Читать книгу Staunen - Josef Bill - Страница 7
ОглавлениеVorwort
Im Jahr 2015 hat das Wort der deutschen Bundeskanzlerin »Wir schaffen das!« zumindest anfangs zum Teil große Zustimmung in unserer Bevölkerung gefunden, im Verlauf aber auch für so manche Aufregung und Irritation gesorgt. Gründe dafür werden bis heute in vielen Diskussionen leidenschaftlich erörtert. Das »Schaffen und Machen« ist zunächst einmal eine Ermutigung, Dinge direkt und gemeinsam anzugehen: »Es gibt viel zu tun, packen wir es an.« Diese Einstellung hat die »Trümmerfrauen« nach dem Krieg zum Wiederaufbau motiviert und beigetragen zum Schaffen von Wohlstand. Auch aller Fortschritt in Technik und Gesellschaft atmet diese Einstellung des Zugreifens. Freilich bekommen wir auch die Kehrseite oder eine Gefahr dieser Haltung, wenn sie zu dominierend wird, zu spüren. Viele Lebensumstände in unseren Breiten sind heute bei vielen fast nur noch von Tempo und Beschleunigung bestimmt: Alle Dinge müssen schnell gehen, am liebsten ganz schnell. Eine vielfach gebrauchte Entschuldigung, die wir nahezu jeden Tag einmal zu hören bekommen, lautet: »Ich habe jetzt keine Zeit, vielleicht später einmal.« Das macht zuweilen den Eindruck einer Unfähigkeit innezuhalten, auf etwas zu lauschen, etwas geduldig zu erwarten, ohne zu meinen, es sofort nach seinem Zweck und Nutzwert befragen zu müssen.
Wir umschreiben solche Augenblicke des Innehaltens, des Sich-überraschen-Lassens, im positiven Sinn gern als ein Staunen. Das Geltenlassen und Überraschtsein von etwas völlig Unerwartetem. Von etwas, was in sich groß und geheimnisvoll oder auch einfach nur liebenswert und schön ist. Von diesem Staunen soll auf den folgenden Seiten die Rede sein. Diese Rede bzw. Schreibe wird auf verschiedene Wege führen: Es wird auf das Staunen in ganz alltäglichen Situationen verwiesen wie das kleine Staunen über einen unvermutet schönen Sonnentag, einen überraschenden Besuch, eine Entdeckung beim Lesen bis hin zu jenem Staunen, das nach Aristoteles und Plato der Anfang aller Philosophie, allen Denkens ist. Schließlich gibt es ein Staunen, das hinführt zum absoluten Ergriffensein von der eigenen Existenz und der unfassbaren Wirklichkeit Gottes.
Als eine Veröffentlichung in der Reihe der Ignatianischen Impulse wird an verschiedensten Stellen auf die Rolle des Staunens bei Ignatius Bezug genommen werden. Es ist dies eine Wahrnehmung, die vielleicht nicht als Erstes jedem einfällt bei der Nennung ignatianischer Spiritualität, die aber – vielleicht erstaunlicherweise für manche – als ihre durchgehende Dynamik gesehen werden kann.
Die direkten Verweise auf Ignatius beziehen sich auf Nummern des Exerzitienbuches (EB), seine Autobiographie, den Bericht des Pilgers (BdP) oder auf Seiten der Werkausgabe der Ignatiusbriefe von Peter Knauer im Echter Verlag (BK).
Der Beitrag möchte nicht nur eine Art sonntäglich-besinnliche Erörterung über das Staunen mit sprechenden Zitaten sein, sondern auch ein kritischer Blick auf ein wachsendes Schwächeln bzw. fast eine Unfähigkeit zu wirklichem Staunen. Der Text ist gewoben aus menschlichen Erfahrungen, biblischen Verweisen und ignatianischer Spiritualität. Es soll der Blick dafür geöffnet werden, dass das Staunen: Tor zur Wirklichkeit ist.