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2. Die Gegner von Salamis Artemisia I. von Halikarnassos (um 480 v. Chr.) & Themistokles (ca. 525–459 v. Chr.)
ОглавлениеIm epochalen Schlachtenentscheid zu Salamis 480 v. Chr. trafen zwei Persönlichkeiten aufeinander, welche wert erscheinen, unsere Anthologie zu eröffnen: Themistokles der Athener und Artemisia von Halikarnassos. Sie kämpften in gegnerischen Lagern, entstammten aber beide dem griechischen Kulturkreis. Dies darf nicht erstaunen. Zwar hatte das persische Reich in erstaunlicher Perzeption der Lage die maritime Bedeutung des Konflikts erkannt, verfügte aber über keine genuin persische Marine. Die schließlich zum Einsatz gelangende Flotte bot ein Kaleidoskop der maritimen Stützen des persischen Reiches: 300 phönizische (levantinische), 200 ägyptische, 150 zypriotische, 100 ionische (griechisch-kleinasiatische) und 100 kilikische Einheiten, dazu 100 aus der Gegend des Hellespont, 70 aus Karien und 50 lykische, plus Abordnungen zahlreicher kleinerer Territorien.
Das mochte auf den ersten Blick beeindruckend wirken, barg aber offensichtliche Risiken bereits in der Grundkonzeption. Eine derart heterogene Flotte hätte der starken Führung einer zentralen maritimen Größe bedurft; nun spielten zwar vor allem die phönizischen Kapitäne eine herausragende Rolle in der Befehlsstruktur, die letztliche Verantwortlichkeit wie auch die strategische Planung und der Oberbefehl aber blieben in persischer, also in jener Hand, welche zwar gewaltige Anstrengungen zur Verbesserung seiner Seestellung zu unternehmen bereit war, der das grundlegende Handwerk und die Techniken des Seekriegs hingegen immer fremd blieben. Und so sollte sich im Verlauf dieses gigantomanischen Unternehmens erweisen, dass Planung, Rüstung und faktische Durchführung einer militärischen Operation tatsächlich drei durchaus völlig verschiedene Dinge sein konnten, vor allem, wenn man nur eine echte maritime Begabung aufzuweisen hatte: Artemisia – die Regentin von Halikarnassos, eine Frau.
Nach Herodot, welcher ebenfalls aus Halikarnassos stammte und in seinen Schriften eine deutliche Sympathie für seine Landsmännin an den Tag legt, verfügte sie über lediglich fünf eigene Einheiten, welche zu den besten des persischen Kontingentes zählten (Hist. VII, 99). Ihre Hauptbedeutung aber lag in ihrer strategischen Planungskompetenz. Wiederholt hatte sie den Großkönig darauf hingewiesen, dass lediglich eine gemeinsame Unternehmung von Flotte und Heer zielführend wäre: Auch nach dem Fall der Thermopylen forderte sie den weiteren vereinten Vormarsch auf den Isthmus von Korinth. In den griechischen Stadtstaaten auf der Peloponnes würde dann eine Panik ausbrechen, die alliierte griechische Flotte auseinanderbrechen und jedes Kontingent seine Heimat verteidigen. Einzeln aber wären diese Gegner keiner gemeinsamen persischen Streitmacht, weder zur See noch zu Lande, gewachsen gewesen (Herodot, Hist. VIII, 68).
Diese reelle Gefahr erkannte ironischerweise das mastermind der griechischen Seite klarer als Xerxes: Themistokles von Athen. Er musste alles versuchen, diese Eventualität zu verhindern und die Perser zu einer großen Seeschlacht in geeigneten Gewässern zu verführen. Bevor wir uns dieser selbst zuwenden, sei kurz aufgezeigt, wie die beiden Antagonisten zu ihrer Rolle gekommen waren.
Der griechische Kulturkreis des 5. Jahrhunderts v. Chr. bot ein denkbar buntes Bild staatlicher, territorialer und verfassungsmäßiger Vielfalt. Im westlichen Mutterland rangen Stadtstaaten monarchischer, demokratischer und aristokratischer Regierung um die Vorherrschaft, in den einstigen kleinasiatischen Siedlungsgebieten regierte nunmehr das Perserreich der Achämeniden, ohne die kulturelle Selbständigkeit der einzelnen unterworfenen Einheiten allzu sehr zu behelligen; Halikarnassos bildete davon keine Ausnahme. In dieser Untersatrapie innerhalb der Großsatrapie Caria mit der Hauptstadt Sardis fungierte nach dem Tode ihres Vaters Lygdamis’ I. zur Zeit des Zweiten Perserkrieges Artemisia als Regentin für ihren minderjährigen Sohn Pisindelis. Der große Einfluss der Königin-Regentin bleibt trotz der Ausführungen Herodots letztlich unklar; weniger erstaunlich erscheint hierbei die Überwindung des geschlechtlichen Hindernisses und der damit verbundenen Vorurteile, sondern vielmehr die Tatsache, dass sich die Befehlshaberin eines so kleinen Reiches beziehungsweise Kontingentes so prominent Gehör zu verschaffen wusste. Eine Rolle dabei mag die Kampftüchtigkeit Artemisias während der ersten Hälfte des Feldzugs gespielt haben. Nach der Überquerung des Hellesponts zog die persische Armada südwärts der Küste entlang, musste dabei aber in Stürmen und Unwettern herbe Verluste einstecken; die von Herodot als griechischer Sieg gedeutete Schlacht beim Kap Artemision aber war in Wirklichkeit ein persischer Erfolg, in welchem Artemisia sich unter den Kommandanten bewährt zu haben scheint. Als am gleichen Tage die Thermopylen fielen, war die Strategie der Königin von Halikarnassos aufgegangen.
Der weitere Verlauf des Krieges hing nunmehr zunehmend von einer anderen Persönlichkeit ab: Themistokles. Als Advokat der unteren Gesellschaftsklassen hatte er sich in den innerathenischen Streitigkeiten zu Beginn des 5. Jahrhunderts hervorgetan und war 494 v. Chr. zum höchsten Staatsamt des Archonten aufgestiegen. In den folgenden Jahren hatte er den Ausbau des Hafens von Piräus vorangetrieben und im Ersten Perserkrieg als Verfechter einer streng antipersischen Politik als General bei Marathon gekämpft. Nach dem Tode des Miltiades (489 v. Chr.) war er der unumstrittene Führer der athenischen Politik und veranlasste zahlreiche soziale und konstitutionelle Reformen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Bedeutsam in unserem Kontext ist es, dass es ihm gelang, die Athener von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Erträge aus der kürzlich neu entdeckten Silbermine von Laureion in den Bau einer gewaltigen athenischen Flotte (über 200 Triremen) zu investieren. Obwohl der nominelle Oberbefehl darüber aus innergriechischen politischen Überlegungen heraus an Sparta abgetreten wurde, hatte Themistokles es vollbracht, nicht nur das Schwergewicht der athenischen Kriegsmaschinerie auf die Marine zu verlegen, sondern dieser auch eine gleichsam göttliche Mission zu verschaffen. Man hatte zu Delphi das Orakel befragt und dieses hatte geraten, sich hinter einem hölzernen Wall zu bergen. Waren damit die läppischen Palisadenwälle der Stadt gemeint? Die Auslegung des Staatsmannes traf eher seine strategischen Absichten und „so riet er ihnen, sich auf einen Seekampf vorzubereiten, denn dies war ihr Schutzwall aus Holz“ (Herodot, Hist., VII, 143). Der Mythos des «wooden wall» war geboren, der das enge Spektrum der Antike weit übersteigen und dereinst der Royal Navy über Jahrhunderte ihre Identität verleihen sollte – dies mit all den tatsächlichen oder vielmehr propagandistischen Konnotationen des Vorkämpfers gegen echte und vermeintliche Totalitarismen und Imperialismen.
Hart war der Beschluss für Athen jedenfalls: Frauen und Kinder wurden nach Süden evakuiert, die Flotte sammelte sich in der Bucht von Salamis, die Stadt selbst erwartete hilflos den Invasor.
Nun galt es nur noch, dieses Vorhaben auch in die Tat umzusetzen. Immer noch bestand ja nicht nur die Gefahr, dass die Perser tatsächlich Artemisias Rat folgen und zum Sturm auf den Isthmus ansetzen würden; auch innerhalb der pangriechischen Allianz waren nicht alle Parteien vom Vorgehen des Atheners überzeugt. Sollte man tatsächlich die gesamte Flotte wagen und damit die einzelnen Städte ihres Schutzes entkleiden? Eines war klar: Nach dem Heldentod der Spartaner unter Leonidas bei den Thermopylen würde Hellas eine zweite totale Niederlage nicht überstehen.
Dabei verfügten die Perser zudem über mehrere unübersehbare Vorteile: Nicht nur hätte deren Flotte zahlenmäßig ausgereicht, sowohl die Zufahrten zur Meerenge von Salamis und damit die griechische Flotte zu blockieren, als auch Truppen für eine amphibische Operation auf der Peloponnes anzulanden; auch waren die persischen Einheiten sowohl bautechnisch wie auch im Hinblick auf Erfahrung, Ausbildung und Disziplin ihrer Besatzungen den Griechen weit überlegen. Nur wenn es gelänge, die massigen persischen Einheiten in der Enge von Salamis zusammenzupferchen und dann zu umfassen, würden die Griechen ihren einzigen Vorteil der Wendigkeit ausnutzen können und eventuell eine Chance haben.
Ob die Geschichte des Herodot zur Herbeiführung genau dieser Situation nun stimmt oder nicht – originell ist sie auf jeden Fall. Hiernach soll Themistokles einen Sklaven als vermeintlichen Überläufer mit der Botschaft ins persische Lager gesandt haben, die griechischen Schiffe lägen wie ein reifer Apfel im Golf von Salamis und müssten nur von der persischen Übermacht überrumpelt werden. Ob Xerxes wirklich so naiv war, auf einen derartigen Bluff sofort anzuspringen, oder aber hier schon die Idealvorstellung von der Entscheidungsoption der einen großen See- und damit Endschlacht den Ausschlag gab, sei dahingestellt. Sollte Letzteres der Fall sein, so befände sich der Großkönig in guter Gesellschaft ähnlich denkender und handelnder Entscheidungsträger bis hinein ins 20. Jahrhundert. Verlockend war die Aussicht allemal, den Krieg hier mit einem (spektakulären) Schlag zu beenden, dies umso mehr, als das persische Reich alles andere denn dauerhaft befriedet war und etwa in Babylon bereits Unruhen gärten.
Der Ausgang der Schlacht ist bekannt – die Strategie des Themistokles ging vollends auf, Salamis wurde zum persischen Desaster. In seinem Bericht vom Getümmel des immer unübersichtlicher werdenden Kampfes erzählt Herodot nochmals von Artemisia, wie sie im Gefecht mit mehreren Einheiten plötzlich eine verbündete Trireme rammte, um sich den Weg in die Freiheit zu sichern. Die Reaktion des Großkönigs, welcher die Schlacht von einem feststehenden Thron auf dem Festland aus beobachtete, ist mehrdeutig: „Meine Männer sind zu Frauen und meine Frauen zu Männern geworden!“ (Herodot, Hist. VIII, 88). Vielleicht kommentierte er nur ihren Kampfgeist an sich, vielleicht war ihm auch zu diesem Zeitpunkt bewusst geworden, was er durch das Ausschlagen des weiblichen Ratschlusses versäumt beziehungsweise verloren hatte.
Wie auch immer – Salamis und seine Helden der See hörten nicht auf, als Paradoxe zu erscheinen. Nicht nur hatte eine Frau in Zeiten der männlich dominierten Kriegführung den richtigen Weg gewiesen und schließlich die maritime Strategie eines Politikers obsiegt, der wahrscheinlich selbst nie ein Schiff betreten oder im Gefecht geführt hatte. Die Hauptlast des tatsächlichen Oberkommandos der Griechen lag bei dem Spartaner Eurybiades, der nach der Schlacht richtig entschied, die Perser nicht zu verfolgen und die Schiffsbrücke über den Hellespont zu zerstören, da dies ein weiteres Verweilen der persischen Streitkräfte unabdingbar gemacht hätte. Diese wurden im kommenden Jahr bei Plataia geschlagen, nachdem sich ihr König bereits wieder auf den Nachhauseweg gemacht hatte, um die nunmehr offene Rebellion Babylons zu bekämpfen.
Sparta war es auch, das Themistokles, dem Führer seiner alten Rivalin Athen, einen Olivenzweig als offizielle Ehrung zukommen ließ, während seine Heimat ihm langfristig, nach dem erneut aufgeflammten Vorrangstreit mit Sparta, die Rettung wenig dankte. 476 v. Chr. wurde er des Hochverrats und der geheimen Zusammenarbeit mit Persien beschuldigt, 473 v. Chr. per Ostrazismus ausgewiesen und später in absentia zum Tode verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich aber schon jenseits der Ägäis, wo ihm der Großkönig die Stadt Magnesia zum Lehen gegeben hatte. Dort starb er denn auch 459 v. Chr., laut Plutarch durch Selbstmord, nachdem er sich geweigert hatte, für Persien gegen Griechenland in den Krieg zu ziehen – „und man sagte, dass der (Groß-)König, als er Grund und Umstände seines Todes erfahren hatte, diesen nur noch umso mehr bewunderte und fortfuhr, seine Freunde und Angehörigen mit Güte zu behandeln“ (Plutarch, Themistokles, 31).
Artemisia aber hatte sich nach Salamis nun im persischen Stab durchgesetzt und den Großkönig entgegen dem Rat des Oberkommandierenden der Landstreitkräfte Mardonios überzeugt, den Rückzug anzutreten. Xerxes bestellte sie daraufhin zur Aufseherin und Gouvernante all seiner Kinder und hielt sie und ihr Land weiterhin in Wertschätzung. Dass auch sie durch eigene Tat infolge eines Liebeskonflikts gestorben sein soll, mag der romantischen Verklärung angehören, doch sei noch auf die Besonderheit hingewiesen, dass Themistokles’ Stern in Athen just dadurch zu sinken begann, dass er auf seinen Ländereien ein Heiligtum der Göttin Artemis (!) weihte und mit der Inschrift («zum guten Ratschlag») versah. Hatte er damit, wie die Athener ihm unterstellten, (nur) seinen eigenen Ratschlag gemeint? Schließlich hatte doch auch Sparta der kleinasiatischen Griechenkönigin in persischen Diensten in der sogenannten Perser-Halle auf der Agora ein Marmorstandbild errichtet (Pausanias, /Beschreibung Griechenlands, III.11.3) – „für die Griechen des 5. Jahrhunderts war sie die historische Reinkarnation der mythischen Amazone“ (Munson, 2001, 255).