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Ein „Pingenfall“ in Villach

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Man schreibt Freitag, den 3. Mai 2002. Die Villacher Psychotherapeutin Vera Fritz genießt im Garten des Familienanwesens am Jakominirain den strahlend schönen Frühlingstag. Mit von der Partie ist ihre Rottweilerhündin Yucca, die wie immer ausgelassen über den gepflegten Rasen tollt. Doch plötzlich zeigt das Tier ein eigenartiges Verhalten: Es versucht, sein „Herrl“ von einer bestimmten Stelle im Garten, nur wenige Meter vom Swimmingpool entfernt, „wegzubellen“; Frau Fritz ist genervt und geht ins Haus; als sie Sekunden später in den Garten blickt, traut sie ihren Augen nicht: Wo sie zuvor noch mit Yucca gespielt hat, hat sich nun ein Krater im Durchmesser von drei Metern und einer Tiefe von 2,5 Metern gebildet – wäre sie im Garten geblieben, wäre sie wohl mit in das „Loch“ gerutscht. Nicht auszudenken auch, wenn sich der Krater im Bereich des Swimmingpools gebildet hätte …

Der Schock währt nur kurz: Sie alarmiert sofort den Villacher Magistrat, der Katastrophendienst der Stadt ist wenig später zur Stelle und nimmt den Krater in Augenschein, die Diagnose: ein Fall für die BIG. Der Einbruchsbereich wird abgezäunt, am Montag, dem 6. Mai, verständigt man den Geologen Immo Cerny, der mit der Befundung der Kärntner Luftschutzstollen beauftragt ist. Einen Tag später trifft Cerny zu einem Lokalaugenschein am Jakominirain ein und erkennt sofort: Hier gilt es zu handeln. Er informiert Leopold Weber über den Vorfall, für den 10. Mai wird eine Begehung anberaumt, an der auch Gerhard Bachitsch, der Besitzer des Nachbargrundstücks, teilnimmt. Leopold Weber ist sich über die Situation rasch im Klaren und erstellt noch am selben Tag ein vorläufiges Gutachten: Die „Pinge“ – so nennt man im Fachjargon der Bergmänner den Einbruchsbereich – im Garten von Frau Fritz erkläre sich durch das darunter liegende Stollensystem „St. Martin-Am Hügel“, das auf der BIG-Liste die Nummer K113 trage. Der größte Teil dieses Stollensystems sei zwar verbrochen und nicht mehr befahrbar, offenbar gebe es aber noch „Resthohlräume“, die nun für Gefahr sorgen würden. Da sich im „möglichen Beeinträchtigungsbereich“ Wohngebäude, öffentliche Straßen und Gärten befänden, liege somit „ein subjektives und objektives Gefährdungspotential“ vor, es gelte also Priorität 2, dringender Handlungsbedarf sei gegeben.


Der „Pingenfall“ in Villach: Schlagzeile in der „Kleinen Zeitung“.

Leopold Weber ordnet umfangreiche Sofortmaßnahmen an: Da Nachbrüche erwartet werden, wird der Garten der Familie Fritz ab Höhe Swimmingpool abgesperrt; bevor weitere Erkundungsarbeiten gestartet werden können, muss eine Beweissicherung des Wohngebäudes und auch des Gartens erfolgen; aufgetretene Risse im Gebäude sollen mit Hilfe von Glasspionen beobachtet werden. Vor allem benötigt man rasch verlässliche Unterlagen über den Verlauf der Stollenröhren – keine einfache Aufgabe, denn alle vier Eingänge zu den Hauptstollen sind verbrochen; die gesamte Stollenanlage mit einer Gesamterstreckung von etwa 500 Metern befindet sich unterhalb von dicht besiedeltem städtischem Wohngebiet und öffentlichen bzw. privaten Verkehrsflächen. Die Nachforschungen im Villacher Stadtarchiv fördern zwar eine alte Planskizze aus dem Jahre 1944 zutage, doch diese auf einen Maßstab verzichtende Zeichnung deckt sich, wie erste Erkundungsbohrungen zeigen, nur im Wesentlichen mit der Realität; immer neue unbekannte „Stollenäste“ werden entdeckt.

Dass tatsächlich höchste Eile nottut, beweist ein weiteres „Pingenereignis“: Am 15. Juli 2002, inzwischen laufen schon die Verfüllarbeiten, bildet sich auch auf dem Grundstück der Familie A. eine Bodensenkung; Probebohrungen mit tragbarem Bohrgerät in der Nähe des Wohnhauses lassen auf bisher unbekannte Stollenabschnitte schließen; das Schadensbild lässt einen Stollenverbruch vermuten. Unbekannte Hohlräume zeigen auch die Bohrungen auf dem Grundstück der Familie Bachitsch; die verbrochenen Eingänge zum Stollensystem werden mit Schrägbohrungen erkundet, Bohrlochkameras liefern wichtige Informationen über den Zustand des Stollens und die Art des Ausbaus. Für den Bereich unter einem der Grundstücke kann so ein noch intakter Stollen mit Gasschleuse in einer Gesamtlänge von über 100 Metern in Richtung St.-Martiner-Straße nachgewiesen werden.

Unverzüglich werden umfassende Sicherungsmaßnahmen geplant, die Durchführung der Arbeiten erfolgt durch die STRABAG. Der Aufwand ist beträchtlich: Wie der Schlussbericht der ILF Beratende Ingenieure ausweist, werden insgesamt rund 3.000 lfm Verfüll- und Erkundungsbohrungen sowie 100 lfm Kernbohrungen und etwa 700 lfm Verpressbohrungen durchgeführt; über „verlorene Verfüllschläuche“ bringt man ca. 3.200 m3 Verfüllmaterial – den Baustoff „Dämmer Ro V 5016“ der Firma Rohrdorfer Baustoffe – in die gefährdeten Stollenabschnitte ein. Dazu sind begleitende Kontrollen notwendig: Die Grundwasserverträglichkeit des Verfüllmaterials muss ebenso überprüft werden wie seine Druckfestigkeitsentwicklung.

In der Nähe von Wohngebäuden und Verkehrsflächen beschränkt man sich auf Verpressbohrungen – das gilt auch für die „Pinge Fritz“, die so wie die Pinge der Familie A. mit Schotter verfüllt wird, ehe man am 6. Juni 2002 mit Erkundungsbohrungen beginnt; auch hier arbeitet man mit tragbarem Bohrgerät. Verpressbohrungen setzt man nun am Rand des Pools, wo Messungen noch immer geringfügige Setzungen des Bodens – indiziert werden sechs Millimeter – anzeigen; durch eine verstärkte Nachverdichtung sollen mögliche Gefährdungen endgültig ausgeschaltet werden.

Die Verpressung der festgestellten „Auflockerungszonen“ erfolgt mit einem „Blitzdämmer“ – insgesamt 64 Tonnen werden von diesem Gemisch aus Zement, Bentonit und Steinmehl, hergestellt von W & P Wietersdorfer, injiziert; auch bei diesen Verpressarbeiten gilt es, genau auf die Entwicklung der Druckwerte zu achten. Damit das Verfüllmaterial nicht in Kanäle oder Kabelschächte gelangen kann, zieht man unter Tag Verschlüsse aus Mauern oder Betonwänden ein, gleichzeitig wird damit auch ein „sauberer Übergang“ zwischen standsicheren ausgebauten und sanierten Stollenabschnitten geschaffen. Elf Jahre danach zeigt sich Eigentümer Hans Fritz noch immer von der Intensität dieser Sicherungsarbeiten beeindruckt: Ein Jahr lang hätten die Mannen da gewerkt, „zehn Kräne standen da in unserem Garten“, erzählt er und spricht von „Riesentankwägen“, von denen aus die gefährdeten Bereiche verfüllt worden seien, bis hinab in „25 – 30 Meter Tiefe“ – aufwändige Maßnahmen, die sich jedoch ausgezahlt hätten: Ihren Garten kann die Familie Fritz seitdem wieder in Ruhe genießen …

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