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Waldwanderungen unter alten Eichen

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Ein weiterer wichtiger Belegtext für Tiecks Waldverständnis ist sein naturgesättigtes Frühwerk Franz Sternbald’s Wanderungen (1798). Der Künstlerund Bildungsroman entstand unter dem Eindruck gemeinsamer Wanderungen mit dem im Erscheinungsjahr verstorbenen Freund Wackenroder.52 In der laut Untertitel altdeutschen Geschichte diente der Wald vor allem als allegorische Stimmungskulisse, vor der die Hauptfigur des Wandergesellen Franz unterschiedlichste Gefühlsregungen durchlebte und durchlitt. Im positiven Sinne umfasste dies unter anderem emphatische Kunstbegeisterung durch die Natur als entscheidende Inspiration. So ließ Tieck seinen Protagonisten angesichts einer Eiche die Empfindung äußern, „die Natur selbst, der rauschende Wald und sein Lieblingsbaum schienen Athem und Leben zu seinen Gemählden zu geben“53. Ebenso war von unbeschwert-unschuldiger Verliebtheit unter Bäumen die Rede, wie sie etwa das Lied Wohlauf und geh in den grünen Wald … ausdrückte.54

Auf der negativen Seite des emotionalen Spektrums variierte die Gefühlslandschaft des Waldes ebenfalls erheblich. Die Ausschläge reichten von tiefer Traurigkeit – „er sehnte sich nach der Einsamkeit, nach dem Walde, um dann von seinem Freunde entfernt seinen Schmerz ausweinen zu können“ – bis zu nagenden Selbstzweifeln: „Im Walde legte er sich in das Gras nieder und sah über sich in den weiten Himmel, er überblickte seinen Lebenslauf und schämte sich, daß er noch so wenig gethan habe.“55 Besonders oft eingesetzte Stimmungsträger waren ebenso alte wie dicke Eichen, unter denen wesentliche Stationen der Handlung stattfanden. Beispielsweise trennte sich Sternbald zu Beginn der Wanderungen von seinem Freund Sebastian an einem „alten Eichenbaum“ und riet diesem später brieflich, „unter alten Eichen“ zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen.56 Im weiteren Verlauf der Erzählung fand ein ausgelassenes Waldfest selbstverständlich ebendort statt, „wo die dicksten Eichen standen“57.

Tiecks Protagonist Franz wünschte sich in einer Phase extremen Liebes- und Lebenskummers sogar, dauerhaft in der Natureinsamkeit bleiben und dort allein unter Bäumen alt werden zu können:

Wie wohl würde mir das Rauschen des Waldes thun, die Wiederkehr der gleichförmigen Tage, der ununterbrochene leise Fluß der Zeit, der mich so unvermerkt in’s Alter hineintrüge, jedes Rauschen ein andächtiger Gedanke, ein Lobgesang.58

Formulierungen wie die Rede vom „dichten kühlen Wald“ sollten mehrere Sinne zugleich ansprechen, daneben dominierte als adjektivische Gefühlszuschreibung der „grüne, dunkelschattige“ und „anmuthige“ Wald.59 Überwiegend erschien der Wald damit als wonniges Naturidyll, nicht wie sonst in Tiecks Prosa primär als bedrohliche Wildnis. Klar benannte das diese wiederum auf den Topos des locus amoenus als locus silvestris verweisende Stelle:

Wie erquickend war der kühle Duft, der ihm aus den grünen Blättern entgegen wehte, als er in das Wäldchen eintrat! Alles war still, und nur das Rauschen der Bäume schallte und säuselte in abwechselnden Gängen über ihm weg durch die liebliche Einsamkeit, in dem Getöne und Murmeln eines Baches, der entfernt durch das Gehölz hin floß.60

Der Wald geriet dem sensiblen jungen Mann zum „heiligen Tempel“, während er später gleichermaßen naturemphatisch und allumfassend „die Herrlichkeit der Ströme, der Berge, der Wälder“ beschwor.61 Ferner ließ Tieck den Protagonisten Franz erklären, dass das mächtige Straßburger Münster „ein Baum, ein Wald“62 sei. Dies war eine offensichtliche Anspielung auf Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), der das gotische Mauerwerk „gleich einem hocherhabnen, weitverbreiteten Baume Gottes“63 in den Himmel ragen gesehen hatte. In vergleichbarer Weise poetisierte dann auch Maximilian von Schenkendorf (1783–1817) den damals noch im Bau befindlichen Kölner Dom mit den Verszeilen „Es ist ein Wald voll hoher Bäume,/Die Bäume seh ich fröhlich blühn“.64 Ein solches Denkbild vom Wald als Dom sollte sich später großer Beliebtheit erfreuen, unter anderem in den Schriften Eichendorffs und Jacob Grimms. Im Gegensatz zum letztlich trügerischen Waldidyll des Blonden Eckbert konnte die mehrheitlich positiv beschriebene Waldumgebung in Franz Sternbald’s Wanderungen als schützender Zufluchtsraum fungieren, wie es sich ähnlich in der Mehrzahl der tieckschen Gedichte zeigt.

Der deutsche Wald

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