Читать книгу Seefahrer! - Josef J. Schmid - Страница 6
Vorwort
Оглавление„No man will be a sailor, who has contrivance enough to get himself into jail. A man in jail has more room, better food, and commonly better company.“1
„Niemand, der über ausreichende Erfindungsgabe verfügt, sich einen Platz im Knast zu verschaffen, wird (jemals) Seemann werden. Ein Mann im Gefängnis verfügt über mehr Platz, besseres Essen und im Allgemeinen auch über bessere Gesellschaft.“
Diese vermeintliche Erkenntnis des 19. Jahrhunderts mag sich als Einstimmung in die vorliegende kleine Anthologie vernichtend lesen. Was treibt einen Menschen denn auf die See, wenn die Perspektiven dort so vernichtend sind? Versammelt sich dort – wie es uns Hunderte von Filmen, Darstellungen und landläufigen Vorurteilen glauben machen wollen – wirklich nur der Abschaum der Gesellschaft, tummeln sich in beziehungsweise auf diesem Element im besten Falle nur einige Verrückte, welche dann gemeinsam ihrem Wahnsinn frönen – dies in einer Umgebung, gegen deren Naturgewalten der Mensch sowieso im Endeffekt immer den Kürzeren ziehen wird?
Woher aber dann diese seit der Antike nicht abreißende Faszination der See, woher die ebenfalls in die Hunderte, wenn nicht Tausende gehenden Berichte von Abenteuer, Wagemut, Entdeckerdrang, von der Suche nach der unerreichten Weite, nach dem Ansichtigwerden dessen, was hinter dem Horizont, also hinter der dem menschlichen Auge wahrnehmbaren natürlichen Grenze liegt? Ist es kollektiver Wahnsinn oder der Traum einer auf festem Boden unerfüllten Sehnsucht und damit wiederum ein pathologisches Phänomen?
Vielleicht ein wenig von alledem. Aber ist dem Menschen nicht das Suchen nach der unendlichen Weite, das Entdecken des Neuen, die Bewährung im Ungewohnten ureigen? Verbindet dies nicht im Letzten Theologie, Philosophie und andere nachgeordnete Wissenschaften, darunter auch Nautik und Navigation? Ist die See damit Spiegel des menschlichen Ich, jener Existenz, welche sich auch in Zeiten von rationalisierter Selbsttäuschung und massenvermittelter Spontanspaßerfüllung nicht mit den vermeintlichen Limits einer ideologisierten Selbstgenügsamkeit abfinden will?
Die Alternative hierzu ist zweifellos die Suche nach dem Helden, dem anderen, jenem, der dies nicht akzeptieren will, dem Propheten und Prediger der Theologie, dem Denker und Ordner der Philosophie – und eben dem Mann des Meeres, dessen Existenz gleichfalls in seinem das scheinbar Gewöhnliche hinter sich lassenden Wagnis das ganz Andere umfängt.
Dieser Band möchte einen kleinen Einblick in die Leben und Lebenswelten dieser Menschen und ihre durchaus sehr unterschiedlichen Motivationen wagen. See ist nicht gleich See, Seefahrer nicht gleich Seefahrer. Dieses Genre menschlicher Betätigung erschöpft sich weder im kämpfenden Seehelden noch im abenteuerdurstigen Entdecker, noch im Erforscher gegenwärtiger oder vergangener maritimer Lebensräume.
Damit gelangen wir zum Kriterium der unvermeidlichen Selektion. Seefahrt ist nicht gleich Seekrieg, und nicht jeder Entdecker automatisch ein großer Seefahrer – anders gesprochen: Die bloße Tatsache, sein Schiff als Erster an einem bislang – zumindest im zeitgenössischen Bewusstsein – unbekannten Gestade angelandet zu haben, ist nicht zwangsläufig eine herausragende seefahrerische Leistung an sich.
Da der vorliegende Band nur knapp 200 Seiten aufweist und nicht deren 2.000 oder mehr, wird folglich mit Sicherheit jeder einigermaßen kundige Leser einen seiner «Lieblinge» vergebens suchen, andere Aufgenommene hingegen mit einer gewissen Überraschung, vielleicht auch Konsterniertheit entdecken: Kann es denn angehen, in einem solchen Werk Leute wie Magellan, Vespucci etc. scheinbar zu übergehen, während sich doch tatsächlich eine Katze darin findet? Ein Ausweis oder gar Ausfluss des zuvor angenommenen maritimen Wahnsinns?
Maßgebliches Kriterium für die Aufnahme bildete zunächst die Wirkmächtigkeit der jeweiligen Person in und nach ihrer Zeit. Zudem sollte – wie bereits erörtert – eine Balance innerhalb der Gattung «Seefahrer» gehalten und eine möglichst große Bandbreite erfasst werden, dies in epochaler, geographischer, kultureller, exemplarischer und vor allem rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht unter Berücksichtigung der zeithistorischen Bedingungen. Von daher sieht sich dieser Band durchaus in der Tradition des klassischen Pionierwerks von John Campbell, der sein Hauptaugenmerk den „persönlichen Lebensumständen“ der von ihm beschriebenen Seeleute widmet „und einer Beschreibung ihrer dem gemeinen Wesen geleisteten Dienste“2.
Der Gesichtspunkt der geographischen Breite führte zur Aufnahme einiger Personen, welche gemäß dem in unseren Breiten und Zeiten vorherrschenden seehistorischen Bewusstsein darin weniger verortet werden dürften; der relativ breite Raum, welcher hier der asiatischen Sphäre eingeräumt wird, erklärt sich nicht zuletzt daraus. Die verhältnismäßig spärliche Präsenz der Seekriege okzidentaler Gefilde des späten 19. und 20. Jahrhunderts hingegen ist neben der Frage, inwieweit hier Persönlichkeiten – bei aller Anerkennung der individuellen Leistung – wirklich Entscheidendes bewerkstelligen konnten, vor allem dem Umstand geschuldet, dass dieser Personenkreis bereits derart dicht aufgearbeitet ist3, dass im Zweifelsfalle der Originalität des Vertreters einer anderen Epoche/Sphäre der Vorrang vor unvermeidlicher Wiederholung eingeräumt wurde.
So ist dies Buch im Ergebnis als Einladung an den Leser zu verstehen, auch Neues zu entdecken – plus ultra, hinaus über die Grenzen des Bekannten, hinein in das Unbekannte.
Der Autor hofft, der Vorgabe des Verlages, ein populärwissenschaftliches Werk mit Betonung auf beiden Teilen dieses Adjektivs zu erstellen, entsprochen zu haben; die getroffene Auswahl ist selbstverständlich von ihm selbst verantwortet und zu verantworten, ebenso alle verbleibenden Fehler sowie Interpretationen, Bewertungen und Einordnungen.
Ein gewagtes Unterfangen ist dieses Büchlein mit seiner Bandbreite von der Antike bis in die unmittelbare Zeitgeschichte allemal; strebten die älteren Werke diese noch an4, so blieben vergleichbare neuere – bei höherer Seitenzahl – meist regional-national5 oder epochal6 – oder beides7 – beschränkt.
Ein wenig an Plutarchs (Parallelbiographien) mag die überwiegende Präsentation von zwei Persönlichkeiten innerhalb der meisten Abschnitte gemahnen, doch ist dies weniger starr denn im antiken Vorbild strukturiert. Vielmehr bietet die paarweise Erfassung den Vorteil, Charaktere entweder der gleichen Zeit oder aber eines gemeinsamen Bedeutungsschicksals gegenüberzustellen beziehungsweise in ihrer Wirkungsgeschichte gemeinsam zu betrachten. Die lediglich dreimal vorkommende Betrachtung nur eines Lebensbildes in einem Kapitel hingegen soll dessen besondere Signifikanz unterstreichen, das Leben Lord Nelsons darüber hinaus als Einleitung in das Gesamtphänomen «Seeheld» dienen; es ist daher den restlichen, in chronologischer Reihenfolge präsentierten Viten vorangestellt.
Auf numerische Anmerkungen (Fußnoten) im Textteil wurde verzichtet; wörtliche Zitate werden unmittelbar anschießend in Klammern nachgewiesen, weiterführende Anmerkungen und Literatur am Ende des Bandes nach Kapiteln und dort wiederum nach Betreffen gegeben.
Die dort gleichfalls anzutreffenden Hinweise auf das belletristische und musikalische Echo, welches die behandelten Personen gefunden haben, dienen ebenso zur Illustration der Rezeptionsgeschichte wie die ganz am Ende des Bandes gegebene Filmographie.
Um die Möglichkeit des internationalen Vergleichs beziehungsweise der Einordnung zu gewährleisten und die bibliographische Recherche für weiterführende Literatur zu erleichtern, folgt die Umschreibung/Wiedergabe der russischen, arabischen, japanischen, koreanischen und chinesischen Namen dem weltweit am häufigsten angewandten angelsächsischen Modell.
Zu guter Letzt ist ein kleines Wort des Dankes nicht nur angebracht, sondern eine angenehme Pflicht. Dieser gilt neben Verlag und Lektorat vor allem sowohl meinen lieben Kollegen und Mitarbeitern im Arbeitsbereich Neuere Geschichte der Universität Mainz, aus denen hier stellvertretend Frau Annette Zimmermann und Herr Alexander Röllig herausgegriffen seien, als auch meiner Familie, welche nicht nur die maritime Begeisterung (meine Frau spricht mitunter von Obsession, eingangs war von Wahnsinn die Rede …) ihres pater familias, sondern auch die mit der Abfassung dieses Buches verbundenen Belastungen stoisch und liebevoll ertrug.
1 James Boswell, The Life of Samuel Johnson, Bd. I, London 1820, 161.
2 John Campbell, Leben und Thaten der Admirale und anderer berühmter brittanischer Seeleute: worin, nebst ihren persönlichen Lebensumständen, und einer Beschreibung ihrer dem gemeinen Wesen geleisteten Dienste …, Göttingen 1755 (orig. Lives of the Admirals and Other Eminent British Seamen; Containing their Personal Histories and a Detail of all their Public Services …, London 1750); vgl. John Campbell/Henry Redhead Yorke, Naval History of Great Britain, Including the History and Lives of the British Admirals, London 1813 [u. zahlr. w].
3 Vgl. Anmerkungen 5–7
4 Addison B. C. Whipple, Tall Ships and Great Captains. A Narrative of Famous Sailing Ships through the Ages and the Courageous Men who Sailed, Fought, or Raced them across the Seas, New York 1960; Oliver Warner, Command at Sea. Great Fighting Admirals from Hawke to Nimitz, New York 1976; Richard Hough, The Great Admirals, New York 1977.
5 Etwa: Andrew Lambert, Admirals. The Naval Commanders who Made Britain Great, London 2008; Thomas A. Heathcote, British Admirals of the Fleet 1734–1995. A Biographical Dictionary, Barnsley 2002.
6 Jack Sweetman, The Great Admirals: Command at Sea 1587–1945, Annapolis 1997; Lee Bienkowski, Admirals in the Age of Nelson, Annapolis 2003; Charles E. Pfannes/Victor A. Salamone, The Great Admirals of World War II: 1. The Americans, 3New York 1985, 2. The Germans, 2New York 1985; Stephen Howarth, Men of War. Great Naval Leaders of World War II, New York 1993.
7 John Creswell, British Admirals of the Eighteenth Century – Tactics in Battle, London 1972; Richard Harding/Peter Le Fevre (Hgg.), Precursors of Nelson: British Admirals of the Eighteenth Century, London 2000; Martin Stephen, The Fighting Admirals. British Admirals of the Second World War; Barnsley 1991; Evan Thomas, Sea of Thunder. Four Commanders and the Last Great Naval Campaign 1941–1945, New York 2006.