Heute, da ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht wie bei jener Erbitterung!Das steht in verkehrter Ordnung;124 das Folgende aber lautet also:

Kap. IV.

1. 2. Fürchten wir also, daß wir etwa die Verheissung, in seine Ruhe einzugehen, vernachlässigen, und Jemand aus euch erfunden werde, zurückgeblieben zu sein. Denn auch uns ist die Verheissung verkündet worden, so gut wie Jenen.

So lange es heißt: „Heute, da ihr seine Stimme höret;“ denn der Ausdruck: „heute“ hat die Bedeutung von: „immer“. Dann sagt er: „Aber Jenen nützte das vernommene Wort nicht, da sie mit Dem, was sie gehört, nicht auch den Glauben verbanden,“ wodurch er zeigt, wie das Wort nutzlos war; denn ohne Nutzen blieb es für sie, weil es mit dem Glauben nicht verbunden war. Da er sie in Furcht setzen will, weist er Dieß nach durch die folgenden Worte:

16 - 19. (Kap. III.) Denn einige, die gehört hatten, erbitterten ihn, aber nicht Alle, die unter Moses aus Ägypten zogen. Welchen zürnte er durch vierzig Jahre? Waren es nicht jene Sünder, deren Leiber in der Wüste dahinfielen? Welchen schwur er, daß sie zu seiner Ruhe nicht eingehen werden, als Denen, welche ungläubig waren? So sehen wir, daß sie nicht eingehen konnten wegen des Unglaubens.

Nachdem er wieder das Zeugniß gebracht, fügt er auch die Frage bei, was der Rede mehr Klarheit verleiht. „Denn er hat gesprochen,“ sagt er, „heute, da ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht wie bei jener Erbitterung!“ Welche sind es denn, von welchen er ob ihrer Verhärtung und ihres Unglaubens spricht? Sind es nicht die Juden? Er will aber damit Folgendes sagen: Gehört haben Jene, wie auch wir hören, aber ohne daraus einen Nutzen zu ziehen. Glaubt also ja nicht, aus dem bloßen Anhören des Evangeliums (der Predigt) schon einen Vortheil zu schöpfen, da auch Jene hörten, aber ohne Belohnung verblieben, weil sie nicht glaubten. Die aber zu Chaleb und Josue hielten, entgingen, weil sie sich nicht unter die Ungläubigen mischten, d. h. denselben nicht beistimmten, der über diese verhängten Strafe. Zu bewundern ist, wie er die Worte: „sie stimmten nicht bei“ vermeidet und sich des Ausdruckes bedient: sie mischten sich nicht (unter sie), d. h. sie standen dem Aufruhr ferne, während Jene ohne Ausnahme die eine und dieselbe Gesinnung theilten. Hier scheint er auf eine Empörung anzuspielen.

3. (Kap. IV.) Denn wir werden eingehen in die Ruhe, wenn wir geglaubt haben (dann fährt er, Dieß bekräftigend, fort) gemäß Dem, was er gesprochen: „So schwur ich denn in meinem Zorne: sie sollen nicht eingehen in meine Ruhe,“ obwohl die Werke seit Grundlegung der Welt fertig waren.

Da aber der Einwurf nahe lag, daß durch das Gesagte keineswegs bewiesen sei, wir würden nicht eingehen, sondern Jene seien nicht eingegangen, - was thut er? Er beeilt sich, zu zeigen, daß, wie jene Ruhe noch eine andere neben sich bestehen lasse, dieselbe auch nicht die Ruhe der himmlischen Seligkeit sei; indeß will er zeigen, daß Jene die Ruhe nicht erlangt haben. Daß er aber Dieß sagt, wird aus dem Folgenden klar.

4. 5. (Denn die Schrift) spricht an irgend einem Orte von dem siebenten Tage also: Und Gott ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken. Und an jenem Orte abermal: Sie sollen nicht eingehen in meine Ruhe.

Siehst du, wie jene Ruhe diese nicht ausschließt?

6. 7. Weil nämlich noch zu erwarten ist, daß Einige in dieselbe eingehen, nachdem Die, denen es zuerst verkündet worden, nicht eingegangen sind wegen ihres Unglaubens: so bestimmt sie (die Schrift) nochmals einen Tag, ein Heute, indem sie nach so langer Zeit durch David spricht, wie oben gesagt worden: Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht!

Was sagt er aber mit diesen Worten? Da Einige ganz und gar eingehen sollen, Jene aber nicht eingegangen sind, so setzt er eine dritte Ruhe fest. Hören wir aber, wie er beweist, daß Einige nothwendig eingehen müssen! Weil nach so vielen Jahren, sagt er, David wiederum spricht: „Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet euere Herzen nicht wie bei der Erbitterung!“

8. Denn hätte Josue sie zur Ruhe gebracht, sowürde er darnach nicht von einem anderen Tage sprechen.

Offenbar sagt er Dieses im Hinblick aus Solche, die noch in der Zukunft eine Vergeltung erlangen werden.

9. Also steht noch eine Sabbatruhe für das Volk Gottes zu erwarten.

Warum? Weil die Aufforderung besteht: „Verhärtet euere Herzen nicht!“ Denn sollte kein Ruhetag folgen, so würde keine solche Ermahnung ergehen, noch auch befohlen werden, ja nicht Dasselbe zu thun, damit sie nicht gleicher Strafe verfielen, wenn sie nicht Dasselbe erfahren sollten. Wie hätten aber Diejenigen, welche Palästina besaßen, Dasselbe erfahren sollen, wenn es nicht eine andere Ruhe gäbe?


III.

Er gibt seiner Rede einen schönen Abschluß; denn er sagt nicht Ruhe (ϰατάπαυσις), sondern gebraucht die passende Benennung „Sabbatfeier“ (Σαββατισμός), wobei sie sich freudig einfanden, und bezeichnet die Sabbatfeier als eine königliche Herrschaft. Denn wie man sich am Sabbat von allem Bösen enthalten und Das allein geschehen soll, was auf den Gottesdienst, welchen die Priester zu besorgen hatten, Bezug hat und der Seele frommt, und nichts Anderes: so werde es auch dann sein. Aber nicht so drückt er sich aus, sondern wie?

10. Denn wer eingegangen ist in seine Ruhe, der ruhet auch aus von seinen Werken gleichwie Gott von den seinen.

Gleichwie Gott ausruhte, sagt er, von seinen Werken, so ruht auch Der aus, welcher in seine Ruhe eingegangen. Denn da er zu ihnen von der Ruhe sprach, und sie zu wissen verlangten, wann dieselbe eintreten werde, so schließt er damit seine Rede. Den Ausdruck „heute“ gebraucht er, damit sie nicht verzweifeln möchten. Ermahnet euch selbst einander, will er sagen, alle Tage, so lange es „heute“ heißt; Das will sagen: wenn auch Jemand gesündiget hat, hat er Hoffnung, so lange es noch „heute“ ist. Darum soll Niemand verzweifeln, so lange er lebt; ganz besonders aber finde sich kein ungläubiges Herz; wäre aber Das auch der Fall, so verzweifle Keiner, sondern er erhole sich wieder; denn so lange wir noch in dieser Welt leben, bietet das „Heute“ Gelegenheit. Hier spricht er nicht nur vom Unglauben, sondern auch vom Murren. „Deren Leiber,“ heißt es, „in der Wüste dahinfielen.“125 Damit ferner nicht Jemand wähne, es werde nur die Ruhe nicht gewahrt werden, fügt er auch die Strafe bei mit den Worten: „Denn lebendig ist das Wort Gottes und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis daß es Seele und Geist, auch Mark und Bein scheidet, und ist ein Richter der Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“126 Hier spricht er von der Hölle und von der Strafe. Es dringt, sagt er, bis in das Verborgene unseres Herzens und durchschneidet die Seele. Da gibt es keine Gebeine, die zerstreut liegen und nicht zur Bestattung gelangen, wie dort,127 sondern man ist beraubt der himmlischen Herrlichkeit und überliefert der Hölle, die ewig dauert, und erfährt eine züchtigende Strafe, die kein Ende nimmt. - „Sondern ermahnet euch selbst einander!“128 Siehe, wie mild und sanft er sich ausdrückt. Er sagt nicht: Haltet einander strafend vor! sondern: „Ermahnet!“ So sollen auch wir Denen begegnen, die von Trübsalen heimgesucht sind. Ebenso spricht er im Briefe an die Thessalonicenser: „Weiset zurecht die Unruhigen!“ In Bezug auf die Kleinmüthigen aber sagt er nicht so, sondern wie? „Tröstet die Kleinmüthigen, stehet den Schwachen bei, habet Geduld mit Allen!“129 Was heißt Das: „tröstet“? Dieses Wort steht für: lasset die Hoffnung nicht sinken, verzweifelt nicht! Denn wer den von Trübsal Gebeugten nicht tröstet, macht ihn nur noch gefühlloser: „Damit nicht Jemand von euch verhärtet werde durch den Trug der Sünde.“ Entweder meint er hier den Trug des Teufels; denn Trug ist es wirklich, wenn man von der Zukunft Nichts erwartet und glaubt, daß uns keine Rechenschaft abgefordert werde, und daß wir unserer hier vollführten Thaten wegen keine Strafe erdulden müssen, und daß es keine Auferstehung gebe; - oder der Trug besteht andererseits in der Gefühllosigkeit oder in der Verzweiflung; denn die Sprache: Was ist zu machen, ich habe einmal gesündigt, und es ist keine Hoffnung, daß ich mich nochmals emporringe, - ist ein Betrug. - Dann flößt er ihnen wieder Hoffnung ein durch die Worte: „Denn wir sind Christi theilhaftig geworden,“130 wodurch er ungefähr sagen will: Der uns so geliebt und so hochgeschätzt hat, daß er uns zu seinem eigenen Leib erkoren, wird uns auch, wenn wir in Gefahr sind, unterzugehen, wohl beachten. Erwägen wir, zu welcher Würde wir erhoben wurden! Christus und wir sind Eins; versagen wir ihm also nicht unseren Glauben. Er spielt auch wieder auf Dasjenige an, was er an einer anderen Stelle sagt: „Wenn wir dulden, werden wir auch mitherrschen.“131 Denn Das besagen die Worte: „Wir sind theilhaftig geworden;“ wir nehmen Theil an Dem, was Christus angehört. Er spricht ihnen Muth zu, indem er an das zu Theil gewordene Gute erinnert: „Denn wir sind Christi theilhaftig geworden.“ Dann spricht er wieder in ernstem Tone: „Fürchten wir also, daß wir etwa die Verheissung, in seine Ruhe einzugehen, vernachlässigen und Jemand aus euch erfunden werde, zurückgeblieben zu sein.“ Denn Das ist deutlich und offenbar. - „Sie prüften mich,“ sagt er, „und doch sahen sie meine Werke vierzig Jahre. Siehst du, daß man Gott nicht zur Rechenschaft ziehen, sondern ihm, mag er nun seine schirmende Hand über uns halten oder diese zurückziehen, gläubig vertrauen soll? Wer noch Beweise seiner Macht oder seiner weisen Fürsorge verlangt, der glaubt noch nicht, daß er mächtig und gütig ist. Darauf deutet er auch in seinem Briefe hin, indem sie vielleicht die Prüfung und den Beweis seiner Macht und seiner Fürsorge für sie aus Dem, was ihnen widerfuhr, schöpfen wollten. Siehst du, daß die Frucht des Unglaubens immer die Beleidigung und der Zorn Gottes sind? Was sagt er nun? „Also steht noch eine Sabbatruhe für das Volk Gottes zu erwarten.“ Siehe, wie er seine ganze Rede zusammenfaßt. Er hat geschworen, sagt er, den Vorfahren, daß sie in seine Ruhe nicht eingehen sollen, und sie sind nicht eingegangen. Lange Zeit nachher spricht er zu den Juden: „Verhärtet euere Herzen nicht gleichwie euere Väter. Also ist offenbar von einer anderen Ruhe die Rede; denn Palästina kann nicht gemeint sein, weil sie im Besitze desselben waren; der siebente Tag aber gar nicht, weil von diesem, der ältesten Zeit angehörig, gar nicht gesprochen wurde; also muß eine andere Ruhe gemeint sein, die eine wahre Ruhe ist.


IV.

Ja, in der That ist das eine Ruhe, wo entflohen ist der Schmerz und die Trauer und das Seufzen, wo weder Sorgen noch Arbeiten noch Kämpfe sich finden, noch eine Furcht, welche die Seele niederschlägt und erschüttert, sondern allein die Furcht Gottes, die reich ist an Wonne. Dort hört man nicht mehr (die Worte): „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod essen,“132 noch auch: „Dörner und Disteln soll sie dir tragen,“ - Dörner und Disteln sind nicht mehr, - noch auch: „In Schmerzen sollst du deine Kinder gebären und sollst unter der Gewalt des Mannes sein, und er wird über dich herrschen.“ Dort ist Alles Friede, Freude, Wonne, Seelenlust, Güte, Milde, Aufrichtigkeit, Liebe. Dort herrscht weder Eifersucht noch Neid, weder Krankheit noch Tod des Leibes oder der Seele, nicht Finsterniß, nicht Nacht; dort ist Alles Tag, Alles Licht, Alles Ruhe; dort gibt es keine Ermüdung, keine Übersättigung, sondern wir werden fortwährend Lust an diesen Gütern haben. Wollet ihr, daß ich euch auch ein beiläufiges Bild des jenseitigen Zustandes (der Seligen) entwerfe? Das ist unmöglich; aber dennoch will ich’s nach meinen Kräften versuchen, euch ein solches Bild vor Augen zu stellen. Blicken wir auf zum Himmel, wenn er frei von lästigem Nebel seine Krone zeigt. Und hat uns dann die Schönheit seines Anblickes lange entzückt, so erwägen wir, daß wir einen Wohnsitz haben werden, aber keinen solchen wie der jetzige ist, sondern um so viel herrlicher ist, als sich das Gold vor einer Lehmdecke auszeichnet! Denken wir uns dann wieder die obere Decke, ferner die Engel, die Erzengel, die zahllosen Schaaren der unkörperlichen Mächte, den Wohnsitz Gottes, den Thron des Vaters; allein wie ich schon gesagt, die Sprache ist ohnmächtig, das Ganze zu schildern: Erfahrung ist nothwendig und eine aus Erfahrung entsprungene Erkenntniß. Wie glaubt ihr, daß Adam im Paradiese gelebt habe? Um so viel aber ist das himmlische Leben herrlicher als jenes, um wie viel der Himmel den Vorzug hat vor der Erde. - Jedoch wir wollen noch ein anderes Bild aufsuchen. Wenn es geschähe, daß der jetzige Kaiser Beherrscher des ganzen Erdkreises würde und weder durch Kriege noch durch Sorgen belästiget wäre, sondern nur Ehren und Freuden genöße, indem ihm reiche Abgaben133 zuflößen und das Gold von allen Seiten zusammenströmte und er von Allen bewundert wäre: was für ein Gefühl würde ihn erfüllen, wenn er alle Kriege von der Erde verbannt sähe? Etwas ähnliches wird dereinst stattfinden; allein jenes Bild zu entwerfen ist mir noch nicht gelungen, weßhalb ich ein anderes versuchen muß. Denke dir ein königliches Kind, welches, solange es im Mutterschooß ist, Nichts empfindet, nun plötzlich von dort auf den königlichen Thron kommt und nicht allmählig, sondern auf einmal in den Besitz aller Macht gelangt. So ungefähr ist das Verhältniß unseres jetzigen und jenseitigen Looses; - oder wenn ein Gefangener, der zahllose Leiden erduldet, plötzlich auf den Königsthron erhoben würde. Aber auch diese Bilder sind noch nicht zutreffend zu nennen. Denn an den irdischen Gütern, und beständen sie auch in einer königlichen Herrschaft, hat Derjenige, welcher in den Besitz derselben gelangt, wohl am ersten Tage eine herzergötzende Freude, auch am zweiten und dritten noch; im Verlauf der Zeit aber bleibt zwar das Vergnügen, aber es ist lange nicht mehr so groß; denn es wird, mag es wie immer geschaffen sein, durch die Gewohnheit geschwächt; - dort aber tritt nicht nur keine Minderung ein, sondern es gewinnt stets neuen Zuwachs. Bedenke doch, welch großes Glück! Eine abgeschiedene Seele kennt keine Furcht mehr, daß jene Güter einmal ein Ende nehmen oder einen Wechsel erfahren könnten, sondern weiß, daß die Glückseligkeit sich fort und fort mehren und dieß glückselige Leben ewig dauern werde: sie ist frei von allen Gefahren, frei von Kummer und Sorge und ergötzt sich in der Fülle der Wonne, im Genusse unzähliger Güter. Denn wenn wir auf’s Feld hinausgehen und dort die Soldatenzelte, die aus Teppichen verfertiget sind, und die Speere und die Helme und die glänzenden Buckel der Schilde betrachten, so erfaßt uns hohe Bewunderung. Wenn wir nun aber auch schauen, wie der König zu Fuß in die Mitte (der Seinigen) eilt, oder wenn wir ihn zu Pferde im Strahlenglanze goldener Waffen erblicken, so vermeinen wir Alles zu haben: was glaubst du, (daß wir empfänden,) wenn wir der Heiligen ewige Gezelte, die im Himmel aufgeschlagen sind, anschauen könnten? „Denn sie werden,“ heißt es, „euch aufnehmen in die ewigen Wohnungen;“134 - wenn du einen Jeden hellglänzender als die Sonne leuchten sähest, nicht in Erz und Eisen, sondern in jener Herrlichkeit, deren Gefunkel kein Menschenauge zu schauen vermag? Das gilt in Bezug auf die Menschen. Was würdest du aber erst sagen beim Anblick der Tausende von Engeln und Erzengeln, der Cherubim und Seraphim, der Thronen, der Herrschaften, der Gewalten, der Mächte, deren Schönheit unerfaßlich ist und allen Verstand übersteigt? Jedoch his wohin verliere ich mich, indem ich Unerreichbares verfolge? Denn „kein Auge,“ heißt es, „hat es gesehen, kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott Denen bereitet hat, die ihn lieben.“135 Die beklagenswerthesten Menschen sind also Die, welche Das nicht erreichen, und über Alles glückselig Die, welche in den Genuß Desselben gelangen. Möchten doch auch wir aus der Zahl der Seligen sein, damit wir der ewigen Güter theilhaftig werden in Christus Jesus, unserem Herrn, dem mit dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ruhm, Macht und Ehre jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Homilien über den Brief an die Hebräer

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