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6. Seehelden der Republik Genua Benedetto I. Zaccaria (1235–1307) & Andrea Doria (1466–1560)
ОглавлениеUnter den großen maritimen Seerepubliken der Apenninhalbinsel nimmt Genua nicht den ersten Rang im historischen Bewusstsein ein. Zu lange haben sich, durch spätromantische Wahrnehmung nicht unbeeinflusst, Hauptaugenmerk und Betrachtungswinkel der internationalen Historikergilde auf Venedig konzentriert. Ob Senats- und Dukalverfassung, Handelspolitik, Seereich, Flottenwesen etc. – immer stand die Markusrepublik quasi monopolartig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihr alter und oft erfolgreicher Rivale Genua hingegen, der keinen Evangelistenleib, keinen Marco Polo, keinen Vivaldi oder Galuppi und keinen Thomas Mann in seinen Mauern gesehen hatte, schien daneben mindestens zur Zweitrangigkeit zu verblassen. Dennoch hat Venedig keinen klassischen Seehelden im Sinne unserer Anthologie hervorgebracht, Genua schon. Zwei davon sind es wert, genauer betrachtet zu werden.
Der Erste symbolisiert jenes Amalgam von diplomatischer, merkantiler und maritimer Betätigung, welche für diese Art von condottiere marittimo kennzeichnend werden und bleiben sollte. In die Umbruchszeit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts geboren, wurde Benedetto Zaccaria zunächst Kaufmann, ganz im Rahmen der familiären Tradition. 1051 hatte Genua, obwohl nominell Glied des ‚Römisch-Deutschen Reiches‘, ganz Ligurien seiner politischen Einflusssphäre unterworfen, im Zuge des Ersten Kreuzzuges Gebiete in Syrien dazuerhalten und 1261 schließlich die wichtige kleinasiatische Stadt Izmir erworben. Dies bedeutete Handelsbeziehungen in bislang unbekanntem Ausmaß und dies wiederum die Möglichkeit zu bisher unbekanntem Reichtum. Allein, die Herrlichkeit dauerte nicht lange; die Rückeroberungen Saladins ließen die Levantebesitzungen schrumpfen, die Wiederherstellung des Römischen Reiches von Byzanz unter Michael VIII. Palaiologos (reg. 1259–1282) durch die Wiedereroberung Konstantinopels 1261 setzte den lateinischen Besitzungen im Osten einen echten Widerpart entgegen. Es erstaunt folglich nicht, Benedetto in seiner ersten diplomatischen Mission 1264 am hellespontinischen Kaiserhofe anzutreffen. Zu viel stand für Genua auf dem Spiel, zumal just die Venezianer, welche einst den Untergang Byzanz’ 1204 herbeigeführt hatten, schon wieder Kontakte mit demselben geknüpft hatten. Nach elfjährigen (!) Verhandlungen war es dem Genuesen und seinem Bruder Manuele geglückt, auch für ihre Heimatstadt günstige Bedingungen festzuschreiben. Michael VIII. scheint ihn dabei so sehr schätzen gelernt zu haben, dass er ihm in der Folge die Verwaltung der kaiserlichen Minen in Phokaia übertrug. Benedetto beutete nicht nur die Gruben aus, sondern legte daneben noch Musterplantagen für Obst und Gemüse an, was ihm nicht nur Ansehen und Bewunderung, sondern auch erheblichen persönlichen Reichtum einbrachte. Durch ein Netz von politischen und geschäftlichen Beziehungen gestärkt, empfahl er sich immer mehr für den diplomatischen Dienst. 1282 sehen wir ihn am Hofe Peters III. von Aragon, welchen er zur Forstsetzung des Krieges gegen die Anjou in Sizilien bewegen konnte.
Im gleichen Jahr aber gewann das westliche Mittelmeer erheblich an politischer Bedeutung, was nicht zuletzt an den erwähnten Erfolgen Genuas im Osten lag. Der Erzrivale Pisa konnte diesen erneuten Aufstieg nicht verkraften und versuchte daher im Herzen der genuesischen Interessen, quasi unmittelbar vor Genuas Haustüre, Widerstand zu schüren. Dies gelang auf Korsika, dessen einheimische Handels- und Adelselite wieder einmal ihren Freiheitswillen und Unmut gegen die als Fremdherrschaft gesehene ligurische Verwaltung akzentuierte. Zu ihrer Unterstützung sandte Pisa 1284 73 Galeeren nach Korsika, unter anderem unter Ugolino della Gherardesca (ca. 1220–1289), dem bis hin zu Dantes «Comedia» (vertont unter anderem von Donizetti 1828) und Chaucers «Canterbury Tales» ein beachtliches literarisch-künsterlisches Nachleben beschieden sein sollte. Genua konterte seinerseits mit einem Einfall in das unter pisanischer Herrschaft stehende Sardinien und ernannte hierzu, etwas erstaunlich vielleicht, Benedetto zum zweiten Oberbefehlshaber seiner Armada neben Oberto Doria (†1295), dies, obwohl jener bislang keine großen maritimen Erfolge oder Erfahrungen, vor allem in militärischer Hinsicht, aufweisen konnte. Nachdem ein Teil des pisanischen Kontingents bereits an einer genuesischen Handelsflotte gescheitert war, galt es nunmehr, das Gros der pisanischen Einheiten aus dem Hafen des sardinischen Porto Torres – dies sollte gemeinsam mit Sassari als Vergeltungsschlag für die Einmischung Pisas auf Korsika erobert werden – zu locken und zum Kampf zu stellen. Man griff hierzu zu einer List, welche mit tödlicher Exaktheit wirkte: Während ein erstes Geschwader unter Doria sich vor der Hafeneinfahrt präsentierte, wartete ein zweites unter Zaccaria entfernt und durch die Äquatorialkrümmung für die Pisaner nicht sichtbar auf See. Als Letztere, ihres offenbaren Erfolges aufgrund der vermeintlichen Überlegenheit sicher, sich gegen Doria wandten, erschien Zaccaria im rechten Flügel der Pisaner und fügte diesen eine so verheerende Niederlage zu, dass die Republik sich von diesem Desaster nie mehr erholen sollte; Ugolino konnte mit nur wenigen Einheiten entkommen, die Seestellung Pisas war zerschlagen.
Dieser Tag von Meloria (6. August 1284) markierte den Aufstieg Zaccarias zu einem der berühmtesten Admirale der Zeit. Deren Gebräuchen folgend, stand er danach im Dienst aller großen Seeanrainerfürsten des Mittelmeers: Unter anderem kämpfte er erfolgreich für Sancho IV. von Kastilien gegen die Berberfürsten von Marokko und für den römischen Kaiser Andronikos II. Palaiologos (reg. 1282–1332), den Nachfolger Michaels VIII., gegen die in der Gegend von Phokaia marodierenden Venezianer. 1302 schließlich ernannte ihn Philippe IV. von Frankreich zum Oberkommandierenden der französischen Seestreitkräfte im Mittelmeer, nachdem er diesem zuvor bereits an der Kanalküste gegen die Engländer und Flamen gedient hatte. 1304 eroberte er die Insel Chios an der kleinasiatischen Ägäisküste, die bislang ein muslimisches Piratennest gewesen war, im gleichen Jahre noch Samos und Cos. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf das hohe Renommee des Genuesen, dass der byzantinische Kaiser nunmehr ihn, obwohl in französischen Diensten stehend, mit diesen Inseln faktisch belehnte. Die letzten drei Jahre seines Lebens gehörten der Verwaltung dieser Ländereien, 1307 starb Benedetto I. Zaccaria als einer der größten Seemänner, Politiker und Diplomaten seiner Zeit. Ob seine Frau tatsächlich eine Cousine des römischen Kaisers gewesen ist, wie mitunter behauptet, muss dahingestellt bleiben – träfe es zu, wäre es ein weiterer Beweis für die internationale Wertschätzung jenes in seiner Zeit so berühmten, heute aber nahezu vergessenen Seefahrers.
In vielerlei Hinsicht überschneiden sich die Lebensspuren Zaccarias mit denen seines ungleich berühmteren Landsmannes Andrea Doria. Wie dieser stand auch der 1466 geborene Doria im politischen und strategischen Spannungsfeld seiner Zeit. Im großen Kampf der Häuser Valois-Angoulême und Habsburg um die Vorherrschaft in Italien stand er zunächst in französischen Diensten. 1522 hatten die Kaiserlichen Genua erobert, Doria aber vertrieb diese als Generalkapitän François’ Ier vor Marseille (1524). Von der französischen Italienpolitik enttäuscht, wechselte er nach Ablauf seines Dienstvertrags 1528 ins kaiserliche Lager, befahl seinem Neffen Filippino vor Neapel den hochverräterischen Frontwechsel gegen François, kehrte mit seiner Flotte nach Genua zurück und stellte dort die Republik unter kaiserlicher Oberregierung wieder her. Für Carl V. wurde er in der Folgezeit zum wichtigsten Architekten seiner Mittelmeerpolitik. Den Türken konnte Koroni und Patras entrissen werden, 1535 verdankte der Kaiser Doria die Eroberung von Tunis.
Damit aber hatte er seinen Zenit überschritten. Das Treffen bei Preveza (1538) geriet ihm als Kommandierenden der Flotte der von Papst Paul III. zustande gebrachten Heiligen Liga gegen die Türken unter Barbarossa Hayreddin Pasha (1478–1546) zum Fiasko und zementierte die osmanische Seehoheit im Mittelmeer bis zum Tage von Lepanto 1571. Gleiches gilt für das Unternehmen Carls V. gegen Algier 1541, welches den Erfolg von Tunis 1535 nicht wiederholen konnte. Es folgten unruhige Jahre in Genua, in denen Doria bei zahlreichen Adelsaufständen und Verschwörungen (am berühmtesten jene von Schiller verewigte des Fiesco) eine herausragende Rolle spielte; auch widerstand er erfolgreich seinem alten Dienstherrn Carl V. in dessen Bemühen, eine spanische Garnison nach Genua zu verlegen. 1550 rief man den alten Seehelden nochmals auf das Meer, wieder ging es gegen die Barbareskenpiraten Nordafrikas, wieder ohne Erfolg: 1552 verlor Doria die Schlacht bei Ponza gegen eine verbündete französisch-osmanische Flotte, Frankreich besetzte daraufhin Korsika (1555). Doria übergab das Kommando nun an seinen Großneffen Giovanni Andrea Doria (1539–1606), welcher erst an der Seite Don Juans bei Lepanto einen durchschlagenden Erfolg erzielen konnte.
Aufgrund der Fülle von Ereignissen im Leben des Genuesen fällt eine abschließende Würdigung schwer. Stolz, zum Teil stur bis zur Verblendung, im Grunde ein maritimer Glücksjäger von fürstlichem Geblüt, wechselte Doria auch für den Maßstab seiner Zeit eklatant die Fronten, wirklich treu ergeben blieb er nur seiner Heimatstadt, die ihm für das Eingreifen gegen Frankreich 1528 den Titel «Liberator & Pater Patriæ», Befreier und Vater des Vaterlandes verlieh, deren oberste Regierung, das Dogenamt, er aber wiederholt ablehnte. Die harmonische Vereinigung von Handel, Politik und Seefahrt, die seinem Landsmann Zaccaria 250 Jahre zuvor geglückt war, blieb ihm verwehrt. Dabei sollte man aber gerechterweise bedenken, dass Doria zur Zeit seiner letzten Kommandos bereits hoch in den Achtzigern (!) stand und wohl auch körperlich vielen Belastungen nicht mehr gewachsen war. Zu Beginn seiner internationalen Laufbahn 1523 zählte er 57 Jahre, 1535, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, deren 69 – wäre er damals verstorben oder gar vor Tunis gefallen, gälte er sicher mit Don Juan als größter Admiral des 16. Jahrhunderts.
Trotzdem hat Angelo Bronzino (1503–1572) um 1545 den alternden Doria als Meeresgott Neptun verewigt – eine Ehrung für einen Mann, der zu lange mit dem Ruhm gelebt hatte, den er zeitlebens aufzubauen sich bemüht hatte. 1560 starb Doria mit 93 Jahren zu Genua und hatte damit alle seine großen Zeitgenossen überlebt. Sechs italienische Kriegsschiffe und ein Passagierdampfer trugen in der Folge seinen Namen – das Schicksal des Letzteren, der mondänen SS Andrea Doria (gebaut 1951, 29.000 BRT), die 1956 nach einer Kollision vor New York sank, wirft im Rückblick ein bezeichnendes Licht auf den Namensgeber.