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Dave Brody

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Die Abneigung seinem Vater gegenüber war im Verlauf der vergangenen Jahre nicht geringer geworden, sie hatte sich im Gegenteil immer mehr erhöht. Aus einem anfänglichen pubertären Unverständnis der Notwendigkeit, sich als Familienvater um das Auskommen der Frau und der Kinder kümmern zu müssen, und dazu auch bestimmte Dinge zähneknirschend in Kauf zu nehmen, war immer schneller der Eindruck entstanden, dass sein Vater ein mutloser und duckmäuserischer Typ war, der sich mit seinem Arsch immer ganz eng an eine imaginäre Wand herandrückte, um ja nicht einen Konflikt hineingezogen zu werden. Was den Bereich der Arbeit anging konnte sich Dave natürlich kein Urteil erlauben (weil er das nicht miterleben konnte), aber aus dem allgemeinen Verhalten seines Vaters schlussfolgerte er, dass er auch dort zu den Schwanzeinziehern gehörte. Schon die wochentägliche Prozedur des Eintretens in das durchaus attraktive einstöckige und recht solide gebaute Holzhaus sagte ihm, dass sein Vater sein devotes Verhalten, wie sicher auch im Büro praktiziert, auch zu Hause fortsetzen würde.

Dave hatte erstmalig mit ungefähr zehn Jahren mitbekommen, dass seine Mutter ein ausgewachsenes Alkoholproblem hatte, ohne dass er es damals schon so konkret hätte benennen können. Dass Mom früh kaum das Frühstück für ihn und seine Schwester Lea auf den Tisch bringen konnte (sein Vater war da schon auf dem Weg zur Arbeit), hatte er lange auf einen großen und durch irgendwelche Umstände veranlassten Schlafmangel geschoben. Etwa klarer sah er dann, als er zufällig und heimlich einmal abends durch eine angelehnte Tür spähend eine Szene mitbekommen hatte, in der seine Mutter in dem unaufgeräumten Wohnzimmer ohne einen Rest von Beherrschung über ihre den Dienst versagenden Beine gestolpert und einen Moment auf dem Teppich liegen geblieben war. Als es ihr dann gelungen war wieder aufrecht zu stehen, war ihr jegliche Körperkontrolle entglitten, und sie hangelte sich von Möbel zu Möbel bis ins Schlafzimmer.

Dave hatte zu dieser Zeit noch keinerlei Erfahrungen mit irgendwelchen Rauschmitteln gemacht, denn er wuchs ja eigentlich in einem guten bürgerlichen amerikanischen Haushalt auf. Am Wochenende saßen alle vier gemeinsam am Frühstückstisch, und obwohl er es als zehnjähriger Junge lieber nicht wahrhaben wollte sah er, dass seine Mutter ihre flatternden Hände nicht unter Kontrolle hatte und keinen Kaffee trank, weil sie die Tasse vermutlich nicht hätte halten können. Erst um die Mittagszeit herum, und vermutlich nach einigen Drinks, war seine Mom wieder als normal zu empfinden. Sie konnte hervorragend kochen und war um diese Zeit dann auch in guter Form, gesprächig und freundlich. In dieser Stimmungslage blieb sie bis nach dem Abendessen, um danach zunehmend regelrecht zusammenzufallen. Sie saß dann mit seinem Vater vor dem Fernseher und sah sich Filme an. Dave bezweifelte, dass sie der Handlung richtig folgen konnte, denn ab und zu fiel ihr Kopf gegen die Polsterwangen ihres hohen Ohrensessels. Da er und seine Schwester nach 20 Uhr ihre Zimmer nicht mehr verlassen durften und sich im Bett aufhalten mussten blieb ihnen auch noch längere Zeit verborgen, dass ihr Vater seine Frau dann stets bei ihm untergehakt zu ihrem Bett bugsieren musste. Alice Brody wirkte dann wie eine von ihren Schnüren abgetrennte Marionette, die ohne Hilfe einfach zusammenfallen würde. Warum sein Vater nichts gegen den offensichtlichen Verfall seiner Mutter unternahmen konnte er nicht verstehen, aber er sollte es später in seinen eigenen Beziehungen erleben, wie schnell jemand ohne Aufgaben den Kompass im Leben verlieren konnte.

Zwei Jahre später war die Situation dann vollends aus dem Ruder gelaufen, weil seine Mutter zunehmend aggressiver auftrat. Bis zum Mittag schien sie nicht zu trinken, und in dieser Zeit wickelte sie die nur absolut notwendigen Dinge ab, die mit der Haushaltführung zu tun hatten. Richard Brody war Bezirksleiter bei einem größeren Baustoffhändler in der Stadt und aus seinem Job ergaben sich ganz einfach viele geschäftliche Kontakte mit nicht ganz unbedeutenden Personen des Ortes. Man lud sich in größeren Abständen gegenseitig zu einer Party ein. Wenn seine Frau Alice auf einem bestimmten Level der Trunkenheit blieb war sie eine durchaus liebenswerte und schlagfertige Gastgeberin, die die anwesenden Leute gut unterhalten konnte. Erst wenn die Gäste das Haus verlassen hatte trank sie schnell und viel weiter, bis ihr Mann sie dann zu ihrem Bett brachte, in dem sie noch angezogen sofort einschlief.

Es gelang noch eine ganze Weile Alice Brodys Suchtprobleme vor der Öffentlichkeit einigermaßen verschlossen zu halten, aber es waren doch schon etliche Gerüchte in Umlauf gekommen, weil sie sich bei ihren wenigen Einkäufen recht seltsam verhalten und wie abwesend gewirkt hatte. Auch ihre unklare Sprache sowie Bewegungsprobleme waren aufgefallen. Dave wurde in der Schule wegen dem Verhalten seiner Mutter verächtlich betrachtet, weil in den Familien seiner Mitschüler öfter einmal über die eigenartige Missis Brody gesprochen wurde.

Er selbst konnte seiner Mutter nicht helfen und er betete, dass sein Vater endlich etwas unternehmen würde.

Er hoffte allerdings vergeblich.

The Plateau - Aufstieg in den Tod

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