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Kosename Mony

Es ist der 11. Dezember 1908. Unter den Menschen, die an diesem trüben Wintertag in Wien geboren werden, sind manche, denen ein außergewöhnliches Schicksal vorgezeichnet ist. Da ist etwa ein Mädchen, die Jüdin Ruth Weiss. 1933 wird sie nach Shanghai emigrieren; später wird die Lehrerin und freie Journalistin Augenzeugin der chinesischen Revolution und der Aufbaujahre der Volksrepublik China, sie stirbt 2006 im Alter von 97 Jahren. Und da ist ein Junge, Amon Leopold Göth. Er wird 1946 am Galgen sterben, sein Leichnam verbrannt, die Asche verstreut. Die Erinnerung an ihn wird jedoch für immer bleiben.

Er tritt ins Leben im Haus Nummer 5 in der Morizgasse in der Vorstadt Gumpendorf. Hier liegt an diesem 11. Dezember 1908 die 31-jährige Bertha Göth in den Geburtswehen, ihr zur Seite steht die Hebamme Maria Altmann, die aus der nahen Stumpergasse herbeigerufen worden ist und das Vertrauen der Gebärenden besitzt. Als der ersehnte Sohn das Licht der Welt erblickt, ist die Freude groß.

Eine Woche später, am 18. Dezember 1908, bringen Amon Franz und Bertha Göth ihr Kind in die Pfarrkirche Gumpendorf zur Taufe; Taufpate ist Onkel Amon Göth, wohnhaft in der Oberen Augartenstraße 50, als Beruf hat er im Pfarramt „Geschäftsleiter“ angegeben.

Die Eltern sind sich einig: Ihr Sohn wird jenen ungewöhnlichen Vornamen tragen, der in der Familie zur Tradition geworden ist: Amon. Amon oder Amun, das ist der widderköpfige „Allesbeweger“ der alten Ägypter, der Gott der Fruchtbarkeit, der den Sternen, den Menschen und den Tieren das Leben gab und als Amun-Re zum Hauptgott des Landes wurde. Um ihn von Vater und Taufpaten und Großvater, der ebenfalls Amon Göth heißt, zu unterscheiden, hat man sich für „Leopold“ als zweiten Vornamen entschieden. Der Kooperator der Pfarrkirche zum heiligen Ägydius, Pater Gallus Urwalek, spendet das Sakrament; die Familie feiert andächtig mit; sie fühlt sich den Traditionen des katholischen Glaubens eng verbunden. Amon Franz und Bertha Göth, geborene Schwendt, haben am 2. Februar 1908 in der Pfarrkirche Mariahilf in Graz geheiratet, beide sind jedoch „echte“ Kinder der Haupt- und Residenzstadt Wien und stammen aus einfachen Verhältnissen: Der Vater, Sohn des Kellners Amon Göth und der Maria Göth, geborene Rokos, ist am 4. Mai 1880 in Hernals geboren; die Mutter Bertha ist am 21. Juli 1877 als Tochter des Leopold Schwendt, eines Gumpendorfer Zimmermeisters, und der Anna Schwendt, geborene Fröhsl, zur Welt gekommen. Amon Franz Göth ist „Reisender“, was immer das genau heißen mag. Und er hat eine große Familie: Acht Geschwister sind es neben ihm.

Tante Käthe, eine der Schwestern des Vaters, selbst kinderlos, kümmert sich aufopferungsvoll um den kleinen Amon, der nur mit seinem Kosenamen „Mony“ gerufen wird, ja, sie „vergöttert“ den Jungen geradezu, dem es an nichts fehlt. Obwohl sich seine Eltern wenig Zeit für ihn nehmen, entwickelt der Junge, so die Familienüberlieferung, eine starke Elternbindung.

Es ist Monys Mutter Bertha, die Geschäftssinn beweist und das kleine Familienunternehmen, einen 1916 gegründeten „Buch- und Kunsthandel“, erfolgreich führt. Inhaber des im März 1916 ausgestellten Gewerbescheins ist Vater Franz Amon, der bereits seit dem Frühjahr 1914 eine Konzession als „Reisebuchhändler“ besitzt. Nun ist er für die neue Firma, die unter „Ausschluss des Ladenverkaufs“ arbeitet, als Reisender tätig. Er und wohl auch einige Mitarbeiter verkaufen, was man in den bürgerlichen Haushalten in diesen Tagen des Krieges benötigt: Bücher religiösen und patriotischen Inhalts, Heiligenbilder, Ansichtskarten und diverse Papierwaren. Im Oktober 1916 erwirbt Amon Franz Göth noch eine Konzession für den „Gemischtwarenhandel en gros“; Standort des Unternehmens ist von nun an die Mariahilfer Straße 105. Die Familie selbst ist inzwischen von der Morizgasse 5 in die Mittelgasse 37 umgezogen.


Ein netter Junge aus bürgerlichem Haus: Amon Göth, genannt Mony

Als „Seele des Unternehmens“ werkt von Beginn an Bertha Göth, sie führt die Geschäfte. Ihr Mann gibt das Geld, das sie verdient, auf weiten Reisen, die ihn bis in die USA und durch Europa führen, wieder aus. Franz Amon Göth ist ein Gentleman und ein Mann von Welt – er spricht perfekt Englisch und beeindruckt durch beste Umgangsformen. Diesen ausgeprägten Sinn für Stil und Etikette vererbt er auch seinem Sohn: „Er prüfte zuerst die Tischmanieren. Und wenn da nichts missfiel, wurde man in seinen Kreis aufgenommen“, erzählt Tochter Monika heute über ihren Vater.

Familie Göth lebt in guten bürgerlichen Verhältnissen: Man hat ein Dienstmädchen und irgendwann zu Beginn der Zwanzigerjahre kann man sich sogar ein schickes Automobil leisten – für den heranwachsenden Mony wird der erste Ausflug mit dem chromblitzenden Gefährt zur faszinierenden Erfahrung.

Als Mony im Herbst 1915 beginnt in die Schule zu gehen, tobt seit über einem Jahr der Erste Weltkrieg. Längst ist die Begeisterung der Augusttage 1914 verflogen; nach den blutigen Niederlagen im Herbst 1914 schöpft man jedoch wieder etwas Hoffnung: In Galizien sind die k. u. k. Truppen wieder in der Offensive; in den Dolomiten und am Isonzo stehen sie erfolgreich im Abwehrkampf gegen die Italiener. Noch mag niemand daran denken, dass dieser Krieg der letzte der ruhmreichen Armee des Kaisers sein könnte. Für Franz Amon Göth bleibt der Krieg überhaupt ein fernes Ereignis: Er hat es irgendwie geschafft, nicht zur Truppe eingezogen zu werden.

Mony besucht eine private katholische Volksschule; seine Eltern wollen ihm jene Werte vermittelt wissen, die sie zur Richtschnur ihrer Existenz erhoben haben: Gottvertrauen, Fleiß, Anständigkeit, Gesetzestreue. Ihr Sohn soll einmal in ihre Fußstapfen treten und die Firma übernehmen, die sie mit so viel Kraftanstrengung aufgebaut haben. Es ist das drückende Gefühl dieser Verpflichtung den Eltern gegenüber, das Mony von den Volksschultagen an nicht mehr los wird.

Die Schrecken des Krieges ziehen an dem durchaus aufgeweckten Volksschüler wohl nicht spurlos vorbei: Familie Göth wohnt seit Februar 1917 in einem neu erbauten Haus in der Mollardgasse 34; unweit davon befindet sich die 1873 als „k. k. Kunststickereischule“ gegründete „k. k. Zentral-Lehranstalt für Frauengewerbe“, die seit dem Ausbruch des Krieges als Lazarett dient. Beinahe täglich treffen hier von dem nur einen Kilometer entfernten Frachtenbahnhof der Südbahn die Sanitätswagen mit Verwundeten vom Isonzo ein – der Anblick verstümmelter, halbtoter Soldaten, von Männern ohne Arme oder Beine in blutigen Verbänden wird zu seinem Kriegserlebnis. Für große Illusionen über den heroischen Krieg ist da kein Platz mehr, wohl aber für das schmerzende Gefühl der Niederlage und des Untergangs, das auch die bürgerliche Welt der Göths durchtränkt. Mony ist zehn Jahre alt, als die Monarchie zusammenbricht und die Republik „Deutsch-Österreich“ ausgerufen wird. Bald wird er erkennen, dass er mit dieser um ihr Überleben kämpfenden Repablick nichts zu tun haben will; da ist die Sehnsucht nach einer größeren Heimat, die nur Deutschland heißen kann …

Noch ordnet er sich jedoch der Lebensplanung seiner katholischen Familie unter: Am 29. Mai 1919, es ist der Christi-Himmelfahrts-Tag, empfängt Mony im Stephansdom das Sakrament der Firmung – in St. Germain-en-Laye wartet die österreichische Delegation an diesem Tag vergeblich auf die angekündigte Überreichung des Friedensvertrages. Eine weitere Demütigung durch die Entente-Mächte, die man nicht vergessen wird.

Der Henker

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