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4. Roms Helden zur See C. Duilius Nepos (ca. 300–240 v. Chr.) & M. Vipsanius Agrippa (64/63–12 v. Chr.)
ОглавлениеRom war im ganzen Verlauf seiner Geschichte keine genuine Seemacht. Infolge seiner Expansion im Mittelmeerraum konnte es aber nicht ausbleiben, dass es sich früher oder später mit diesem Element auseinanderzusetzen hatte. Der Augenblick kam im Zuge des entscheidenden Kampfes mit der dominierenden maritimen Größe – Karthago. Der Streit war über Sizilien entbrannt, sollte bald aber das gesamte westliche mediterraneum miteinbeziehen. Wollte Rom hier bestehen, musste es sich nicht nur auf das Wasser wagen, sondern dort auch bestehen. Dieser gewaltige Schritt von der reinen – also politischen, strategischen und konzeptionellen – Landgröße hin zur zumal garantierten und erfolgversprechenden Seepräsenz bleibt verbunden mit einem Mann – C. Duilius.
Wie sein Name anzeigt, entstammte er keiner der alteingesessenen Familien, sondern war ein Aufsteiger, ein homo novus aus der plebejischen gens Duilia. Deren erster Konsul war Kaeso Duilius 336 v. Chr. gewesen; im Jahre 260 v. Chr. bekleidete die Familie mit eben Gaius Duilius dieses Amt zum zweiten Male. War der erste Vertreter nur durch einige Kolonisierungsmaßnahmen hervorgetreten, fiel das zweite Konsulat genau in die Zeit des oben beschriebenen Konflikts mit Karthago, welcher 264 v. Chr. (Erster Punischer Krieg) ausgebrochen war. Die Republik hatte hierzu den Bau einer gewaltigen Flotte, quasi aus dem Nichts, bewerkstelligt, 150 Einheiten von Fünf- und Dreiruderern in zwei Monaten. Doch dieser offensichtliche Beweis römischen Unternehmungsgeistes kontrastierte aufs schärfste mit der tatsächlichen Qualifikation der Mannschaften – hier nahm man meist Legionäre und Freiwillige als Besatzung und Ruderer – und vor allem der Kommandanten. Wie fatal dieser Mangel an Erfahrung sein konnte, bewies Duilius’ konsularischer Kollege des Jahres 260 v. Chr., Gn. Cornelius Scipio. Im Bemühen, den wichtigen Hafen Lipara auf den gleichnamigen Inseln für Rom zu sichern, lief er ohne Sicherheitsvorkehrungen dort ein, unmittelbar in eine von dem karthagischen Befehlshaber Hannibal Gisco (ca. 300–260 v. Chr.) schlau gelegte Falle. Die kampferprobte punische Marine versperrte die Hafenausfahrt und unter der brandneuen römischen Flotte brach Panik aus; die Mannschaften desertierten kopflos und Scipio wurde gefangen genommen. Dieser Vorfall sollte ihm den wenig rühmlichen Beinamen «Asina» (Esel in weiblicher Form …) einbringen, Roms maritime Ambitionen beförderte er keinesfalls.
Die gesamte Verantwortung lag nun bei Duilius, dem zuvor die Landstreitkräfte unterstanden hatten. Wiederum raffte sich Rom sehr schnell auf – wohl einer der charakteristischsten Wesenszüge seiner politischen Mentalität –, sammelte die verbliebenen Seeverbände, organisierte deren Verwaltung neu und entsandte Duilius, die Schmach von Lipara zu sühnen. Zu Hilfe kam den Römern dabei eine zumal für den Augenblick epochale Erfindung: die schwenkbare Enterbrücke («corvus», Rabe). Ihr geistiger Vater ist unbekannt, ihr Prinzip war simpel: An einem ca. 7 m hohen und 30 cm im Durchmesser starken Mast auf dem Vorderdeck der Galeeren mittels einer drehbaren Aufhängung angebracht, bestand er aus einem 11 m langen und 120 cm breiten Laufsteg mit Seitenbefestigungen, modernen Gangways nicht unähnlich, und war im Ruhezustand mit einem Seil an besagtem Mast hochgezogen. An seiner Unterseite trug der corvus einen metallenen Dorn, welcher sich, war die Vorrichtung einmal im Kampf ausgeschwenkt und schlagartig fallengelassen, durch das Eigengewicht in das Deck des gegnerischen Schiffes bohren konnte und dort auch fest verankert blieb. Somit entstand eine Laufbrücke für die an den Landkrieg gewohnte Besatzung, welche nun relativ einfach auf die feindliche Einheit übersetzen konnte. Dies verwandelte den Seekrieg zumindest teilweise in ein Landgefecht.
Mit Maschinen allein aber gewinnt man keine Kriege. Duilius erwies sich in hohem Maße auch als der strategisch-taktischen Situation des Augenblicks gewachsen. Nachdem man den Feind in der Gegend von Mylæ (nördlich von Sizilien) ausgemacht hatte, stach Duilius mit seiner gesamten Flotte in See und traf bald auf die Karthager. Diese, wiederum unter dem Kommando Hannibal Giscos und 130 Einheiten stark, „hielten direkt auf den Feind zu, sogar ohne feste Angriffsformation und im losen Verband, als ob sie auf eine Beute niederstürzten, welche ihnen offenbar sicher war“. Zwar löste der corvus Verwunderung aus, doch obsiegte die Angriffslust.
„Aber als es zum Zusammenstoß kam, wurden die Schiffe ohne Ausnahme von den Maschinen festgehalten, die römischen Mannschaften enterten darauf und griffen Mann gegen Mann an. Einige Karthager wurden niedergemacht, andere ergaben sich aus Bestürzung, die Schlacht war zum Landkampf geworden. So wurden die ersten dreißig Einheiten genommen, mitsamt der Besatzung, einschließlich des Flaggschiffs, und Hannibal selbst konnte sich nur wie durch ein Wunder in einem Beiboot retten. Die verbleibende karthagische Streitmacht kam zum Angriff heran, aber als sie des Schicksals der ersten Welle gewahr wurde, drehte sie bei, um den Einschlägen des corvus auszuweichen. Auf ihre Wendigkeit vertrauend umkreisten sie den Feind in der Hoffnung, diesen längsseits oder achtern zu treffen. Aber als die Raben in alle Richtungen ausschwangen, so dass alle, die in ihre Reichweite kamen, notwendigerweise getroffen wurden, drehten sie schließlich ab und flohen in Panik über diese neue Erfahrung und unter dem Verlust von 50 Einheiten“ (Polybios, Historien, 1,23).
Duilius hatte nicht nur die römische Ehre wiederhergestellt und den Tag für Rom entschieden – der Sieg bei Mylæ bedeutete zudem den definitiven Eintritt der Republik in die maritime Welt. Der Krieg war damit noch lange nicht entschieden, doch Karthago hatte in seinem ureigenen Element einen Rückschlag erlitten, der den weiteren Verlauf des noch über 110 Jahre andauernden Konflikts nachhaltig prägen sollte. In den folgenden Gefechten bei Sulci, Tindaris und Ecnomus behauptete sich Rom nicht zuletzt dank des corvus, doch legten dessen offenbare Nachteile (die stark eingeschränkte Manövrierbarkeit des Schiffes) und die Abnützung des Überraschungseffektes – der immerhin über vier Schlachten gegen die maritime Größe der Zeit angehalten hatte – es nahe, ihn schließlich aufzugeben. Das letzte und entscheidende Treffen bei den Ägatischen Inseln (241 v. Chr.) gewann Rom auch ohne ihn – und hatte sich damit als Seemacht im westlichen Mittelmeer etabliert.
Duilius selbst legte vorschriftsmäßig sein Amt zum Jahresende nieder, wurde aber in Anerkennung seiner wahrhaft säkularen Verdienste 258 v. Chr. zum Censor gewählt – eine für einen homo novus unerhörte Auszeichnung. Unmittelbar nach der Schlacht bei Mylæ hatte ihm der Senat einen Triumph bewilligt, in welchem anstelle der sonst üblichen Beutestücke die Rammsporne der eroberten karthagischen Schiffe mitgeführt und danach in einer Siegessäule – der in Resten noch heute auf dem Forum erhaltenen Rostra (Columna Rostrata) – verewigt wurden.
Fast zweihundert Jahre nach der Durchsetzung gegenüber dem alten Erzrivalen Karthago, als nahezu das gesamte Mittelmeer – mit der Ausnahme des ptolemäischen Ägypten – zum mare nostrum geworden war, beschäftigten Rom Zwistigkeiten ganz anderer Art. Nach dem Tode Cæsars 44 v. Chr. drohte das Reich wiederum ins Chaos zu versinken. Der Feind stand diesmal nicht mehr an den Grenzen, sondern fand sich im Inneren des Imperiums. Konnten die Cæsarmörder durch ein entschlossenes Handeln seiner Anhänger, Familiaren und engsten Gefolgsleute, bald und in der Schlacht bei Philippi definitiv unschädlich gemacht werden, so bröckelte im Folgenden das von Anfang an nur zweckorientierte Bündnis der beiden maßgeblichen Erben des Diktators, Marcus Antonius (86?–30 v. Chr.) und Octavian (63 v. Chr.–14 n. Chr.). Während der Erste für sich in Anspruch nahm, die cæsarische Politik in dessen Sinne weiter zu vertreten, empfahl sich Letzterer als sein Adoptivsohn. Eine vorübergehende Teilung des Reiches in Einfluss- und Interessensphären – grob gesagt, der griechischsprachige Osten für Antonius, der lateinische Westen für Octavian –, erwies sich als von nur geringer Tragfähigkeit. Die Affäre Antonius’ mit der einstigen Geliebten Cæsars, Königin Cleopatras VII. von Ägypten (69–30 v. Chr.), lieferte der Propagandamaschinerie Octavians den willkommenen und seit langem gesuchten Vorwand, jenen zum Staatsfeind und zur öffentlichen Gefahr zu deklarieren. Was folgte, war der lange Weg zum Prinzipat, der faktischen Alleinregierung eines der beiden Kontrahenten, ein Konflikt, welcher am 2. September des Jahres 31 v. Chr. in der Seeschlacht bei Actium gipfelte. Der Propagandakrieg, eine Folge gegenseitiger Verunglimpfungen und Beschuldigungen, sollte nun dem offenen Kampf weichen. Antonius hatte, nach seiner öffentlichen Scheidung von Octavians Schwester Octavia, eine große maritime Streitmacht aus allen östlichen Gebieten, einschließlich eines bedeutenden ägyptischen Kontingents, bei Ephesus zusammengezogen, während Octavian schließlich durch Senatsbeschluss seinen Gegenspieler zum öffentlichen Feind Roms hatte erklären lassen.
Maßgeblicher Stratege des militärisch sehr mäßig begabten Adoptivsohns Cæsars war dabei M. Vipsanius Agrippa (64/63–12 v. Chr.), der diesem bereits das wichtige Methoni in Griechenland gewonnen hatte. Nun aber galt es, der Herausforderung Antonius’ auf dem Meere zu begegnen, und Agrippa bewerkstelligte diesen Wechsel der Elemente ebenso erstaunlich schnell wie einst Duilius.
Aus einer wenig prominenten römischen Familie stammend, war Agrippa als Jugendfreund Octavians an dessen Seite groß und, von Cæsar geschätzt und gefördert, nach dessen Ermordung zum maßgeblichen Berater des jungen Octavian geworden. Sein Einsatz für die Verbesserung der Lebensbedingungen in Rom im Amte des Ädilen (33 v. Chr.) war legendär (Bau von Aquädukten, Ausbau der Kanalisation, Errichtung öffentlicher Bäder und Gärten); dieses Talent zur Organisation sowie seine früheren militärischen Erfolge waren es wohl, welche Octavian bewogen, ihm in der entscheidenden Schlacht von Actium den Oberbefehl zu übertragen.
Deren Ausgangslage stellte sich für die beiden denkbar ungünstig dar: Nicht nur verfügte Antonius über eine erdrückende numerische Überlegenheit (500 gegenüber 270 Einheiten), auch waren dessen Schiffe größer (bis zu 300 t), besser bewaffnet und schwerer gepanzert (mit Eisenschutz gegen mögliches Rammen und Bronzeplatten am Bug). Einmal getroffen, konnte diese Stärke aber zur Schwäche werden, da die so zersplitterten Schiffe quasi manövrierunfähig wurden. Darauf und auf die größere Wendigkeit seiner Einheiten zielte Agrippas Strategie. Hinzu kam seine perfekte Geheimdienstorganisation, welche noch vor der Schlacht die Kampfpläne des Gegners einem Überläufer entlocken konnte. Trotzdem blieb der Kampf zunächst für über einen halben Tag unentschieden. Agrippa vermied geschickt jeden Frontalangriff des haushoch überlegenen Gegners und wartete auf seine Gelegenheit. Diese kam, als der Wind sich zu seinen Gunsten drehte und Antonius daher gezwungen war, seine Schlachtlinie auf die gesamte Front aufzuteilen. Cleopatra, als Oberbefehlshaberin ihres Geschwaders ebenfalls anwesend, sah dies als Fanal und befahl den Rückzug ihrer Schiffe. Dies deuteten Antonius’ Einheiten ebenfalls als Entscheidung und beim Herannahen der feindlichen Flotte bei gleichzeitigem Rückzug des größten verbündeten Kontingents breitete sich Panik aus. Antonius floh Hals über Kopf zu seiner Geliebten, Agrippa stieß nach und ließ den Tag zu einem Triumph seiner Sache werden: Alle zurückgebliebenen Schiffe der antoninischen Armada wurden versenkt oder gekapert, die Strategie des Stadtplaners war aufgegangen.
Der Tag von Actium entschied das Schicksal des Römischen Reiches und der gesamten Weltgeschichte in einem nur schwer vorstellbaren und noch schwerer zu übertreibenden Ausmaß. Die Sache Antonius’ und Cleopatras war verloren, eine Eigenständigkeit des griechischen Ostens für die kommenden vierhundert Jahre obsolet. Actium und seine Folgen trieben das berühmteste Liebespaar der Geschichte in den Selbstmord und machten aus Octavian Augustus, den Weltenherrscher.
Agrippas Verhältnis zu Augustus sollte kurzzeitig getrübt werden, als er in dessen Intrigenspiel verwickelt wurde, doch die Erfolge seiner zweimaligen Statthalterschaft in den östlichen Provinzen (23 und 17 v. Chr.) ließen ihn nur noch berühmter werden. Augustus finanzierte die Erziehung aller Kinder des Agrippa, der 21 v. Chr. sein Schwiegersohn geworden war. Nach nochmaligem erfolgreichem Einsatz in mehreren Krisengebieten (Krim und Donauregion) starb der große Soldat und Organisator 13 v. Chr. Augustus ließ seinen Leichnam in seinem eigenen Mausoleum beisetzen – eine vielleicht nicht zu große Ehre für jenen Mann, der ihm das Imperium gewonnen hatte.
Beide, Duilius wie Agrippa, sind in den Annalen der Seefahrt als die Sieger eines jeweils einzigen Tages verzeichnet, beide waren keine genuinen Seeleute; ob sie jemals danach wieder ihren Fuß auf ein Schiff setzten (außer zu Transportzwecken), ist mehr denn fraglich. Diese beiden Tage aber hatten das Mittelmeer zum mare nostrum werden lassen.