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VON SCHOTTLAND NACH JAMAIKA

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Ich bin ein Nachfahre von Queen Ada, der Schwester von Malcolm dem Vierten, der wiederum von King Duff, dem ersten König von Schottland, abstammte. Adas Besitz erstreckte sich über das gesamte Land östlich des Miglo River im Valley of the Bran, im heutigen County Fife. Malcolms Schloss steht schon lange nicht mehr, aber ein paar der Steine sind heute noch in den Wänden des Kirchturms der kleinen Ortschaft Strathmiglo zu sehen. Der Leitspruch auf dem Wappen meiner Familie hieß: »Better times will come« [Bessere Zeiten werden kommen]. Ihr Name war Caesche. Im Zuge ihrer Emigration im 16. und 17. Jahrhundert hat sich die Schreibweise schließlich der Aussprache angepasst, C-A-S-H.

Der erste amerikanische Cash hieß William und war Seemann. Als Kapitän seines eigenen Schiffes, der »Good Intent«, segelte er von Glasgow aus über den Atlantik, um Pilger in die Neue Welt zu bringen, bis er sich selbst 1667 in Essex County in Massachusetts niederließ. Seine Nachfahren wanderten im frühen 18. Jahrhundert nach Westmoreland County in Virginia, wo später George Washington geboren wurde, und zogen dann weiter in die Bezirke Bedford und Amherst. Meine direkten Vorfahren wanderten weiter nach Süden, in die Bezirke Henry und Elbert in Georgia, wo mein Urgroßvater Reuben Cash auf die Welt kam. Im Bürgerkrieg kämpfte er aufseiten der Konföderierten und überlebte.

Sein Zuhause überstand den Krieg nicht. Shermans Truppen plünderten seine Plantage in Georgia und brannten sie nieder. Daraufhin zog er mit seiner Familie weiter nach Westen und ließ sich auf der anderen Seite des Mississippi in Arkansas nieder. Sein Sohn, mein Großvater William Henry Cash, war damals sechs Jahre alt. William Henry Cash wuchs in Toledo in Arkansas auf, einer Gemeinde, die sich aufzulösen begann, als durchs nahe gelegene Rison die Eisenbahnlinie geführt wurde. Er wurde Farmer und Pastor, ein »Bezirksreiter«, wie man ihn nannte, ein reisender Prediger, der vier weit auseinanderliegende Gemeinden betreute. Er ritt auf einem Pferd und trug eine Waffe und er nahm nie auch nur einen Pfennig für seine Predigten an – wie mein Vater mir jedoch erzählte, standen der Hof, die Scheune und die Ställe voll mit Tieren, die ihm die Leute geschenkt hatten, und für seine zwölf Kinder war immer genügend zu essen da. Die parkinsonsche Krankheit nahm ihn 1912, im Alter von zweiundfünfzig Jahren, aus dieser Welt.

Mein Vater, der jüngste Sohn, lebte damals als einziges Kind noch zu Hause und war gerade erst fünfzehn, aber er unterstützte meine Großmutter bis zu ihrem Tod drei Jahre später. Danach ging er zur Armee. Als Erstes wurde er im Jahre 1916 nach Deming in New Mexiko abkommandiert, wo er unter der Befehlsgewalt von General John J. Pershing stand. Er war auch bei Pershing, als Pancho Villa durchs Land zog und Columbus in Brand steckte. Ich weiß noch, wie er mir erzählte, dass er drei Nächte lang auf der Erde lag, mit dem Kopf in Mexiko und den Füßen in Texas, und auf Villa wartete. Villa kam nicht; Pershing musste also losziehen und ihn suchen.

Mein Vater hieß Ray Cash. Er heiratete meine Mutter, Carrie Rivers, am 18. August 1920. Ich war ihr viertes Kind. Daddy hatte alles, außer Geld. Die Weltwirtschaftskrise hatte den Baumwollanbau ruiniert – für Leute wie ihn, die am unteren Ende der sozialen Leiter standen, war es vorher schon schwer genug gewesen, den Lebensunterhalt davon zu bestreiten – und er war gezwungen, jede Art von Arbeit anzunehmen, die er finden konnte. Manchmal fand er überhaupt keine und dann brachte er seine Tage damit zu, mit seinem .22-Gewehr Eichhörnchen, Hasen, Opossums oder andere Tiere aufzuspüren, mit denen er seine Familie ernähren könnte. Wenn er mal etwas vor die Flinte bekam, ging kein Schuss daneben. Er konnte es sich nicht leisten – damals kostete eine Schachtel Patronen zwanzig Cent. Er arbeitete in der Sägemühle, er rodete Land, er verlegte Eisenbahnschienen und wenn es in der Umgebung keine Arbeit gab, fuhr er irgendwohin, wo sich laut irgendwelcher Anzeigen, Gerüchte oder rein zufällig die Möglichkeit bot, Geld bar auf die Hand zu verdienen. Unser Haus lag direkt an der Bahnlinie, draußen im Wald, und eine meiner frühesten Erinnerungen ist die, wie er aus einem fahrenden Güterwagen springt und in den Graben rollt, direkt vor unsere Haustür. Das haben damals viele Leute gemacht. Die Züge fuhren in der Nähe unseres Hauses schon etwas langsamer und deshalb war es eine beliebte Stelle zum Abspringen, wenn man der Bahnpolizei an der Bahnstation in Kingston aus dem Weg gehen wollte.

Und diesen Leuten ging man wirklich besser aus dem Weg. Ich weiß noch, wie Daddy mir eine Geschichte aus der Zeit erzählte, als er noch auf dem Gestänge mitfuhr – festgeklammert an den Querstangen unter einem fahrenden Güterwaggon, eine verdammt gefährliche Art, als blinder Passagier zu reisen. Als der Zug in Pine Bluff anhielt und er hervorgekrochen kam, stand ihm plötzlich ein Bahnpolizist gegenüber. Er musste Prügel und Beschimpfungen über sich ergehen lassen, um dem Gefängnis oder noch Schlimmerem zu entgehen. Aber als der Zug sich wieder in Bewegung setzte und der Detektiv sich gerade abwandte, sprang Daddy auf den vorbeirollenden Dienstwagen auf. Dann lehnte er sich hinaus und verfluchte den Eisenbahnbullen lauthals, bis er nicht mehr zu sehen war. Er lachte über die ganze Sache: Erstens hatte er nun auch etwas Luft abgelassen und zweitens konnte er jetzt etwas stilvoller reisen, nicht mehr unter diesen Güterwaggons.

Derselbe Bulle fischte sich übrigens eine Weile später einen anderen Hobo heraus. Es war nicht gerade sein Glückstag; der Hobo zog eine Waffe und erschoss ihn.

Mein Name ist John R. Cash. Ich bin am 26. Februar 1932 in Kingsland in Arkansas geboren. Ich bin eines von sieben Kindern: Roy, der Älteste, dann Louise, Jack, ich selbst, Reba, Joanne und Tommy. Wir alle wuchsen mit der Arbeit auf den Baumwollfeldern auf.

Als ich zweiundzwanzig war, heiratete ich Vivian Liberto aus San Antonio in Texas und wir bekamen vier Töchter zusammen: Rosanne, Kathy, Cindy und Tara. Vivian und ich ließen uns scheiden und 1968 heiratete ich June Carter, die heute noch meine Frau ist. Wir haben ein gemeinsames Kind, John Carter, der mein einziger Sohn ist. June brachte zwei Töchter, Carlene und Rosie, mit in unsere Ehe. Inzwischen haben wir insgesamt zwölf Enkelkinder und so viele Schwiegersöhne, ehemalige und jetzige, dass June auf der Bühne schon Witze darüber macht.

Mein Arbeitsleben lässt sich schnell beschreiben: Baumwolle in der Jugend und Musik als Erwachsener. Zwischendurch arbeitete ich in einer Automobilfabrik in Michigan, war Funker bei der amerikanischen Luftwaffe in Deutschland und lief von Tür zu Tür als Vertreter von Haushaltsgeräten für die Home Equipment Company in Memphis, Tennessee. Ich war ein hervorragender Funker und ein lausiger Vertreter. Die Fließbandarbeit war mir zuwider.

Meine ersten Platten erschienen beim Sun Label, das von Mr. Sam Phillips in Memphis geleitet wurde und Elvis Presley, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis, Roy Orbison, Charlie Rich und andere, darunter auch mich, unter Vertrag hatte. Meine erste Single hieß Cry, Cry, Cry und kam 1955 heraus, mein erster großer Hit I Walk the Lineerschien 1956. Ich wechselte 1958 von Sun Records zu Columbia und kurz darauf verließ ich Memphis, um nach Kalifornien zu gehen.

Meine Tablettensucht hatte bereits angefangen. Sie hatte mich bald völlig im Griff und fraß mich in den folgenden zehn Jahren fast auf. Erstaunlicherweise zerstörte sie meine Karriere nicht völlig. Während dieser Jahre machte ich Musik, auf die ich heute noch stolz bin – besonders Ride This Train, Bitter Tears und meine anderen Konzertalben – und ich hatte einen kommerziellen Erfolg: Ring of Fire war 1963 ein großer Hit für mich. Bis dahin hatte ich bereits meine Familie zerstört und war drauf und dran, mit mir dasselbe zu tun.

Aber ich habe überlebt. Ich zog nach Nashville, kam von meiner Sucht weg und heiratete June. Meine Karriere kam in Fahrt. Das Album Johnny Cash at Folsom Prison war ein Riesenerfolg und 1969 begann ich, die »Johnny Cash Show« bei ABC TV zu moderieren. Nach Flesh and Blood im Jahr 1970 hatte ich erst 1976 mit One Piece at a Timewieder eine Single, die an der Spitze der Charts landete, als die »Johnny Cash Show« schon lange Geschichte war.

Zwischen den frühen Siebziger- und den frühen Neunzigerjahren hatte ich keine riesigen Plattenerfolge, aber auch hier muss ich sagen, dass ich damals einige Sachen gemacht habe, auf die ich heute noch stolz hin, und es war keine ereignislose Zeit. Ich schrieb meine erste Autobiografie, Man in Black, und meinen ersten Roman, Man in White. Ich tat mich mit Waylon Jennings, Kris Kristofferson und Willie Nelson zusammen und wir gründeten die Highwaymen. Ich verließ Columbia, das zu CBS Records gehörte, und ging zu Mercury/Polygram. Ich wurde in die Country Music Hall of Fame und die Rock ‘n’ Roll Hall of Fame aufgenommen. Ich wurde von Schmerzmitteln abhängig, wurde in der Betty-Ford-Klinic behandelt, wurde gesund, wurde wieder abhängig und wurde wieder gesund. Ich wäre fast gestorben, wurde durch eine Bypassoperation am Herz gerettet und wäre fast wieder gestorben. Ich hatte Hunderte von Auftritten. Ich hielt meinen Betrieb mehr oder minder am Laufen, bis das Glück mir wieder hold war.

Und das war es 1994, als ich mich mit Rick Rubin zusammentat, der Musiker wie die Beastie Boys und die Red Hot Chili Peppers produzierte, die absolut nichts mit Nashville zu tun hatten; mit ihm nahm ich mein Album American Recordings auf. Den damaligen Medien nach zu zufolge, verschaffte mir das über Nacht einen Imagewechsel vom »ehemaligen Nashville-Star« zur »Hip-Ikone«. Sie konnten mich nennen, wie sie wollten, ich war ihnen dankbar. Es war mein zweites großes Comeback; von den kleineren gab es mehr, als ich zählen kann.

Ich bin heute noch auf Tour, nehme weiterhin Platten auf, schreibe immer noch Songs, trete nach wie vor überall auf, von einfachen Festhallen im mittleren Westen über irgendwelche angesagten Clubs in Manhattan bis hin zur Royal Albert Hall.

Körperlich und finanziell geht es mir einigermaßen gut. Ich bin immer noch ein Christ, wie ich es mein Leben lang war.

Ansonsten bin ich eher kompliziert. Ich halte das, was Kris Kristofferson einmal über mich gesagt hat, für ziemlich zutreffend: »Er ist ein wandelnder Widerspruch, halb Wahrheit und halb Dichtung.« Das Zitat von Rosanne gefällt mir auch: »Er glaubt an das, was er sagt, aber das macht ihn noch lange nicht zum Heiligen.« Ich glaube wirklich, was ich sage. Allerdings gibt es verschiedene Stufen von Ehrlichkeit.

Und es gibt verschiedene Stufen von Vertrautheit. Ich habe mehrere Namen. In der Öffentlichkeit und auf Plattencovern, CD-Labels und Reklametafeln bin ich Johnny Cash. Für viele Leute aus dem Musikgeschäft bin ich Johnny einige davon sind langjährige Freunde und Bekannte. Für June bin ich John und so nennen mich auch andere Leute, die mich gut kennen, wie meine Band, meine Schwiegersöhne, viele Freunde und Leute, die eng mit mir zusammenarbeiten. Schließlich bin ich noch J. R., wie ich als Kind genannt wurde. Meine Brüder und Schwestern und andere Verwandte nennen mich heute noch so. Marty Stuart ebenfalls. Lou Robin, mein Manager, wechselt zwischen J. R. und John.

June weiß, dass ich mich auf verschiedenen Ebenen bewege und deshalb nennt sie mich auch nicht immer John. Wenn ich mal wieder rumspinne oder streitsüchtig bin, sagt sie immer: »Hör schon auf, Cash! Es wird Zeit, dass Johnny wieder rauskommt.« Mit Cash meint sie den Star, den Egomanen in mir. Johnny ist ihr Name für ihren kleinen Spielkameraden.

Mehrere Namen, mehrere Wohnungen. Ich bin halb Zigeuner, halb häuslicher Mensch und mein Lebensrhythmus ist den meisten Leuten fremd, während er mir völlig normal vorkommt. Ich verbringe meine Zeit mehr oder weniger spontan in meinem großen Haus am Old Hickory Lake in der Nähe von Nashville, auf meiner Farm in Bon Aqua, die etwas weiter außerhalb von Nashville liegt, in dem Haus in Port Richey in Florida, das June von ihren Eltern geerbt hat, in einer endlosen Reihe von Hotels auf der ganzen Welt, meinem Bus oder meinem Haus auf Jamaika, Cinnamon Hill.

Heute sitze ich auf meiner hinteren Veranda, hoch auf meinem Berg, und schaue nach Norden über die Karibik in Richtung Kuba, das neunzig Meilen von hier entfernt ist. Es ist friedlich hier. Ab und zu hört man oben in dem Wald, der hinter meinem Haus aufsteigt, ein paar dumpfe Axtschläge oder das Brummen einer Kettensäge und hinter mir, irgendwo im Haus, kann ich die leisen Geräusche von Desna, Carl, Donna, Geraldine und Mr. Poizer hören, unserem jamaikanischen Personal, das gerade das Frühstück vorbereitet. Sonst ist da nur das klare, sich verändernde Licht, die kreisenden Truthahngeier, die herumflitzenden Kolibris, das sanfte Rascheln tropischer Blätter im Passatwind. Ich liebe diesen Ort. Ich schaue hinüber zum Eingangstor und sehe einen Wächter, der zum ständigen Personal gehört, seine Runde drehen. Er ist ein drahtiger, grimmig dreinschauender Typ und trägt eine vernickelte Remington, Kaliber 12, mit sich herum. Ich kann bloß sagen, dass ich froh bin, dass er auf meiner Seite steht.

Ich habe über den Raubüberfall nachgedacht – er ist wichtig für das Buch, ansonsten würde ich die Sache am liebsten schnell wieder vergessen, aber ich bin jetzt nicht in der Stimmung, diese Geschichte zu erzählen. Ich möchte mich lieber mit dem Gegenmittel beschäftigen, der anderen Seite von Gewalt, Tragödie, Sucht und all den anderen Prüfungen und Qualen, die diese Welt für uns bereithält. Also werde ich mich hier zuallererst den Dingen zuwenden, die für mich ein Segen sind, und erzählen, wofür ich dankbar bin. Das rückt die Dinge immer in ein anderes Licht.

Ich bin dankbar für ein Paar wirklich bequeme Schuhe. Ich mag meine Schuhe. Ich bin dankbar für die Vögel. Es kommt mir vor, als sängen sie morgens beim Aufstehen nur für mich: »Guten Morgen, John. Du hast es geschafft, John.« Und dann der erste Sonnenstrahl. Ich bin dankbar, dass ich die Nacht überlebt habe und ihn sehen kann. Ich bin dankbar, dass ich keine tödliche Krankheit habe, dass ich bei ziemlich guter Gesundheit bin, dass ich morgens aufstehen kann und hinuntergehen und frühstücken und dass ich dann die Dschungelwege entlanglaufen und die Blumen riechen kann – den Jasmin, die Winden, die Orchideen.

Ich bin dankbar, dass ich eine gute Frau an meiner Seite habe, dass ich ihr vertrauen und mich in vielerlei Hinsicht auf sie verlassen kann. Ich bin dankbar, dass wir verwandte Seelen sind, dass wir uns miteinander unterhalten können, manchmal sogar ohne Worte, und dass wir uns in vielen Dingen verstehen. Ich bin dankbar, dass sie meine Kinder liebt. Ich bin dankbar, dass ich nicht das Bedürfnis habe, mich herumzutreiben, dass ich nicht an andere Frauen denke, solange ich all meine Sinne beieinander habe.

Ich bin dankbar, dass ich keine Leidenschaft für Autos habe, wie so viele andere Entertainer, die dafür ihr ganzes Geld rauswerfen – mein Auto ist fast neun Jahre alt und ich habe nicht die Absicht, es in Zahlung zu geben. Ich bin dankbar, dass Geld nicht mein Gott ist, sondern dass es für mich nur ein Mittel zum Zweck ist.

Ich bin dankbar für meine Familie – dankbar für Töchter, Enkelkinder und einen Sohn, die mich lieben, und dankbar, dass ihre Liebe bedingungslos ist; ich habe viele gute Freunde, und ich bin auch dafür dankbar.

Ich bin dankbar für meine Gabe – meine Mutter nannte meine Stimme immer »die Gabe« – und dafür, dass, obwohl ich schon lange keinen Song mehr geschrieben habe, eine Reihe von Songs in meinem Kopf herumschwirren, die nur darauf warten, zu Papier gebracht zu werden. Ich bin dankbar, dass Gott mich zum Schreiben inspiriert hat und dass er mich vielleicht dazu benutzt, jemanden zum Guten zu beeinflussen, sofern ich diese Gelegenheiten durch den Schleier meines Egos erkenne.

Ich bin dankbar, dass ich nicht gerade der hässlichste Mensch auf der Welt bin, dass es mir überhaupt nicht schwerfällt, auf die Bühne zu gehen und mich vor die Menge zu stellen. Ich bin keine Schönheit, aber wenn ich so hässlich wäre, wie manche, die ich auf der Bühne gesehen habe, ginge ich da nicht rauf. Ich rede weniger von der äußeren Erscheinung als von einer hässlichen Seele.

Schließlich bin ich dankbar, sehr dankbar, dass ich zurzeit nicht das geringste Verlangen nach irgendeiner Art von Droge habe. Ich bin heute schon seit drei Stunden auf und das ist das erste Mal, dass ich überhaupt daran denke, und auch jetzt nur mit einem Gefühl der Dankbarkeit. Meine Krankheit ist also nicht akut. Gestern Abend wurde eine Flasche Wein am Tisch herumgereicht und ich kam noch nicht einmal auf die Idee, auch nur daran zu nippen. (Also warum denke ich jetzt eigentlich darüber nach? Pass auf, Cash!Du darfst nie überheblich werden. Nimm nie etwas für selbstverständlich. Vergiss nicht, es hat einen hohen Preis gefordert und du wirst es wieder teuer bezahlen müssen, wenn du zu selbstgefällig, zu egoistisch und selbstsicher wirst.)

Ich bin dankbar für die sanfte Brise vom Meer, die ich gerade so richtig genieße, und für den Jasminduft bei Sonnenuntergang. Ich bin ein glücklicher Mann.

Ich bin dankbar, dass ich zu diesem Ort geführt wurde. Jamaika hat mich schon unzählige Male gerettet und erneuert.

Zum Teil ist es die Abgeschiedenheit. Dies ist weder Nashville noch Tennessee, schon gar nicht sind es die Vereinigten Staaten, und das jamaikanische Telefonsystem hat seinen eigenen mysteriösen Zeitplan, auf den nicht einmal die wichtigsten Leute einen Einfluss haben. Manchmal beschließt es einfach, dass ich es nicht brauche. Und meistens hat es sogar recht damit.

Das allein ist schon ganz nett, aber die Gründe, warum ich Jamaika liebe, liegen tiefer. Die üppige Vegetation, die reine Luft, die regenfeuchten Hügel, der funkelnde Nachthimmel – das verbinde ich alles mit meiner Kindheit in Arkansas. Dort war die Luft damals so klar, dass manchmal, selbst wenn der Mond nicht schien, allein das Licht der Sterne genügte, um mir den Weg zu leuchten. Ich fand das wunderbar. Ich liebte es, durch den Wald auf dem Pfad runter zum Fluss zu gehen, wo ich den Mai oder Juni über, wenn alles wuchs und gedieh, immer zum Angeln ging. Ich schlug mit meiner Angelrute die Blätter vor mir zur Seite, um die Mokassinottern sehen zu können, die überall am Wegesrand lauerten. Ich liebte all das Grüne, den Gang der Natur, die Beständigkeit und Zuverlässigkeit des Ganzen. Ich meine, im nächsten Mai wird der Angelpfad wieder genauso aussehen wie in diesem Jahr. Wie jedes Jahr werden wieder überall die kleinen Maifrüchte aufbrechen. Und man kann sicher sein, dass es am 4. Juli Brombeeren gibt. Schon bald wird es warm genug sein, um barfuß zu gehen …


© Johnny Cash

June auf Cinnamon Hill, Jamaika

Schon in sehr jungen Jahren freute ich mich auf den Wechsel der Jahreszeiten und den Lauf der Natur. Und ohne es groß in Worte zu fassen, war mir damals schon sehr bewusst, dass ich ein Teil der Natur war – dass ich aus der Erde hervorgegangen war und dass es mir gut gehen würde, solange ich dem natürlichen Gang der Dinge folgte.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sich die Erde und die Steine unter meinen nackten Füßen anfühlten. Ich trug nie Schuhe, außer zur Schule, bis ich ungefähr fünfzehn war. Und meine Fußsohlen waren wie Leder. Ich erinnere mich an den Geschmack frisch gepflückter grüner Erbsen, den interessanten Unterschied zwischen den Erbsen selbst und ihren süßen, knackigen Hülsen. Ich kann mich auch an rohe Okraschoten erinnern – wenn ich durch die Felder ging, habe ich immer welche gepflückt. Ich weiß noch, wie schön es war, im Tomatenbeet zu sitzen und die reifen Früchte direkt vom Stock zu essen.

In Jamaika kann ich dieser Zeit und diesen Dingen wieder ganz nahe kommen. Hier kann ich sicher sein, dass die Ackeebäume jedes Jahr ihre Früchte tragen. Während der Regenzeit kann ich mich darauf verlassen, dass das aus den Bergen kommende Wasser als Wasserfall hinter meinem Haus hinabstürzt, genauso wie ich weiß, dass es im Januar und Februar nur noch ein langsames Rinnsal sein wird. Du kannst in einer beliebigen Nacht des Jahres irgendwo hinausgehen und nach oben schauen und über dir wird die ganze funkelnde Sternenpracht zu sehen sein. Ich habe hier mal durch ein Teleskop geschaut und nicht weniger als fünf Jupitermonde gesehen. Von hier aus kann ich mich ins Auto setzen, zu einem der hiesigen Märkte fahren und Tomaten kaufen, die noch an ihren Stielen hängen, Kartoffeln, an denen noch der Dreck der Felder klebt. In meinem Hof kann ich Bananen von den Bäumen pflücken, und zwar wenn sie gerade richtig reif sind, und es gibt auf der ganzen Welt keine Banane, die so gut schmeckt. Ich kann barfuß gehen, auch wenn meine fünfundsechzigjährigen Fußsohlen nicht annähernd so unempfindlich sind wie die des Jungen vom Land damals in Arkansas. Ich kann die Rhythmen der Erde, das Wachsen und das Blühen, das Vergehen und Sterben in meinen Knochen spüren. In meinen Knochen.

Wenn wir allabendlich am Essenstisch die Hände falten und Gott bitten, er möge uns Ruhe und Kraft geben, dann meine ich damit die Art von Kraft, die uns wieder eins sein lässt mit dem Schöpfer und die uns in den Schoß der Natur zurückführt.

CASH

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