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Explosive Entdeckungen am Petersberg

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So findet sich auf der Liste unter der Ordnungsnummer NÖ090 eine Stollenanlage in Rohrbach am Steinfeld mit den ergänzenden Hinweisen „Peterwald, bei Spinnerei Rohrbach“ und „Eingänge gesprengt“, auch die Adresse ist wenig aussagekräftig: „B17 – Feldweg“. Die Zugänge zu dem im „Rohrbacher Konglomerat“ aufgefahrenen Stollensystem werden schließlich von den Sachverständigen der BIG lokalisiert – sie liegen im Naturschutzgebiet am Petersberg über dem Peterwald, zwischen Neunkirchen und Ternitz. Von drei Mundlöchern A, B und C in etwa 380 m Seehöhe aus führten parallele Stollen in westsüdwestliche Richtung; diese drei Stollenröhren waren durch sieben normal dazu verlaufende Stollenachsen verbunden; ein viertes Mundloch bildete einen „rampenartigen“ seitlichen Zugang – eine aufwändig mit Betonformsteingewölbe ausgeführte Stollenanlage, die sicherlich nicht nur Luftschutzzwecken diente. Dazu passt die Beobachtung, dass offenbar mit „Demolierungssprengungen“ an den Kreuzungspunkten versucht worden ist, die gesamte Anlage zu zerstören. Noch gut erkennbare Bombentrichter im Gelände lassen weiters darauf schließen, dass das Stollensystem Ziel eines Luftangriffs war. Was bewog die alliierten Bomberpiloten, hier auf dem Petersberg ihre todbringende Fracht abzuwerfen?

Die Frage nach dem Warum bewegt das BIG-Underground-Team jedoch noch kaum, jetzt geht es darum, der unmittelbaren Gefahr Herr zu werden, und die ist nicht zu unterschätzen: Bei ihrer Befahrung der zum Teil verbrochenen Stollen kommen sie plötzlich auf rostigem Metall zu stehen – eine Entdeckung, die alsbald ein mulmiges Gefühl bewirkt: Die im Verbruchsmaterial auftauchenden Metallkörper entpuppen sich als 250-kg-Fliegerbomben, die alle Sprengversuche „überlebt“ haben und nun vorsichtig vom Entminungsdienst entschärft und geborgen werden müssen. Insgesamt sieben Bomben werden von den Experten behutsam freigepinselt und aus den Stollen gezogen, alles läuft ohne Zwischenfall ab.

Leopold Weber kommt in seinem Gutachten zu einer Einstufung in „Priorität 2“ und empfiehlt als „Sofortmaßnahme“, die „befahrbaren Bereiche auf Explosiva zu sondieren“; nach der Entfernung der Bomben seien die ersten ca. 5 m der Tagzugänge mit einer Betonplombe, die „in das anstehende Konglomerat kraftschlüssig einzubauen ist“, zu verschließen; der Zutritt müsse für „Unbefugte und Abenteurer dauerhaft wirksam“ unterbunden werden. „Knapp bergseits der Streckenkreuze A1, B1 und C1“ seien „statisch bemessene (Kies-)dämme zu errichten und der tagnahe Bereich der Hohlräume von obertage aus über Bohrungen zu verfüllen“. Erst nach Durchführung aller Sicherungsmaßnahmen könne eine „Rückreihung auf Priorität 4“ erfolgen. Inzwischen ist auch die lokale Presse auf die Tätigkeit der BIG am Petersberg aufmerksam geworden; Reporter Thomas Santrucek spricht vor Ort mit Karl Lehner; dann schockt er die Leser des Schwarzataler Bezirksboten vom 25. Juli 2002 mit der Schlagzeile: Nach Bombenalarm zittert eine Stadt! und zitiert prompt einen Zeitzeugen, der zu berichten weiß, dass zwei Bomben von den Russen in den „Bunker“ gebracht worden seien, er habe dies selbst beobachtet; Mitte der 1950er-Jahre habe er Baumaterial aus der Stollenanlage geschafft und sei dabei wiederum auf die Bomben gestoßen. Inzwischen ist auch ein Plan des Systems aus dem Jahre 1947 im Maßstab 1 : 200 bzw. 1 : 500 aufgetaucht und man weiß nun endlich, was es mit ihm tatsächlich auf sich hatte: „Allg. Teilebau f. Vormontage“ liest man in einer streng geheimen Aufstellung zur Untertage-Verlagerung der Wiener Neustädter Flugzeugwerke vom 15. November 1944; der Tarnname des Projekts im „Rohrbach Stollen“ sei „Cyanid“, der Deckname selbst lautet „Hans Bauer & Karl Schranz Schrauben & Nietenfabrik“, Betriebsführer – zumindest auf dem Papier – ein Ing. Bauer. Die Produktionsfläche im Stollen wird mit 3.100 m2 vermerkt, die Zahl der Belegschaft mit 1.653 angegeben, der Sollstand mit 1.400 Arbeitern. Davon arbeiten allerdings nur 53 direkt im Stollen; eingesetzt werden auch Zwangsarbeiterinnen, vor allem Russinnen, aus dem Frauenlager in Rohrbach, das sich in der Nähe des Rohrbacher Steinbruchs befindet und in seinen Anfängen bis auf den Sommer 1941 zurückgeht.


Fliegerbomben warten beim Entminungsdienst auf ihre Entsorgung.


Der „Schwarzataler Bezirksbote“ schockt seine Leser mit einer Aufsehen erregenden Schlagzeile.

Der Standort, zu dem auch die Gebäude der Rohrbacher Spinnerei mit einer mechanischen Werkstätte für die Rumpfvormontage zählen, ist neben Betrieben in Waldegg, Launsdorf, Breitenau, Kottingbrunn, Obergrafendorf, Rabenstein, Zwölfaxing und Wien Teil des „Fertigungsringes Nieder-Donau“; die „Teile“, die hier gefertigt werden, gehören zur Messerschmitt Bf 109, dem meistgebauten Jagdflugzeug der Geschichte, mit dem während des Zweiten Weltkrieges auch die meisten „Luftsiege“ errungen werden. Pro Monat, so der Plan, sollen 500 Rümpfe produziert werden. Die Entscheidung für eine Untertag-Fertigung im „Rohrbach Stollen“ fällt vermutlich irgendwann im Herbst 1943 – wann genau mit den Bauarbeiten am System begonnen worden ist, bleibt noch zu erforschen.

Am Ostersonntag 1945, man schreibt den 1. April, besetzen Soldaten der Roten Armee das Werksgelände der Rohrbacher Spinnerei und damit ist wohl auch die Arbeit im Stollen zu Ende; alle noch vorhandenen Flugzeugteile und Maschinen werden von den Russen beschlagnahmt. Die Demontage und die Räumung dauern bis zum April 1947, dann soll das Stollensystem mit Hilfe von Fliegerbomben gesprengt werden – ein Vorhaben, das wie oben geschildert nur zum Teil gelingt: Die drei Eingangsbereiche zu den Stollen werden zwar vollkommen zerstört, die tiefer liegenden Stollenabschnitte bleiben jedoch intakt.

Die endgültige Entscheidung über die Stollen am Petersberg fällt schließlich am 26. Februar 2003. Bei einem „Gipfel“ mit dem Neunkirchner Bürgermeister Herbert Kauz und Leopold Lindebner von der Bundesforstinspektion Neunkirchen erklärt Karl Lehner, dass eine Nachnutzung der Stollenanlage auf Grund der Versprengungen ausgeschlossen sei, sein Vorschlag daher: Wie von Leopold Weber empfohlen, sollen die drei ehemaligen Haupteingänge nach Bergung aller Explosiva mit 5 Meter starken „Betonpfropfen“ für immer versiegelt und verbrochene Stollenbereiche verfüllt werden, zuvor würde man die Anlage noch genau vermessen und die Daten bei der BIG hinterlegen. Abschließend werde man das in Anspruch genommene Gelände rekultivieren. Das Sicherungskonzept wird angenommen und umgesetzt.


Künstlich geschaffener Zugang für die Sicherungsmaßnahmen am Petersberg.

Der Tiroler Stollenexperte steuert die Arbeiten mit gewohnter Perfektion: Umfangreichen Erkundungsbohrungen, wobei auch Kamerabefahrungen der aufgefundenen Hohlräume vorgenommen werden, folgen ab dem 8. Juli 2003 die Verfüllarbeiten; bis zum 6. August 2003 werden ca, 2.500 m3 Dämmermaterial eingebracht. Der „Bohrraster“ der Verfüllbohrungen wird dabei so engmaschig gewählt, dass, wie Martin Scheiber in seinem Abschlussbericht feststellt, die betroffenen Stollenbereiche „dauerstandsicher“ gestellt sind. Inzwischen sind auch die Spuren der Sanierungsarbeiten am Petersberg verwischt, der Wald ist zurückgekehrt; die letzten Geheimnisse des Geheimprojekts „Cyanid“ werden hier für immer verborgen und begraben bleiben.

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