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Der Tanz auf dem Vulkan

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Die nur vier Jahre dauernde Regierung des Bundeskanzlers Dr. Kurt von Schuschnigg war ein mühsamer und letztlich erfolgloser Kampf, die Unabhängigkeit Österreichs zu erhalten. Adolf Hitler demütigte den österreichischen Kanzler, der nationalsozialistische Minister in sein Kabinett aufnehmen musste. Es kam zu einem Besuch Schuschniggs bei Hitler auf dessen Berghof. Doch es wurde immer klarer, dass der Naziführer einen zweiten deutschen Staat, wie sich Österreich selbst definierte, neben seinem Deutschen Reich nicht zu akzeptieren bereit war.

Bislang verbotene nationalsozialistische Zeitungen wurden in Österreich wieder erlaubt, was neben anderen Ereignissen zum Untergang des austrofaschistischen Regimes beitrug. Am 24. Februar 1938 beendete Schuschnigg einen flammenden Appell, die Unabhängigkeit Österreichs zu bewahren, mit dem Ruf »Bis in den Tod! Rot-Weiß-Rot! Österreich!« Der Tenor dieser Rede brachte Hitler zusätzlich auf.

Kurt von Schuschnigg startete noch einen letzten Versuch, die Souveränität des Landes zu behaupten, indem er für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung plante. Dabei sollte über die Unabhängigkeit Österreichs abgestimmt werden. Für diese Unabhängigkeit wären neben den Christlich-Sozialen auch die Sozialdemokraten und die Kommunisten eingetreten. Die nationalsozialistischen Mitglieder der österreichischen Regierung erklärten das geplante Plebiszit für verfassungswidrig. Schuschnigg hatte das Kabinett nämlich nicht konsultiert und überdies war die Volksabstimmung administrativ aufgrund der Zeitknappheit nicht vorbereitet.

Jedenfalls war die Naziführung in Berlin nun alarmiert und änderte ihre Taktik gegenüber Österreich. Schließlich, so befürchtete Hitler, könnte ein Votum eine Mehrheit gegen den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bringen. Am 10. März 1938 musste Schuschnigg die Volksabstimmung absagen. Der österreichische Kanzler wurde zum Rückzug gezwungen. Bundespräsident Wilhelm Miklas gelang es nicht, einen nicht-nationalsozialistischen Kanzler zu finden. Also übernahm der Nazi Arthur Seyß-Inquart für drei Tage die Regierungsgeschäfte, nachdem Hermann Göring massiven Druck ausgeübt hatte. Am 13. März 1938, dem Tag des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich, war alles vorbei.

Es war ein Tanz auf dem Vulkan, den die Bevölkerung des kleinen Österreich damals erlebte. Und dennoch behielten die Menschen auch in dieser Zeit ihren Humor.


Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg schätzt es gar nicht, dass böse Witze über ihn verbreitet werden. Er lässt die Polizei nach den Urhebern dieser Witze suchen. Als ein Witzeproduzent festgenommen und zu Schuschnigg gebracht wird, herrscht ihn dieser an: »Was fällt Ihnen ein, blöde Witze auszustreuen. Sie wissen doch genau, dass neun Zehntel der Österreicher hinter mir stehen?!«

Da entkommt dem guten Mann ein lauter Lacher: »Herr Bundeskanzler, der Witz ist gut, aber dafür können Sie mich nicht bestrafen, der ist nicht von mir!«

Als eines Morgens vor dem Bundeskanzleramt in Wien ein Korb mit einem Säugling entdeckt wird, befragen die führenden Beamten sogleich alle Mitarbeiter, ob das Kind wohl aus dem Haus stammt. Ein Hofrat sagt, dies sei völlig unmöglich. Hier sei nämlich noch nie ein Akt innerhalb von neun Monaten erledigt worden. Überdies sei in diesem Amt auch noch nie mit Lust und Liebe gearbeitet worden. Und schließlich sei vom Ballhausplatz noch nie etwas in die Welt hinausgegangen, das Hand und Fuß hat …

Wissen Sie, wer der schlechteste Maler ist? – Schuschnigg. Der streicht ununterbrochen sein Kabinett neu an und immer wieder schlägt das Braune durch …

In Berlin, wo die Braunen längst fest im Sattel sitzen, steigt ein Mann in die Straßenbahn ein und will sich auf den einzig freien Platz neben einem Juden setzen. Aber auf diesem Platz liegt ein Paket. Also fährt er den Juden an: »Nehmen Sie das Paket von diesem Platz weg!«

»Warum denn?«, wehrt sich der Jude.

»Nehmen Sie unverzüglich das Paket weg oder ich rufe den Schaffner!«

Es entwickelt sich ein verbaler Schlagabtausch, da schaltet sich der Schaffner, offensichtlich ein Nazi, brüllend ein: »Nehmen Sie jetzt das Paket von dem Sitz oder ich werfe es aus dem Fenster!«

Der Jude tut so, als gehe ihn das nichts an, also schmeißt der Schaffner das Paket durch das offene Fenster auf die Straße und schreit: »Sie werden lernen, die Rechte anderer zu respektieren!«

Der Jude kurz angebunden: »Das war nicht mein Paket …«

Folgender Witz macht in Berlin die Runde: Propagandaminister Joseph Goebbels packt den ersten Juden, den er auf der Straße antrifft, beim Kragen und hängt ihm ein großes Plakat um den Hals, auf dem zu lesen steht: »Juden raus, Arier rein!« Der Jude, so befiehlt Goebbels, müsse dieses Plakat einen Tag lang auf einem öffentlichen Platz tragen. Am Nachmittag will er überprüfen, ob der Jude seine Anordnung ausführt. Nirgendwo ist der Mann zu finden, bis ihn Goebbels endlich auf dem Friedhof entdeckt – mit dem großen Plakat um den Hals: »Juden raus, Arier rein!«

Ebenfalls in Berlin bricht ein Tiger aus dem Zoo aus und rennt durch die Stadt. Die Menschen geraten in verständliche Panik, da gelingt es einem mutigen jungen Juden, die Raubkatze mit einem Lasso einzufangen und festzuhalten, bis die Wärter des Tiergartens den Tiger in seinen Käfig zurückbringen. Ein Zeitungsreporter informiert von diesem Vorfall seinen Chefredakteur, den Judenhasser Julius Streicher, der einen Bericht in sein Blatt »Der Stürmer« unter diesem Titel einrückt: »Grausamer Jude überfällt hilflose Katze!«

Ein Jude sitzt auf einer Parkbank und liest besagte Nazizeitung »Der Stürmer«. Da kommt ein anderer Jude vorbei, der sich empört: »Wie kann ein Jude ein antisemitisches Schmierblatt lesen?«

Darauf antwortet der Erste: »Wissen Sie, wenn ich die jüdische Presse lese, wird mir ganz übel, denn da stehen furchtbare Sachen über Misshandlungen, Verhaftungen und Vertreibungen von Juden. Da lese ich lieber den ›Stürmer‹, denn worüber berichtet der? Dass die Juden die ganze Welt beherrschen, den Welthandel domieren und alle Regierungen beeinflussen. Da wird mir ganz wohl ums Herz!«

Irgendwo in der deutschen Provinz befragt ein Lehrer seine Schüler:

»Wie lautet Dein Vorname, Mayer?«

»Horst.«

»Und Deiner, Müller?«

»Hermann.«

»Und Dein Vorname, Rosenblatt?«

»Sie werden lachen, Herr Lehrer: Adolf.«

Etwa zur gleichen Zeit sitzen im Wiener Stadtpark zwei Juden und räsonieren über den immer massiveren Antisemitismus in Österreich. Da kommt ein Vogel geflogen und lässt eine Absonderung auf Kohns Hut herunterfallen. »Da siehst Du«, sagt Itzig bitter, »was ich Dir gesagt hab’: für die Goi (Anm.: Nichtjuden) singen sie!«

Levy und Blau sitzen in einem Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt, studieren die Zeitungen und besprechen alles Mögliche.

Blau: »Stell Dir vor, der Ätna ist ausgebrochen!«

Levy: »Wer ist der Ätna?«

Blau: »Das ist ein italienischer Vulkan, der Feuer speit!«

Levy denkt nach und fragt dann: »Ist das gut oder schlecht für uns Juden?«

Dialog in der Wiener Straßenbahn.

Ein Antisemit: »Alles Unglück kommt von den Juden!«

Ein Jude: »Nein, es kommt von den Radfahrern.«

Der Antisemit: »Wieso von den Radfahrern?«

Der Jude: »Wieso von den Juden?«

Eine gut besuchte Varietévorstellung in Wien.

Ein Vortragskünstler kommt auf die Bühne, da dreht sich ein Jude zu seinem Nachbarn hin und raunt ihm zu: »Einer von unsere Leut’!«

Als nächste betritt eine Sängerin die Bühne. »Auch eine von unsere Leut’«, sagt der Jude.

Schließlich ist ein Tänzer an der Reihe. »Wieder einer von unsere Leut’«, bemerkt der Jude.

»Oh Jesus«, stöhnt der genervte Nachbar.

»Der ist auch einer von unsere Leut’«, bestätigt der Jude.

Isidor Rosenzweig lässt sich in Wien zum lutherischen Glauben bekehren, obwohl die meisten Christen hier Katholiken sind. Befragt, warum er das mache, antwortet Rosenzweig: »Wenn ich gleich Katholik werde, will man von mir wissen, welche Konfession ich vorher hatte. Und dann muss ich sagen: Jude. Wenn ich mich aber jetzt katholisch taufen lasse und es fragt mich einer nach meinem bisherigen Glauben, kann ich ihm sagen: Lutheraner.«

Die Bedrohung Österreichs durch Hitler-Deutschland wird immer stärker. Dennoch ist Mandelbaum hinsichtlich der Anschlussgefahr zuversichtlich: »Niemals wird der Hitler in Österreich einmarschieren, denn sonst gibt’s Krieg. Schau’ Dir doch die Erdkugel an, lieber Blau: Da liegt das kleine Deutschland in der Mitte – und das alles rundherum gehört zu Frankreich, zu England, und dort das riesige Russland, von Amerika gar nicht zu reden!«

»Gut und schön«, wirft der skeptische Blau ein. »Aber weiß das auch der Hitler?«

Der spätere König Edward VIII. hält sich als Prinz von Wales gerne zur Jagd in Österreich auf. Bundespräsident Wilhelm Miklas lädt ihn zu einem festlichen Empfang in die Hofburg ein. Der Prinz fragt beim Betreten des Saales seinen Sekretär: »Was kann ich mit dem Präsidenten besprechen?«

»Königliche Hoheit«, erwidert der Sekretär, »Miklas war Mittelschul-professor in Horn, ist politisch uninteressant und hat zwölf Kinder.«

Wenige Minuten später lehnen der Prinz und der Präsident an einem Fenster in der Hofburg. Nach ein paar höflichen Phrasen herrscht mangels Gesprächsthemen Stille. Da erinnert sich der Prinz: »Sagen Sie, Exzellenz, ist das wahr, Sie sind Vater von zwölf Kindern? Wie kommt das?« Darauf Miklas: »Mein Gott, königliche Hoheit! In Horn, in Horn, und wenn’s regnet …«

Nach seiner kurzen Regentschaft 1936 trifft der nunmehrige Herzog von Windsor mit Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg zusammen, der ihn fragt: »Wie machen Sie es bloß, dass Sie bei der Bevölkerung so beliebt sind?«

Der Herzog schlagfertig: »Tun Sie es mir einfach gleich und treten Sie zurück!«

Als Karl Kraus, der Autor des Buches »Die letzten Tage der Menschheit« und scharfzüngige Kommentator des Zeitgeschehens, 1936 in Wien stirbt, reagiert sein Intimfeind Anton Kuh mit den Worten: »Wenn einem so ein Feind wegstirbt, da geht ein Freund dahin.« Und Oskar Kokoschka sagt: »Karl Kraus – abgestiegen zur Hölle, zu richten die Lebendigen und die Toten!« Egon Friedell wiederum äußert sich so: »Ein Mensch, der davon gelebt hat, andere umzubringen, kann doch nicht tot sein!«

Die 1873 anlässlich der Weltausstellung errichtete Rotunde, ein großer Kuppelbau im Wiener Prater, fällt 1937 einem Großbrand zum Opfer. Die Schläuche der Feuerwehr sind gerade ausgelegt, da erscheint Bundespräsident Wilhelm Miklas, um sich über den Stand der Löscharbeiten zu informieren. Miklas dankt dem Polizeipräsidenten, nimmt eine Schere, zerschneidet einen Schlauch und sagt: »Hiermit erkläre ich den Brand der Rotunde feierlich für eröffnet!«

So sah der Zeichner im »Daily Express«, London, vom 17. Februar 1938 die höchst prekäre Situation der österreichischen Regierung.

Im Hofe eines Wiener Gefängnisses drehen die Häftlinge ihre Runden. Da fragt einer: »Ist Euch bewusst, dass in Österreich heutzutage die Maulund Klauenseuche ärger wütet als früher einmal die Pest?«

»Wieso?«, wirft ein Zweiter ein.

Darauf der Erste: »Ich sage es Euch: Unten maulen’s und oben klauen’s!«

Anton Kuh wird kurz vor dem Anschluss Österreichs von Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg aufgefordert, ihn in dessen Büro aufzusuchen und seine Einschätzung der politischen Lage zu erläutern. Später sagt Kuh dazu: »Am selben Tag packte ich die Koffer und fuhr nach Paris. Weil ein Land, das meinen Rat braucht, rettungslos verloren ist!«

Jene österreichischen Juden, die es sich finanziell leisten können, wollen nun aus Angst vor dem Einmarsch der Nazitruppen schleunigst das Land verlassen. Ein Jude geht mit seinem Koffer auf einen Wiener Bahnhof, da fährt ihm der Zug doch glatt vor der Nase weg. »Alles Antisemiten!«, murmelt er verbittert.

Ein anderer Jude schafft es gerade noch, in einen Fernzug zu steigen.

»Dann kam der Schaffner und schaute mich an, als hätte ich keine Fahrkarte.«

»Und was hast Du getan?«, fragt sein Freund.

»Ich habe ihn angeschaut, als hätte ich eine Fahrkarte.«

Wenige Tage vor der Abschlussprüfung seines Jusstudiums am Ende der Ära Schuschnigg wird der illegale Sozialist Bruno Kreisky, der zwei Jahre zuvor als 25-Jähriger im sogenannten Sozialistenprozess des Hochverrates angeklagt war, vom Leiter der Wiener Staatspolizei, Hofrat Weiser, zu sich bestellt. Der fragt ihn angesichts der Bedrohung durch das Dritte Reich beinahe freundschaftlich: »Na, was werdet’s denn jetzt eigentlich machen?«

Kreisky antwortet ironisch: »Ja, so ist das mit der Diktatur. Wenn sie mit der Opposition in Kontakt kommen will, kann sie das nur über die Staatspolizei.«

Der Zeichner Parrish in der »Chicago Tribune« vom 11. März 1938 über das Ende der Ersten Republik

Und am 14. März 1938, als die Hitler-Truppen schon im Lande sind, erscheint die Gestapo in der Wohnung der jüdischen Familie Kreisky, um den Jungsozialisten festzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt ist Bruno Kreiksy aber nicht zu Hause, sondern legt gerade die Abschlussprüfung seines Jusstudiums ab. Professor Schönbauer, ein prominenter Deutschnationaler, weiß genau, wen er vor sich hat, weshalb die Prüfungsfrage auch nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt. Kreisky soll die Rechtsmäßigkeit des Anschlussgesetzes begründen. Der Kandidat gelassen: »Ich bitte, mir eine andere Frage zu stellen, weil ich, eben wegen Bestreitung der Rechtsgrundlage der Regierungen Dollfuß, Schuschnigg und Seyß- Inquart, nicht in der Lage bin, eine positive Begründung zu geben.«

Professor Schönbauer, verblüfft: »Diese Antwort nennt man in Ihren Kreisen wohl Chuzpe?«

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