Читать книгу The Plateau - Aufstieg in den Tod - John Mobray - Страница 9
Dave Brody, der Junge
ОглавлениеSeine Mutter war zweimal in eine Suchtklinik eingewiesen worden, als sich ihr Problem nicht mehr unter den Teppich kehren ließ. Bei einem Einkauf war sie offensichtlich volltrunken zusammengebrochen und vom Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht worden. In ihrem Blut war ein Alkoholgehalt von 3,2 Promille festgestellt worden. Der Arzt hatte Richard Brody klipp und klar erklärt, dass seine Frau dabei wäre, sich in das Grab zu trinken. Eine Ultraschalluntersuchung hätte zudem ergeben, dass sowohl Leber als auch Bauchspeicheldrüse irreversibel geschädigt wären, und es letztlich nur eine Frage der Zeit wäre, bis sie sterben würde. Selbst bei einem sofortigen und absolutem Alkoholverzicht würde es nur noch für einen kurzen Aufschub des Unabänderlichen reichen, der Zug wäre längst schon abgefahren. Ob er, Richard Brody, denn gar nichts vom Problem seiner Frau mitbekommen hätte, hatte der Arzt noch wissen wollen. Doch hatte er zugegeben, aber er wäre gar nicht mehr zu ihr vorgedrungen, sie wäre wie verschlossen gewesen. Dann hätte er eben professionelle Hilfe holen müssen war der Arzt laut geworden, aber vermutlich wäre der heile Schein wichtiger gewesen, wie er es einschätzen würde.
Richard Brody hatte die langen Jahre seit dem Ausbruch der Suchtkrankheit seiner Frau ständig das Gefühl gehabt, mit den Angelegenheiten seines Lebens überfordert zu sein. Anfangs hatte sich alles so glücklich gefügt, sie liebten sich, er kam in seinem Job voran, dann wurden die Kinder geboren. Als er die ersten Anzeichen des Alkoholismus bei Alice bemerkt hatte war er der Überzeugung gewesen, dass sie einfach mit ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau unzufrieden war. Er versuchte sie zu bewegen sich im Ort irgendwie ehrenamtlich zu engagieren, so dass sie vielleicht eine sinnvolle Aufgabe finden könnte, die sie mit Gleichgesinnten zusammen bewältigen könnte. Aber zu dieser Zeit war seine Frau bereits in einen Abwärtsstrudel aus Langeweile, Unterforderung und einer beginnenden Depression gefangen. Selbst wenn er es richtig gewollt hätte, er hätte ihr niemals richtig helfen können. Stattdessen hatte er die Augen zugemacht, und die Dinge einfach laufen lassen.
Dave Brody würde es seinem Vater nie verzeihen können, dass er aus falscher Scham und Angst vor einer schlechten öffentlichen Meinung nicht gehandelt hatte. Er selbst erlebte ständige Sticheleien in der Schule und wusste auch nicht, wie er sich dagegen wehren sollte. Er war aber zu dieser Zeit gerade einmal zehn Jahre alt gewesen, sein Vater aber ein erwachsener Mann, von dem man Tätigwerden verlangen konnte.
2004 war Alice Brody an Leberzirrhose gestorben, und danach war ihr Mann zusammengebrochen. Er wusste wohl sehr gut, dass seine Schuld an dem Drama hoch war. Dave wurde in die Rolle des Familienoberhauptes gedrängt, da sein Vater nur noch apathisch reagierte, aber wenigstens noch seinem Job nachging, so dass Geld glücklicherweise kein Problem war. Dave richtete alle Aufmerksamkeit auf seine jüngere Schwester Lea, um diese vor bösartigen Meinungen von außen zu bewahren, und er entzog sie dem Einfluss seines Vaters immer mehr. Mahlzeiten nahm er mit ihr zusammen ein, sein Vater musste allein essen. Er betreute sie in schulischen Dingen, ging mit ihr Kleidung kaufen, redete mit ihr. Sein Vater war nur noch Luft für ihn.
Richard Brody war als Bezirksleiter eines Baustoffhändlers zu einem großen Teil seiner Arbeitszeit bei seinen Kunden vor Ort. Das hatte für ihn immer ein Reiz dieses Jobs ausgemacht: im Büro erarbeitete er die Verkaufsplanungen und rechnete die Zahlen durch, aber dann ging er mit dem Firmenwagen auf die Reise. Selbstverständlich ließ er sich diese Touren von seinen Vorgesetzten absegnen. Was er aber in welcher Zeit schaffte, ob er tatsächlich stundenlang verhandelte, oder welche Strecken er fuhr, das war einzig und allein seine Entscheidung. Brody war gewieft genug geworden, auch die vielen kleinen Annehmlichkeiten mitzunehmen. Eine Einladung zum Essen da, einen entspannten Plausch im Ferienanwesen eines Großkunden, ein Schmiergeld für bevorzugte Belieferung, es kam einiges zusammen. Obwohl er innerlich kaputt war, gab er nach außen hin immer noch den stets positiv daherkommenden Verkäufer, der alle Probleme aus dem Weg räumen konnte. Das tat er auch mit großer Routine, aber immer mehr wie ein Automat.
Das, was er erlebt und zu verantworten hatte, konnte er nicht wie ein bisschen Schweiß auf der Stirn wegwischen. Es saß in seinen Gedanken und bohrte gnadenlos. Er konnte kaum noch schlafen. Nach einem Geschäftstermin am Vormittag war er zu seinem Firmensitz aufgebrochen. Wie sich dann bei den Ermittlungen herausstellen sollte, war sein Blut vollkommen rein von Alkohol oder Drogen gewesen. Sein letzter Besuch beim Hausarzt hatte eine gute und beschwerdefrei Konstitution bescheinigt. Allem Anschein nach war Richard Brody ein ziemlich gesunder Mann Anfang der vierziger Jahre gewesen.
Vermutlich war es nur Pech gewesen, dass er von einem entgegenkommenden maroden VW T3 vorn schräg links erwischt, und von der Straße gerammt worden war. Brodys Auto hatte sich mehrfach überschlagen und war dann an einen Baum geschleudert worden. Brody selbst war aus dem aufplatzenden Wrack herausgeschleudert und an einen weiteren am Unfallort stehenden Baum katapultiert worden. Die Obduktion zeigte später, dass er kaum noch einen unversehrten Knochen im Leib hatte. Sein Unfallgegner, ein zweiundsiebzigjähriger Hippie, hatte bis unter die Schädeldecke voller Gras gestanden und war vollkommen unverletzt geblieben. Der Mann hatte sich verplaudert und zugegeben, dass er sich im Augenblick der Kollision gerade in eine Urinflasche entleert hatte, weil er keine Möglichkeit zum Anhalten gefunden hätte. Die Schuldfrage an dem Unfall war somit eindeutig geklärt gewesen.
Für Dave Brody und seine Schwester Lea war dieses Ereignis zwar kein Jubeltag, aber ein Lichtblick gewesen. Richard Brody hatte eine Lebensversicherung für sich laufen gehabt. Obwohl die Versicherung alle möglichen und unmöglichen Einwände gegen eine Auszahlung der Versicherungssumme ins Felde führten, musste sie schließlich 1,435 Millionen Dollar auf ein Treuhandkonto einzahlen.
Wenn Dave Brody 18 Jahre alt wäre, könnte er darauf zugreifen.